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1 Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Das Feature Die Tochter des Vaters der Konkreten Poesie Über Nora und Eugen Gomringer Von Sabine Fringes Produktion: DLF 2016 Redaktion: Tina Klopp/Ulrike Bajohr Erstsendung: Freitag, 23.12.2016 , 20:10-21:00 Uhr Regie: Fabian von Freier Sprecherin: Frauke Poolman Alle Gedichte sind von Nora und Eugen Gomringer eingesprochen Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ©

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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur

Das Feature Die Tochter des Vaters der Konkreten Poesie Über Nora und Eugen Gomringer Von Sabine Fringes Produktion: DLF 2016 Redaktion: Tina Klopp/Ulrike Bajohr Erstsendung: Freitag, 23.12.2016 , 20:10-21:00 Uhr Regie: Fabian von Freier Sprecherin: Frauke Poolman

Alle Gedichte sind von Nora und Eugen Gomringer eingesprochen

Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

©

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Musik/ Atmo: Vogelgezwitscher

Nora :

Als ich mit meinem ersten richtigen Freund zusammengekommen bin, hat er mir

gesagt: weißt du da bei euch im Dorf, wir haben oft überlegt und nachgedacht, wer

ihr seid als Familie – und dann hat er mir gesagt: ihr wart wie die Kennedys von

Wurlitz. Da hab ich gedacht: das ist ja lustig. Ich habe mir ja immer Mühe gegeben

so intensiv und deckungsgleich zu allen zu passen und ähnlich den Dorfjungs und -

mädls zu sein. Und wir waren viel in den USA- und kamen zurück und die Leute

haben das alle wahrgenommen –und die Leute sagten, die Gomringers waren wieder

im Ausland. Irgendwie schnupperte man große Welt um uns. // Mein Vater fuhr dicke

Autos – und meine Mutter wirkte vielleicht sogar ein bisschen abgehoben, hat immer

so Spitze geraucht. Das einzige Bindeglied zur Dorfgemeinschaft war ja ich. Und

später mein Vater, weil der im Gartenbauverein war. Mein Vater ist ein richtiger

Landmann, wenn man ihn lässt, dann gräbt er im Garten und baut und buddelt und

gräbt–und dieser Ausgleich zu der fragilen Arbeit mit der Sprache – die bei ihm gar

nicht so fragil ist.

Mein Vater nimmt die Wörter wie Bausteine und setzt sie zueinander in Verhältnis.

Musik

Eugen B

Ping Pong

Ping Pong Ping

Pong Ping Pong

Ping Pong

Musik

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Eugen :

Vater der konkreten Poesie wird man erst dann richtig, wenn man weltweite

Verbindungen hat - über die Sprachen hinweg eine Poesie zu gründen, das war

eigentlich die Idee.

Ansage:

Die Tochter des Vaters der konkreten Poesie.

Eugen

Und Ping Pong ist sehr international – es gibt kaum Wörter, die international

verständlich sind.

Nora

Die Tochter des Vaters der Konkreten Poesie. - Das macht mich ganz offiziell zur

Schwester der Konkreten Poesie.

Eugen

Und Sie können jeden Saal betreten und hineinrufen – Ping und Sie können sicher

sein, die Leute sagen alle Pong.

Nora

Die Schwester der Konkreten Poesie zu sein ist Erbe, ist Bürde, ist schöne Würde

und macht eine seltsame Familienaufstellung nach Hellinger.

Ansage:

Über Eugen und Nora Gomringer

Ein Feature von Sabine Fringes

Erzählerin:

Ihre Gedichte sind in mehrere Sprachen übersetzt und stehen in den Schulbüchern.

Sie ist Meisterin des spoken word –

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Nora

Mamaundpapaundkindundkindschwesterundkinderbruderundkinderonkelundhoppeh

oppeundfallefalleindengrabenundgefressenvonrabenundangesabbertvomhundundme

erschweinundseinekurzenbeinchenverschwindenimschlundundgelbervogelimkäfigun

dnachbarundnachbarsfrauundputzeundputzesmannundmamasloverundpapasblonde

undpapasblondeshellesundmamastablettenundhundehitzeundnachbarskatzeundidyll

einderreihe

Erzählerin:

er gilt als der Erfinder der Konkreten Poesie.

Eugen

kein system im fehler

kein system mir fehle

keiner fehl im system

keim in systemfehler

sein kystem im fehler

ein fehkler im system

seine kehl im fyrsten

ein symfehler im sekt

kein symmet is fehler

sey festh kleinr mime

Erzählerin:

Ihre Dichtung will gehört – seine gesehen werden.

Beide leben sie in Oberfranken und leiten ein Kunsthaus.

Er in Rehau .

Atmo: Bamberg: Vögel zwitschern, Wasser fließt

Sie in Bamberg.

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Nora

Guck, ma, da gehen wir bei den Leuten vorbei und hören mal, was die sagen über

die Villa, und da kann ich immer checken, ob die vom Tourismusamt, das richtig

sagen und den Leuten richtig beibringen.

Atmo: Ach ja, das ist die Lore, die macht das super, die macht ganz oft...für uns.

Erzählerin:

Frühsommer in Bamberg. Schon am Morgen ziehen die ersten Touristen durch die Stadt.

Eine Etappe ist stets die Villa Concordia, auch Wasserschloss genannt. Ein Barockbau aus

dem 18. Jahrhundert. Ein kleiner Fähranleger bringt von hier aus die Besucher zum anderen

Ufer der Regnitz.

Atmo: Bamberg: Vögel zwitschern, Wasser fließt

Nora

Ja, und siehst du, da sind sechs Stipendiatenwohnungen, da ist das Büro. Insgesamt

haben wir vier Wohneinheiten in der Villa selbst, den großen Saal und unten die

Empfangsräume. Ab dem ersten Tageslicht ist die Villa in herrliches goldenes

zwiebackfarbenes Licht getaucht. Schön ja. ich freu mich, dass das Wetter so gut ist.

