flown18*2016
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INSPIRATION - IDEEN - EINBLICKE - ANSTÖSSE - INSPIRATION - IDEEN - EINBLICKE
EXTRAS✻ 1000-FRAGEN-
BÜCHLEIN✻ 3 GESCHENK-
TÜTEN
Wohin gehen wir? Immer nach Hause.NOVALIS (1772 –1801)
ACHTSAMKEIT Was uns dabei hilft, einwenig weiser zu werden
INSPIRATION Wie Gedichte unserenAlltag schöner machen
DIY Ein Notizheft selber binden
THEMA: TROST BEI SICH FINDEN
Diese Flow gehört:
FOTO STOCKSY
NEU ab Juni:
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BEGINN
DINGE LOSLASSENEs ist immer eine Frage der Haltung. Wie
stehe ich zu etwas. Das gilt für Beziehungen,
Politik, aber auch für Möbel, Klamotten, Krams.
Ich habe beschlossen, mein Herz nicht mehr
an Sachen zu hängen. Das bedeutet: Ich brauche
viel weniger davon in meinem Leben. Ich ent-
rümpele. Im Englischen heißt das Decluttering.
Ein tolles Wort, das mich jetzt begleitet.
Sinja
FOTO EVA-MARIA KOWALCZYK ILLUSTRATION KATIE DAISY
Anfangs läuft Entrümpeln ja immer gut: Papier, Zerbrochenes,
T-Shirts, die ich seit Monaten flicken möchte, halb leere Tuben
Körper lotion, die ich nicht riechen mag — alles weg. Das ist
aber auch eher konsequentes Aufräumen. Echtes Entrümpeln beginnt
danach – und fällt mir schwer. Mich trennen vom ersten Sofa aus
der Studentenbude, von dem kleinen Kännchen, das ich in Frankreich
auf dem Markt gekauft habe. In dem Sommer, in dem wir ohne Ziel
einfach losgefahren sind ... An so vielen Stücken hängen Erinnerungen.
Ich habe Angst, sie zu verlieren, wenn ich die Gegenstände weggebe.
Es ist nicht leicht, zwischen Sachen zu unterscheiden, die wirklich
wichtig sind, und denen, die ich getrost loslassen kann. Genau
das ist der Punkt, an dem ich ansetzen werde: Ich möchte das Dinge-
loslassen wagen und das Wesentliche im Herzen bewahren — Haltungs-
sache sozusagen. Alles Liebe
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Nummer 18 – 201670 100 36
Fünf Lieblingsbücher Rezepte fürs Picknick Interview: Kat Menschik
46 32 58Alltag in Algerien Wir sind ein gutes Team Was Weisheit ausmacht
108 92 118Wohnen auf dem Hausboot Das Leben der Pina Bausch Blumen mal anders
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INHALT
Seite 19 bis 52
Feel connectedEin Blick auf die Weltund die Menschen um uns
22 SCHÖNE DINGE & IDEEN
25 WAS MACHST DU GERADE?Das haben wir drei Menschen gefragt, die wir klasse finden:
Illustratorin Louise Lockhart, Grafikerin Inke Ehmsen, die das
Handarbeiten liebt, und Geigerin Marie-Luise Dingler
32 KREATIVE DUOSMit einem passenden Partner entwickeln wir die besten Ideen,
dafür gibt es in Kunst und Wissenschaft viele Beispiele
36 LEBENSLAUF: KAT MENSCHIKSie ist eine der renommiertesten Illustratorinnen Deutschlands.
Kat Menschik über ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Seite 53 bis 78
Live mindfullyLeben im Hier und Jetzt
56 SCHÖNE DINGE & IDEEN
58 WIE WERDE ICH EIN WEISER MENSCH?Du musst dafür gar nicht erst alt werden. Worauf es stattdessen
ankommt und welche Rolle die innere Stimme spielt
64 TAGTRÄUME ERLEICHTERN DAS LEBENDer Neurowissenschaftler Daniel Levitin erklärt, warum Multi-
tasking einfach nicht funktioniert und es so guttut, öfter mal seine
Gedanken schweifen zu lassen
68 LEBEN OHNE UHRMaja Beckers versuchte zwei Wochen lang, nicht auf die Uhr
zu schauen und stellte erstaunt fest, wie viel Zeit sie hat
COVER-ILLUSTRATION © 2016 KATIE DAISY/ KATIEDAISY.COM46 WÄHRENDDESSEN IN ALGERIENIrene Schippers zog vor vier Jahren in das nordafrikanische Land.
Hier beschreibt sie, wie es sich anfühlt, dass der Alltag dort kaum
planbar ist – und welche Vorteile das mit sich bringt
52 KOLUMNEMit Glücksgefühlen umzugehen findet Merle Wuttke gar nicht so
einfach und fragt sich: Warum ist das eigentlich so?
70 DIE BÜCHER MEINES LEBENSWelche fünf Bücher sie besonders geprägt haben, erzählt
Elisabeth Windfelder von der Buchhandlung Herr Holgersson
74 WUNDERBARE ALLTAGSLYRIKMan sieht sie jetzt überall: kleine Gedichte von Lyrik-Enthusiasten
und Schriftstellern, die ihren ganz eigenen Reiz haben
Seite 11 bis 18
TROST FINDENBEI SICH SELBST
TITEL-THEMA
Es gibt im Leben immer wieder schmerzhafte Phasen: wenn wir einen
Angehörigen verlieren, den Job oder unser Selbstvertrauen. Wie können
wir Hoffnung schöpfen, auch wenn keiner da ist, der uns unterstützt?
Otje van der Lelij sucht nach Möglichkeiten, inneren Halt zu finden
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Nummer 18 – 2016Seite 79 bis 112
SPOIL YOURSELFZeit für eine kleine Verwöhnpause
82 SCHÖNE DINGE & IDEEN
84 SHOPPING IM NETZDer Sommer kann kommen: Wir haben alles für die Poolparty
parat, dazu machen wir es uns hübsch mit Mint und Kupfer
92 GETANZTES LEBENTiefe Gefühle auszudrücken war für sie das Entscheidende.
Damit hat die Choreografin Pina Bausch das Tanztheater neu
erfunden und Menschen auf der ganzen Welt bewegt
100 ZEIT FÜR EIN PICKNICKBei schönem Wetter essen wir am liebsten draußen. Die
Wiener Köchin Julia Kutas liefert die passenden Rezepte
108 WOHNATELIER AUF DEM WASSERDie Designerin Roos Brancovich lebt auf einem 100 Jahre
alten Hausboot in Amsterdam – mit ihrer Familie und einem
Fass Indigofarbe, mit der sie alte Stoffe aufarbeitet
SCHÖNES VON FLOW
133 NOCH MEHR VON FLOWHübsche Flow-Produkte, die du online bestellen kannst
134 SO BEKOMMST DU DEIN FLOW-ABO
Seite 113 bis 138
MAKE IT SIMPLEEs muss gar nicht so kompliziert sein
116 SCHÖNE DINGE & IDEEN
118 BLÜTENZAUBEREs gibt so viele Möglichkeiten, Blumen mal anders zu
arrangieren. Inspiration liefern drei Bloggerinnen
124 FORSCHUNG: HELFEN FÜRS HERZEhrenamtliche Arbeit ist nicht nur befriedigend, sie ist auch
gesund, hat Psychologin Hannah Schreier herausgefunden
126 MEIN HAUS, DEINE FERIENEs ist eine nette Einnahmequelle, bringt neue Kontakte. Aber
wie fühlt es sich eigentlich an, das eigene Zuhause an Fremde
zu vermieten? Christiane Würtenberger hat es ausprobiert
130 DIY: EIN EINZIGARTIGES NOTIZBUCHDu brauchst nur schönes Papier, Nadel und Faden, schon
kannst du dir ganz leicht ein eigenes Büchlein binden
FLOW-EXTRAS
* 1000-FRAGEN-BÜCHLEIN
(ZWISCHEN SEITE 62 UND 63)
3 HÜBSCHE GESCHENKTÜTEN*(ZWISCHEN SEITE 122 UND 123)
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Die Haut erwachtDas Dr. Hauschka Nachtserum
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GESICHTER DIESER AUSGABE
Trost finden Seite 11
Für die Illustratorin Yelena Bryksenkova, die unsere
Titelgeschichte gestaltet hat, ist ihre Wohnung in
New Haven ein Ort, an dem sie immer Trost findet:
„Ich umgebe mich in meinem Zuhause mit schönen
und bedeutungsvollen Dingen. Das hilft mir, mich
sicher und geborgen zu fühlen.“ Weil Yelena nur
Bücher kauft, die sie schon gelesen und ins Herz
geschlossen hat, fühlt sich jedes einzelne in ihrem
Bücherregal an wie ein alter Freund. Sie sagt: „Wenn
es mir nicht gut geht und ich aufgewühlt bin, mache
ich lange Spaziergänge mit meiner Lieblingsmusik
im Ohr oder ich koche etwas Gesundes. Auch das Malen hilft mir. Dabei kann ich in
einer ruhigen, philosophischen Stimmung über meine Sorgen nachdenken, und meine
negativen Gefühle lösen sich wie von selbst wieder auf.“
1000 Fragen an dich selbstSeite 62
Als Journalistin ist es Daniëlle Bakhuis gewohnt,
anderen Menschen Fragen zu stellen. Das 1000-
Fragen-Büchlein für diese Ausgabe zu entwickeln
fiel ihr deshalb nicht schwer. „Ich habe mir auf
Spaziergängen die Menschen angesehen und
mir überlegt: Was würde ich von dieser Person
wissen wollen? Bei jedem war es etwas anderes.“
Selbst beantwortet hat Daniëlle ihre Fragen auch.
Am meisten überrascht hat sie die Antwort auf
folgende: „Was würdest du machen, wenn du nie
wieder arbeiten müsstest?“ – „Ich habe gedacht:
Schreiben! Ist es nicht wunderbar, dass ich das
ein Leben lang machen kann?“
10 _
Lebenslauf Seite36
Wenn Fotografin Julia Baier draußen ist, fühlt sie sich am wohlsten. Das Fotoshooting
mit Illustratorin Kat Menschik hat sie deshalb besonders genossen – es fand unter
Kirschbäumen im Garten der Künstlerin statt. „Ich kann es schwer den ganzen Tag in
Innenräumen aushalten, daher kommt mir der
Sommer sehr gelegen. Ich versuche dann, so oft es
geht in der Natur zu sein.“ Bevor sie sich für ein
Studium an der Kunsthochschule entschied, studierte
Julia einige Semester Psychologie. Heute fragt sie
sich manchmal, ob sie eine gute Psychologin gewor-
den wäre. In ihrem nächsten Leben könnte Julia
sich vorstellen, als Bademeisterin in einem Freibad
zu arbeiten: „Ich liebe das Wasser. Im Sommer
gehe ich täglich schwimmen. Nach dem Shooting
habe ich Kat Menschik nach ihrem Lieblingssee
in der Nähe gefragt und mich dort mit einem Bad
belohnt – er war wirklich ein Geheimtipp.“
IMPRESSUMVerlag und Sitz der RedaktionG+J Living & Food GmbH,Am Baumwall 11, 20459 HamburgPostanschrift Redaktion Flow, Brieffach 44,20444 Hamburg, Tel. (040) 370 30Leserservice [email protected]
Chefredakteurin Sinja SchütteRedaktionsleitung Tanja ReuschlingRedaktion Sarah Erdmann, Lena NeherArt-Direktion & Layout Studio 100%:Frederike Evenblij, Sascha Pijnaker, AnnelindeTempelman, Joyce ZethofGrafik Deutschland Eva-Maria Kowalczyk (Ltg.)Mitarbeiter dieser Ausgabe Julia Baier,Daniëlle Bakhuis, Maja Beckers, Anne Broekman,Yelena Bryksenkova Caroline Buijs, Marta Colomer,Angelika Dietrich, Katharina Dubno, Antonina Gern,Stephan Glietsch, Barbara Groen, Bodil Jane,Wiebke A. Kuhn, Jocelyn de Kwant, Otje van der Lelij,Chris Muyres, Oh So Pretty Party, Anne Otto,Christine Ritzenhoff, Stefanie Schäfer, Irene Schippers,Nina Siegal, Ruby Taylor, Textra Fachübersetzungen,Christiane Würtenberger, Merle Wuttke,Renate van der ZeeChefin vom Dienst Petra BoehmSchlussredaktion Silke Schlichting (fr.)Bildredaktion Dani KreislRedaktion Online Anja Strohm (Ltg.)Verlagsgeschäftsführer Soheil DastyariPublisher Living Matthias FreiDirector Brand Solutions/verantwortlich fürden Anzeigenteil Nicole Schostak,G+J Media Sales, Am Baumwall 11, 20459 HamburgVertriebsleiterin Ulrike Klemmer,DPV Deutscher Pressevertrieb GmbHMarketingleiterin Ulrike SchönbornPR/Kommunikation Mandy RußmannHerstellung Heiko Belitz (Ltg.), Michael RakowskiVerantwortlich für den redaktionellen InhaltSinja Schütte, Am Baumwall 11, 20459 HamburgDruck RR Donnelley Europe sp. z o.o.,ul. Obroncow Modlina 11, 30-733 Krakau, PolenABO-SERVICE www.flow-magazin.de/abo, Tel. (040)55 55 78 09, Flow-Kundenservice, 20080 HamburgJahresabo-Preise Deutschland 55,60 Euro inkl. MwSt.und frei Haus, Österreich 64 Euro und Schweiz 96 sfr
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ISSN 2198-5588
FLOW MAGAZINE INTERNATIONALCreative Directors Astrid van der Hulst, Irene SmitBrand Director Joyce Nieuwenhuijs (for licensingand syndication: [email protected])Brand Manager Karin de Lange, Jessica KleijnenInternational Coordinator Eugénie BerséeInternational Assistant Marjolijn PolmanSupply Chain Management Gert TuinsmaFlow Magazine is published by Sanoma MediaNetherlands B. V.Registered Office Capellalaan 65, 2132 JLHoofddorp, Netherlands; 0031 (0)88 5564 930
FOTO BIRGIT WINGRAT
TROSTFINDEN BEI SICH
SELBSTEs gibt im Leben immer wieder schwere, schmerzhafte
Phasen — wenn wir einen Angehörigen verlieren,
den Job oder unser Selbstvertrauen. Wie können wir
Hoffnung schöpfen, auch wenn gerade niemand da
ist, der uns unterstützt? Autorin Otje van der Lelij
sucht nach Möglichkeiten, inneren Halt zu finden
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Enttäuschung, Ohnmacht, Trauer:All diese Gefühle gehören zum Leben.Manchmal treffen sie uns sogargleichzeitig. Mich bedrückt beispielsweise oft der Gedanke an meine verstorbene Großmutter, die liebevollund einfühlsam war, ein wichtigerMensch für mich. Dass sie nicht mehrda ist, kann ich nicht verschmerzen,aber auch nicht ändern. Manchmalvermisse ich sie so stark, dass mir derKummer wie ein Stein im Magenliegt. In solchen Momenten ist nichtimmer jemand da, der mich tröstet.Und ich möchte auch gar nicht ständigHalt bei anderen suchen. Manchmalfinde ich es schön, aber ich habe keineLust, dauernd hilflos wie ein ausdem Nest gefallener Vogel bei meinenFreundinnen anzuklopfen. Ich willauch mal allein mit meinem Schmerzzurechtzukommen. Aber wie kannich Trost bei mir selbst finden?
SEHNSUCHT NACH
VERBUNDENHEIT
Lange Zeit war die Religion eineQuelle des Trosts für die Menschen.Wenn einem das Leben übel mitspielte, konnte man sich nicht nurmit Gewissheiten wie dem „ewigenLeben“ oder der „Hilfe durch Gott“stärken, auch die enge Gemeinschaftin den meist dörflichen Gemeindengab Halt. Krankheit, Tod oder andereSchicksalsschläge wurden geteilt undmit Ritualen begleitet. Dieser Gemeinschaftssinn ist uns laut Theologin undPsychologin Claartje Kruijff immermehr abhandengekommen, doch dasBedürfnis danach ist nicht erloschen:„Bei Beerdigungen und anderenGruppenritualen merke ich immerwieder, dass es eine grundlegendeSehnsucht nach Verbundenheit gibt.“
Das wird auch bei Benefizveranstaltungen deutlich. Wenn man mal dieAtmosphäre bei einem Event wie demTrailwalker, einer 100 Kilometerlangen Spendenwanderung der Nothilfeorganisation Oxfam, erlebt hatoder einfach nur bei einem Schulspendenlauf dabei war, kennt man dasfeierliche Gefühl der Verbundenheit.
Auch unter den Freiwilligen, die inden Flüchtlingsunterkünften helfen,gibt es manchmal so eine Atmosphäre.Das Bedürfnis der Menschen, füreinander da zu sein, ist dann zum Greifennahe. „Mich fasziniert, dass diesesverbindende Gefühl oft kurze Zeitspäter wieder verschwunden ist, weilder Ort, an dem man sich trifft, oderdie Aufgabe, für die man zusammengekommen ist, nicht mehr existiert“,sagt Claartje Kruijff. „Wir leben ineiner Zeit der Ad-hoc-Gemeinschaften.Es gibt Momente intensiver Unterstützung, die schnell wieder vergehen.“
ALLE LEIDEN
Da wir Trost also nicht immer selbstverständlich in der Gemeinschaftfinden können, machen die Menschensich auf die Suche nach anderen Möglichkeiten. Viele versuchen, sich selbstHalt zu geben. „Sich Mitgefühl undTrost zu schenken ist keine Notlösung,weil sonst keiner in der Nähe ist,sondern eine Haltung, die uns stärkt“,findet Christine Brähler, Psychotherapeutin und Autorin des BuchesSelbstmitgefühl entwickeln. Für sie ist das dieFähigkeit, „uns liebevoll zu umsorgen,wenn wir leiden. So wie wir es fürandere Menschen in Not auch tunwürden.“ Das klingt natürlich einfacher, als es ist. Deshalb haben dieUS-Psychologen Chris Germer und
"ES IST KEINE NOT
LÖSUNG, WENN WIR UNS
SELBST MITGEFÜHL
SCHENKEN, SONDERN
EINE HALTUNG, DIE
UNS HILFT UND STÄRKT"
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“KUNST BIETET TROST. AUCH WEIL SIE ZEIGT, DASS
MENSCHEN NICHT NUR KRIEGE FÜHREN — SONDERN
AUCH WUNDERVOLLE WERKE SCHAFFEN KÖNNEN“
BIS IN DIE ZELLENDie australisch-US-amerikanische
Biologin und Nobelpreis trägerin
Elizabeth Blackburn, die auch die
„Königin der Telomere“ genannt
wird, entdeckte, dass Trost bis hin-
unter auf Zellebene wirksam ist.
Telomere schützen die äußeren Enden
der Chromosomen und werden ge-
legentlich mit den Plastikenden von
Schnürsenkeln verglichen. Diese
Schutzkäppchen verschleißen mit
dem Alter, bis sie zu kurz sind, um
ihre Funktion noch zu erfüllen. So
entstehen Fehler, genau wie bei
einem ausgefransten Schnürsenkel.
Dies führt zum Alterungsprozess
und oft auch dazu, dass Krankheiten
auftreten. Interessanterweise, so
hat Blackburn ebenfalls herausge-
funden, bleiben die Telomere länger
intakt, wenn Patienten wöchentlich
mit Leidens genossen in Kontakt
kommen — so tiefgreifend ist das
Gefühl des Trostes.
14 _
Kristin Neff eine Art Trainingsprogramm entwickelt, mit dem wirdiese Fähigkeit üben können. Denbeiden geht es nicht nur darum, dasswir versuchen, freundlicher zu unsselbst zu sein und Schmerz und Traurigkeit zuzulassen. Für sie ist es auchein stärkendes Element, wenn wir unsklarmachen, dass wir „gemeinsamMenschen sind“: Jeder von uns erlebtLeid, jeder hat Schmerzen, erleidetNiederlagen, wird alt, krank oder vonanderen verletzt. Sich das bewusstzu machen hilft, unsere Krisen eherzu akzeptieren, und es spendet Trost,auch wenn wir alleine sind.
Dass diese relativierende Sichtweiseeine Hilfe ist, hängt auch damit zusammen, dass wir uns schnell ausgeschlossen fühlen – erst recht wenn wiremotional schon angeschlagen sind.Wenn man etwa dem SchriftstellerHarry Mulisch Glauben schenkt, leidetso gut wie jeder unter dem Gefühl,irgendwie isoliert zu sein. In seinemBuch Zwei Frauen hat er es gut beschrieben: „Ich glaube, jeder Menschhat das Gefühl, im Grunde nichtdazuzugehören, in gewisser Weiseanders zu sein, bloß ein Gast. Undjeder unternimmt alles Mögliche,sich das nicht anmerken zu lassen.Diese Gefühle sind uns allen gemeinsam, und gerade dadurch gehören wirzusammen.“ Das zu lesen ist für micheine Beruhigung. Ich fühle michdurch dieses Zitat auf seltsame Weisemit Menschen verbunden, mit denenich direkt gar nichts zu tun habe.
WIE IM FILM
Kann es vielleicht sein, dass allein dasLesen guter Bücher oder Texte wie demvon Harry Mulisch uns Trost bietet?