Das hat hier viel Idylle.

Atmo: Schritte, Vogelgezwitscher

Erzählerin:

Nora Gomringer, geboren 1980, wächst im oberfränkischen Dorf Wurlitz auf. 1995 zieht sie

nach Bamberg, studiert dort Anglistik und Germanistik, und übernimmt im Frühjahr 2010 die

Leitung des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia.

Atmo: Wasser, Vogelgezwitscher

Nora

dududu. .. und nachts im Sommer schwimmen die Paare, hier im Fluss, und dann

sieht man nackte Menschen, die den Fluten entsteigen und den Weg zurück Hand in

Hand laufen. Wir haben richtige Adam- und -Eva-Momente. Und ich habe einen Text

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gemacht über den Irrsinn, über Bamberg im Sommer. Und dann hat man mich

gebeten, den Text schön fränkisch zu sprechen. Eigentlich ist das ja nicht mein

Idiom, aber sie ist mir schon im Ohr, sie hat auch was Putziges, ja, da ist so viel

Urkraft da drin, weil auch viele Menschen das sprechen.

Nora (Bamberger Irrsinn, aus der CD „Stimmen Bayerns“ von Trikont)

„So voller Schäufala, Weckla, Bierla. Bamberg zaubert. Die Leit san alle a weng

eigen und a wenig eradisch. Was von erodisch weit weg is. Außer man is in am

südländischen Szenario, wo a Fraa scho amol a weng a Furie sei derf ohne gleich a

Kripl genannt zu werden, in Bamberg is aber trotz der sieben Hügel nur im Sommer a

römisch katholische Stimmung.

Atmo: Vogelgezwitscher, Natur

Nora

Ja, das ist alles so ein bisschen Idylle, ne? (Schritte) Autorin: Wie man sich so ein

Poetenleben vorstellt! Nora: Lacht. Ja, genau. Also, ich bin schon beschenkt, dass

ich nicht in Berlin leben muss, ehrlich gesagt. Und ich halte es auch für ein, fast ein

Geheimrezept: willst du als Autor von der Kunst leben, musst du dahin gehen, wo

nicht alle so sind wie du. Und dann bist du zwar ein Exot und manchmal einsamer.

Aber...Autorin: Aber? Nora: Ja, so habe ich bisher überlebt. (Schritte) Weil ich auch

merke, als wir zwanzig waren, wir jungen Dichter, da haben ja alle das belächelt,

dass ich so verwurzelt bin mit Bamberg und in dieser kleinen Stadt studiere..(Tür

wird geöffnet)

Atmo: Treppenhaus (Schritte, Gemurmel)

Erzählerin:

Wie die Stipendiaten arbeitet Nora Gomringer nicht nur in der Villa, sie lebt dort auch. Die

Villa Concordia ist das einzige Künstlerhaus Bayerns, das komplett staatlich gefördert wird.

Jährlich vergibt es 12 Stipendien an Künstler aller Couleur: Musiker, Schriftsteller, bildende

Künstler aus Deutschland und einem weiteren Land.

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Nora

(Tür. Schritte) Und jetzt war die Entscheidung gar nicht schlecht, ich kann hier sehr

geradlinig konzentriert auf die Sache leben. Und sie hat wirtschaftlichen Ertrag, (Tür)

das ist wichtig.

Atmo: Treppenhaus (Schritte, Gemurmel)

Erzählerin:

Über einen herrschaftlichen Aufgang - die dreiteilige Treppe ist ein Vorläufer des berühmten

Treppenaufgangs der Würzburger Residenz - geht es in die Dienstwohnung der Dichterin

Nora

(Schritte) Hier ist immer ein bisschen was los. Hallo. Hallo.

Bitteschön, (schließt Tür) das ist richtig Backstage. Hier sind meine Laufschuhe. –Ich

hab auch so LED-Schuhe, guck, da leuchten die Sohlen. Total geil. Da kann man so

mit tapsen, mag ich ganz gerne.(Tür)

Erzählerin:

Bücherregale wachsen der prächtigen Stuckdecke entgegen – und Bücher lagern auch auf dem

Couchtisch, neben einem Totenkopf aus Strass. Nora legt ihr stummes, aber stets aktives

Handy mit der Hello-Kitty-Schutzhülle daneben und greift zu einem Stapel Papiere.

Nora/ Gespräch mit Assistenten:

„Das ist alles Steuer. Das ist alles Presse. Hm. Also hier drin... Ja, schön, ja. Hier,

es kam einer in Klagenfurt und hat die ganze Presse gesammelt. Vom Bachmann.

Mann: vom Bachmann Preis. Toll. Nora: und hier Gomringer, da Gomringer. Mann:

Lacht. Hier Gomringer, hier ein super Bild mit der Mama. (weiter unter Erzählerin)

Erzählerin:

Hier, in ihrem Wohnzimmer, trifft sich Nora Gomringer während der Mittagspause mit ihrem

Assistenten Helmut Reuschlein, der ihr bei der Buchhaltung und der Organisation ihrer

Lesungen und Vorträge hilft. Seit sie 2015 den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann, ist die

Autorin gefragter denn je:

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Nora

Ich merke, ich funktioniere am besten unter Druck. Dann habe ich die Ideen, und

habe den Output, den ich akzeptiere und von dem ich sage, das bin ich. Ich muss

ganz ehrlich sagen, ich hab ganz viele Stipendien gehabt, wo ich nur lag und starrte.

Und klar, ich hab dann gelesen, ich hab viel Fernsehen geguckt, ich hab dann so

versucht, einen Alltag zu leben, ich hab dann gekocht. (lacht). Was ich in meinem

normalen Leben nie mache.

Und das ist auch so, dass dieses tägliche Arbeiten an der großen Sache, sprich

wirklich hier für andere Künstler zu sorgen und mir Gedanken darüber zu machen,

wie man Steuergelder sinnvoll einsetzt, für die Kunst, das informiert die andere, die

dichterische Arbeit sehr. ich glaube, mein Ton ist dadurch pragmatisch, klar,

menschenfreundlich. Ganz gut (lacht). Es gibt auch so, Gedichte, die aus diesem

speziellen Lexikon der Verwaltung schon entstanden sind. Haushaltsjahr und solche

Sachen.

Nora/Gedicht

(blättert, murmelt) Haushaltsjahr.

Am Ende sind wir bei Null,

im besten Falle beide,

in den Armen anderer sicher und warm,

deren Tücher getrocknet in den Stuben

beheizt mit den Hölzern fremder Wälder.

Was dann noch brennt,

wird übers neue Jahr verschwinden.

Um uns die Borke,

in uns die Käfer schleichen ein,

in unser Dach.

Damit wir einjährig abgehandelt. (Atmo)

Nora

Ich bin ziemlich anarchisch in meinem Privatleben glaub ich, ich leb wie ich mag. Das

ist auch manchmal ein umgekehrter Tages-Nacht-Rhythmus oder so, ja, obwohl ich

achte schon sehr drauf, dass ich gut schlafe. Und ich will meine Gesundheit auch

nicht in Gefahr bringen, ich bin sehr konzentriert darauf, meine ganzen vielen

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Aufträge durchzukriegen und Auftrag heißt für mich auch, Schreibeauftrag. (...) Ich

plane das immer nach langen Zugfahrten, je nachdem, wenn ich weiß, oh, da bin ich

länger unterwegs, da hab ich mal ne Strecke von vier Stunden, da kann ich drei, vier

Texte schreiben in der Zeit, und dann bearbeitet die meine Assistentin oder auch

meine Lektorin, je nachdem, und dann kommen die schon raus, ne?

Musik

Nora/Gedicht

Du baust einen Tisch

Tisch unter den du dann Füße streckst

Tisch für den du Bretter über die Kreuzung trägst

Du baust für sie

Und dich einen Tisch

Einen Tisch für zwei unter den sich

Vier Füße strecken können

Einen Tisch an dem du sitzt mit ihr

Ich habe dich Bretter über eine Kreuzung tragen sehen

Bretter für einen Tisch

Den du baust mit ihr

Für ihre Füße zum Darunterstrecken

Tisch für vier Ellbogen

Vier Füße

Vier Unterarme

Zwei Töpfe

Einen Tisch für euch zwei

Für den schleppst du Bretter über eine Kreuzung

An der ich stehe mit meinem Auto

Erzählerin:

Nora ist 19, als ihr erster Lyrikband herauskommt und sie beginnt, mit ihren Gedichten auf

Tour zu gehen. Als Studentin ist sie im Poetry-Slam aktiv und etabliert zusammen mit

anderen Slammern eine Poetry-Bühne in Bamberg: Der „Morph-Club“ macht aus Bamberg

„Slamberg“. Inzwischen ist sie der Szene entwachsen, pflegt aber weiterhin einen expressiven

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Vortragsstil. Spoken word nennt sich das Genre, in dem sich Nora Gomringer bewegt, Lyrik,

die nah am Leben ist und gesprochen werden will.

Einen Tisch baust du

Tisch für sie und Tisch für dich

Einen Scheißtisch für euch zwei

Unter den ihr eure Füße streckt

Entgegenstreckt

Euch entgegenstreckt

Tisch unter und an dem alles gesagt ist

So einen Tisch einen Tisch für zwei

Für den Bretter über eine Kreuzung geschleppt werden

An mir vorbei

Baust du einen Tisch

Unter dem ich jedem auf die Zehen trete

Einen Tisch an dem ich kein Gespräch mehr bin

So einen Tisch baust du für sie

So lange sie ihre Füße unter ihn streckt

Isst sie,

was du auf den Tisch bringst

den du baust

dessen Bretter du schleppst

an mir vorbei

im Scheinwerfer

gingst du vorbei mit Brettern für einen Tisch

ich wünschte

du bautest einen für...

Nora

Ich kann im wahrsten Sinne nicht formulierend denken, also nichts schreiben, wenn

ich nicht sprechen kann. Wenn ich also eine Stimmkrankheit habe oder so ne

Laryngitis oder so, kann ich nicht denken, dann brauche ich gar nicht anfangen zu

schreiben. Dann sagen immer alle, ah, das ist auch mal gut, da biste mal krank und

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liegst im Bett und kannst arbeiten. Aber wenn ich das Pech habe und was im Hals

habe, kann ich auch nicht denken.

Musik

Nora

Mein Vater ist ein sehr guter Sprecher und meine Mutter ist eine sehr einfühlende

Sprechende, und ich hab davon viel mitgenommen und auch meine Vorstellung von

schauspielerischer Kraft und Dramatik hat sich eher so durch das Abgleichen und

das Beobachten anderer Schauspieler für mich ergeben.

Nora/Gedicht Heimat

Du schluckst die Heimat wie einen Stein,

der dich gerundet, so dass kein Wanken dir den Weg verrenkt.

Der Gründerstein senkt sich im Inneren

Bis sich die Erde erinnert und ihn heimwärts lenkt.

Atmo: Bamberg: Vogelgezwitscher, Wasser

Nora

Mit zwei Jahren bin ich nach Wurlitz nach Oberfranken mit meiner Mutter gezogen,

mein Vater hat meine Mutter dann auch geheiratet als ich zwei war, und ab da fing

mein Landkindleben an.

Nora /Gedicht

Taschendorf

Wo man ein Leben

Lang wohnt,

schon vor der Geburt

ein Leben lang

da gibt man allem

einen Namen.

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Nora

Wo ich bin ist nicht mein Thema. Bamberg ist gar nicht so tief in mir drin, ich bin das

Dorfkind, in Wurlitz bei Rehau bei Hof, da gibt es Gedichte über das Landleben. Da

hab ich 16 Jahre gelebt und dann habe ich darüber geschrieben, als ich zwei, drei

Jahre da weg war. Von daher es gibt halt eine Verarbeitungszeit auch von

Eindrücken.