Die Psychologin und SchriftstellerinMarieke Nijmanting ist davon überzeugt: „Bereits der Kontakt mit derSchönheit von Sprache ist tröstlich,ebenso die Erkenntnis, dass Menschennicht nur Kriege führen, sondernauch wundervolle Werke erschaffenkönnen.“ Nijmanting rät ihrenKlienten oft, bestimmte Bücher zulesen oder gute Filme zu schauen,wenn sie niedergeschlagen sind.„ Romane mit ihren erfundenenCharakteren kommen der Realitätoft näher als etwa Facebook, wo esironischerweise um echte Menschengeht“, findet sie. „Sie zeigen Menschenmit all ihren Problemen und Verrücktheiten. Außerdem ist die Parallelweltder Bücher, Filme und der Fernsehserien ständig zugänglich. Selbst wennman gerade alles Elend der Weltabzubekommen scheint, sind sie alsZufluchtsort immer greifbar.“
Auch das Wiedererkennen eigenerGefühle in Geschichten kann tröstlichsein. „In einem Roman oder Filmschlüpft man in die Haut eines anderen. Man fühlt mit den Figuren. Dasist erleichternd. Vor allem wenn manetwas von sich in einer Figur wiedererkennt. Wenn man sieht, dass einanderer auch den Job verloren hat,mit seiner Familie zerstritten ist.Dabei ist es interessant, zu sehen, wieeine solche Figur mit dem Problemumgeht. Wenn sie etwas tut, was maninsgeheim auch möchte, aber nichtwagt, kann die Geschichte ein Impulssein, selbst neue Wege zu gehen.“Ein gutes Beispiel sei der italienischeFilm Brot und Tulpen. Er handelt vonder Hausfrau Rosalba Barletta, die inihrer Familie immer an letzter Stellesteht. Als sie zusammen mit ihrem
Mann und ihren Söhnen eine Busreise unternimmt, vergisst man siean der Raststätte nach einer Pause.Rosalba trampt alleine nach Hause,nutzt aber vorher die Gelegenheit,in Venedig Urlaub zu machen, und tutdadurch endlich mal etwas für sich.Nijmanting glaubt, der Film greifeein Thema auf, mit dem viele Frauenetwas anfangen können. „Es kanneinen schon aufmuntern, zu sehen,dass man nicht die einzige Mutter ist,die eigene Bedürfnisse ewig hinterdie der Familie stellt. Und der Filmzeigt, dass es einem Kraft gibt, etwasfür sich zu tun – ohne dass man Mannund Kinder gleich verlassen muss.“
Die Gedanken von Marieke Nijmantingleuchten mir ein. Auch mich stärktes, wenn ich lese oder ins Kino gehe.Aber warum können Geschichten,Mythen oder auch Kunstwerke unströsten? Claartje Kruijff hat dafür eineErklärung: „Manchmal fühlt mansich als Mensch verloren. Dann hilftes, wenn man innerlich berührt wird,wenn sich die eigenen Sehnsüchte mitetwas Äußerem verbinden.“ Kruijffhat das neulich bei einer Ausstellungdes Malers Mark Rothko erlebt. DessenWerk löste intensive Gefühle beiBesuchern aus. Manche Menschenweinten angesichts der Bilder. „Rothkolitt unter Depressionen. Dieses Leidspürten die Betrachter anscheinendund verarbeiteten es auf ihre Weise“,erklärt Claartje Kruijff.
MUSIK ALS FREUNDIN
Wenn ich niedergeschlagen bin,lege ich oft auch Musik auf. Ich wählenie fröhliche Stücke, sondern solche,die meine Emotionen noch intensivieren, etwa getragene klassische
DREIMAL TROST FINDEN✻ EIN HEISSES BAD
Wärme ist nicht nur wohltuend für den Körper, sondern auch für die
Seele, sagt Psychologin Thalma Lobel. Denn unser Gehirn verbindet Wärme
mit positiven Gefühlen. Nimm also ein heißes Bad, geh in die Sauna
oder gönn dir eine gute Tasse Tee. Thalma Lobel: Du denkst nicht mit dem
Kopf allein. Vom geheimen Eigenleben unserer Sinne (Campus)
✻ RAUS IN DIE NATUR
Die Natur urteilt nicht, stellt keine Ansprüche und hat keine konkrete
Funktion, im Gegensatz zum Beispiel zu einem Auto. Sie ist einfach
da und verlangt auch von dir nur eins: da zu sein. Dadurch kannst du
dich in Wald, Strand oder Heide schnell aufgehoben fühlen.
✻ ANDERE TRÖSTEN
Eine liebevolle Berührung, ein einfühlsamer Blick: Mitgefühl ist an
steckend, sagt der Psychologe Paul Gilbert. Tröstet man jemanden, wird
nicht nur das Trostsystem des Unterstützten aktiv, auch man selbst
fühlt sich gestärkt. Das Gehirn schüttet beruhigende Botenstoffe aus, etwa
Endorphin, das macht uns ausgeglichener. Paul Gilbert: Wie wir Mit
gefühl nutzen können, um Glück und Selbstakzeptanz zu entwickeln und
es uns wohl sein zu lassen (Arbor)
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16 _
EINE TASSE TEE, EINE WÄRMFLASCHE,
EIN BAD ODER EIN SAUNABESUCH KÖNNEN
TROST SCHENKEN, DENN WÄRME IST
NICHT NUR WOHLTUEND FÜR DEN KÖRPER,
SONDERN AUCH FÜR DIE SEELE
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AUCH UNSERE EIGENE HAND AUF DEM HERZEN
REGISTRIERT DER KÖRPER ALS BERÜHRUNG
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KEINE SCHULDWenn wir uns schlecht fühlen oder
eine Niederlage erlebt haben, ist es
für viele beinahe ein Automatismus,
nach einem Schuldigen zu suchen.
Ist sonst gerade keiner da, dann be-
schuldigen wir uns gern selbst für die
Misere, beschimpfen uns vielleicht
sogar. Laut einer psychologischen
Studie aus dem Journal of Affective
Disorders führen aber Selbstkritik
und Schuldzuweisungen in der Regel
dazu, dass wir uns noch ängstlicher
und trauriger fühlen. Es hilft also,
sich nicht damit aufzuhalten, nach
einem Schuldigen zu suchen. Die
Psycho login Christine Brähler schreibt
dazu: „Selbstmitgefühl fragt nicht:
Wer ist schuld? Sondern: Wie kann ich
dir helfen?“ Diese Frage kannst du
anderen stellen — aber auch dir selbst.
Christine Brähler: Selbstmitgefühl
entwickeln. Liebevoller werden mit
sich selbst (Scorpio)
Kompositionen wie die Ballade Nr. 1 vonChopin. Bei dieser Musik – die Trauer,aber auch Hoffnung transportiert –schwingen meine Gefühle mit. Nichtselten weine ich sogar. In solchenMomenten fühle ich mich auf melancholische Weise glücklich. Musik istfür mich wie eine gute Freundin, diemir sagt, dass alles wieder gut wird.
Diese Wirkung ist wissenschaftlichbelegt. Die Psychologen Lîla Taruffiund Stefan Koelsch von der FU Berlinwollten wissen, in welchen Stimmungen wir welche Musik hören. Sie haben772 Versuchsteilnehmer zu ihrenVorlieben befragt und fanden heraus,dass bei einem Bedürfnis nach Trostdie allermeisten Menschen traurigeMusik hören. Beliebt sind Balladenwie Hallelujah von Leonard Cohen undYesterday von den Beatles, aber auchklassische Stücke wie die Cellosuitenvon Bach. Dabei löst die traurigeMusik keine Niedergeschlagenheit aus,sondern Nostalgie – man schwelgt inErinnerungen fühlt sich verbundenund gehalten. Außerdem lassen traurige Klänge eine Art Freundlichkeitmit sich selbst und der Welt entstehen.Eine Studie der Universität Ohioerklärt das Phänomen mit einem biochemischen Ansatz: Beim Genusstrauriger Musik wird das Bindungshormon Prolaktin ausgeschüttet.„Es ist, als schließe uns Mutter Naturin die Arme“, so einer der Forscher.
HAND AUFS HERZ
Wenn ich mir die Menschen in meinerUmgebung anschaue, sind wir allekeine Meister darin, uns zu trösten.Oft wählen wir eher destruktive Wege,wenn wir uns schlecht fühlen, verkriechen uns mit einer Mikrowellen
mahlzeit und einer Flasche Wein.Gehen nicht ans Telefon. Haben keineLust auf Partys oder einen Friseurbesuch. „Das fühlt sich zu gegensätzlich an“, erklärt der PsychologeRob Brandsma. „Gerade wenn eseinem schlecht geht, neigt man dazu,sich im Stich zu lassen und zu isolieren. Das ist evolutionär erklärbar:Im Kern sind wir soziale Wesen,wollen dazugehören. Wenn der Restder Welt weitermacht wie bisher,man selbst aber tieftraurig ist, kannman sich einbilden, ausgeschlossenzu sein. In diese Gefühle sollte mansich aber nicht verrennen. Trost findenwir auch im Kontakt. Wir alle wissen,wie schön es ist, wenn uns jemandin den Arm nimmt. Als meine Mutterstarb und ich sie in der Kirche aufgebahrt sah, war ich vollkommenniedergeschlagen. Da kam meineFreundin. Sie berührte mich nur ganzleicht, sonst nichts. In dem Momentgeschah etwas: Ich empfand dieSicherheit, dass ich nicht allein war.Ich spürte, dass andere meine Trauermitempfinden.“ Dennoch findet esRob Brandsma wertvoll, dass wir unsauch selber trösten können. „Ein Trickist es, sich selber eine Hand aufs Herzzu legen. Es mag uns ungewohnt erscheinen, aber der Körper registriertdiese Berührung als tröstlich.“
Das habe ich gleich ausprobiert. Esist simpel, aber als ich die Hände aufmein Herz legte, fühlte ich mich tatsächlich gestärkt. Es ist eine liebevolleGeste, mit der ich mir immer malwieder Wärme schenke. Und geradewährend ich das hier schreibe, istallein das Wissen, dass es viele Möglichkeiten gibt, sich selbst Halt zugeben, ein echter Trost für mich. ● TEXT OTJE VAN DER LELIJ, ANNE OTTO ILLUSTRATION YELENA BRYKSENKOVA
FEEL CONNECTED
Die Trennblätter dieser Ausgabe zeigen Fotos aus dem
Amsterdamer Tierpark Artis aus den 50er-, 60er- und
70er-Jahren. Bis in die 70er-Jahre hinein konnte man
dort zu bestimmten Zeiten Tiere außerhalb ihres Geheges
antreffen und sogar — unter Beobachtung eines Tier-
pflegers — auf den Arm nehmen. Die Bestimmungen für
die Tierhaltung sind inzwischen zum Glück andere.
Die Bilder haben uns trotzdem gefallen. FOTO (VORDERSEITE) HANS PETERS/ANEFO/NATIONAAL ARCHIEF TEXT (RECHTS) LARS VAN DER WERF ILLUSTRATION (RECHTS) DEBORAH VAN DER SCHAAF
Wenn du ein Schiff
wärst mit Segeln
und einem Ruder, würdest du
dann die Seekarte und den
Wind lesen wollen oder
interessierte die Richtung
dich gar nicht?
Das Gedicht stammt von dem niederländischen DichterLars van der Werf, er hat es exklusiv für Flow geschrieben.
Die Illustration hat Deborah van der Schaaf gemacht.
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FeelconnectedEin Blick auf die Welt und die Menschen um uns
Gute Arbeit„Cucula“ ist ein afrikanisches
Wort und bedeutet „Wir schaffen
das“. So heißt ein Berliner Verein,
der eine Werkstatt betreibt, in der
Flüchtlinge sich handwerkliches
Können aneignen, indem sie Mö-
bel bauen. Der Clou: Die Stühle,
Tische und Schränke sind echte
Designerstücke – sie werden nach
70er-Entwürfen für „Selbermach-
möbel“ des italienischen Objekt-
künstlers Enzo Mari gefertigt. Ein
tolles Projekt. Cucula.org
Mit Heinrich Heine auf RadtourAnna Magdalena Bössen (35) radelte über ein Jahr durchs Land, um gegen
Kost und Logis Gedichte zu rezitieren. Ihr Buch zur Reise: Deutschland. Ein
Wandermärchen (Heyne, 16,99 Euro), ihr Blog: ein-wandermaerchen.de
Was hat Sie zu der Reise bewogen? Meine Mutter war schwer krank, ich
wollte etwas Neues wagen und gleichzeitig Deutschland tiefer erkunden. Ich habe
einen Koffer voller Gedichte eingepackt, um übers Rezitieren ins Gespräch zu
kommen – und war gerührt, wie groß die Sehnsucht der Menschen ist, sich über
Lyrik und das Leben auseinanderzusetzen.
Was war das Schönste an der Tour? Wie viele Türen und Leben mir geöffnet
wurden. Außerdem war es schön, zu sehen, wie abwechslungsreich die Natur
hierzulande ist. Ich kannte ja
längst nicht alle Landschaften,
war zum ersten Mal in den
Bergen und bin begeistert von
der Vielseitigkeit des Ostens.
Ihr Lieblingsgedicht? Jedes
hat seine Kraft – aber Die Ballade
vom Wandersmann von Rudolf
Alexander Schröder gefällt mir
besonders. Sie handelt von
innerer Suche, das passte.
Beam me back,Bowie
Musikalische Zeitreise gefällig?
Dafür brauchst du nur ein
Jahr in der digitalen Jukebox
thenostalgiamachine.com
zu wählen, und schon kata-
pultiert die Website dich zurück
in die Charts seit 1960 – mit
herrlichen Videoclips von Alanis
Morrissette, Guns N’ Roses
und, na klar, David Bowie.
SeelenfutterManchmal muss es eben Eis sein,
damit es uns wieder gut geht.
Oder Mamas Hühnersuppe, Papas
Vanillepudding. Warum genau
dieses Essen die Seele streichelt,
zeigt eine Studie der Uni Buffalo.
Es sind nicht Zucker oder Fett, die
uns trösten. Die Speisen erinnern
uns an Menschen, die uns früher
damit verwöhnt haben. Und das
gute Gefühl, das wir dabei hatten,
schmeckt man noch heute.
22 _ Feel connected
TEXT CHRISTINE RITZENHOFF FOTO GETTY IMAGES, MASTERFILE, MICHAEL OBERT, STOCKSY ILLUSTRATION PLOY RANGKADILOKDas kommt von Herzen
Es tut so weh: zu wissen, dass es aus ist. Dass man sich nie mehr küssen wird.
Fortan getrennter Wege geht. All den Schmerz über eine verlorene Liebe wollte die
US-Fotografin Peyton Fulford sichtbar machen und bat Menschen auf der ganzen
Welt, ihr via Tumblr Sätze aus ihren Tagebüchern, Mails oder SMS-Nachrichten
zu schicken, die sie an einen Verflossenen richten würden. „Ich will die Gefühle,
die man meist nur hinter verschlossen Türen teilt, ans Licht bringen“, sagt die
21-Jährige über ihr Projekt Abandoned Love (abandonedloveseries.tumblr.com).
Sie machte Spruchbänder aus den Sätzen und hängte sie an verlassene Gebäude.
Peytons Erkenntnis, nachdem sie die vielen Zuschriften verarbeitet hat: Die
Liebe schmerzt weltweit gleich. „Sprechen wir über Gefühle, verstehen wir uns.“
TrällernverbindetKochen, Tanzen, Reisen, das
alles macht mit anderen oft
mehr Spaß. Beim Singen aber
ist der Gemeinschaftsaspekt
besonders stark, wie Forscher
der Universität Oxford heraus-
gefunden haben. Es schweißt
ruck, zuck zusammen. Schon
nach vier Wochen empfinden
sich Gesangsgruppen als
eingeschworene Gemein-
schaft – ein Gefühl, das in
anderen Kreativkursen erst
nach Monaten entsteht. Der
Grund: Anders als beim
Malen oder Schreiben hat
man im Chor in jeder Minute
ein gemeinsames Ziel – dass
es gut zusammen klingt.
Büro-WGZu Hause, aber nicht allein zu
arbeiten, das ist das Prinzip
hinter Hoffice (hoffice.nu). So
heißt die Onlineplattform eines
Schweden, über die sich Co-
workinggruppen zusammen-
finden, um sich dann bei einem
der Leute zu Hause zu treffen –
zum gemeinsamen In-die-
Tasten-Hauen, Mittagspause-
machen, Brainstormen. Kostet
nichts, bringt Spaß, Austausch,
neue Kontakte und Gratis-Input.
Stück HeimatMartina Kinks Mann Mohamed Riyah
ist Marokkaner. Mit ihrem gemein-
samen Label Souk du Nord holen
die beiden Stücke aus seiner Heimat
nach Deutschland. Die hübschen
Kelim-Bags zum Beispiel, gefertigt
aus traditionellen alten Teppichen,
jede ein Unikat. Wie auch die an-
deren Taschen, Decken, Armbänder,
Seifen und Hamam-Tücher in ihrem
Shop sind sie fair produziert.
79 Euro, soukdunord.com
_ 23
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TEXT ANGELIKA DIETRICH, SARAH ERDMANN, NINA SIEGAL FOTO KATHARINA DUBNO, ANTONINA GERNHAARE/MAKE-UP FRAUKE BERGEMANN-GORSKI, CLAUDIA SCHLIFTER
WASmachst dugerade?$;M■B;<?H■QCL■>L?C■-?HM=B?H■A?@L;ANm■>C?■QCL■EF;MM?■@CH>?H
_ 25
l■ )=B■Gd=BN?■+CH>?L■>;TO■?LGONCA?Hm■>■■EL?;NCP■TO■M?CHl
1
1. Louises Welt ist farbenfroh und verspielt
2. Illustration eines Cafés für ihr erstes
Buch, Up my Street
3. In ihrem Atelier bringt Louise ihre Ideen
zunächst zu Papier, um sie dann am
Computer zusammenzufügen
2
,IOCM?■,I=EB;LN28 Jahre lebt in Hebden
Bridge, England Illustratorin
theprintedpeanut.co.uk,
Instagram: @theprintedpeanut
Was machst du gerade?
Ich illustriere 40 Bilder für ein Kinder-
krankenhaus in Sheffield. Die Motive
zeigen Spielzeug und sind heiter und
fröhlich, damit die Kinder im Kranken-
hausalltag etwas Ablenkung finden.
Inspirieren lasse ich mich dabei von
altem Blechspielzeug und Steiff-
Tieren – ich liebe es, sie zu zeichnen.
Gerade ist dein Buch Playing
with Food erschienen, auch ein
Projekt für Kinder. Zufall?
Ich finde es ganz wichtig, Kinder zu
ermutigen, ihre Kreativität auszuleben.
Deshalb versuche ich, Bilder büchern
und traditionellen Spielen einen
modernen Dreh zu geben, sodass
sie auch wirklich spannend sind.
Hast du ein Beispiel?
Mein Bestseller ist ein traditionelles
britisches Spiel namens „Pass the
Parcel“. Es besteht aus vielen Schich-
ten Papier, man packt es nach und
nach aus und findet in jeder Schicht
eine Aktionskarte, auf der etwa steht
„Benenne in zehn Sekunden zehn
Tiere“. Ich wollte eine besondere Ver-
sion des Spiels kreieren, mit toll ge-
mustertem Papier und illustrierten
Karten. Da ich alles per Hand mache,
ist das ganz schön viel Arbeit – doch
dafür ist jede Ausgabe ein Unikat.
Das spricht bestimmt auch die
Eltern an …
Ich entwerfe auch für Erwachsene.
Meine Illustrationen finden sich auf
Tassen, Geschirrtüchern oder Notiz-
büchern. Ich finde die Vorstellung
schön, dass sie andere Menschen
so durch den Tag begleiten.
Was zeichnest du am liebsten?
Mich begeistern kleine Geschäfte,
die noch handgemalte Ladenschilder
haben, und nostalgische Lebens-
mittelverpackungen oder Dosen. Ich
habe an einer Kunsthochschule in
Glasgow studiert. Dort gibt es ent-
zückende italienische Eisdielen, die
sich seit den 1920er-Jahren nicht
verändert haben. Als Projektarbeit
habe ich einen Guide zu den zehn
besten Eisdielen entworfen. Das hat
meine Leidenschaft entfacht.
3
)HE?■%BGM?H44 Jahre lebt mit ihrem Mann
Kay und dem gemeinsamen Sohn
in Hamburg Grafikerin und
Illustratorin inkeehmsen.de
und inkiko.de
Was machst du gerade?
Ich webe einen „Wool Beard“, so nen-
ne ich meine kleinen Wandteppiche.
Der, an dem ich gerade sitze, soll ein
Geschenk für eine Freundin sein.
Wann hast du das Handarbeiten
für dich entdeckt?
Stricken habe ich mit neun Jahren
von meiner Oma gelernt. Sie lebte
allein, weil ihr Mann schon früh ge-
storben war, hatte aber elf Enkel-
kinder, die sie mit viel Hingabe mit
selbst gestrickten Sachen aus-
stattete. Das hat mich als Kind sehr
beeindruckt und geprägt: Obwohl
meine Oma oft allein war, war sie eine
zufriedene und humorvolle Frau.
Wie kamst du zum Weben?
Irgendwann hatte ich das Gefühl,
alles schon mal gestrickt zu haben.
In einem Freilichtmuseum bei Kiel
habe ich dann eine Frau am Webstuhl
gesehen und fand das total klasse.
Ich habe das Weben auf kleine Web-
rahmen adaptiert, meine Wollreste
genommen und einfach angefangen.
Was bedeutet dir Handarbeiten?