Ich habe Dorf als Ort erlebt wo viele Menschen auf ihre Weise existieren dürfen. Ich

kenne aber auch viele Menschen, die extrem gefangen waren und sich befreien

mussten. Für mich war Dorf ein Ort, an dem ich sehr exzentrisch sein durfte. Weil wir

so angefangen haben.

Nora /Gedicht Fortsetzung

..da gibt man allem

einen Namen.

Der Stein heißt Grauer,

der Baum Versteck

der Bach Säusler und

jeder Hund Rex.

Und wenn man

Fortzieht von allem,

was Namen trägt,

hat man

sein Dorf in den Taschen.

Atmo: Vogelgezwitscher, Flugzeug

Ja, das sind so meine Dorfweisheiten.

Atmo hoch

Nora

Was macht ein Professor auf dem Dorf. Das war ja auch immer komisch. Wir waren

seltsam für die Leute. Merke ich auch jetzt noch. Aber meine Mamma und ich

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wurden gut aufgenommen. Weil das war `ne junge Frau mit nem Kind. Und mein

Vater ist in den Gartenbauverein gegangen. Der sagte: Das gehört dazu, ich wohne

hier, ich hab auch einen Garten. So sind meine Eltern, die sind sehr pragmatisch und

eigentlich immer klar in diesen Handlungsschritten. Das fand ich gut. Wir Gomringers

sind immer so ein bisschen die Exoten, wo wir auftauchen. Vielleicht ist exotisch

sein, die große Freiheit, die man sich bewahren muss wenn man wohin zieht, dann

wird die Provinz nicht zu eng und die große Stadt nicht zu weit.

Musik

Nora/Gedicht

Mamaundpapaundkindundkindschwesterundkinderbruderundkinderonkelundhoppeh

oppeundfallefalleindengrabenundgefressenvonrabenundangesabbertvomhundundme

erschweinundseinekurzenbeinchenverschwindenimschlundundgelbervogelimkäfigun

dnachbarundnachbarsfrauundputzeundputzesmannundmamasloverundpapasblonde

undpapasblondeshellesundmamastablettenundhundehitzeundnachbarskatzeundidyll

einderreihe

Musik

30 Atmo Ankunft:

Kirchenglocken, ein Lachen von Nora, Sprachfetzen Gomringers klingen auf:

„Auffassung von Konkretem, das sagt einer der ganz in Weite... konstruktivem

Denken vorhanden ist, ganz anderen Sinn hat...Also das ist wieder ein Künstler, der

verlangt, dass man sich für eine Struktur hinstellt, einen

Wahrnehmungsgegenstand...“

Gemurmel von Nora, Auto fährt vorbei...

Erzählerin:

Nora besucht ihre Eltern in Rehau, einer kleinen oberfränkischen Stadt nahe der

tschechischen Grenze.

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Seit 2000 wohnen Eugen und seine Frau Nortrud gegenüber der Kirche in dem ehemaligen

Schulhaus, das der damalige Rehauer Bürgermeister Edgar Pöpel zum Kunsthaus umbauen

ließ. Hier leitet Eugen Gomringer das Institut für Konstruktive Kunst und Konkrete Poesie.

Atmo: Ausstellungsbesucher

Erzählerin:

Ein mächtiger Kubus aus zwölf Balken steht im Skulpturengarten vor dem Kunsthaus mitten

in der Altstadt von Rehau. Entworfen hat ihn der Bildhauer und Architekt Max Bill,

Mitbegründer der Hochschule für Gestaltung Ulm. Bei ihm arbeitete Eugen Gomringer in den

50er Jahren als Assistent.

Eugen/ Gedicht

Einander zudrehen und aufeinander einstellen / ineinander greifen und einander

mitteilen / Miteinander drehen und voneinander lösen / Auseinanderkreisen und

einander zudrehen / Aufeinander einstellen und ineinander greifen / Einander

mitteilen und miteinander drehen / voneinander lösen und auseinander kreisen/

Einander zudrehen/.

Erzählerin:

Je nach Tageslicht umspielen Schatten den Würfel. Sie sind Bestandteil der Skulptur, Symbol

für die Erde. - Begeistert von dieser Kunst, die mit minimalen Mitteln eine große Weite und

Symbolkraft erschafft, entwickelt Eugen Gomringer in den 50er Jahren eine Gedichtform: die

Konkrete Poesie.

Musik endet/Atmo: Ausstellung

Erzählerin:

An die 30 Männer und Frauen stehen an diesem sonnigen Sonntagmorgen im

Skulpturengarten. – Auf Noras Initiative ist der Rotary Club aus Bamberg zu Besuch. Nora

ist Rotarierin, wie ihr Vater, Eugen Gomringer, auch.

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Eugen

Und jetzt, muss ich aber doch noch ganz kurz, weil wir alle schön beisammen sind,

erklären, (Auto fährt leise vorbei) wie ich überhaupt hierher gekommen bin, ich

glaube das ist nicht unwichtig: Philipp Rosenthal hat mich im Jahr 1967 entdeckt, und

hat gesagt: so einen wie Sie könnten wir brauchen im Rosenthal-Konzern. Nach

kurzer Überlegung bin ich also nach Selb, ins Porzellangebiet, und bin dann

Kulturbeauftragter des Konzerns geworden, eine wunderschöne Stellung. Ich hatte

nur den Auftrag, hundert Künstler für Rosenthal zu gewinnen, also hinzureisen, mit

ihnen zu sprechen und ihnen zu sagen: komm doch, hier kannst du etwas

entwickeln. Und ich habe dann versucht, hundert Künstler zu gewinnen, fünfzig

konnte ich gewinnen, darunter Henry Moore.

Erzählerin:

...und Andy Warhol, Otto Pine, Friedensreich Hundertwasser und Victor Vasarely - mit ihnen

werden die Künstlereditionen des Porzellanherstellers weltberühmt.