Ich bin sehr pflichtbewusst, und
das kreative Schaffen ist für mich ein
Alibi, mich mal auszuklinken und
eine Pause zu machen. Und es bringt
mich wunderbar zur Ruhe. Beim
Stricken, Weben und auch beim
Zeichnen kann ich plötzlich still sitzen
und bin gleichzeitig doch produktiv.
Außerdem verspüre ich dabei
tatsächlich ein Gefühl von Freiheit.
Das musst du uns erklären!
Wenn ich anfange, stehen mir alle
Möglichkeiten offen. Die Idee entwi-
ckelt sich, während ich stricke oder
webe. Ich bin selbst manchmal über-
rascht, was herauskommt. Natürlich
braucht es dafür Raum und Zeit, die
mein Mann und ich uns zum Glück
lassen. Vor zwei Jahren sind wir des-
halb mit unserem Sohn auch aus
der Innenstadt weiter raus gezogen.
Dort kann ich mich besser auf mich
konzentrieren. Und wir können
einfach die Tür aufmachen und im
Garten sein, wenn uns danach ist.
1
2 3
1. Inkes Illustrationen stecken voller Details,
sie liebt es, mit Farben zu spielen.
Davor: ihre Porzellansammlung in Weiß
2. Gemütliches Plätzchen dank Wand-
teppichen und selbst gestrickter Kissen
3. Süßigkeiten aus aller Welt, die Inke selbst
auf Reisen kauft oder sich mitbringen lässt
l ■)=B■P?LMJbL?■B`O@CA■?CH?■EL?;NCP?■5H■LOB?o■$OL=BM■(;H>;L<?CN?H■E;HH■C=B■MC?■<`H>CA?Hl
1. Ihre Lieblingsfarben für die Uhren: alle
Pastelltöne. Und gelegentlich Pink
2. Ein Instrument des bekannten Geigen-
bauers Martin Schleske, Marie- Luise
spielt darauf jeden Tag – seit 14 Jahren
3. Federn, an Haarklammern befestigt.
Marie-Luise trägt sie auf der Bühne
l■7?HH■C=B■?CH?■5BL;H@;MM?m■>;HH■@bBF?C=B■CBL?■%H?LAC?l
1
2 3
-;LC?q,OCM?■$CHAF?L31 Jahre lebt in Mannheim
Geigerin thetwiolins.de,
de.dawanda.com/shop/maryfree
Was machst du gerade?
Ich klebe Infos auf die Plakatvordrucke
für das nächste Konzert: Datum, Ort,
Uhrzeit. Ich spiele seit meiner Kind-
heit im Duett mit meinem Bruder. Für
Geigenduos gibt es allerdings kein
großes Repertoire. Komponisten wie
Mozart haben meist für Klavier und
Geige geschrieben oder für Streich-
quartette. Deshalb veranstalten wir
alle drei Jahre einen Wettbewerb: Wir
laden Komponisten ein, für uns Stücke
zu schreiben. Unseren Stil nennen
wir progressive klassische Musik.
Du restaurierst nebenbei auch
alte Uhren. Wieso?
Natürlich ist das Werkeln an Uhren
für mich ein Ausgleich. Aber es gibt
auch Parallelen: Wenn ich Geigen
oder Uhren anfasse, fühle ich ihre
Energie. Sie sprechen zu mir durch
ihr Aus sehen und durch ihren Klang.
Ich überlege dann für jede Uhr genau,
was sie wohl brauchen könnte – wie
interpretiere ich die Uhr, welche Farbe
möchte sie haben? Zwischendurch
lasse ich sie immer mal wieder liegen
und nehme sie mir dann neu vor.
Welche Rolle spielt Zeit ganz
generell für dich?
Die Uhr als Zeitmesser fasziniert mich
schon immer. Das Ticken, das Bewe-
gen der Zeiger. Ich denke auch oft
übers Zeitempfinden nach, das so
unterschiedlich sein kann. Wenn ich
eine Uhr restauriere, ist das ganz
gemächlich. Abschleifen, lackieren,
Uhrwerk wechseln – das scheint ewig
zu dauern. Auf der Bühne dagegen
vergeht die Zeit wie im Flug. Ich denke
häufig, dass wir viel zu kurz gespielt
haben, aber es stimmt nie.
Passen der Stil deiner Uhren
und deiner Musik zusammen?
Ich liebe die Buffet- und Kaminuhren
der 20er- und 30er-Jahre. Durch
moderne Farben hole ich sie aus der
alten Zeit ins Heute. Und auch in der
Musik haben wir uns vom Alten ab-
gewandt und schaffen etwas Neues
und Eigenes. Das gefällt mir.
32 _ Feel
Allein an Projekten zu sitzen oder nach Lösungen zu suchen ist oft recht mühsam.
connected
ArbeitenHand in Hand
Mit einem Partner, der zu uns passt, geht es gleich viel leichter – und wir
entwickeln bessere Ideen. Berühmte Duos aus Kunst und Wissenschaft machen
uns vor, wie wir in der Zusammenarbeit über uns hinauswachsen können
Psychologie
„Wenn sich der Herzschlag beschleunigt. Wenn einem die Worte
fehlen, weil es so viel zu sagen gibt. Oder wenn wir genau die
richtigen Worte finden, weil auf seltsame Weise die Milliarden Im-
pulse von Gedanken und Sprache plötzlich zusammenkommen
und ihre Bestimmung finden.“ Diese Sätze stammen nicht aus
einem billigen Liebesroman, sondern aus einem Sachbuch über
kreative Duos. Der US-Autor Joshua Wolf Shenk beschreibt in der
Passage, wie es sich anfühlen könnte, wenn sich zwei kreative
Menschen treffen und im anderen jemanden erkennen, mit dem
sie Ungewöhnliches schaffen können. „Ab und zu begegnet man
jemandem, der das eigene Leben verändern kann, und spürt das
Potenzial“, schreibt Shenk. „Dann ist es, als sei der Boden unter
den Füßen zum Trampolin geworden. Ein tolles Gefühl!“
DIE MÄR VOM EINSAMEN GENIE
Wenn man über kreative Partner nachdenkt, dann fallen einem
meist einige Berühmtheiten ein, die unsere Welt verändert haben.
Die Beatles mit ihren gegensätzlichen Köpfen John Lennon und
Paul McCartney, die Physiker Marie und Pierre Curie oder das
sich ständig selbst inszenierende britische Künstlerpaar Gilbert
und George. Außerdem fällt auf, dass Kunsthandwerker und
Blogger oft in Zweierteams arbeiten: etwa Christel Knigge und
Jennifer Klose, zwei Berliner Schwestern, die zusammen das
Papeterie-Label Wednesday Paper Works betreiben. Die eine
bindet die Bücher, die andere gestaltet die Grafik. Oder die beiden
Vintage-Bloggerinnen Jennifer Rubin und Annalise Furman aus
San Francisco, die gemeinsam auf Hummingbirdgirls posten –
jede hat ihren Geschmack, der sich auf den Seiten zu einem ge-
meinsamen Ganzen zusammenfügt. Tatsächlich ist auch Flow das
geistige Kind von zwei kreativen Köpfen, vor acht Jahren in einer
Dachkammer von Irene Smit und Astrid van der Hulst geboren.
Seltsamerweise gibt es kaum Literatur über das Arbeiten im Duo.
Oder darüber, wie und warum kreative Menschen einander finden
und welche Kräfte dann bei einer Zusammenarbeit zur Entfaltung
kommen können. Offenbar rücken Historiker und Biografen eher
die Geschichte eines Einzelnen in den Fokus und machen somit
einen besonderen Mann oder eine einzigartige Frau zur Symbol-
figur. Doch die Geschichte ist keineswegs so eindeutig.
„Wir haben uns lange in den Mythos des einsamen Genies verrannt,
er ist zum Bestandteil unserer Kultur geworden“, sagt Buchautor
Shenk. „Doch meist liegt der Fall komplizierter. Auch wenn wir kre-
ative Einzelgänger betrachten, fast immer steht eine Person hinter
diesem ‚Genie‘, die dessen Arbeit ermöglicht und beflügelt hat.“
Shenk hat für sein Buch über Duos nicht nur die Biografien
ARNE & CARLOS: „EINER DIE DETAILS, DER ANDERE DAS GROSSE GANZE“Der Schwede Carlos Zachrison hat gemeinsam mit dem
Norweger Arne Nerjordet ein Modelabel gegründet. Die
beiden wurden weltweit bekannt mit ihrem Buch Jule-
kuler. Gestrickte Weihnachtskugeln. Seitdem erschienen
Titel wie Strikkedukker. Gestrickte Puppen und Norge-
strikk. Pullover & Accessoires in traditionellen Mustern,
die allesamt Bestseller wurden. Wir sprachen mit Carlos.
WIE FUNKTIONIERT DIE MAGIE ZWISCHEN EUCH?
Wenn einer eine Idee hat, greift der andere sie mühelos
auf und arbeitet daran, als sei sie sein eigenes Projekt.
Man könnte sagen, dass unsere Gehirne derart miteinan-
der in Kontakt stehen, dass wir instinktiv zu wissen
scheinen, was der andere denkt. Das wurde uns ziemlich
schnell klar. Arne wollte ursprünglich allein eine Firma
gründen. Ich beriet ihn und machte Vorschläge — plötzlich
arbeiteten wir zusammen. Es ergab sich einfach.
WO SEID IHR EUCH ÄHNLICH?
Oft gefallen uns ja dieselben Dinge. Aber wir sind auch
beide ziemlich dickköpfig und nehmen dem anderen
gegenüber kein Blatt vor den Mund. Das führt natürlich
hin und wieder zu hitzigen Diskussionen, aber das ist
ja gerade das Gute, dass man seine Ideen miteinander
besprechen und hinterfragen kann.
WO UNTERSCHEIDET IHR EUCH?
Arne sind vor allem Details wichtig, ich sehe eher das
große Ganze. Arne hat viele Einfälle, die ich dann in
einen größeren Zusammenhang bringe. Wenn wir an
einem Buch arbeiten, denkt Arne sich die Themen aus
und recherchiert. Im nächsten Schritt arbeiten wir dann
zusammen am kreativen Teil. Später strukturiere ich
alle Ideen und bringe das Manuskript in Form. Das ist
für uns die ideale Art zu arbeiten.
_ 33
Besonders Personen, die eine
gewisse Unruhe in uns auslösen,
können die besten Partner sein
vieler berühmter kreativer Paare untersucht, sondern auch einige
von ihnen und ihr Umfeld interviewt. In dem Zusammenhang fand
er auch heraus, dass es sich bei der Person hinter den Kulissen
oft um eine Frau handelt; eine, die unabdingbar für den kreativen
Prozess war, aber nicht im Scheinwerferlicht stand.
ZIEMLICHES DURCHEINANDER
Bisher neigten Historiker dazu, das Leben kreativer Persönlich
keiten entweder vom Individuum ausgehend zu studieren oder es
in einem größeren Zusammenhang zu betrachten: Welche gesell
schaftlichen oder politischen Bedingungen haben dazu geführt,
dass er oder sie so herausragend werden konnte? „Die Rolle von
Beziehungen wird einfach komplett übersehen“, meint Shenk.
„Und ich glaube auch, dass es einen Grund dafür gibt. Beziehun
gen sind kompliziert. Wenn man eine klare Geschichte erzählen
will, stören sie. Sie enthalten gefährlich viele Emotionen, sind oft
paradox. Diejenigen, die wir lieben, auf die wir wütend werden,
die uns dazu inspirieren, etwas zu erschaffen, was wir allein nie
erreicht hätten – sie und das Verhältnis zu ihnen sind schwer zu
beschreiben.“ In was für einer Gemengelage zwischen Freude
und Streit, Abhängigkeit und Beflügeltsein, Großzügigkeit und Enge
kreative Duos sich oft befinden zeigt etwa der biografische Film
Walk the Line über den Countrymusiker Johnny Cash und seine
Frau June Carter. Dort sieht man, dass Cash ohne die Unter
stützung seiner Geliebten June, die ebenfalls Musikerin war, oft
nicht gut arbeiten konnte – es aber gleichzeitig zwischen den
beiden auch Streit und Konkurrenz gab. In einer Szene schreibt
June nach einem Krach den Song Ring of Fire. Dieses Stück hat
Johnny Cash später aufgenommen und mal mit, mal ohne seine
Frau gespielt – es gilt heute als sein größter Hit. Ohne die kreative
Chemie des Paares wäre er aber wohl nicht entstanden.
An diesem Beispiel zeigt sich, dass wir es viel schwerer finden,
ein kreatives Produkt einem Duo zuzuordnen, denn wir wollen nicht
immer die ganze Geschichte mitdenken, wollen Klarheit und
ordnen den Song deshalb ganz selbstverständlich dem bekann
teren Partner – in diesem Fall Johnny Cash – zu.
KONFLIKTE SIND NÜTZLICH
In seinen Nachforschungen über kreative Duos stellte Shenk fest,
dass es ganz unterschiedliche Konstellationen gibt. Die auf
fälligsten sind die, von denen wir beide Namen kennen und wissen,
was sie geschaffen haben. Diese finden sich aufgrund eines
gemeinsamen Interesses. Das klingt selbstverständlich, ist aber
entscheidend. Denn das Setting, in dem sich Menschen be
gegnen, bestimmt mit, ob es zu einer Partnerschaft kommt und
die Chemie stimmt. So haben sich die Künstler Gilbert und George
in der Bildhauerklasse einer Londoner Kunsthochschule getroffen.
Mick Jagger und Keith Richards von den Rolling Stones kamen
das erste Mal auf einem Bahnsteig am Zug Richtung London ins
Gespräch, weil Jagger Bluesplatten dabei hatte, die Richards
interessierten. Wer also nach einem kreativen Partner Ausschau
hält, sollte in der passenden Umgebung danach suchen.
Dennoch: Obwohl gemeinsame Interessen wichtig sind, glaubt
Shenk, dass es auch genügend Unterschiede geben muss, um
einander „aufzuladen“. Oft brauchen kreative Paare Unterschiede
und Konflikte. Wie Shenk sagt: „Es ist kennzeichnend für Duos,
dass sie sowohl extreme Ähnlichkeiten als auch extreme Unter
schiede aufweisen.“ Lennon und McCartney teilten etwa die Liebe
zur Musik, besaßen aber vollkommen gegensätzliche Persönlich
keiten. Sie waren letztlich sogar Rivalen und versuchten, einander
zu übertreffen. Ein anderer wichtiger Aspekt ihrer Beziehung – wie
laut Shenk bei so vielen erfolgreichen Duos – ist, dass sie einan
der nicht immer leiden konnten. „Manchmal sind die Beziehungen,
aus denen wir die meiste Kraft schöpfen, zugleich jene, die uns
am meisten reizen“, sagt er. „Daraus habe ich gelernt: Treffe ich
34 _ Feel connected
TEXT ANNE OTTO, NINA SIEGAL ILLUSTRATION MARTA COLOMER/TUTTI CONFETTI
auf eine Person, die mich ärgert, hatte ich bisher die Neigung, sie
sofort abzuschreiben. Doch das ist ein Fehler. Denn Menschen,
die Unruhe in uns hervorrufen, können gute Partner für uns sein.“
DER STILLE ZWEITE
Es gibt noch eine weitere Form der Partnerschaft, nämlich jene,
bei der wir nur den Namen einer Person kennen. In diesen Fällen
hat die zweite Person nie die Anerkennung erfahren, die sie viel-
leicht verdient hätte. Ein ungewöhnliches Beispiel für so einen
vollkommen „stillen“ Partner ist der Maler Vincent van Gogh: Er
wäre vielleicht nie Künstler geworden, wenn es nicht die starke
Bindung zu seinem jüngeren Bruder Theo gegeben hätte, meint
Shenk. Theo führte Vincent nicht nur in die Pariser Kunstszene
ein, er ermutigte ihn auch, weiterzumalen, als sich kein Mensch für
seine Kunst interessierte. Oft ist der zweite, stille Partner zufrieden
damit, dass er nicht im Scheinwerferlicht steht, weil er introvertiert
ist oder Wert auf Privatsphäre legt. Doch der unterstützende Part
ist nicht notwendigerweise der geringere. Die Krux ist, dass jeder
im Duo die Rolle finden muss, die am besten zu ihm passt – eine,
in der man die eigenen kreativen Talente ohne Groll gegenüber
dem anderen zur Entfaltung bringen kann.
WAS PASST ZUSAMMEN?
Nicht immer führen Zusammenarbeiten zu Höchstleistungen
und historischen Veränderungen. Aber ein gut passender Arbeits-
partner kann uns beflügeln, Projekte erleichtern und das Leben
einfacher und lebendiger machen. Fragt sich natürlich, mit wem
wir gut harmonieren. Glaubt man Joshua Shenk, ist es für kreative
Partnerschaften vor allem nötig, die Balance zwischen Zusammen-
arbeit und Autonomie zu finden. Wann immer man sich abhängig
fühlt, kippt die Sache. Davon ist auch Paola Molinari überzeugt.
In ihrem Buch Lebe statt zu funktionieren bestätigt die Trainerin
nicht nur, dass kreative Zusammenarbeiten auch bei Alltags-
projekten mehr Energie und Lebensfreude bringen – sie zeigt in
einer Typologie auch, welche Persönlichkeiten gut zusammen-
passen. So hat sie beispielsweise festgestellt, dass freundliche,
diplomatische Menschen gut mit Kämpfernaturen harmonieren.
Nicht nur, dass durch den unterschiedlichen Blick auf die Welt –
Harmonie versus Durchsetzungsvermögen – viele Ideen entstehen
können. Beide Typen gehen auch so verschieden an Konflikte
heran, dass sie unterschiedliche Probleme rasch meistern können,
nach dem Motto „Was der eine nicht kann, übernimmt der andere“.
Ein gutes Duo bilden auch gesellige Typen, die geliebt werden
wollen – Molinari nennt sie „Clowns“ –, und akkurate, sachliche
ASTRID & IRENE: „WIR SIND AUF EINERWELLENLÄNGE“Astrid van der Hulst und Irene Smit waren Kolleginnen
bei einer niederländischen Frauenzeitschrift und haben
dann zusammen Flow entwickelt: Sie arbeiten täglich eng
zusammen und leiten das Redaktionsteam.
WIE FUNKTIONIERT DIE MAGIE ZWISCHEN EUCH?
Astrid: Als wir uns zum ersten Mal privat unterhielten,
stellte sich heraus, dass wir beide Papier lieben, Achtsam-
keit und schöne Kleinigkeiten. Es wurde auch klar, dass
uns solche Themen in Zeitschriften fehlten. Wir fanden
dann auch schnell heraus, dass wir zusammen die besten
Einfälle haben. Irene sagt etwas, ich ergänze und dann
kristallisiert sich eine Idee heraus. Das ist mir vorher
noch nie mit jemandem so gegangen.
Irene: Wir haben damals auch denselben Achtsamkeits-
kurs besucht, stellten fest, dass wir ähnlich denken. Und
wir beide setzen uns gelegentlich unter Druck, grübeln
zu viel. Inzwischen wissen wir, dass uns zu viel Stress
belastet. Wenn wir merken, dass die andere gerade mal
wieder einen Tunnelblick hat und sich übernimmt, machen
wir uns darauf gegenseitig aufmerksam. Das ist schön,
denn nach so einem Weckruf nimmt diejenige sich dann
Zeit, um zu meditieren oder joggen zu gehen.
WO SEID IHR EUCH ÄHNLICH?
Astrid: Wir sind flexibel und keine Leute, die von neun
bis fünf in einer festen Struktur arbeiten wollen.
Irene: Wir spüren viel, sind intuitiv, Gefühlsmenschen.
WO UNTERSCHEIDET IHR EUCH?
Astrid: Irene kann besser logisch und praktisch
denken und findet schneller Lösungen. Ich bin die etwas
Schwankendere von uns. Ich mag es, Illustrationen zu
platzieren und mir Papier-Extras auszudenken.
Irene: Astrid hat mehr Geduld als ich. Für Menschen
und Dinge. Sie ist etwa in der Lage, sich die Zeit zu nehmen,
ein Falt-Guckkästchen zu durchdenken und mit einer
Illustratorin so lange daran zu arbeiten, bis es schön ist.
Menschen. Sie haben so unterschiedliche Stärken, dass sie
den anderen gut in seiner Rolle lassen können. Auch wenn solche
Typologien Anhaltspunkte geben, rein rational kann man sich
wohl nicht auf die Suche nach einem Pendant machen, sagt Shenk:
Dafür sei die Magie, der Funke, der von einem Moment zum
nächsten überspringt oder nicht, einfach zu entscheidend. Seiner
Meinung nach reicht es, mit offenen Augen durchs Leben zu
gehen. „Wir können immer nur unser Bestes tun, Beziehungen
einzugehen und Arbeit zu finden, die uns liegt. Ergibt sich
dann die Chance, eine Verbindung einzugehen, die eine neue
Zusammenarbeit ermöglicht: Ergreife sie!“ ●
Mehr über Duos lesen? In dem witzigen Roman Die gelben Augen der Krokodile von Katherine Pancolgeht es um Schwestern: Die eine ist Selbstdarstellerin, die andere schreibt heimlich deren Bücher _ 35
KAT MENSCHIK
„Ich achte heutebesser auf meine
Bedürfnisse“Sie gehört zu Deutschlands wichtigsten Illustratorinnen, zeichnet für diverse Zeitungen
und Magazine und gestaltet Bücher, unter anderem von Haruki Murakami.