Eugen

Das als kurze Begründung, warum ich also hier bin und ich fühle mich eigentlich

ganz wohl, Rehau ist ein sehr guter Ausgangspunkt, man ist eine halbe Stunde von

hier gar nicht weit, Selb und über die Grenze.....So, das war meine kurze Einführung

…Darf ich Sie bitten, mit meiner Frau ins Poema... Nora: vielleicht alle Frauen. Erst

die Frauen...

Atmo weiter, darüber:

Erzählerin:

Der Familienbetrieb Gomringer läuft. Während Eugen die Männer durch die Ausstellung im

Kunsthaus führt, begleitet seine Frau die weibliche Besucherschaft ins „Poema“, einen

Pavillon, in dem die wichtigsten Arbeiten Eugen Gomringers versammelt sind.

Poema – das spanische Wort für Gedicht - erinnert an seine Herkunft: Er wurde 1925 in

Bolivien als Kind einer Bolivianerin und eines Schweizer Kaufmanns geboren. Gomringer,

der oberfränkische Weltbürger, ist Schweizer.

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Atmo Schritte, Vogelgezwitscher

Nortrud

Wir wollten nicht poem machen oder Gedicht wäre zu lang gewesen, Poema ist

eigentlich schön (Lachen, Atmo, Menschengemurmel, Schritte) Hier passt immer gut

eine Schulklasse rein, das ist immer praktisch.

So, hier sehen sie also die urkonkreten Dinge, sozusagen ein heiliger Raum, und da

sehen sie eben die Formen, die man benutzen kann in der Konkreten Poesie. Das

erste Buch der Konkreten Poesie von 1953- weshalb der Eugen Gomringer auch

Vater der Konkreten Poesie heißt- ist das hier....(als Atmo weiter)

Erzählerin:

Noras Mutter ist studierte Germanistin und hat über die Konkrete Poesie von Eugen

Gomringer promoviert. Bei dieser Arbeit lernte sie ihren späteren Mann kennen, der Ende der

70er Jahre eine Professur für Theorie der Ästhetik in Düsseldorf innehatte.

Nortrud

Und eine besondere Machart der Konkreten Poesie ist die Permutation, dass man

Worte verändert und umstellt und manchmal ergibt sich auch eine semantische

Bedeutung, manchmal auch nicht und es ist interessant, was dabei rauskommt. Und

so ist der Satz: Kein Fehler im System (alle: hmhm),

Der ist mit dem ersten Computer, der ja so groß war wie ein Wohnzimmer, gedruckt

worden und das ist ein kilometerlanger Text, der ist in einer Box drin, also ewig lang.

Und der Fehler ergibt sich dadurch, dass das F im „Fehler“ immer eine Stelle weiter

im Text wandert. Dann stellenweise sehr schwierig zu lesen. Und irgendwann kommt

er an seinen Ursprung zurück. Und das heißt aber auch: das ist das Gedicht: Eine

Methode wird durchgespielt, damit ist dieses Gedicht fertig. ...

Eugen/ Gedicht

kein fehler im system

kein efhler im system

kein ehfler im system

kein ehlfer im system

kein ehlefr im system

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kein ehlerf im system

kein ehleri fm system

kein ehleri mf system

kein ehleri ms fystem

kein ehleri ms yfstem

Erzählerin:

Alle 17 Buchstaben wandern durch die vier Wörter “kein Fehler im System“ , danach rücken

die Wörter systematisch um eine Stelle nach – das geht lange. - So lange, bis alles wieder an

seinem Platz ist. …So weit ist der Weg des Fehlers, sich selbst zu beheben.

kein ehleri ms ysftem

kein ehleri ms ystfem

kein ehleri ms ystefm

kein ehleri ms ystemf

fkei nehler im system

kfei nehler im system

kefi nehler im system

keif nehler im system

kein fehler im system

Fortsetzung: Nortrud

Dieses Gedicht haben sich Banken in der Schweiz für ihren Geschäftsbericht

ausgedruckt. (lachen, süß, ne?) Entweder schluckt ein System einen Fehler - ohne

dass man das merkt oder aber es produziert selber Fehler, auch ohne dass man das

merkt. Frau: Aber beruhigend, dass es sich dann wieder auflöst. Wenn man lange

genug wartet. (lachen) Am Ende ist alles gut.

Erzählerin:

Mit der Konkreten Poesie ist Gomringer in den 50er Jahren etwas geglückt, das nur wenigen

Dichtern beschieden ist: Die Entwicklung einer neuen Poesie. Einer Poesie, die mit wenigen

Buchstaben, Worten oder kurzen Sätzen arbeitet. Durch Anordnung oder Umgruppierung der

einzelnen Elemente ergeben sich Bezüge und Bedeutungen.

Konstellationen nennt Eugen Gomringer seine Schöpfungen.

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Ein anderes Beispiel: Die Konstellation Vokale: senkrecht übereinander stehen die Vokale U

A E O.

Von einem I gleichsam aufgespießt, sehen sie aus wie ein chinesisches Zeichen:

Nortrud

Das ist auch chinesisch, das würde Berg heißen, und das Mitte –Land. Und das i ist

die durchgehende Linie. Und die Nora war so wahnsinnig und wollte sich das mal

tätowieren lassen. Leute: uuuuh!!! Lachen. Frau: das ist konkret. Nora: Ich habe es

mal gesehen bei einem jungen Mann, der sich das komplett auf die Wirbelsäule hat

drucken lassen. Und ich hätte es gerne hier, da sagt die Psychiaterin: Bist du

verrückt, dir den Vater dir auf die Haut zu tätowieren? (deftiges Lachen) Nortrud: Da

bin ich ganz zuversichtlich, weil die Nora schmerzempfindlich ist. (lachen)–// Aber

eines der ersten konkreten Gedichte war Ping Pong. Und das war natürlich ein

Schock, wenn jemand hingeht und sagt: ping Pong, ping pong ping, Ping pong - ist

ein Gedicht. Da können sie sich vorstellen, in den 50er Jahren sagen die Leute, das

ist verrückt. Nora: Das sagen die heute noch. (lachen) Nortrud: Ja genau. Und dieses

Ping Pong hat große Verbreitung gefunden. Und Kinder in der Schule lieben das

sehr, die machen daraus CDU, SPD oder stark – schwach, so gegensätzliche Worte.

Wie man überhaupt sagen muss, dass die Konkrete Poesie sehr anregt zum

Nachmachen, das lieben die Schüler sehr.

Atmo Poema Geraschel/ Stimmengemurmel/ Applaus

Besucherin: Ganz lieben Dank, sehr beeindruckend, wie sie das berichten. Da weiß

man erst was Konkrete Poesie ist, da hat man keine Vorstellung. (weiters Gemurmel-

ebbt ab) Schritte, Besucherstimmen: Das kann man sich gar nicht vorstellen, dass

die beiden sich in die Ecke setzen und nichts tun, wenn beide sich so geistig

bewegen.

Eugen/Gedicht

Einander zudrehen und aufeinander einstellen / ineinander greifen und einander

mitteilen / Miteinander drehen und voneinander lösen / Auseinanderkreisen und

einander zudrehen / Aufeinander einstellen und ineinander greifen / Einander

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mitteilen und miteinander drehen / voneinander lösen und auseinander kreisen/

Einander zudrehen/.

Musik

Eugen/ Nora/ Nortrud (Nortrud abgekürzt als O):

Nora: Hier zu Eurem Hochzeitstag habe ich auf Facebook gesetzt: Heute, vor 34

Jahren heiratete Eugen Gomringer die Germanistin Nortrud Klein, geborene

Ottenhausen. Zur Feier des Tages: das schönste Bildgedicht von Gerhard Rühm,

das ich kenne: (weiter als Atmo) das ist dieses DU-Bild, kannst Du dich? Eugen aus

off: Ach, so, das ist schön.

Erzählerin:

Obgleich Rehau nur eine Fahrstunde von Bamberg entfernt ist, sieht sich die Familie eher

selten. Außer Weihnachten sind es meist berufliche Anlässe, die sie zusammenführt.

Wie Nora leben auch die Eltern im Kunsthaus.

Nora/Eugen/Nortrud:

... E: Also du hast das gemacht? O: zu spät. N: Das ist die Nachricht, die ich quasi

angeschlagen habe auf das große Brett bei Facebook. Nä. Man ist wie ein Herold

unterwegs bei Facebook, man reitet mit dem Pferd herein in die Arena und sagt: (mit

verstellter Stimme) Hört, Ihr Leute, meine Eltern haben vor 34 Jahren geheiratet, hier

ist ein schönes Bild dazu! ...Und Herr X hat sogar geschrieben: "auf einen schönen

Hochzeitstag" Ausrufezeichen. (Geschmunzel im Raum) . Nora: schön, oder? Ich find

das gut. (Skepsis im Raum) .Eugen: Ja, macht mal eure Geschäfte. Nortrud aus

off: du bist in jedem Fall ein analoger Mensch. E aus off: ich bin analog, ja.

Erzählerin:

Bücher tapezieren die Wand des Wohnzimmers, in dem alte Ledermöbel im Bauhaus-Stil

Platz für mehr als ein Dutzend Besucher bieten. Im Esszimmer hängen Gemälde und

Zeichnungen befreundeter Künstler. Und eine Uhr mit Vogelbildchen zwitschert in zwölf

verschiedenen Gesängen die Stunde.

Atmo: Uhr zwitschert

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Erzählerin:

Nora kümmert sich nicht nur auf ihrer Facebook-Seite um das sprachliche Erbe ihres Vaters.

Sie dreht auch Filme über ihn und die Konkrete Poesie. Auch Stefan, einer ihrer sieben

Halbbrüder, ist eingebunden in die Arbeit des Kunsthauses in Rehau.

Musik

Nora

Wir alle sind mit dem schönen nominalen Erbe aufgewachsen, verwandt zu sein mit

dieser Textgattung, fast schon Genre, eigentlich. Und ich wünschte, das würde

weiter so genial erfasst werden wie es war und ist, zeitlos genial. Autorin: Was ist

das Geniale daran?

Nora: Dass es einen über dieses Sprachmaterial nachdenken lässt, dass es sehr

humorvoll ist und welthaltig. Also in so einer einfachen Konstellation ist viel Welt

vorhanden, die der andere und lyrisch arbeitende Dichter erst evozieren oder durch

Gestus herausrufen muss. Da ist das in der konkreten Poesie schon direkt benannt:

Baum Kind Hund Haus – das ist doch alles, was wir Menschen kennen und was jeder

im wahrsten Sinne als Welt begreift.

Eugen/ Gedicht

baum / baum kind / kind / kind hund / hund /

hund haus / haus / haus baum / baum kind hund haus.

Nora

Mein Vater, der ist ein Konstrukteur und Erbauer und nimmt die Sprache oder die

Sprachbestandteile wie Bausteine – und ich komme vom Hören, komme stärker vom

akustischen Eindruck der Sprache und nehme sie daher eher wie etwas

Transzendiertes war. Und arbeite eher mit ihr im Kopf wie mit Gesang und eben

Stimme./

Nora /Gedicht

Haus

Auffahrt Eingang Flur

Zimmer Zimmer Zimmer

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Küche Bad Zimmer Treppe

Zimmer oben Zimmer oben

Bad oben

Treppe

Dachboden Kisten

Geheimnis!

Stille!

Schiefes Bild an der Wand

Endspiel

Im Keller

andere

wartend.