Doch die Mutter einer Tochter musste auch lernen, die eigenen Grenzen zu akzeptieren.
Kat Menschik lebt in Berlin und in ihrem Haus auf dem Land
36 _ Feel connected
Lebenslauf
_ 37
Mit süßemLöwenbaby
im BerlinerZoo 1970
>
1969 inBerlin mitstörrischemPlakat
1975: " MeineEinschulungmit schickerFrisur“
Kat zeichnet gern mitTusche, hier 1997
1976 im Winterurlaub,mit Malsachen, ohneSkifahren
NAME: Kat MenschikGEBOREN: 1968BERUF: IllustratorinSie arbeitet seit Jahren für dasFeuilleton der FAZ, die FrankfurterAllgemeine Sonntagszeitung sowiediverse Magazine. Außerdem illustriertesie viele Bücher, unter anderem vonHaruki Murakami (Schlaf, Die Bäckerei-überfälle), und arbeitet aktuell aneiner Klassikerreihe für den Galiani-Verlag. Ihr erstes eigenes Buch,Der goldene Grubber (2014, ebenfallsGaliani) erzählt von ihren Garten-erfahrungen und wurde von der StiftungBuchkunst ausgezeichnet. Kat Menschiklebt mit Freund und Tochter in Berlinund auf dem Land in Brandenburg.
>Beim Signierenfrischer Siebdrucke
1997: " Ich gebe für Freunde undStudenten einen Siebdruckworkshop“
Um 1977 aufdem Land mit
Katzen- undHundebabys
38 _ Feel connected
Vergangenheit„Im Nachhinein war es toll, in dieser total anarchischen Zeit in Berlin dabei gewesen zu sein“
„Aufgewachsen bin ich in Ostberlin, damals
noch DDR. Ich hatte eine richtig tolle Kind-
heit. Mein Vater war Grafiker, entwarf vor
allem Firmenlogos. Bis heute arbeitet er
außerdem als Kalligraf, seine Schrift sieht
aus wie gedruckt, das ist wirklich eine
Gabe. Meine Mama war Chemie ingenieurin,
testete im VEB Spreequell Brause und
arbeitete später an der Charité im Labor.
Sie blieb nach meiner Geburt ein paar
Jahre zu Hause, und mein Vater hatte sein
Atelier um die Ecke von unserer Wohnung.
Sie waren immer da. Dann gab es noch
meine geliebte, immer fröhliche Omi.
Bei ihr auf dem Dorf verbrachte ich meine
Ferien, von ihr habe ich so viel gelernt:
Walzertanzen, Sticken, Stricken, Häkeln und
Nähen. Davon zehre ich noch heute. Ich
war damals schon ungeduldig, aber bei ihr
habe ich gelernt, mich für ein schönes
Ergebnis durchzubeißen.
Ich war ein eigenbrötlerisches Kind, habe
mich am liebsten zurückgezogen und
gebastelt. Geknetet, geschnitzt, gemalt,
mit Pappmaschee experimentiert, Sachen
aus Holz gebaut. Meine Eltern haben das
gefördert. Ich war die Kreative und meine
drei Jahre jüngere Schwester die Musikali-
sche. Nur dass ich immer ohne Skizze ge-
arbeitet habe, hat meinen Vater gewurmt –
er hat sie seitenweise gemacht, bevor er
mit dem Ergebnis zufrieden war. Bei mir
musste es schon damals schneller gehen,
ich habe mir die Sachen vorgestellt und
dann losgelegt. So arbeite ich heute noch.
Meine Eltern waren keine Dissidenten, aber
sie haben sich ihre Freiräume geschaffen,
zum Beispiel das Selbstständigendasein
meines Vaters. Entsprechende Freunde
hatten sie auch. Es war ein Kreis, der ein
bisschen lustiger lebte als andere. Zudem
bin ich katholisch erzogen worden, ich war
die Einzige in meiner Klasse, die religiös
war. Als Kind habe ich mir das anders
gewünscht, wollte auch zur Jugendweihe
und die gleiche Schrankwand wie alle,
nicht die gesammelten alten Möbel, die
wir hatten. Irgendwann fand ich es aber
zunehmend schick, mich abzuheben.
Rückblickend war mein Weg in einen
kreativen Beruf vorgezeichnet. Nach dem
Abi wusste ich aber lange nicht, in welche
Richtung es gehen würde. Ich habe erst
mal Schaufensterdekorateurin gelernt,
für viele eine Durchgangsstation zu einem
kreativen Studium. Ein Jahr habe ich in
dem Beruf gearbeitet, Pyramiden von
Trockenerbsen- und Apfelsaftpackungen
gebaut und parallel diverse Eignungs-
prüfungen absolviert, sogar für Puppen-
spiel. Im Herbst 1990 bekam ich dann einen
Studienplatz für Kommunikations design.
Kurz davor war ich ausgezogen, in eines
der vielen Abrisshäuser im Prenzlauer Berg.
Das war ein harter Bruch, und die erste
Zeit war schrecklich. Ich war einsam, die
Wohnung kalt, ich habe mich gefürchtet.
Aber dann habe ich mir gesagt: Du wolltest
es so, reiß dich zusammen, mach’s dir
schön. Im Nachhinein war es toll, mitten
in dieser total anarchischen Zeit in Berlin
dabei und jung gewesen zu sein.
Zur Illustration bin ich quasi durch Zufall
gekommen, als ich zwei Jahre mit anderen
Austauschstudenten in Paris war. Einer
von ihnen verdiente sein Geld mit Comic-
zeichnen. Wir gründeten ein Fanzine, ob-
wohl ich mit Comics vorher nichts am Hut
hatte. Nach Pippi Langstrumpf haben wir es
Spunk genannt, jeden Monat 100 Stück
produziert, kopierte Seiten, mit einem
Gummi zusammengehalten. Mit denen sind
wir durch die Läden gezogen – und man hat
sie uns aus den Händen gerissen. Das war
für mich eine eindrückliche Erfahrung, da
ich immer ängstlich war, mit meinen Sachen
an die Öffentlichkeit zu gehen. In Paris
habe ich gelernt, dass die Leute nicht
mehr als Nein sagen können. Und
macht man seine Sache ordentlich,
passiert das sogar relativ selten.
Mit mehr Selbstbewusstsein kam ich nach
Berlin zurück und gründete mit einem
Freund den Millionen-Verlag. Wir brachten
viertel jährlich aufwendige Siebdruck-
editionen namens A.O.C. heraus, wie das
französische Gütesiegel. Wir haben selbst
gezeichnet und je fünf Künstler dazu ein-
geladen, darunter Zeichner wie ATAK oder
Anke Feuchtenberger. Wir haben sogar
Briefe an Lagerfeld, Kate Moss und David
Bowie geschickt. Von Bowies Management
kam tatsächlich eine Antwort: Das Magazin
sei sympathisch, aber er hätte leider keine
Zeit. Den Brief habe ich noch.“
_ 39
Gegenwart„Als die Anfrage kam, dachte ich: Jetzt mache ich genau das, was ich am allermeisten mag“
„Für das A.O.C.-Magazin habe ich mich
richtig reingekniet, wir haben quasi in der
Siebdruckwerkstatt gewohnt. Ich hatte
kaum Geld und weiß noch, wie ich damals
dachte: Hätte ich doch mal 100 Mark für
ein schönes Kleid übrig. Es war dennoch
eine großartige Zeit, und ich habe es auch
getan, um nach dem Studium nicht zum
Heer arbeitsloser Grafiker zu gehören. Das
hat dann ja auch geklappt. Durch Zufall
wurde ich genau am Tag meiner Meister
schulprüfung von der FAZ angesprochen.
Seitdem zeichne ich vor allem für das
Feuilleton und illustriere jeden Sonntag das
Fernsehprogramm der FAS, schon seit
fast 15 Jahren. Andere Zeitschriften kamen
dazu, und mit der Zeit habe ich auch
immer mehr für Buchverlage gearbeitet.
Vor 16 Jahren kam meine Tochter auf die
Welt. Ich wollte immer Familie haben, war
32, mit dem Studium fertig, machte erste
Schritte ins Jobleben. Alles passte. Sie war
ein pflegeleichtes Kind, drei Wochen nach
ihrer Geburt habe ich wieder gearbeitet,
wenn sie geschlafen hat, und später, wenn
sie in der Kita oder Schule war. Ich konnte
mir nie vorstellen, nur Mutter zu sein.
Durch sie habe ich mir aber angewöhnt,
auch Feierabend zu machen. Von ihrem
Vater lebe ich getrennt, wir teilen uns die
Erziehung. Unsere Tochter lebt eine Woche
bei ihm, eine bei mir und meinem Freund.
Das klappt prima, über Erziehungsfragen
konnten wir uns immer gut verständigen.
Das ist gar nicht so schwer, wenn es
ausschließlich um das Wohl des Kindes
geht. Und sie hat alles doppelt: Kinder
zimmer, Reisen, Freundeskreise etc.
Meinen jetzigen Freund kenne ich, seit ich
drei Jahre alt war. Unsere Väter sind seit
Jahrzehnten befreundet, wir haben schon
zusammen im Baumhaus gespielt und sind
uns immer wieder über den Weg gelaufen.
Gefunkt hat es aber erst vor acht Jahren,
seitdem sind wir ein Paar. Wir haben eine
Wohnung in Berlin und ein Haus auf dem
Land. Das habe ich gekauft, als meine
Tochter drei war, weil ich nicht wollte, dass
sie eine Großstadtpflanze bleibt. Ich weiß
noch, wie sie hier am Anfang barfuß auf
der Schwelle stand und nicht auf die Wiese
laufen wollte, weinte, weil sie es eklig fand.
Ich hatte schon immer die romantische
Vorstellung, ein kleines Bauernhäuschen
zu haben, vor dem ich abends mit einem
Glas Rotwein sitze und in die Natur
schaue. Das 200 Jahre alte Gemäuer in
Schuss zu bringen war erst mal irre viel
Arbeit, da war nichts mit Rotweintrinken.
So viel wie möglich haben wir selbst
gemacht, Wände verputzt, Fliesen gelegt,
Fenster aufgearbeitet. Da gehört eine
Menge Leidenschaft dazu, wir sind immer
noch nicht fertig. Aber gerade im Sommer
gibt es keinen schöneren Ort. Das liegt
auch an dem riesigen Garten, der für mich
in zwischen so etwas wie ein Familien
mitglied geworden ist. Ich schaue den
Pflanzen beim Wachsen zu, ich pflege und
umsorge sie, als wären es meine Kinder.
Von meinen Gartenerfahrungen – Erfolge
wie Niederlagen – erzähle ich im Goldenen
Grubber, dem ersten Buch, das ich nicht
nur gezeichnet, sondern auch komplett
selbst geschrieben habe. Es war eine
Herzensangelegenheit und hat viel Spaß
gemacht. Es ist ein Erwachsenenbuch,
wie die meisten Bücher, die ich illustriere.
Das passt zu meinen Stil, meine
Bilder besitzen eine gewisse Härte
und Strenge. Es passiert öfter, dass
Leute überrascht sind, dass sie von
einer Frau stammen. Ich zeichne keine
klassischen Comics, benutze aber gern
Text als gestalterisches Element in meinen
Bildern, als zweite Ebene. Ich zeichne
zuerst mit Feder und Tusche, ich liebe
diesen handwerklichen, analogen Teil
meiner Arbeit. Dann scanne ich die Bilder
ein und bearbeite sie weiter. Kolorierung,
Muster, Schatten, all das entsteht digital.
Ein Traum war es für mich, Bücher für
Haruki Murakami zu illustrieren. Als die An
frage kam, dachte ich: Jetzt bin ich ange
kommen und mache genau das, was ich
am allermeisten mag. Seine Geschichten
sind so vielschichtig, ein bisschen mystisch
und rätselhaft, manchmal fast traumgleich.
Das passt perfekt zu meiner Vorstellung,
Bilder zu komponieren. Ich greife Details
aus den Texten auf, denke mir dazu etwas
aus, das vielleicht gar nichts mit der
Geschichte zu tun hat, aber die Stimmung
wiedergibt. So einen Spannungsbogen
herzustellen, das finde ich reizvoll.“
40 _ Feel connected
>
" Puppen nähenmit meiner Tochter,das war 2007“
" Yoga im Garten, Angeberpose“
Pass wanderungauf Sizilien mit
Freund, 2015
Im Urlaub 2015mit nagelneuer
Glasperlenkette
>
Im Freibad, Häkel-decke zusammennähen Wieder mal mit
Katzenbaby
Drei von Kats Werken:Das variable Kalendarium,Der goldene Grubber undRomeo und Julia
" Meine Tochterund ich imSommer 2010“
Ein Siebdruckfür ein Buch
mit Islandsagen
>
" An der Linol-druckpresse, mitkleiner Helferin“
_ 41
42 _ Feel connected
Zukunft„Ich hatte über Wochen einen Schwindel. Ich habe dann die Reißleine gezogen“
TEXT TANJA REUSCHLING FOTO JULIA BAIER HAARE/MAKE-UP KATHLEEN KELLY„Bis Ende vorletzten Jahres dachte ich,
alles wäre perfekt. Ich lebe im Luxus, nicht
weil ich viel Geld habe, sondern einen Job,
der auch mein Hobby ist und in dem ich
glücklich bin, dazu eine gesunde Familie,
tolle Freunde, ein Haus auf dem Land. Ich
wäre im Traum nicht darauf gekommen,
dass mir so etwas passiert, aber ich be-
kam ein Erschöpfungssyndrom. Ich hatte
über Wochen einen Schwindel, lief von
Arzt zu Arzt, es war sehr beängstigend.
Zum ersten Mal wurde mir mein Job zu
viel, und ich bekam Beklemmungen, wenn
jemand wegen eines neuen Auftrags anrief.
Ich habe dann die Reißleine gezogen, zur
Jahreswende einige Projekte abgesagt,
das tat mir sehr leid. Es war wirklich
schwierig, mich einzuschränken, da ich nie
das Gefühl von Überforderung hatte. Ich
neige zum Aktionismus, bin ungeduldig,
glaubte immer, alles schaffen zu können.
Aber dann wurde ich körperlich ausge-
bremst. Mein Grundgefühl war bis dahin:
Man lebt nur einmal und muss viel unter-
kriegen in der kurzen Zeit. Jetzt versuche
ich, langsamer zu machen, mich bewusst
auch mal zu langweilen, sofort runterzu-
schalten, wenn ich Herzflattern bekomme.
Das ist das Wesentlichste für die Zukunft:
mehr auf mich zu achten, mich nicht mehr
zu überanstrengen, Nein sagen zu lernen.
Ich habe festgestellt, dass mein Wende-
kreis nicht besonders groß ist. Ich bin durch
die Welt gereist, habe zwei Jahre in Paris
verbracht, eigentlich meine Traumstadt.
Aber als ich dort wohnte, habe ich ge-
merkt: In Paris bin ich gern Touristin, leben
möchte ich aber nur in Berlin. Ich wohne
dort noch immer in demselben Viertel, in
dem ich aufgewachsen bin. Zwei, drei Mal
im Jahr mache ich kurze Reisen, meist
Städtetrips, nach New York, Barcelona,
Danzig, Krakau. Das brauche ich als Inspi-
ration für meine Arbeit. Sonst bin ich am
liebsten in unserem Haus auf dem Land, in
der Natur. Ich liebe es zum Beispiel, mit
meinem Freund am Wochenende abends
mit einem Glas Wein auf dem Hochstand
zu sitzen und Rehe zu beobachten. Irgend-
wann wollen wir ganz rausziehen. Wir
haben hier mittlerweile Freunde aus der
Nachbarschaft, auch die aus Berlin kommen
uns besuchen. Dann sitzen wir im Garten
oder am Lagerfeuer, grillen, und alle zwei
Jahre gibt es ein riesiges Sommerfest.
Das ist für mich Lebensqualität.
Wenn ich arbeite, bin ich ziemlich autistisch,
über Stunden völlig versunken in meinen
Geschichten, brauche nichts anderes. Aller-
dings habe ich eine schlechte Angewohn-
heit: Oft läuft mein kleiner Tischfernseher.
Aus den Augenwinkeln nehme ich dann Be-
wegungen wahr und fühle mich nicht allein.
Wenn ich aber Freizeit habe, bin ich gern
in Gesellschaft, feiere, tanze. Und so soll es
bleiben, bis ich ganz, ganz alt bin.
Ich freue mich, meine Tochter heranwach-
sen zu sehen. Sie ist so was von wohlge-
raten, auch wenn sie jetzt in der Pubertät
ist und wir leichte Mutter-Tochter-Probleme
haben. Aber ich beobachte sie mit anderen,
sie ist höflich, freundlich, kreativ, bastelt
stundenlang, liest total viel und hat ihren
eigenen Kopf. Ich denke, sie kann sich in
einem festen Rahmen aus Vertrauen und
Liebe sehr frei bewegen, sich ausprobie-
ren, verschiedenen Hobbys nachgehen,
diese aber auch wieder sein lassen, wenn
sie meint, das ist nichts für sie. Gerade
macht sie ihren Mittleren Schulabschluss,
und ich habe keine Sorge, dass sie ihn
nicht erfolgreich besteht.
Ich selber bastele ebenfalls noch gern,
das wird wohl so bleiben. Einmal in der
Woche gehe ich in eine Keramikwerkstatt
zum Töpfern, mit Drehscheibe. Mit den
Händen im Ton, voll konzentriert auf
die Form, die unter meinen Fingern
gerade entsteht, kann ich am besten
abschalten. Aber auch das Haus zu ver-
schönern, Mosaiksteine zu verlegen oder
eine Küchenzeile zu bauen ist für mich im
weitesten Sinne basteln, im Winter stricke
oder häkele ich. Beruflich arbeite ich gerade
an einem neuen Herzensprojekt: eine Buch-
reihe, für die ich Lieblingsgeschichten
illustriere, mal klassische, mal moderne.
Als Erstes werden im Herbst Ein Landarzt
von Franz Kafka und Romeo und Julia von
William Shakespeare erscheinen. Ein Buch,
also einen Gegenstand herzustellen, den
man gern in die Hand nimmt, der sich gut
anfühlt, den man haben oder verschenken
möchte – das ist einfach toll.“ ●
_ 43
Ich bin mal kurz inSaint-Tropez.
Meine Mein Moment
Die Kunst desImprovisierens
in OranIrene Schippers musste sich erst daran gewöhnen,
dass der Alltag in Algerien nicht planbar ist. Nachdem sie nun
schon seit vier Jahren dort zu Hause ist, sieht sie aber auch,
welche Vorteile es hat, von einem Tag auf den anderen zu leben
46 _ Feel connected
Währenddessenin Algerien
_ 47
„ Ich regte mich über alles auf, was
nicht gut geregelt war. Dafür schäme
ich mich heute manchmal“
„Ich bin schon 20 Jahre mit meinem
algerischen Mann zusammen. Er ist Anfang
der 90er-Jahre aus seinem Land ge-
flüchtet, als dort ein Bürgerkrieg ausbrach.
Wir haben zwei Kinder, inzwischen zehn
und 14 Jahre alt, die wir ganz bewusst zwei-
sprachig erzogen haben, denn mein Mann
hat immer klargemacht, dass er gern in
sein Land zurückkehren würde. Diesem
Wunsch stand ich von Anfang an positiv
gegenüber. Ich betrachtete es als Berei-
cherung für mich und die Kinder, wenn wir
irgendwann nach Algerien ziehen würden.
Vor vier Jahren haben wir den Plan dann
verwirklicht. Seitdem wohnen wir in einem
Vorort von Oran, der zweitgrößten Stadt
des Landes. Doch eigentlich fange ich erst
jetzt an, mich richtig einzugewöhnen.
Unser Schritt war nämlich eine viel größere
Veränderung, als ich mir vorgestellt hatte.
In den Niederlanden habe ich freiberuflich
gearbeitet, hatte eine junge Familie und
lebte von Deadline zu Deadline. Mein
1 2
Leben war voll durchorganisiert, und ich
liebte das: To-do-Listen machen und
abhaken. Ich war nicht darauf vorbereitet,
dass ich mit dem Planen nicht so weit
kommen würde in Algerien. Die Leute hier
leben im Grunde von einem Tag auf den
anderen. Das bestimmt den gesamten
Alltag und die Art und Weise, wie das Zu-
sammenleben organisiert ist.
Es begann bereits im ersten Monat nach
unserem Umzug. Im Kopf hatte ich mir un-
ser neues Leben genau ausgemalt. Aber
nichts lief so, wie ich es mir gedacht hatte.
Ich regte mich über alles auf, was nicht gut
geregelt war. Manchmal schäme ich mich
heute dafür, wenn ich meine Tagebücher
lese. Irgendwann blieb mir nichts anderes
übrig, als loszulassen. Und inzwischen
genieße ich die guten Seiten. Das Leben
hier folgt einem langsameren Rhythmus,
und die Menschen haben nicht so schnell
das Gefühl, zu kurz zu kommen. Ich habe
die Kunst des Improvisierens wieder gelernt.Mit erstaunlichem Ergebnis: Seit ich
flexibler sein muss, bin ich aufmerksamer
und kreativer geworden.
DIE DINGE LAUFEN LASSEN
Inzwischen wundere ich mich nicht mehr,
wenn der Strom ein paar Stunden ausfällt,
einen halben Tag lang kein Wasser aus
der Leitung kommt oder die Internetverbin-
dung nur träge oder gar nicht funktioniert.
Früher wäre ich darüber vollkommen aus
der Fassung geraten, heute lege ich ge-
danklich den Schalter um und mache vor-
übergehend etwas anderes. Algerier haben
dieses Verhalten verinnerlicht. Sie zucken
nicht einmal mit der Wimper, wenn etwas
nicht so klappt wie erwartet. Sie sind von
klein auf daran gewöhnt, dass die Dinge so
laufen, wie sie eben laufen. Als Muslim
lernst du, dass dein ,Qadr‘ – am besten
vielleicht mit ,Schicksal‘ zu übersetzen –
bereits feststeht und von Gott so bestimmt
wurde, um dich zu prüfen. Bist du dankbar
und teilst mit anderen, wenn das Leben
es gut mit dir meint? Akzeptierst du
Schicksalsschläge, weil du weißt, dass du
dadurch ein besserer Mensch werden
kannst? Das Bewusstsein, dass du dein
Leben nur bis zu einem gewissen Grad
selbst bestimmen kannst, ist stark aus-
geprägt. Termin kalender verwendet man
hier nicht. Früher, in unserer alten Heimat,
verstand ich nie, warum mein Mann alle
Verabredungen auf kleinen Zetteln notierte.
Heute weiß ich, dass es eine Zwischen-
form war, die für ihn funktionierte. In
Algerien macht man keine Termine, schon
gar nicht telefonisch. Auch nicht bei
Behörden: Du gehst einfach hin, wenn du
Zeit hast, und schaust mal, ob du dran-
kommst. Wenn du dich darauf ein lassen
kannst, ist das eine sehr entspannte Art zu
leben. Es dauerte eine Weile, bis ich be-
griffen hatte, dass auch von mir gar nicht
so viel erwartet wird. Es herrscht einfach
bei allen Dingen weniger Druck.
48 _ Feel connected
4
3
Meine Freundin Zahira, die in Algerien
geboren ist und schon seit mehr als
zehn Jahren in den Niederlanden wohnt,
erlebte den Kulturschock andersherum.
Sie wusste anfangs gar nicht, wie ihr
geschah: die zahlreichen Termine, Leute,
die konsequent nach der Uhr leben und
dich schief ansehen, wenn du ihre Regeln
nicht zu begreifen scheinst. Sie vermisste
das ,Makensj moeskiel‘, was so viel heißt
wie ,Kein Problem!‘. Damit meinen die Leute
hier, dass sich schon alles finden wird.
Inzwischen empfindet Zahira die west-
europäische Klarheit als sehr angenehm.
Aber wenn sie bei ihren Eltern Urlaub macht,
so hat sie mir erzählt, findet sie es dann
doch wieder herrlich, sich auf das weniger
durchorganisierte Leben einzulassen und
einfach abzuwarten, was kommt.
MIT DEM STROM SCHWIMMEN
Was mir hier am meisten fehlt, ist die Ge-
wissheit, dass man das, was man einfach
braucht, ruck, zuck beschaffen kann, seien
es Dinge oder Informationen. Außerhalb
der eigenen vier Wände bist du in Algerien
permanent von einem guten Netzwerk
abhängig. Es ist bisher kaum möglich, im
Internet einzukaufen oder etwas zu recher-
chieren. Wenn du etwas suchst, fragst du
andere Leute und hoffst, dass dir jemand
den richtigen Tipp geben kann. Bekommst
du ausnahmsweise sofort die richtige
Information, ist das ein Glückstreffer. Fast
alles geht um fünf Ecken, und es gibt immer
jemanden, der jemand anderen kennt,
der … – so bekommst du irgendwann, was
du brauchst. Es ist eher eine organische
Art von Leben, was auch dadurch verstärkt
wird, dass die Familien viel größer sind und
mehrere Generationen zusammenleben.
Ich kenne zahlreiche Frauen, die ein paar
Jahre, nachdem sie ihr letztes Kind gebo-
ren haben, bereits Oma wurden. In solch
einer Familie bist du viel weniger Individuum.
Alles dreht sich darum, was für die Sippe
wichtig ist. Deine Meinung wird zwar ge-
hört, ist aber nachrangig. Die Bereitschaft,
mit dem Strom zu schwimmen, nimmst
du quasi mit der Muttermilch auf.
Auch was das Essen betrifft, musste ich
mich umstellen. Da es hier keine großen
Supermärkte gibt, leben wir ohne Fertig-
1. So ruhig kann es in Irenes Wohnviertel sein
2. Überraschung! Käse gibt es in Algerien auch
3. Die Kathedrale von Oran dient heute als
Bibliothek
4. Irene Schippers hat in Algerien gelernt, mit
dem Strom zu schwimmen
gerichte und vorgewaschenen Salat in
Tüten. Es gibt auch keine exotischen Früch-
te wie Mango und Kiwi. Die Läden in den
Wohnvierteln sind schmale Schläuche,
bis zur Decke vollgestopft mit Standard-
produkten wie Kaffee, Reis, Milch, Limona-
de und einer kleinen Vitrine auf der Theke
mit losen Süßigkeiten für die Kinder.
Niemand kocht hier etwas aus der Dose.
Du lernst schnell, alles selbst zu machen.
Auf dem Markt kaufst du direkt von den
Bauern und isst das Obst und Gemüse,
das auf ihren Feldern gerade wächst –
frisch und aus ökologischem Anbau, nur die
Auswahl ist begrenzt. Ich habe gelernt, mit
dem zu kochen, was es gibt, während ich
früher im Supermarkt nach den Produkten
gegriffen habe, auf die ich Appetit hatte.
EIN LAND MIT WECHSELVOLLER VERGANGENHEITAlgerien war 140 Jahre lang französische Kolonie, bis es 1962 nach einem acht
Jahre dauernden Unabhängigkeitskrieg eigenständig wurde. 1991 erlebte es als
erstes Land in Nordafrika einen Arabischen Frühling — die sogenannte Islamische
Heilsfront übernahm damals die Führung. Der darauf folgende Bürgerkrieg endete,
als Präsident Abdelaziz Bouteflika mit Unterstützung des Militärs 1999 an die
Macht kam. Trotz bestehender politischer, wirtschaftlicher und sozialer Defizite
und massiver Korruption herrscht seither immerhin eines: Stabilität.
Mit knapp 2,4 Millionen Quadratkilometern ist Algerien das größte Land Afrikas.
Es ist fast sieben Mal so groß wie Deutschland, hat aber nur halb so viele Ein-
wohner. Die großen Städte liegen in den fruchtbaren Küstenregionen am Mittel-
meer, das übrige Land erstreckt sich über die Sahara, dessen enorme Gas- und
Erdölvorkommen einen Großteil des algerischen Exportvolumens ausmachen.
_ 49
2
1
„ Wenn es draußen zu warm ist, wird dasArbeitstempo zurückgedreht, und niemandhat deswegen ein schlechtes Gewissen“
Wir essen das Obst, das Saison hat, und
wenn wir genug davon haben, beginnt auch
schon die nächste Ernte, und wir genießen
den Geschmack einer anderen Frucht.
FESTER LEBENSRHYTHMUS
In den kleinen Städten und Dörfern ist
der Alltag um die fünf festen Gebetszeiten
herum organisiert. Essens- und Laden-
öffnungszeiten sind auf die Mittags- und
Abendgebete abgestimmt. Besuche machst
du nicht kurz vor einem Gebet, sondern
danach. Seit 15 Jahren bin ich Muslimin.
Hier am frühen Morgen vom ,Adhan‘,
dem Gebetsruf, geweckt zu werden, daran
musste ich mich aber erst gewöhnen.
In unserer Gegend sind vier oder fünf
Moscheen in Hörweite, und die Gebetsrufe
ertönen nicht ganz simultan. Es ist wie ein
Echo, das rundherum erklingt – ein beson-
deres Hörerlebnis. Der feste Rhythmus
im Alltag schafft viel Ruhe und gibt Halt im
sozialen Leben. Ich merke, dass ich nicht
mehr wie früher irgendwo hängen bleibe.
Denn das nächste Gebet ist immer ein guter
Moment zu gehen, ein ganz natürlicher
Abschluss. Das wirkt auf mich wie eine
Meditation oder Achtsamkeitsübung.
Die Essenszeiten sind heilig, ansonsten hat
jeder seine Freiheit. Wenn es draußen zu
warm ist, wird das Arbeitstempo überall
zurückgedreht, und niemand hat deswegen
ein schlechtes Gewissen. Jeder ist auf
unerwarteten Besuch gefasst. Das Alltags-
leben wird dann angehalten, und der
Gast steht im Mittelpunkt. Schnell wird aus
den vorhandenen Vorräten eine Mahlzeit
gezaubert, darin sind die Leute hier sehr
geschickt. Oder es wird im Laden um die
Ecke noch fix etwas zusätzlich eingekauft.
Jeder Haushalt hat einen Extraschrank
mit Geschirr für Gäste und einen Stapel
Matratzen, Laken und Decken für Über-
nachtungsbesuch. Ich bin in dieser Hin-
sicht noch nicht die perfekte Gastgeberin,
aber ich werde immer besser.
Von einem auf den anderen Tag zu leben
bedeutet auch: Du lebst heute, und ob es
ein Morgen gibt, weißt du noch nicht. Denn
eines Tages kommt der Tod. Und auch
mit dem geht man hier ganz anders um. Ist
ein Muslim gestorben, wird er gewaschen
und in ein Leichentuch gewickelt und meis-
tens noch am selben Tag – häufig auf einer
Tragbahre und nicht in einem Sarg – zu
1. Im Zentrum erinnert die Architektur
vieler Häuser noch an die Kolonialzeit
2. Die Landschaft im Nordwesten
Algeriens, dem Teil des Landes, in dem
Oran liegt, ist karg, aber wunderschön
Fuß zum Friedhof gebracht. Die Männer
schaufeln das Grab selbst und schütten es
auch wieder zu. Es ist eine sehr physische
Art des Trauerns, mit einem direkteren
Kontakt zu dem Verstorbenen. Muslime
glauben an das Jenseits. Sie sehen den Tod
also nicht als definitives Ende. Das Begra-
ben ist deshalb einfach eine praktische
Abwicklung des irdischen Daseins eines
Menschen, nicht mehr und nicht weniger.
NÄHER ZUSAMMENRÜCKEN
Vor Kurzem habe ich noch einmal ein Buch
übers Auswandern gelesen, das mir meine
Mutter geschenkt hat, als wir nach Algerien
gezogen sind. Der Autor berichtet darin
sehr offen und ehrlich über den Neustart
seiner Familie in Neuseeland. Er be-
schreibt, wie du in einem fremden Land
viel mehr auf deine Familie angewiesen
bist und wie dich das in gewisser Weise
sehr stark macht. Denn gemeinsam
schaffst du es an diesem anderen Ort auf
der Welt. Du rückst näher zusammen.
Viele Erfahrungen in dem Buch stimmen
mit meinen überein, trotz großer Unter-
schiede zwischen den Ländern und dem
Motiv für den Umzug. Lächeln musste
ich bei der Beschreibung der Eigenheiten
des neuen Landes, die du nicht verstehen
kannst oder willst. Und auf die du dich
trotzdem einlassen musst, sonst schaffst
du es nicht. Allen Auswanderern geht es
also offensichtlich ein Stück weit ähnlich.
Es war gut, sich das einfach wieder einmal
bewusst zu machen.“ ● TEXT IRENE SCHIPPERS FOTO GETTY IMAGES, IRENE SCHIPPERS50 _ Feel connected
CLEAN, GESUND & GLÜCKLICH
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Das ganzheitlicheCLEAN-EATING-PROGRAMM
Für Kristin Woltmann, Autorin des beliebtenBlogs EAT TRAIN LOVE ist Clean Eating keinschnelllebiger Ernährungstrend, sondern einlangfristiger Lebensstil. Im Zentrum ihresKonzepts steht der Körper als Tempel derSeele: Kümmere dich gut um deinen Kör-per, dann erstrahlt auch bald dein Inneres inneuem Glanz. Zu dieser bewussten Reise fürKörper, Geist und Seele lädt Kristin mit ihrenmotivierenden Tipps, kreativen Rezeptenund wohltuenden Yoga-Flows ein.
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Kolumne
ÜberrolltHuch, was war das denn?! Merle Wuttke ist
manches Mal regelrecht erschrocken, wenn das
Glück sie hinterrücks überfällt und mal so
eben durchschüttelt. Etwas peinlich ist ihr das
große Gefühl auch. Aber warum eigentlich?
Das Wochenende verbrachten wir in unserer Hütte am See.
Spät am Abend, als das Lachen, Schreien und Planschen der
Tagesgäste verstummt war und alle wieder mit ihren Gummi-
booten und Grills nach Hause gefahren waren, schwamm
ich ganz allein inmitten dieser riesigen spiegel glatten Fläche.
Ich lag auf dem Rücken und schaute mir die Wolken an.
Und wie eine Katze, die einem ganz plötzlich auf die Schulter
springt, saß das Glück auf einmal in und oben auf meinem
Kopf. Darüber war ich so erschrocken, dass ich erst mal
jede Menge Wasser schluckte und mit den Beinen im dunklen
See herumstrampelte. Ich bin alles andere als ein sentimen-
taler Typ, aber gegen die Wucht, mit der mich dieses Gefühl
in dem Augenblick erwischte, kam ich nicht an.
Hätte ich nicht schon Wasser vom Prusten in den Augen
gehabt, hätte ich beinahe angefangen zu weinen vor lauter
schrecklich-schöner Glückseligkeit, die von unten nach
oben in mir aufstieg. Hier, mitten auf dem See, hätte ich mich
das sogar getraut – allein und unbeobachtet, wie ich war.
Sonst schäme ich mich nämlich für Gefühle. Ist ja oft auch
ein wenig gemein, man sitzt da irgendwo nichts ahnend am
Strand, im Park oder in der Sandkiste – und plötzlich stülpt
sich das Glück mit einer solchen Kraft über einen, dass man
anfängt zu heulen. Insgesamt ist diese Lawine an Emotion
immer ziemlich erschöpfend für den Menschen. Für mich jeden-
falls. Weil so unfassbar viel gutes Gefühl auf einmal eben
auch anstrengt. Es macht halt so weich. Ist aber gleichzeitig
natürlich total und absolut großartig und erhebend.
Um nicht ganz so hilflos dem Glück gegenüber dazustehen,
habe ich mal versucht, ein Resümee zu ziehen, wann und
wie oft es mich so überrollt. Und – war ja klar – es passiert
immer genau in den Momenten, in denen das Leben sich von
seiner ziemlich einfachsten Seite präsentiert. In denen man
von ihm nichts will, außer dass es bestenfalls möglichst lange
so bleibt, wie es gerade ist. In denen einen nichts drängt,
weder äußerlich noch innerlich, in denen man – ist.
Zenbuddhisten und Achtsamkeitserfahrene kennen und
wissen das natürlich alles. Ich im Prinzip auch. Schreibe ja oft
genug darüber. Und trotzdem: Es fällt mir schwer, die Glück-
seligkeit des Augenblicks auszukosten. Ich (und da bin ich bei
Weitem nicht die Einzige) kann die schlichte Großartigkeit
des Lebens, der Natur, der Liebe oft kaum aushalten, ohne
mich gleich wieder davon zu distanzieren. Der Grund? Ich
habe Angst, mich lächerlich zu machen. Deshalb flüchte ich
mich in die Ironie, reiße schnell einen Witz. Und gerate in
Situationen, in denen es damit mal nicht klappt, mächtig ins
Strudeln. Forscher haben herausgefunden, dass es sogar
eine regelrechte „Fear of Happiness“ gibt. Und rein evolutionär
betrachtet, ergibt es durchaus Sinn, dass wir nicht auf das
Glück achten, sondern stattdessen auf mögliche Gefahren.
Schließlich mussten unsere Vorfahren in der Steinzeit ständig
auf der Hut sein (vor Bären, Säbelzahntigern und anderen
Naturgewalten). Angst sicherte ihnen das Überleben.
Doch ich muss vor keinem Säbelzahntiger mehr flüchten.
Deswegen versuche ich ab jetzt, die Ironie sein zu lassen und
mir das Gefühl zurückzuholen. Mir voller Pathos die Wolken
am Himmel anzuschauen, nie wieder den Kitsch zu verspotten
und kaum mehr Angst vor dem Glück zu haben. ●
Einige ihrer Freunde schauen Merle Wuttke (40) jetzt manch-
mal merkwürdig an — weil sie nicht ahnten, dass sie doch so
rührselig sein kann. Merle trägt’s mit Fassung
52 _ Feel connected
LIVE MINDFULLY
Auch die Brillenpinguine watschelten im Tierpark Artis
einst frei herum. Heute gilt dort: Wenn einem Tier keine
artgerechten Bedingungen geboten werden können, wird es
erst gar nicht in den Zoo aufgenommen. Das Foto auf der
Vorderseite stammt aus dem Winter des Jahres 1963. FOTO (VORDERSEITE) HARRY POT/ANEFO/NATIONAAL ARCHIEF ILLUSTRATION (RECHTS) MAJA SÄFSTRÖM
DER HAUSSPERLINGHaussperlinge, auch Spatzen genannt, halten sich gern dort
auf, wo Menschen wohnen, denn Häuser bieten ihnen gute
Möglichkeiten zum Nisten. Auf Bauernhöfen finden sie Futter,
das sie besonders gern mögen, wie etwa Getreidekörner. Haus -
sperlinge leben gesellig und ziehen das ganze Jahr in kleinen
Trupps umher. Leider gehen seit einigen Jahren die Bestands -
zahlen stark zurück, weil moderne oder sanierte Gebäude kaum
noch Nischen bieten, die sich als Brutplatz eignen. Deshalb
steht der Spatz auf der Vorwarnliste der gefährdeten Arten.
_ 55
LivemindfullyLeben im Hier und Jetzt
Wie bitte?Wenn wir alles um uns vergessen
wollen, sollten wir ein spannendes
Buch aufschlagen. Forscher des
University College London fanden
heraus, dass wir viel weniger von
unserer Umwelt wahrnehmen,
wenn wir in eine Lektüre vertieft
sind. Sie vermuten, dass unser
Gehirn beim Hören und Sehen die
gleichen neuronalen Ressourcen
nutzt. Und wenn der eine Sinn
viele dieser Nervenzellen benötigt,
bleiben für den anderen nur noch
wenig Kapazitäten übrig. Die
Forscher nennen das „Taubheit
durch Unaufmerksamkeit“.
In FeierstimmungWir machen uns das Leben bunter und holen uns Papierpompons ins Haus. Mit
viel Liebe hatten Irka Fürle und Marcell Hüttner die puscheligen Bällchen als Deko
für ihre Hochzeit gebastelt. Dann wollten immer mehr Leute solche Pompons,
und die beiden gründeten eine Manufaktur. Verwendet wird nur komplett recycle-
und biologisch abbaubares Seidenpapier. pompom-manufaktur.de, ab 2,50 Euro
Datum
Wie heuteruhe gefunden?
hastdu innere
Was deinedrei Highlights
Tages?des
waren
Wofür bistduDankbar?
BlauesWunderIn einem Berghotel
in Österreich fand Unternehmer
Michael Acton Smith zu Medi-
tation und Achtsamkeit. Mit dem
Büchlein Calm (Knaur Balance,
18 Euro) will er uns helfen, täg-
liche Ruherituale zu entdecken.
Auch App und Website laden
zum Inne halten ein. Schon beim
Blick auf den Bildschirm ent-
spannen wir: ein tiefblauer See,
dazu die Geräusche der Natur.
calm.com, die App Calm für
Android und iOS ist kostenlos
Licht im GlasDie Sonne einfangen? Mit der
Solarlampe im Einmachglas geht
das. Eine Solarzelle und LED-
Lämpchen im Deckel des Glases
arbeiten zusammen: Tagsüber
speichert die Zelle Sonnenenergie,
abends spendet das Lämpchen
stundenlang Licht. Was ins Glas
kommt, entscheiden wir: Mu-
scheln, gepresste Blüten, Bonbons.
Hergestellt werden die Gläser
in Handarbeit in Südafrika, so
fanden 55 Menschen einen Job.
29,90 Euro, sonnenglas.net
56 _ Live mindfully
TEXT ANGELIKA DIETRICH FOTO GETTY IMAGES, LAURA JUNGMANN & CORNELIUS RÉER, FELIX MATTHIES
Hallo... Echo...Klangvolle Idee: Auf der Web-
site echotopos.ch finden sich
lauter Orte, an denen sich die
besten Echos erzeugen lassen.
Man klickt sich durch die Berge,
und es juchzt und echot einem
fröhlich entgegen. Wer einen
tollen Echoplatz kennt, kann ihn
melden. Und in einem Tutorial
lernt man sogar, wie man am
besten in den Berg ruft.
Neu geformtEin gutes Beispiel dafür, dass es
sich lohnt, Glasmüll zu sammeln,
sind die kleinen Kunstwerke aus
der Serie „Same, same. But
different“ von Produktdesignerin
Laura Jungmann, ursprünglich
entworfen für ihre Diplomarbeit.
Sie werden alle aus alten Mineral-
wasser-, Bier- und Weinflaschen
hergestellt. Über samesame-
shop.de, 2 Gläser 34 Euro
Honig von nebenanSeit fast fünf Jahren imkert Viktoria Schmidt (28).
Weil sich in ihrem Keller die Honiggläser stapelten,
überlegte sich die Münchnerin ein Modell, wie man
Honig zeitgemäß und bequem vermarkten könnte.