Eugen / Nora / Nortrud

Autorin: und die Nora, wann war jetzt das erste Gedicht von der Nora? E: Das kann

ich nicht sagen. (etwas aus off) ich weiß nicht (durcheinander). Das kann vielleicht -

(aus off: O: Das war sehr früh. Nora war in der vierten Klasse, glaube ich) E (leise):

Ach, so viel alt? ja? O: Da kam der Schulrat zu mir, (E: aha) ich war ja in einer

anderen Schule als Nora, und dann sagt er - ja sagen sie mal, wieso hängen denn

Gedichte von Ihnen in Rehau in der Schule. E: aha. O: Wie sag ich, Gedichte von

mir, ich hab noch nie ein Gedicht geschrieben (lacht). Ja, sagt er, das verstehe ich

nicht, da hängen Gedichte im Flur. E: Das hab ich nicht mitbekommen, das - O: Das

fing also alles in der Schule hingen die Texte aus (E: ja.) Das hat mit ner Tanne zu

tun, dunkler Tanne. Ich war dann ganz überrascht, ich bin dann auch hingefahren

und hab mir das angeguckt, und hab gedacht, ja, hört sich eigentlich gut an, ist sehr

verwandt mit konkreter Poesie. lacht. E: Diesen Moment habe ich nicht gesehen.

Also vielleicht hat man drüber gesprochen, aber. O: Doch, das war ja auch die Zeit,

wo du andauernd auf Reisen warst, ne? E. ja. O: da gehen einem schon mal so

Entwicklungsmomente der eigenen Kinder. E: Ja. Hm.

Musik

Nora /Gedicht

Wie der große G nach I

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Runterfahren und die Füße in R. und V. wandern

Lassen. Dabei aber viel

An den Leib denken und sich

Sehnen. Klagend Lieder singen

Von noch Unerfülltem.

Ich komme nach.

Nora

Ich glaube dadurch, dass mein Vater so ein ausgeprägt, eine männliche Version

dieses Dichterlebens gelebt hat, die bestand im Reisen, die Art Lebensversion, die

ich jetzt auch lebe: ich lebe quasi reisend! Und ich hab es als ganz leisen Wunsch in

mir gehabt, mit dem Schreiben leben zu können und vom Schreiben leben zu dürfen.

(lacht) Finanziell und wirtschaftlich. Ja.

Musik

Autorin/ Eugen/ Nora/ Nortrud

Autorin: Was hat dich in der Kindheit inspiriert, selbst zu dichten?

N: Meine Mutter! Und vor allem auch die Lektüre, die meine Mutter mir so vorgelegt

hat. Ich hab ganz viel so Märchen vorgelesen bekommen, und ich hab viele Gedichte

gelesen und ich weiß, was die erste Lektüre war, an die ich mich so bewusst

erinnern kann, das sind zwei Gedichte, und zwar das Gedicht „Janusz Korczak und

die Kinder“ und Ladislaus „Komm Kaninchen“. Also beides Gedichte, die mit Krieg zu

tun haben, und beide sehr gereimte Texte, balladesk und unheimlich bewegend.

//Und ich weiß, ich hab die stundenlang vor mich hingesagt, und dann eben auch mit

dir angefangen zu reden, was das bedeutet, also mit der Mama dann Gespräche

über den Krieg und die mir bis dahin ja auch chiffrierte Sprachsituation geführt, und

dadurch wusste ich ziemlich früh, was so passiert. und ich war dann mit 11 Jahren in

Auschwitz gestanden, da hast du mich (dann hingestellt, vor die Haarvitrinen, und die

Zähne und die Brillengestelle (Mutter: Brillengestelle) und ich weiß gar nicht, ob du

mal drüber nachgedacht hast, ob's vielleicht zu früh war?! Nee. Nä. Nortrud: nee, hab

ich nicht drüber nachgedacht, ich finde da gibt es gar keinen richtigen Zeitpunkt.

Eugen: Hmhm. Nora: Ja, insofern kann ich nur sagen,- mir hat Lyrik immer auch eine

Stellvertreterposition in der Welt bedeutet und zwar für die für das "echte"

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Warnehmen. Also ich hab einfach Lyrik auch um mich und an mir geführt und

gehabt, immer so mit kleinen Reclam-Heften, um auch so eine Art Schutzsituation

auch gegen die Welt zu haben, wie Bannsprüche waren mir manche Gedichte und

ich hab ja dann viel auswendig gelernt, mit dir auch. Nortrud: mich hat's gerettet in

vielen Situationen, die Literatur. N: Das kann ich genauso. O: Dass ich mich, ja, ich

konnte mich ausklinken aus der Realität und hab Trost und Hilfe gehabt, in der

Literatur.

Autorin: War das bei Ihnen auch so? Eugen: Nein. Völlig anders. O: Lacht. E: Ich

hab immer in der Realität gelebt, ich hab es nicht gern, wenn man abschweift und

Illusionen hat, dann frage ich nach. Nein, ich hab eigentlich gelebt nach meiner

eigenen Vitalität und ich hatte sehr gute Großeltern, ganz auch Realisten, so richtig

nach Zürcher Art. Den konnte man nicht viel bringen, die haben auch gefragt, was ist

denn das? Ich bin eigentlich in einer ganz normalen bürgerlichen Familie

aufgewachsen mit den Großeltern.. Meine ersten Gedichte, die waren sehr traurig,

meistens, Herbstgedichte, vor allem sentimentale Gedichte, traurig muss mein Blick

sich wenden usw. so in diesem Stil. Und kam mir selbst wie ein vertrocknetes Blatt

vor im Herbst. Das sich so zusammenzieht. Ich hab das mitgespürt, dass die Blätter

so sich verknistern usw. - Die kamen alles in den Tagesanzeiger. Ich hatte früh

Kontakt. Und das ich hab immer noch das Gefühl, dass starke Naturen, wenn sie mit

der Natur leben, naturerfahren sind, ach, der Baum, der wird ja schon wieder gelb.

Das macht traurig.

Erzählerin:

Der junge Eugen Gomringer schickt seine Sonette an Hermann Hesse, der die Verse lobt.

Doch dann, 1944 in Zürich, entdeckt Gomringer in einer Ausstellung die Konkrete Kunst.

Eugen

Ich habe Bilder gesehen, die waren, bestanden aus ganz einfachen Zeichen, aus

Geometrie, geometrischen Formen usw, und habe gedacht, (...) kann man das nicht

auch mit Worte machen?