Entstanden ist Near Bees, eine Plattform für Honig
vom Imker um die Ecke. Mehr als 400 haben sich
hier inzwischen registriert. Und auf nearbees.de kann
man einen Imker in seiner Nachbarschaft suchen
und dessen Honig bestellen. Das fördert die regionale Imkerei und schützt so
auch die Bienen. Der Honig kommt in flachen Nachfüllpackungen per Post oder
wird vom Imker persönlich vorbeigebracht. Tüte (400 g) ab ca. 8 Euro
“Briefe sind für mich Zeit, die ichmit jemandem verbringe, den ich
schätze, ein geschriebenes Gespräch.Ich wähle das Papier aus, den
richtigen Moment und den Raum, indem ich schreiben möchte. Ich
denke dabei an den anderen, daran,was ich ihm erzählen, mit ihm
teilen möchte. Für ein paar Stundenbin ich so mit ihm zusammen.“
Das sagt die spanische Autorin und passionierte Briefeschreiberin
Ángeles Doñate. Der schönste Grund, Briefe zu schreiben heißt ihr Roman.
Um zu verhindern, dass das Postamt geschlossen wird, setzt eine Dorf-
bewohnerin eine ungewöhnliche Briefkette in Gang. Thiele Verlag, 20 Euro
_ 57
Gerade wenn man die Weisheitam nötigsten braucht, kann mansie oft nicht finden
58 _ Live mindfully
Philosophie
Wie wird man einWEISER MENSCH?
Oft hören wir, dass Weisheit mit den Jahren kommt. Doch man braucht gar nicht alt zu
werden, um sie zu erlangen, wie Caroline Buijs herausgefunden hat. Hier schreibt sie über
ihre Erkenntnisse und warum es hilfreich ist, einfach öfter in sich hineinzuhören
Die erste weise Person, diemir als Kind begegnete,war eine Romanfigur: derEinsiedler Menaures aus
dem Jugendbuch Der Brief für den Königvon Tonke Dragt. Die Figur ist genausobeschrieben, wie man sich einen weisenMenschen vorstellt, das hat mich tiefbeeindruckt: „In der Tür öffnungerschien ein magerer alter Mann,gehüllt in ein Gewand aus grobemgraublauem Stoff. Seine langen,welligen Haare und der Bart warenschneeweiß, seine Miene freundlich,ruhig und weise. Sehr alt muss ersein, dachte Tiuri. Ihm war, als würdeder Einsiedler nach einem einzigenkurzen, forschenden Blick alles ver-stehen, sodass er ihm nichts mehr zuerzählen brauchte.“ Auch die rätsel-hafte Antwort von Menaures wecktemein Interesse: „,Und was bringt euchhierher?‘, fragte der Einsiedler. ‚Wassucht ihr? Etwas, was ich euch gebensoll? Ich kann euch nur beim Suchenhelfen: Finden müsst ihr es selbst.‘“
MIT UNSICHERHEIT UMGEHEN
Finden müsst ihr es selbst … Damitist präzise zusammengefasst, warumwir alle uns gelegentlich nach etwas
Weisheit sehnen. Wir alle müssenunser Leben selbst gestalten, undmanchmal haben wir keine Ahnung,wie das gelingen soll. Gebe ich dierichtigen Antworten und Ratschläge,wenn mich meine Kinder fragen?Ist es wirklich weise, diese oder jeneFreundschaft zu vernachlässigen?Sind die Lebensumstände, in denenich lebe, gut für mich und andere?Kein Wunder, dass es in der Gesell-schaft bei all den Unsicherheiten einzunehmendes Interesse an philoso-phischen Fragen gibt. Das zeigt etwader Erfolg von Einrichtungen wieder internationalen School of Life oderder Modern Life School in Hamburg,die uns in Lebenskunst, Achtsamkeitund ethischem Denken schulen.
Laut dem Psychologen Marcelino Lopezhat die wachsende Sehnsucht nachWeisheit auch damit zu tun, dass wirzwar mit einer enormen Zunahme anWissen konfrontiert sind und un-glaubliche technische Möglichkeitenhaben, gleichzeitig aber merken, dassuns das alles nicht glücklicher oderkompetenter macht. „Wir haben mehrFreiheiten und Möglichkeiten denn je,finden es zugleich aber schwieriger,
Trotz ihres eindringlichen Blicks sind Eulen nicht weiser als andere Vögel _ 59
„ Weise Menschen versuchen, das Verhaltenihrer Mitmenschen zu verstehen, anstattes zu verurteilen“
Bedeutung und Tiefgang zu finden. Wirspüren unbewusst, dass etwas fehlt“,sagt Lopez. Er glaubt, dass die Men-schen immer auf der Suche nach Weis-heit sind, erst recht in kompliziertenZeiten: „Je unübersichtlicher oderveränderlicher die Situation erscheint,desto größer wird dieses Bedürfnis.“
ALTER SPIELT KEINE ROLLE
Einen langen weißen Bart wie derEinsiedler Menaures muss man nichttragen, um etwas Weisheit zu besitzen,so viel ist klar. Aber: Was ist Weisheitgenau? Wenn ich das besser verstehe,kann ich mir von dieser Kunst viel-leicht etwas abgucken. Die Psycholo-gen Paul Baltes und Ursula Staudingerhaben vor einigen Jahren untersucht,was weise Menschen kennzeichnet.Sie legten zwei Gruppen von Personeneine Reihe von Fragen vor. EineGruppe bestand aus „Nominierten“ –Personen des öffentlichen Lebens,die von einer Jury vor der Studie als„besonders weise“ ausgewählt wurden.Die zweite Gruppe bestand aus erfolg-reichen Menschen (zum BeispielWissenschaftlern), die nicht als aus-drücklich weise bezeichnet wordenwaren. Die Forscher legten beidenGruppen verschiedene Aufgaben vor.Beispielsweise sollte man auf einenAnruf von einem Freund reagieren,der sich das Leben nehmen will. Oderman sollte einer Person, die alt istund im Leben nicht alles erreicht hat,was sie wollte, eine weise Antwort auf
ihr Dilemma geben. Baltes undStaudinger ließen die TeilnehmerTexte schreiben und werteten siedanach aus. Ergebnis: Weisheit hatnichts mit dem Alter zu tun. Ob erst30 oder bereits 75, fanden sich inallen Altersstufen gleicher maßenweise und weniger weise Menschen.Sie folgerten daraus, dass manWeisheit nicht allein durch Lebens-erfahrung erwirbt. Wichtig ist, ausden Lektionen, die das Leben einemerteilt, zu lernen. Anders gesagt:Wer aus Fehlern, Konflikten undKrisen Schlüsse zieht, wird mit derZeit die Welt in einem größerenKontext sehen – und weiser werden.
ICH SEHE GRAU
Staudinger und Baltes entwickeltenauf der Basis ihrer Studien eine ArtKriterienkatalog für weises Handelnund Denken. Als ich mich darinvertiefe, finde ich vieles recht abstrakt,aber zu einigem fällt mir eine Personaus meinem Leben ein, die ich immersehr weise fand: Frau Hilster, eineherzliche ältere Dame, der ich inmeiner Studentenzeit im Haushalthalf. Trotz zahlreicher Gebrechenbesaß sie einen unglaublichen Sinnfür Humor, hatte etwas Schalkhaftesund Selbst bewusstes, das mich alsdamals 20-Jährige faszinierte. In ihrerWohnung gingen die Leute ein undaus, man diskutierte lebhaft überPolitik oder die Nachbarschaft. Dochwenn die anderen gegangen waren,
WEISHEIT INS GESICHT GESCHRIEBENDer amerikanische Fotograf Andrew Zuckerman hat in
seinem Bildband Weisheit 50 Persönlichkeiten porträtiert, die
er für weise hält, von Clint Eastwood bis Jane Goodall.
sagte Frau Hilster oft verschmitzt zumir: „Aber es gibt eben immer nochdie andere Seite der Medaille.“
Ich habe damals gespürt, dass es sichnicht nur um einen locker dahinge-sagten Spruch, sondern eine Haltunghandelte – und sie mir gemerkt. Undtatsächlich schreiben auch die For-scher, dass weise Menschen das Lebenin Grautönen betrachten und nichtin Schwarz und Weiß. Sie verfügenüber die Fähigkeit, zwei diametralentgegengesetzte Ansichten gleich-zeitig vor Augen zu haben und sindsich im Klaren, dass jedes Ding zweiSeiten hat. Oder, wie der britischePhilosoph Bertrand Russell einmalsagte: „Das Problem mit dieser Weltist, dass Verrückte und Fanatiker ihrerselbst immer so sicher sind und weiseMenschen so voller Zweifel.“
VERSTEHEN STATT VERURTEILEN
Ein weiteres Ergebnis von Baltes undStaudingers Studien besagte, dassweise Menschen in der Lage sind, dieBalance zwischen eigenem und ge-meinschaftlichem Interesse zu finden:Weisheit und Egozentrik passen nichtzusammen. Auch hier ist Frau Hilsterein gutes Beispiel. Da die alte Damedie Welt von ihrem Lehnstuhl ausdurch die Fenster betrachtete, muss-ten sie stets blitzblank sein. Alle zweiWochen musste ich sie von oben bisunten putzen. Auch das Badezimmersollte blinken. Nur durch die Kücheging sie auch gern selbst mit demLappen. Meist war ich schon einehalbe Stunde vor dem Ende meinerArbeitszeit fertig, doch nie suchte sieZusatzaufgaben, sondern schicktemich stattdessen mit freundlichenWorten nach Hause. Vertraglich stan-den mir zehn Minuten Kaffeepausezu, aber daran hielt sich Frau Hilsternicht. Warum nur zehn Minuten,
60 _ Live mindfully
TEXT CAROLINE BUIJS, ANNE OTTO FOTO SHUTTERSTOCK ILLUSTRATION BODIL JANE
wenn eine halbe Stunde doch vielgemütlicher ist? Sozialer Kontakt warfür sie genauso wichtig wie einesaubere Wohnung. Sie interessiertesich für mein Leben, meine Familie,meinen Freund – zehn Minutenreichten ihr dafür nicht. Auch diesesVerhalten beschreiben Baltes undStaudinger bei weisen Menschen:Sie hinterfragen Regeln und akzeptieren sie nicht einfach.
ETWAS MEHR TOLERANZ
Zu guter Letzt stellten Baltes undStaudinger fest, dass weise Menschenversuchen, das Verhalten andererzu beobachten und zu verstehen. Ofturteilen wir ja automatisch überunser Gegenüber, um Menschen inGut und Böse einteilen zu können.Doch will man weise sein, sollte mandiesem Impuls widerstehen. Versuchtman, sein Gegenüber zu verstehen,kann man auch bessere Ratschlägeerteilen und selbst sinnvollere Entscheidungen treffen. Wenn FrauHilster im Sommer im Lehnstuhl vordem offenen Fenster saß, zog die ganzeNachbarschaft vorbei. „Caroline“,sagte sie dann, „wenn ich einen Vormittag lang hier sitze, bin ich mit demKlatsch auf dem Laufenden.“ Dereine Nachbar war noch nicht weg, dastand schon der nächste bereit, umein Urteil über denjenigen zu fällen,der gerade gegangen war. Doch imGrunde interessierte Frau Hilster derTratsch nicht, sie hörte nur zu.
Und etwas anderes konnte sie gut,nämlich humorvoll akzeptieren, dasses mit ihrer Gesundheit nicht zumBesten stand, sie sagte nur: „Mankann doch nicht die ganze Zeit denKopf hängen lassen.“ Dieses Verhaltenbeschreibt Psychologe MarcelinoLopez als weise: „… das Umgehenkönnen mit den unvermeidlichen
Beschränkungen, dem Chaos undSchmerz des Lebens, ohne zynisch zuwerden und ohne das Leid sofortungeschehen machen zu wollen. Dazugehört, dass man sich in gewissemMaße damit abfindet. Das genießen zukönnen, was ist, ohne die ganze Zeitan der Gegenwart schrauben und sieneurotisch verbessern zu wollen.“
INNERE WEISHEIT
Vielleicht besitzen wir im Inneren vielmehr Weisheit, als wir selbst erkennen.Doch wir vergessen, darauf zu hören,weil wir zu beschäftigt sind. Manchmal scheint es sogar so zu sein, dasswir die Weisheit gerade dann nichtfinden können, wenn wir sie nötigbrauchen. Mir hilft es immer, mich zufragen: Was würde ich jetzt einerFreundin sagen, wenn diese sich mitdem Problem an mich wenden würde?Oft fällt einem so die Antwort ein.Die Psychologin Elaine Aron sagt darüber Folgendes: „Hast du nie einenanderen getröstet, jemandem etwasbeigebracht oder geraten? Hast du niedie Frage eines Kindes beantwortet?In dem Moment, in dem du das getanhast, sprach dein weises Ich. Nur:Diese Weisheit ist nicht perfekt. Angenommen, du würdest das glauben,dann wärest du nicht weise.“
Und Arianna Huffington widmet inihrem Buch Die Neuerfindung des Erfolgs derWeisheit ein ganzes Kapitel. Auch sieglaubt, dass jeder Mensch innereWeisheit besitzt: „Unsere moderne,rundum vernetzte Welt baut Hindernisse zwischen uns und unserer Intuition auf. Berge von Mails, die ständigen Signale unserer Smartphones, dieständige Hektik sind lauter Gründe,warum wir unsere innere Stimmenicht mehr hören.“ Dabei stellt lautHuffington die Intuition eine tiefeQuelle der Weisheit dar. „So etwas hatjeder schon einmal erlebt: ein Vorgefühl, eine Eingebung, eben unsereinnere Stimme, die uns sagt, was wirtun oder besser lassen sollten.“
Doch um diese Stimme zu hören,ist es notwendig, auch mal die Stillezu suchen, durch einen Spaziergangin der Natur oder durch Meditation.Oder indem man tagträumt, wie FrauHilster damals in ihrem Lehnstuhl.Wie sagt der Einsiedler Menaures inmeinem Kinderbuch? „Auch wennich weit weg wohne, so kenne ich dochdie Welt am Fuß der Berge. Ich höremanchmal Neuigkeiten von vorbeiziehenden Pilgern, und noch mehrvernehme ich durch meine stillenÜberlegungen.“ Wie weise.
Im Weisheitstraining des Netzwerks Ethik kann man lernen, einen ganzheitlichen und vorurteilsfreienBlick auf die Welt zu entwickeln. Mehr unter ethik-heute.org/events/weisheitstraining _ 61
DAS1000-FRAGEN-
AN-DICH-SELBST-BÜCHLEIN
Sich selbst einschätzen: zu wissen, worin man gut ist, was manverändern möchte, wovor man Angst hat – das ist gar nicht so einfach.
Doch je besser wir über uns Bescheid wissen, desto leichter fällt es,unser Leben zu organisieren und Entscheidungen zu treffen. Deshalb
kamen wir auf die Idee, ein 1000-Fragen-Büchlein zu machen,mit dem du auf Selbsterkundungstour gehen kannst.
Was isst du zum Frühstück, welchen Akzent magst du, wovonträumst du, was bedauerst du? Wir haben uns unbeschwerte Fragen
ausgedacht, aber auch solche, über die du wahrscheinlich einwenig länger nachdenken wirst. Schlage einfach von Zeit zu Zeit das
Büchlein auf und beant worte einige Fragen – entweder derReihe nach oder kreuz und quer, ganz wie du Lust hast. Und jedes
Mal erfährst du ein bisschen mehr über dich selbst.
Die Illustrationen stammen von Bodil Jane (bodiljane.com)
ILLUSTRATION BODIL JANE62 _ Live mindfully
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Zeitgeist
Wir sind täglich einer Flut vonInformationen ausgesetzt, unserGehirn arbeitet ständig, ist oftüberanstrengt. Der amerikanischeNeurowissenschaftler und Psycho-logieprofessor Daniel J. Levitinist aber überzeugt, dass wir es ganzeinfach entlasten können. SeineLösung: Tagträumen. Wenn wir zu-lassen, dass wir zwischendurch malabschweifen, kann sich der Kopfausruhen und wieder auftanken.
WAS PRÄGT UNSEREN ZEITGEIST?
Wir haben viele Möglichkeiten. Infosüber ein Thema zu suchen dauertenoch vor 20 Jahren tagelang – heuteist alles wenige Klicks entfernt. DasInternet ist ein Schatz an Inspira-tionen und Fakten. Nachteil ist, dasses jede Idee ins Netz schafft. SeriöseInformationen stehen neben Pseudo-wissen und Propaganda. Es wirdimmer schwieriger, den Unterschiedfestzustellen. Wir müssen unzählige,scheinbar gleichrangige Informationenbewerten. Das kostet unser Gehirnviel Kraft. Und auch die Menge derDaten, die wir verarbeiten, ist ziem-lich ermüdend. Wir nehmen heutefünfmal mehr Informationen täglichauf als noch in den 80er-Jahren.
ES SIND VERWIRRENDE ZEITEN …
Klar, allein wenn man sich vor Augenführt, wie viele technische Umwälzun-gen wir schon miterlebt haben und esimmer noch tun. Unsere Großelternhatten ihr Leben lang nur das Festnetz-telefon. Heute wechseln wir alle zweiJahre das Handy, müssen uns jedesMal mit einer neuen Bedienungs-anleitung, Apps und Einstellungenbeschäftigen. Und das ist nur ein
Bruchteil dessen, was wir lernen undverarbeiten müssen. Alles zusammen-genommen, stellt das hohe Ansprüchean unsere Merkfähigkeit und Auf-merksamkeit. Weil das Gehirn amLimit ist, fühlen viele Menschen sichüberfordert, treffen sich nach derArbeit kaum mit Freunden, sind müde.Erschöpfung ist Konsens. Das führtauch dazu, dass wir zu viel Kaffeetrinken, schließlich wollen wir unskonzentrieren. Außerdem merken wirnicht, dass wir ein weiteres Problemhaben: Wir leisten Schattenarbeit.
WAS MEINEN SIE DAMIT?
Wir übernehmen heute viele Aufgaben,die uns früher von Dienstleistern oderim Job vom Sekretariat abgenommenwurden. Wir tanken selbst, wiegen dasGemüse im Supermarkt ab, scannendie Waren selbst ein, buchen unsereReisen im Netz und checken am Flug-hafen selbst ein. Berechnungen habenergeben, dass uns neben unsererregulären Arbeit – und wir arbeitenhärter als früher – noch fünf StundenSchattenarbeit zusätzlich pro Wocheaufgebürdet werden. Arbeit, die mannicht einrechnet, die aber vorhandenist. Sie frisst einen Teil unserer Zeit.Und da wir ohnehin das Gefühl haben,ständig unseren Aufgaben hinter-herzuhecheln, tun wir etwas Nahe-liegendes, das gleichzeitig fatal ist:Wir erledigen viele Aufgaben parallel.Zum Beispiel schreiben wir bei derArbeit einen Bericht, während wirzugleich mit halbem Ohr einemGespräch hinter uns zuhören undunsere Mails checken. Und wenn wirfür eine Recherche Google nutzen,schauen wir natürlich auch schnellnoch bei Facebook vorbei.
Lass deine Gedanken“öfter abschweifen.
Es tut dir gut, auch
mal aus dem Fenster
zu schauen“
_ 65
DAS KOMMT MIR BEKANNT VOR …
Ja, so macht es fast jeder. Das Problemdabei ist nur: Multitasking gibt esnicht. Neurowissenschaftler wissenschon seit Langem, dass es nur sequen-zielles Tasking gibt. Wir schaltenschnell von einer Aufgabe zur anderen.Unser Gehirn hat sich evolutionärso entwickelt, dass es sich immer nurauf eine Aufgabe fokussiert. Mankonzentriert sich auf eine Sache, unddas Gehirn ignoriert alles andere.Unsere Vorfahren brauchten das, umTiere zu jagen und Gefahren wahr-zunehmen. Unser Gehirn ist nochnicht viel weiter als damals, auch wennwir uns das vielleicht wünschen.Wenn wir also die Aufmerksamkeit aufetwas anderes lenken, ziehen wir sieautomatisch von der ersten Aufgabe ab.Wenn wir uns auf ein Gespräch kon-zentrieren, gehen andere Gesprächean uns vorbei. Wenn wir das Hausbetreten und das Telefon klingelt, er-innern wir uns später nicht daran,wo wir den Schlüssel abgelegt haben.
ABER ES GIBT DOCH LEUTE, DIE
SIND GUT IM MULTITASKING?
Das täuscht. Unser Gehirn ist gut inSachen Selbstbetrug. Wir bilden unsein, dass wir uns daran gewöhnen,doch aus Studien geht hervor, dass manmit Multitasking weniger schafft,schlechtere Qualität produziert. DieNeuronen im Gehirn sind lebendigeZellen, die Sauerstoff und Glukose,also letztlich Zucker brauchen. Beijeder Verschaltung verbrennt manGlukose. Irgendwann ist der Speicherleer. Jede versendete Mail, jedergelesene Tweet knabbert an denReserven, die das Gehirn für wichtigeAufgaben braucht. Das Gehirn
springt vom einen zum anderen, wirddadurch müde. Will man kreativ sein,braucht man Konzentration. BeimMalen zum Beispiel. Man tut es eineWeile, dann hält man inne und fragtsich: Ist es gut geworden? Soll ich etwasändern? Dieser nahtlose Übergang vomHandeln zum Evaluieren und wiederzurück bringt uns in einen Arbeits-fluss, in dem wir nicht ermüden.