Eugen /Gedichtg

Hängen und schwingend hängen und schwingend hängen und wachsen.

Und schwingend hängen und hinunterwachsen und schwingend hängen und

hinunterwachsen

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Und den Boden berühren.

und den Boden berühren und darüber den Weg suchen und schwingend hängen und

hinunterwachsen Und darüber den Weg suchen und darüber den Weg suchen und

keine Stelle finden. Und schwingend wachsen und den Boden berühren und darüber

den Weg suchen und keine Stelle finden. Und wachsen und schwingend wachsen

und den Boden berühren und darüber den Weg suchen und keine Stelle finden...//.

Nachwuchs treiben. Und hängen und schwingend wachsen und hinaufwachsen und

den Nachwuchs treiben und schwingend hängen.

Eugen über Gedicht oben

...Das ist ein trauriger Vorgang von einer Pflanze, die unten nicht ankommt, aber sie

schwingt dauernd, das „Schwingend hängen“ ist das Positive, das Optimistische an

dieser Pflanze, das Immer Schwingende, und „schwingend hängen“ heißt’ s am

Schluss, nicht?

Erzählerin:

Anstelle von Versen beginnt Eugen Gomringer in den fünfziger Jahren an seinen

Konstellationen zu arbeiten. Manche von ihnen, wie „das schwarze Geheimnis“ oder

„Schweigen“ gehören längst zum Kanon deutscher Gedichte.

Eugen:

Das kann man nicht sprechen. Das haben Schauspielerinnen gesprochen,

Schweigen, schweigen, schweigen … 14 mal schweigen … schweigen …

Erzählerin:

Und dann gibt es noch:

Eugen

Ah, das da (blättert, lacht und trägt vor):

Ping Pong

Ping Pong Ping

Pong Ping Pong

Ping Pong

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Man kann auch sagen, ja – nein, yang- ying. Diese Formen gibt es schon. Und Ping

pong ist sehr international. Es gibt kaum Wörter, die international verständlich sind.

Ping - i- ist ein männlicher Vokal, o ist ein weiblicher Vokal, runde Form schon, das

andere männliche Form. Also gegensätzliche Vokale, aber eingehüllt in gleiche

Konsonanten. Und sie können jeden Saal betreten und hineinrufen –Ping und sie

können sicher sein, die Leute sagen Pong. /Also so versteht sich das gut./ Das ist für

mich die internationale Begegnung mit zwei Wörtern./

Autorin: Dann könnte man doch auch sagen, die Konkrete Poesie - so wie Sie sie

betreiben - ist Reduzierung der Welt auf ganz wenige Wörter, die Sie wie Archetypen

dann verwenden.- Eugen: Bestimmt. Ganz genau. Das hab ich schon bei Meister

Eckhart wiedergefunden, nicht? Er hat mit Gott gekämpft und das Sein. Ist Gott das

Sein - ist das Sein Gott? Dieser große Kampf. Also diese ganzen Fragestellungen

um Gott und das Sein, das ist wie ping pong, nicht? Sind einfache Grundwörter.

Musik

Eugen /Gedicht

Alles ruht / Einzelnes bewegt sich / bewegt sich einzelnes? / Alles ruht/ Ruht Alles? /

Einzelnes bewegt sich/ Bewegt sich Einzelnes? / Ruht Alles? / Alles ruht/ Einzelnes

bewegt sich.

Atmo Rehau/ Bamberg

Nora

Was mir sehr gut gefällt, und was ich genauso auch erfühle ist: ein

Gedicht ist eine Realität und ist da. Egal, ob’s gesprochen wird oder ob's da

schriftlich steht. Es ist gefasst und fertig und wird Teil der Gesamtschöpfung. Und

das empfinde ich auch als sehr schöne Haltung gegen diese Melancholie. Also, wer

melancholisch ist, hat ein erweitertes Wahrnehmungsspektrum und kann auf einer

erweiterten Tastatur quasi arbeiten und auf ihr spielen. Und ich glaub, ich hab das

auf jeden Fall vom Vater sehr geerbt, und ich glaube auch, dass ich so arbeite. Ja.

Musik

Atmo: Vogelzwitschern, Wasser -

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Musik

Nora

Autorin: Ist eigentlich erstaunlich, dass du eigentlich ein ähnliches Leben wie dein

Vater führst. Nora: Total. Und oft muss ich es ihm sagen, und sagen: Wir sind uns

sehr ähnlich. Zur selben Lebenszeit und Etappen, also als er in seinen 30er Jahren

war, genau dasselbe, nur nicht diese Familiengründungsgeschichte. Und das.... Ja.

Aber dieses früh sich Selbst-Versorgen, auf eigenen Füßen Stehen und

Geldverdienen. Ja.

Atmo: Vogelzwitschern, Wasser, Schritte, Passanten

Nora

WIR WOLLEN MITFAHREN!! (Schritte) Das ist eine Gierseilfähre. Die schaltet ohne

Motorkraft, nur durch eine Anbringung im Wasser ,wird das Seil umgelegt, und dann

geht’s zurück. Hallo. Mann: Hallo: Nora: Wir möchten gerne übersetzen mit ihnen

Vertrauensvoll...Mann: ja, ich hoffe, dass wir das vertrauensvoll

schaffen....(Gemurmel)

Nora: So, hier haben wir den besten Blick.

Atmo: Plätschern

Nora/ Gedicht

Ich trage dich fort

in der hohlen Hand,

behütet durch mein Atmen

und durch meinen Blick.

Groß wächst du hinaus

Aus meiner hohlen Hand.

Nur in den Linien

Lese ich dich noch.

Musik

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Absage:

Die Tochter des Vaters der konkreten Poesie

Über Eugen und Nora Gomringer

Ein Feature von Sabine Fringes

Es sprach: Frauke Poolman

Regie: Fabian von Freier

Redaktion: Ulrike Bajohr und Tina Klopp

Eine Produktion des Deutschlandfunks 2016.

Musik