SIE SCHREIBEN IN IHREM BUCH
AUCH ÜBER ENTSCHEIDUNGS-
MÜDIGKEIT. WAS GENAU IST DAS?
Auch hier spielt Glukose eine Rolle.Wir können nur eine begrenzte ZahlEntscheidungen treffen, bevor dieserStoff in unserem Gehirn zur Neigegeht. Das Gehirn selbst kann abernicht unterscheiden, ob eine Frage-stellung für uns wichtig oder banalist. Jede Frage, bei der wir abwägenund entscheiden müssen, verbrauchtgleich viel Energie. Im Rahmen einesExperiments stellte man Versuchs-teilnehmern beispielsweise eine Reiheharmloser Fragen, bevor sie eine Listeschwierigerer Entscheidungen treffensollten. Erst fragte man sie, ob sie einKaugummi wollten und in welcherGeschmacksrichtung, dann, ob sieeinen blauen oder einen grünen Stiftwollten usw. Anschließend erhieltensie eine Liste mit wichtigen Lebens-entscheidungen. Die Studienteilneh-mer, die vorher schon unwichtigeFragen beantworten mussten, schlu-gen sich bei diesen schlechter. Es gibtalso eine Obergrenze für die Zahlder Entscheidungen, die wir hinter-einander treffen können. Wenn mansich unseren Alltag anschaut, ist daseine dramatische Erkenntnis. Ofthaben wir schon gegen zehn Uhr
morgens so viele Entscheidungen ge-troffen, dass wir keine weiteren gutenEntschlüsse mehr fassen können.
WIE KÖNNEN WIR DIE GLUKOSE-
SPEICHER DENN WIEDER FÜLLEN?
Im Notfall mit Zucker, aber das würdeich nicht dauerhaft empfehlen, daslaugt aus. Etwas Gesundes zu essenhilft auch, aber wir können nicht denganzen Tag essen, nur um besserdenken zu können. Im Grunde ist dieAntwort simpel: Pause machen. Esspricht doch Bände, dass Menschen inBerufen, in denen Multitasking ver-langt wird und Fehler schwerwiegendeFolgen haben – etwa Fluglotsen oderSimultandolmetscher der VereintenNationen – alle zwei Stunden Pausemachen müssen. Und damit meine ichnicht, die Privatmails checken, son-dern eine echte Pause. Die Pause, dieam meisten bringt, ist die, bei derman vor sich hindöst, kurz in einemTagtraum abdriftet. Wissenschaftlerhaben festgestellt, dass Tagträume wieeine Art natürlicher Reset-Knopfwirken. Sie erfrischen das Gehirn.
KÖNNEN SIE DAS ERKLÄREN?
Wir alle kennen Momente, in denenwir einfach vor uns hin starren, indenen die Gedanken plötzlich ab-schweifen und wir keine Kontrollemehr über sie haben. Sie sind dannnur lose miteinander verknüpft,mäandern. Die Ideen fließen frei,Bilder, Erinnerungen, Träume. Indiesem Tagtraummodus kommt dasGehirn – auch wenn es sich vielleichtnicht so anfühlt – komplett zur Ruhe,denn der Zustand ist das Gegenteilvon Konzentration. Es ist ein so natür-licher Zustand, dass der Entdecker
66 _ Live mindfully
TEXT JOCELYN DE KWANT ILLUSTRATION OH SO PRETTY PARTY
dieser Hirnaktivität, der Neurologie-professor Marcus E. Raichle, ihn den„Standardmodus des Gehirns“ nannte.Das erklärt auch, warum man sichso erfrischt fühlt, wenn man nur maleben ganz kurz weggedriftet ist.
WARUM SAGT DANN KEINER, WIE
ERFRISCHEND TAGTRÄUMEN IST?
Das hat mit der Grundhaltung zu tun,mit der wir an die Welt herangehen.Wir wollen ständig so produktiv wiemöglich sein und wehren uns deshalbgegen das Herumträumen, wir wischenes weg. Wir befürchten, unwiderruf-lich mit der Arbeit in Rückstand zugeraten, wenn wir auch nur einenAugenblick lang nachlassen. Dabeiist das vollkommener Irrsinn.
WIR SOLLTEN ALSO ÖFTER MAL
AUS DEM FENSTER SCHAUEN?
Das sowieso. Immer wenn wir beieiner Arbeit sind und merken, dasswir abdriften, ist das im Grundeein Signal, dass wir tatsächlich einekleine Pause brauchen, ruhig einpaar Minuten vor uns hin träumenkönnen. Wem es schwerfällt, über-haupt in diesen Zustand zu fallen, derkann durch Meditieren, Sport odereinen kleinen Spaziergang schnell inden erfrischenden Zustand des Tag-träumens kommen. Leider kann sichja nicht jeder tagsüber hinlegen, ob-wohl auch das gelegentlich ratsam ist.Ein Nickerchen von einer Viertel-stunde am Tag ist genauso effektiv
wie anderthalb Stunden mehr Nacht-schlaf. Man kann übrigens auch ineinen Tagtraumzustand geraten, wennman mit einem guten Freund zusam-men ist, bei dem man sich vollkommenwohlfühlt, oder ein Buch liest.
ABER EIN BUCH ENTHÄLT DOCH
AUCH INFORMATIONEN?
Ja, aber Literatur ist anders struktu-riert. Über die Details lässt sich natür-lich streiten, aber kurz gesagt: GuteLiteratur regt die Fantasie an. Manbildet sich ein, mit den Augen derHauptperson zu sehen, aktiviert seineVorstellungskraft. Zwischendurch hältman vielleicht kurz im Lesen inne,denkt einen Moment nach und träumtsich weg. Das sind wertvolle Momente.Beim Lesen von Nachrichten odersachlichen Artikeln erhält man allesvorgekaut und erlebt den Tagtraum-zustand deshalb nicht. Das Gehirnerholt sich bei Zeitungslektüre oderInternetnachrichten also nicht.
EINE ANDERE LÖSUNG, DIE SIE
IN IHREM BUCH NENNEN, IST DAS
„EXTERNALISIEREN“.
Richtig. Es ist wichtig, dass wir soviele Dinge wie möglich außerhalb desKopfes speichern: Unsere Termineaufschreiben, im Kalender alles ein-tragen, was wir uns sonst noch soan Kleinkram merken müssen, Ideenin ein Heftchen notieren, das wirimmer bei uns haben. Das geschriebeneWort wurde schließlich als eine Art
Erweiterung des Gehirns erfunden.Wir sollten das auch nutzen. Oderunsere Umgebung als Gedächtnisstützezur Hilfe nehmen. Wir verlierenund verlegen heute unglaublich vieleDinge, Schlüssel, Portemonnaies,Handys. Der Grund dafür ist die stän-dige Reizüberflutung. Schlüssel undLadegeräte kann man aber an einemfesten Platz deponieren, so brauchtman sich nicht daran zu erinnern, woman sie gelassen hat. Wenn wir unserGehirn von diesem Gedankenwustbefreien, haben wir mehr Platz, umim Hier und Jetzt zu leben – odereben in einen Tagtraum zu fallen.
HABEN SIE EINEN WEITEREN TIPP,
WIE WIR DEN TAGTRAUMMODUS
PFLEGEN KÖNNEN?
Nicht vergessen, gelegentlich in denUrlaub zu fahren. Ein, zwei WochenFerien, die wir vollkommen offlineverbringen, sind ziemlich wichtig. Esist hilfreich, diese Reset-Taste zudrücken und eine Weile Abstand vonallem zu nehmen. Wenn wir dannwieder im Alltag ankommen, sind wirausgeruht, und es wird leichter, zwi-schen Konzentration und Tagträumenein gutes Gleichgewicht zu finden. ●
WEITERLESEN?✻ Daniel J. Levitin: The Orga-
nized Mind: Thinking Straight
in the Age of Information
Overload (Dutton Penguin
Random House)
✻ Auch von ihm und sehr lesens-
wert: Der Musik-Instinkt.
Die Wissenschaft einer
menschlichen Leidenschaft
(Springer Spektrum)
_ 67
Meine Zeit
BIN ICHÜberall sind Uhren. Wir haben die Zeit ständig im Auge.
Maja Beckers fragte sich, ob wir uns auch deshalb häufig
gehetzt fühlen und in Eile sind. Sie probierte aus, wie sich
das Leben ohne Uhr anfühlt – und war positiv überrascht
68 _ Live mindfully
Erkenntnis
“ Nicht auf die Uhr zu schauengibt mir Gelassenheit und Ruhe“
TEXT MAJA BECKERS FOTO STOCKSY
Unser Zeitgefühl ist subjektiv und hat nur wenigmit dem Takt der Uhren zu tun, das wissen wir.Vier Minuten, bis der Bus kommt, erscheinenwie eine Ewigkeit. Bei einem Essen mit Freunden
aber rast die Zeit. In solchen Momenten vergessen wir, aufdie Uhr zu schauen. Aber funktioniert das auch andersrum?Können wir mehr genießen, präsenter sein und uns wenigerhetzen, wenn wir seltener auf die Uhr schauen?
Ich möchte es ausprobieren und entschließe mich zu einemLeben ohne Uhr. Zwei Wochen lang. Um die Nerven meinerMitmenschen zu schonen, erlaube ich mir, morgens einenWecker zu stellen und vor wichtigen Terminen auf die Uhrzu schauen, aber nicht mehr als drei Mal am Tag. Nicht nachdem Duschen und während des Frühstücks, nicht auf demWeg in die Redaktion, während ich am Schreibtisch sitzeoder beim Sport. Ich nehme meine Armbanduhr ab und dieWanduhr in der Küche. Ich klebe die Uhr am Laptop zuund stelle sie im Handy auf unsichtbar. Was Mittagspause undFeierabend angeht, richte ich mich nach den Kollegen.Freunde bitte ich, mir vor unserem Treffen eine Nachrichtzu schicken, und dann mache ich mich auf den Weg.
STUNDEN FÜHLEN
Schon am ersten Morgen wird mir klar, wie oft ich sonst dieUhrzeit checke: Wann muss ich los? Ah, in fünf Minuten.Und jetzt? Ah, in zwei Minuten. Ich sitze nervös in der Küche.Vielleicht ist es schon viel später, als ich denke? Ich trauemich nicht, den Tee auszutrinken, sondern haste los und binzu früh im Büro. Dort geht es weiter mit dem mulmi genGefühl. Wie lange sitze ich bereits an diesem Text? Müsste ichlängst beim nächsten Punkt sein? Ist schon Mittagszeit? Ichfühle mich seltsam haltlos, habe kein Vertrauen in so etwas wieeine innere Uhr. Fürchte, dass alles — Schlafen, Wachen,Essen – ohne Uhr komplett durcheinandergeraten wird.
Laut der Wissenschaft ist diese Sorge unbegründet. In den60er-Jahren verbrachten Freiwillige für eine Studie mehrereWochen in einem unterirdischen Bunker ohne Uhr. Undtrotzdem pendelte sich ihr Schlaf-wach-Rhythmus bei etwa24 Stunden ein. Unser Körper hat also eine gute innereUhr. Das Problem ist nur: Wir können sie nicht lesen. Alsdie Forscher die Probanden baten, nach jeder geschätztenStunde einen Knopf zu drücken, waren die Ergebnisse extremunterschiedlich – manche drückten erst nach drei Stunden.
„Lange konnten Forscher nicht glauben, dass Menschen zwarSensoren für warm und kalt, für Farben und Geruch haben,aber ausgerechnet für die Zeit keinen Sensor besitzen, dennim Körper ließ sich kein Organ dafür finden“, sagt StefanKlein, Autor von Zeit. Der Stoff aus dem das Leben ist. Mittlerweilehaben Neurowissenschaftler Hirnregionen ausgemacht, dieam Zeitgefühl beteiligt sind: das Hirnareal für Erinnerun-gen und eins, das Bewegungen koordiniert, gehören dazu.Das Gehirn bastelt also am Zeitgefühl mit. „Die innere Zeitfolgt keinem Pendelschlag, sie entsteht in uns“, sagt Klein.
MEHR WARTEN, MEHR AUSPROBIEREN
Mein persönliches Zeitgefühl sorgt in den nächsten Tagendafür, dass ich mal zu früh dran bin und warten muss und malzu spät bin – und der Fernsehkrimi hat schon angefangen.Aber ich merke, dass ich präsenter bin. Ich gebe den Dingendie Zeit, die sie brauchen. Überraschenderweise werde ichdadurch nicht langsamer. Manches geht auch schneller. Wennich weiß, ich habe eine halbe Stunde Zeit, um mich fertigzu machen, bevor ich aus dem Haus gehe, brauche ich sieauch. Ohne Uhr gehe ich, wenn ich fertig bin. So kann essein, dass ich zu früh am Treffpunkt bin. Aber wenn ichdann etwas lese, kommt es mir dennoch nicht wie unnützesWarten vor. Der Psychologe Marc Wittmann, der das BuchGefühlte Zeit geschrieben hat, erklärt das so: „Wir fühlen nichtdie reine Zeit, wir fühlen sie nur in Verbindung mit Erlebnis-sen.“ Und am intensivsten spüren wir die Gegenwart, wennwir uns bewegen, etwas Neues tun oder uns etwas emotionalberührt. Deshalb fühlt sich das Lesen eines Buches, selbstbei zehn Minuten, wie ein großer Zeitgewinn an.
REGIE FÜHREN
Trotzdem bin ich froh, nach zwei Wochen meine Uhr wiederanzulegen. Auf Dauer würde es schwierig, Arbeit und Privat-leben ohne zu organisieren. Aber die Uhr am Laptop bleibtabgeklebt, das ständige Draufschauen möchte ich nicht wiederanfangen. Am Arbeitsplatz nicht auf die Zeit zu schielen gibtmir Gelassenheit und Ruhe. Der Schweizer Theologe JosefVital Kopp nannte Uhren mal ein „mechanisches Tasten nachder Zeit“. Es ist ein suchendes Tasten, das nichts zu fassenbekommt. Wer sich auf das eigene Zeitgefühl einlässt, hat dieZeit wieder in der Hand. Kann sie mit Tai-Chi verlangsamen,mit Meditation kurz anhalten, beim Essen mit Freundenvergehen lassen. Dann sind wir die „Regisseure unserer Zeit“,wie Stefan Klein es nennt. Ein gutes Gefühl.
" Es gibt Wichtigeres im Leben, als beständig dessen Geschwindigkeit zu erhöhen"(Mahatma Gandhi, 1869—1948) _ 69
Lesen
70 _ Live
Die Büchermeines Lebens
In jeder Flow fragen wir Buchmenschen, welche Lese-Erlebnisse sie besonders
beeindruckt haben. Dieses Mal stellt Elisabeth Windfelder von der Buchhandlung
mindfully
Herr Holgersson in Gau-Algesheim bei Mainz ihre fünf Lieblingsbücher vor
1 2
3
Dass sie mal Buchhändlerinwerden will, das wussteElisabeth (26) bereits mitfünf Jahren. Schließlich
führten schon ihre Urgroßeltern unddie Großeltern in ihrer Heimat Mainzeine Buchhandlung. So wurde sie indem Glauben groß, Bücher habe mannicht nur zu Hause, sondern auch imBeruf immer um sich. Und es warschön, eine Buchhandlung in derFamilie zu haben. Als Elisabeth nachder Lehre und einem Studium derBuch- und Wirtschaftswissenschaftenbeim Börsenverein des DeutschenBuchhandels jobbte, lernte sie JasminMarschall (33) kennen. Die hatte dengleichen Traum wie sie selbst: vomeigenen Laden. Wie der aussehen sollte,war den beiden schnell klar – wie eineWohnung. Mit Kochbüchern in derKüche, Romanen im Wohnzimmer,dem Lieblingsbuch auf der Kommode,
Bilderbüchern im Kinderzimmer.Eine literarische Figur sollte dem Ladenseinen Namen geben – als fiktiverBewohner sozusagen. „Eingezogen“ist dann Nils Holgersson. Denn „imbesten Fall lösen Bücher beim Leserdas aus, was auch Nils Holgersson pas-siert: Man geht auf Reisen und machtneue Erfahrungen“, sagt Elisabeth.
Elisabeths fünf Favoriten:
ALAN A. MILNE – PU DER BÄR
„Das Buch gehörte für mich zum festenVorleseritual vor dem Schlafengehen.Pu ist ein Teddybär und gehört demJungen Christopher Robin. Dem er-zählt sein Vater Geschichten, die vonPu und dessen Freunden handeln.Alle Tiere haben einen ganz eigenenCharakter und sind trotzdem alleliebenswürdig. Wie das Kaninchen, dasalles besser weiß. Solche Charaktere
1. Meistens greift Elisabeth zum richtigen Buch
2. Die Atmosphäre bei Herrn Holgersson ist fast
wie zu Hause
3. Die zwei von der Buchhandlung: Jasmin und
Elisabeth haben sich ihren Traum erfüllt
sind aus dem echten Leben gegriffen.Die Geschichten sind humorvoll undsie stecken voller philosophischerBotschaften, etwa dass die Gesellschaftvieles gemeinsam meistern kann, wennalle positiv denken und einander helfen.Auch heute lese ich noch in dem Buch,zum Beispiel wenn ich krank bin. Puist wie ein Geschichtenpflaster. Allesnimmt stets ein gutes Ende. Egal wieverfahren die Situation gerade ist.“
ALFRED ANDERSCH – SANSIBAR
ODER DER LETZTE GRUND
„Keine Schullektüre hat mich so faszi-niert wie dieses Büchlein. Ich fand
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1 2
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es bewegend, wie eine GruppeMenschen im richtigen Moment dasRichtige tut. An der Ostsee treffenMitte der 30er-Jahre fünf Leuteaufeinander. Darunter ein Pfarrer,der die Skulptur eines Lesendenretten will, die als entartete Kunsteingestuft wurde. Und eine jungeJüdin, die nach Schweden fliehenwill. Man weiß bis zum Schluss nicht,ob es gelingt. All das ist in einersehr klaren, bewegenden Sprache ge-schildert. Als Zehntklässlerin konnteich mich in jede der Personen hin-einversetzen. Was mich nicht mehrlos gelassen hat, war der Gedanke,dass Lesen ein Zeichen von Freiheitsein kann, es eröffnet Horizonte.“
CARLOS RUIZ ZAFÓN – DER
SCHATTEN DES WINDES
„Diesen Schmöker habe ich mir mit17 nach dem Abitur für einen sechs-wöchigen Spanischsprachkurs in
Barcelona gekauft. Dazu hatte icheinen passenden Reiseführer dabei –Mit Carlos Ruiz Zafón durch Barcelona. Ichhabe den Roman binnen einer Wocheinhaliert und bin mit dem Reise-führer durch die unbekannten Eckender Stadt gelaufen, ich habe sie sozu-sagen mit dem Roman erforscht. Wiedie Hauptfigur Daniel, die auch Nach-forschungen anstellt: über den fastvergessenen Autor eines Buches, daser in einer verborgenen Bibliothekentdeckt. Jedes Mal, wenn ich diesenRoman zur Hand nehme, erinnereich mich an die Stadtviertel und wiedas Buch für mich in Barcelona leben-dig wurde. Man muss sich in dieGeschichte fallen lassen – sie ist sehrfantastisch und etwas mystisch.“
MADGE JENISON – SUNWISE TURN
„Der erste Satz dieses Buches stehtauch auf unserer Website: ,Dies ist dieGeschichte von einem schönen, aben-
1. Unerwartete Unterstützung bekamen
Elisabeth und Jasmin von einem Kunden:
Er schenkte ihnen eine Kommode
2. Ein lieb gewonnener Klassiker
3. Namensgeber und fiktiver Bewohner der
Buchladenwohnung Herr Holgersson
4. In diesem Raum wird jedes Kind zum Leser
teuerlichen und aufregenden Unter-fangen‘. Sunwise Turn ist ein Lieblings-buch von Jasmin und mir und passt zuuns. Die New Yorkerin Jenison erzähltdavon, wie sie 1916 mit einer Freundineine Buchhandlung gegründet hat –damals ungewöhnlich, Bücher wurdenin den USA bis dahin vor allem inWarenhäusern verkauft. Jenison erzähltso nett und liebenswürdig von ihremAlltag, so lebensnah und witzig, dassman kaum glauben mag, dass ihreErfahrungen hundert Jahre alt sind.Es ist zeitlos, wenn sie schildert, wieman nach der Eröffnung den Kopfvoller Dinge hat, sodass kaum Platz füranderes bleibt. Oder wie viele verschie-dene Menschen man kennenlernt,die aber doch Gleichgesinnte sind: Sielieben Bücher und das Lesen.“
MARINA KEEGAN – DAS GEGENTEIL
VON EINSAMKEIT
„Dieses Buch hat mich in jüngsterZeit am meisten berührt. Die Autorinschreibt so frisch, einfühlsam undeindrücklich, dass man sich sofortin die Figuren ihrer Geschichtenhineinfühlen kann. Nie klingen ihreErzählungen unglaubwürdig. Mitwenigen Worten drückt sie aus, wasMenschen umtreibt. Das Buch liegtgerade bei mir auf der Kommode, undich schaue oft hinein, weil ich michan vielen Stellen selbst erkenne. Mankommt ins Grübeln: Wie hätte ichgehandelt? Egal was vorher passiert ist,die Personen tun immer die Dinge,die ihnen am Herzen liegen. Deshalbbestärkt einen das Buch, das zu tun,was man wichtig und gut findet.“ TEXT ANGELIKA DIETRICH FOTO KATHARINA DUBNO HAARE/MAKE-UP FRAUKE BERGEMANN-GORSKI
72 _ Live mindfully
Für die wichtigsten Dinge im Lebenbraucht man keinen Applaus von anderen
256 Seiten, gebunden / Auch als E-BookNach dem Tod ihrer Großmutter wirdThaïs Leblanc mit einem seltsamenTestament konfrontiert. Es führt siezum wundersamen Cirque perdu undseinem Direktor Papó.
Plötzlich muss Thaïs sich entscheiden:Will sie weiter ein normales Lebenführen oder endlich beginnen, ihreneigenen Weg zu gehen?
Ein zauberhafter Romanvoller Atmosphäre undfranzösischem Charme.
»Wenn das Wort charmant auf ein Buchzutrifft, dann sicher auf dieses.«
240 Seiten, gebunden / Auch als E-Book und HörbuchChristine Westermann
Die große Liebe finden, ein meisterhaftes Parfumkreieren, der Chef des eigenen Chefs werden:
Wer träumt nicht davon, seinem Leben eine neueRichtung zu geben?
Ein Roman über große Ziele undglückliche Wendungen.
NachLIEBE MIT ZWEI UNBEKANNTENjetzt der neue SPIEGEL-Bestseller
von Antoine Laurain.
am fenster eine frau
mit dem rücken ins innere
der blick reicht
bis zur anderen straßenseite
und prallt von dort zurück
auf ihr gesicht
FRAU PAULCHEN – AM FENSTER
Halt
still
Das Bett ist
ein Floß
und ich
will
raus aufs
Meer
komm
schneid es
los
JUDITH HOLOFERNES – HAIE *
*
Schreiben
Judith Holofernes: Du bellst vor dem falschen Baum. Tiergedichte mit Illustrationen von Vanessa Karré. Tropen, Stuttgart 2015;Haie (aus Echolot) mit freundlicher Genehmigung von Wintrup Musikverlag/Freudenhaus Musikverlag
Die neueALLTAGSLYRIK
Man sieht sie jetzt überall: schöne Verse und kurze Gedichte, die positive
Gedanken enthalten. Warum sind wir davon plötzlich so angetan? Maja Beckers
wollte herausfinden, was die Faszination von Alltagslyrik ausmacht
Bei einer Freundin von mir hängt neuerdings einPoster in der Küche, auf dem steht: „Ich mag dich /ein bisschen mehr / als ursprünglich geplant“. Esist nur ein Satz, „aber jeden Morgen, wenn mein
Blick daran hängen bleibt, ist es wie ein kleines Leuchten“,sagt sie. Eine andere Freundin trägt einen Zettel in ihremPortemonnaie herum, auf dem ist mit schwung voller Hand-schrift ein Gedicht der australischen BeststellerautorinLang Leav geschrieben: „For the past has tought / To not becaught / in what is not worth pursuing“. Sie folgt der Dich-terin bei Instagram und hat sich das Bild mit diesem Versausgedruckt, „weil es mich daran erinnert, nicht den falschenDingen hinterherzulaufen. Dieser Gedanke, etwas loszulas-sen, hat ja oft etwas Trauriges, aber hier machen der Reimund der Rhythmus es ganz leicht.“ Obwohl Instagram oderauch Pinterest ursprünglich als Plattformen zum Teilen vonBildern gegründet wurden, gibt es immer mehr Menschen,die Leuten folgen, die Worte posten. Einen Gedanken, einenVers, ein Gedicht, einen kleinen Reim, Lang Leav etwa hatüber 160 000 Follower. Für klassische Gedichtbände könnenVerlage von solchen Zahlen meist nur träumen.
Es ist ein bemerkenswerter Trend. Man hat den Eindruck,nie war man mehr von Poesie umgeben. Von Versen, die einenzum Schmunzeln bringen, zum Nachdenken anregen, kurzinnehalten lassen oder einfach Spaß machen. Sie sind meistkurz, so passen sie wunderbar in unseren Alltag, in dieFacebook-Timeline genauso wie auf einen Jutebeutel oder einPoster. Und man hat den Eindruck, nie haben mehr Leutedaran mitgeschrieben. Die neue Freude an der Lyrik erfasstProminente wie die Musikerin Judith Holofernes, die im
vergangenen Jahr einen Band mit fröhlichen Tiergedichtenveröffentlicht hat, genauso wie Millionen von nichtprofessio-nellen Schreibern, die anfangen, ihre Gedanken in Verse zugießen und über die sozialen Netzwerke zu veröffentlichen.
LICHTBLITZE IM ALLTAG
Eine von ihnen ist Sophie Paulchen aus Heidelberg. Überihren Account @FrauPaulchen postet sie jeden Morgen aufTwitter ein #earlypoem, ein Frühgedicht. Wie das hier:„alles umgeschmissen verworfen / die pläne / neu sortiert sichder tag nimmt / die nacht als vorbild / gemach gemach / hin-durch“. Sophie sagt: „Ich bin eine Frühaufsteherin, ich liebedie Farben, die man sieht, wenn man um fünf Uhr schonwach ist, die Stille und wie die Geräusche dann langsam lauterwerden. Davon handeln viele meiner Gedichte, von Nachtund Tag, vom Übergang und von der Dämmerung.“ Warumsie dichtet? „Ich habe früher auch Prosa geschrieben, dannwurden die Sachen immer kürzer und kürzer. Ich habe ge-merkt, dass das ganz kleine Gedicht einfach meine Form ist.“
Aber es ist besonders schwierig, einen Verlag zu finden, derLyrik ins Programm nimmt, Gedichtbände verkaufen sichnicht so leicht wie Romane. „Blogs und Twitter sind für michein guter Weg, meine Sachen zu veröffentlichen.“ Und fürSophie ist es die passendere Plattform. „Für viele gilt es nochals wichtige Anerkennung für ihre Verse, wenn ein Verlagsie als Buch herausbringt. Und das ist ja auch toll, aber wieviele lesen heute noch Gedichtbände von vorn bis hinten?Das kenne ich von mir selber. Wenn ich einen Gedichtbandin die Hand nehme, blättere ich darin, lese ein paar Texteund stelle ihn wieder weg. Man liest ihn nicht wie einen
Auf Instagram kannst du weitere Alltagspoeten entdecken, zum BeispielJessica Katoff (@jessicakatoff) oder Emmie Rae (@aldousmassie) _ 75
Bei einem Gedichtkommt es auf das Gefühlan, das es hinterlässt
Roman. Und ich finde es schön, wenn so ein frisches kleinesWerk eben auch frisch und direkt zum Leser kommt, einenkleinen Lichtblitz in seinen Alltag bringt.“
Auch Manfred Glauninger, Sprachwissenschaftler an derÖsterreichischen Akademie der Wissenschaften und an derUniversität Wien, findet die Verbindung von Lyrik undsozialen Medien ganz logisch: „Wir kommunizieren auf diesenKanälen ja alle schriftlich. Es gab noch nie eine Generation,die so viel gelesen und geschrieben hat, wie diese. Und wennwir schon ständig am Schreiben sind, liegt es nahe, dass vieleauch irgendwann anfangen, Gedichte zu schreiben, weil wirdas kulturell ,erlernt‘ haben.“ Das Verfassen von Nachrichtenper SMS, Twitter oder WhatsApp ist zudem nicht irgendeinSchreiben. Laut Glauninger gibt es eine wichtige Gemeinsam-keit mit Gedichten: Wir halten uns kurz. „Auch in der Lyrikist die Verknappung der Sprache die große Kunst.“
Wenn das Verfassen eines Gedichts so eng mit dem alltäglichenSchreiben verknüpft ist, ist es nur logisch, dass es darin auchum alltägliche Themen geht, wie zum Beispiel die Morgen-dämmerung bei Frau Paulchen. Der Begriff der Alltagslyrikist aber schon älter. Er entstand in den 60er-Jahren für das,was Dichter wie Rolf Dieter Brinkmann oder Nicolas Bornmachten. Sie schrieben Verse, die nicht in erster Liniebestimmten literarischen Ansprüchen genügen, sondern vorallem das persönliche Erleben wiedergeben sollten. „NeueSubjektivität“ hieß diese Bewegung, die oft ganz gewöhnlicheSituationen aufgriff. „Es ist Sonntag / die Mädchen kräuselnsich und Wolken / ziehen durch die Wohnung“ beginnt etwaein Gedicht von Nicolas Born.
GRUND ZUM SCHMUNZELN
Viele der neuen Lyrikschreiber machen es jetzt ähnlich.Die amerikanische Künstlerin Samantha Jayne etwa nenntihre Gedichte Quarter Life Poetry. Es sind witzige Beschrei-bungen aus dem Leben mit Mitte 20, das Viertelleben sozusa-gen als kleine Schwester der Midlife-Crisis. Zum Beispiel:„ Prepping for a big first date / was once a grand hurrah / Nowit’s Googling his name / and throwing on a bra“, also: DieVorbereitung fürs erste Date war einst so aufregend – heutegoogelt man seinen Namen und zieht sich halt mal einenBH an. Dazu entwirft Samantha, die auch Illustratorin ist,ein Bild, und fast 70 000 Follower bei Instagram freuensich, regelmäßig so ein Schmunzelgedicht von ihr zu bekom-
men. „Ich habe Quarter Life Poetry als Ventil für meine täglichenFrustrationen gestartet“, erzählt sie, „mit 25 gibt es so vieleseltsame Momente der Verwirrung. Ich dachte immer, ich seidie Einzige, der es so geht. Als ich die Gedichte bei Instagrampostete, erkannte ich, dass im Gegenteil viele so empfinden.“
Aber auch die etablierten Dichter widmen sich wieder demAlltag. Jan Wagner, der 2015 den Leipziger Buchpreis erhielt,wird dafür gefeiert, dass er mit seiner Alltagslyrik das Gedichtaus dem Schattendasein des Literaturbetriebs hervorgeholthabe. Seine Gedichte heißen Torf, Der Nagel oder Versuch überSeife. Und über diese neue Lyrik darf ausdrücklich gelachtwerden. Als die ehemalige Journalistin Arezu Weitholz ihrenGedichtband Mein lieber Fisch veröffentlichte, freuten sich dieKritiker, dass sie das schwierige Feld der Lyrik aufgelockerthatte. Ihre Gedichte handeln alle von Fischen und gehenzum Beispiel so: „Die blaue Forelle / schwamm im Gefälle /gegen ne Welle / jetzt hat se ne Delle“.
Ihr erstes Gedicht hat Arezu am Meer geschrieben. Dort saßsie mit ihrer Mutter im Strandkorb, die allerdings nicht vielsagte. „Ich wollte sie zum Lachen kriegen“, erzählt Arezu,„also habe ich so einen alten Spruch aufgesagt: Wenn ich dieSee seh, brauch ich kein Meer mehr. Und da fing sie an zukichern. Und da dachte ich: Da geht was. Und dann hab ichmich am Abend im Hotel aufs Sofa gesetzt und einfach einpaar Fischgedichte geschrieben.“ Erst schickte sie sie perMail immer freitags an Freunde, dann interessierte sich auchein Verlag dafür. Mittlerweile erscheint Mein lieber Fisch schonin der zweiten Auflage, ein großer Erfolg, und Arezu wirdsogar mit Ringelnatz verglichen. „In einem Atemzug mit ihmgenannt zu werden ist eine Riesenehre“, sagt sie, „abereigentlich gehöre ich da nicht so hin, finde ich.“
SPASS AM SPIEL
Viele der neuen Alltagslyriker wollen einfach mit der Sprachespielen und Freude bereiten. Ihre Gedichte sind meist witzig,fröhlich, positiv, aufbauend oder nur schön. „Dieser Typ des,light verse‘ ist keine neue Erfindung“, sagt die Literatur-wissenschaftlerin Kila van der Starre. Sie bereitet an derUniversität Utrecht eine Dissertation über Poesie außerhalb desBuches vor und verfolgt den Gedichtehype mit großem Inter-esse. „Die Anziehungskraft von Versen hat meiner Meinungnach mit der Spannung zwischen dem alltäglichen Inhaltund der künstlerischen Form zu tun. Der Vers ist leicht
76 _ Live mindfully
alles, was ich möchte, ist
im zimmer sitzen
und den geschichten zuhören,
die der regen erzählt
@FRAUPAULCHEN
Wenn du ihr Guten Morgen sagst
verziehtse ihr Jesicht.
Wenn du sie nach der Lage fragst
hörtse einfach nicht.
Willst du promenieren gehen
drehtse sich hinweg.
Schenkst du ihr dein Lächeln
kautse leise Dreck.
Du machst ihr Komplimente
Geschenke, doch sie tut
als wär das permanente
Nettsein gar nicht gut.
Wie kann es sowas geben
dass so ja nüscht bei der klappt?
Ihr Körper ist zujejen
nur sie ist einjeschnappt!
AREZU WEITHOLZ – DIE BERLINER AUSTER
Das lustige Gedicht über die mütterlichen
Anrufe stammt aus der Feder von Samantha
Jayne (Quarter Life Poetry)
Der New Yorker Tony Ciampa fotografiert
seine Gedichte von Zetteln oder Notizbüchern
vor schöner Kulisse und veröffentlicht sie auf
Instagram (@emolabs)
verständlich, dabei aber verblüffend – wegen eines Wortspiels, eines Reimes, eines bestimmten Rhythmus oder einerMetapher.“ Der „light verse“ ist auch eine gute Möglichkeit,Menschen für Gedichte zu begeistern, die diese sonst unverständlich finden. „Bei Lyrik denken viele, das sei alles soüberladen“, sagt Sophie. „Sie glauben, sie müssten allegriechischen Mythen kennen, um die Symbole rauslesen zukönnen. Aber so ist das nicht. Man kann sehr schön, sehreinfach mit Sprache spielen. Und es muss auch nicht alles mitdem Verstand zu greifen sein. Es kommt mir auf das Gefühlan, das es hinterlässt, eine Art inneres Bild.“
„Letztlich“, so van der Starre, „ist es ja schwer zu sagen, wasüberhaupt ein Gedicht ist und was nicht. In der modernenLyrik arbeitet man schon seit Jahrzehnten nicht mehr mitklassischen Endreimen, woran man es früher vielleicht erkennen konnte.“ Aber dieses innere Bild, das entsteht, dasGefühl, das mit wenigen Worten erzeugt wird, das ist so einMerkmal und auch ein Grund für den Erfolg dieser neuenkleinen Gedichte. Sie sind so kurz, dass sie perfekt in unserschnelles Leben passen. „Aber da entsteht Kontext, wie wirSprachwissenschaftler sagen“, erklärt Manfred Glauninger,„es eröffnet sich eine ganze Welt. Und das lässt uns kurz innehalten.“ Mit einem Wimpernschlag nehmen wir etwas Schönesmit, versinken für einen Moment in unseren Vorstellungen.
EIGENTLICH EIN COMEBACK
In einem Buch ist das Gedicht deshalb nicht so richtig gutaufgehoben. Fanden die Menschen vor Jahrhunderten auch.„Dichtkunst ist schon immer multimedial gewesen“, erklärtKila van der Starre. „Bereits im Mittelalter wurden Verseauf Hausfassaden und Türrahmen gemalt. Die Menschenbestickten Schuhe oder Kleidung mit Sprüchen, verziertenWandfliesen damit.“ Es ist also mehr ein Comeback als eineneue Idee, wenn wir jetzt auf Kissenbezügen, Postern oderZetteln im Portemonnaie wieder ein paar Verse in den Alltageinflechten. Und mit dem Internet sind noch mehr Möglichkeiten dazugekommen – zum Lesen und zum Schreiben.Glauninger sagt: „Ich habe vor rund zehn Jahren noch einenklassischen Gedichtband veröffentlicht. Das würde ich heute
nicht mehr machen, ich würde meine Gedichte nur nochonline teilen und verbreiten, da erreichen sie die Leserdirekt und können ihre Wirkung entfalten.“
Dass wir so fast beiläufig mit Lyrik in Kontakt kommen,ermutigt auch zum Schreiben. Sophie etwa organisiert zweiMal im Jahr einen „Lyrikmonat“. „Das Motto ist ,30 Tage,30 Gedichte, no excuses‘“, sagt sie. „Ich gebe jeden Tag einThema vor, und wer mitmachen möchte, schreibt 30 Tagelang je ein kurzes Gedicht und postet es.“ Mit dieser Miniherausforderung will sie anderen die Scheu nehmen. „JedenTag eins, da muss man sich ranhalten und einfach maldrauflosschreiben“, sagt sie. Und entdeckt weitere Vorzüge:„Es ist faszinierend, wie unterschiedlich die Leute an dasvorgegebene Thema herangehen. Es ist ein bisschen wie einGesamtkunstwerk, alle Gedichte zu einem Thema am Endegesammelt anzuschauen.“ So spannt die neue Art der Alltagslyrik ein weites Netz aus Verbindungen zwischen Schreibernund Lesern. Sie lässt uns die Schönheit der Sprache mit ihremRhythmus, ihren Metaphern und ihrem Witz erleben – „daskleine Leuchten“, wie meine Freundin sagen würde.
MEHR GEDICHTE LESEN?✻ Arezu Weitholz: Ein Fisch wird kommen.
Kleine Fischkunde mit Gedichten
( Kunstmann)
✻ Judith Holofernes: Auf ihrer Website
judith-holofernes.de veröffentlicht die
Musikerin ebenfalls Gedichte
✻ Jan Wagner: Selbstporträt mit Bienen-
schwarm. Ausgewählte Gedichte 2001—2015
(Hanser); Jan Wagner ist einer der
renommierten deutschen Gegenwartslyriker,
seine Gedichte handeln von alltäglichen
Dingen wie Wolken oder Seife TEXT MAJA BECKERS FOTO TONY CIAMPA, CHRISTOPH KNIEL/OSTKREUZ, PLAINPICTURE, QUARTERLIFEPOETRY.COM, STOCKSY78 _ Live mindfully
SPOIL YOURSELF
Raubtiere, die mit der Flasche aufgezogen werden, können
sehr zutraulich sein. Im Tierpark Artis konnte man sich
früher mit ihnen fotografieren lassen, wie es diese Frau
im Sommer 1961 getan hat. Mittlerweile undenkbar, für die
Besucher gilt außer im Streichelzoo “ Hände weg!”. FOTO (VORDERSEITE) JAC. DE NIJS/ANEFO/NATIONAAL ARCHIEF ILLUSTRATION (RECHTS) FRAU ANNIKA/FRAUANNIKA.DE
Handlettering von Frau Annika – die in ihrem Buch Handlettering. Die Kunst
der schönen Buchstaben (Topp, 15,99 Euro) anhand zahlreicher Beispiele und
verschiedener Projekte (von der Glückwunschkarte bis zur Buchstaben-
girlande) zeigt, wie du deine eigenen Entwürfe gestalten kannst. Die Designerin
macht auch Illustrationen für Kinderbücher oder Zeitschriften. frauannika.de
_ 81
SPOILYOURSELFZeit für eine kleine Verwöhnpause
Alle mal herschauenVorfreude ist bekanntlich die beste Freude. Und wer die auf den Urlaub
richtig schön schüren will, guckt sich am besten Fotos an. Das fanden britische
Neurowissenschaftler heraus. Sie testeten, wie Probanden, die gerade
eine Reise gebucht hatten, auf Gerüche, Geräusche, Geschmäcker und Bilder
reagieren, die sie an das Urlaubsziel erinnern. Klarer Gewinner unter den
verschiedenen Sinneseindrücken waren die optischen Reize, also die Fotos.
Lecker, LimoWie schön das zischt, so eine
kühle Limonade an einem heißen
Sommertag. Und sie lässt sich
ganz leicht selber machen, etwa
eine prickelnde Apfel- Ingwer-
Limo (Bild). Dazu 450 ml Apfelsaft
mit 1 TL frischem, fein gehacktem
Ingwer mischen, 10 Minuten zie-
hen lassen und durch ein Sieb
abgießen. Kurz vor dem Servieren
550 ml gekühltes sprudelndes
Mineralwasser dazugeben und
mit 8 Biozitronenscheiben gar-
nieren. 99 weitere
Mixgetränke, viele
davon vegan,
findest du in dem
Buch Alkoholfreie
Drinks von Eva
Derndorfer und
Elisabeth Fischer,
Brandstätter,
25 Euro
Charmante HolzköpfeIn Dänemark, wo sie Ende der 1960er-Jahre von dem
Designer Gustav Ehrenreich entworfen wurden, gibt
es in fast jedem Haushalt einen Hoptimisten. Und auch
wir räumen für Mitbewohner wie Vogel Birdie oder
Frosch Kvak (Bild), die uns so charmant zum Schmunzeln
bringen, zu Hause gern ein Plätzchen frei. Die Figuren
wurden 2009 von Bo und Lotte Steffensen in Aarhus
wieder aufgelegt und sind in den verschiedensten
Varianten zu haben. Besonders edel kommen sie wie
hier aus Eichen- oder Walnussholz daher. Birdie ab
36,95 Euro, Kvak ab 49,95 Euro, über hoptimist.com
82 _ Spoil yourself
TEXT ANGELIKA DIETRICH FOTO MAREEN BURK, CORBIS, EISENHUT & MAYER/BRANDSTÄTTER VERLAG,ASLAN KUDRNOFSKY/MAK, JOHN MADERE/SAGMEISTER & WALSH
Vom Säen und ErntenSie ist eine unserer Lieblingsillustratorinnen und bringt
farbenfrohe Welten zu Papier wie keine Zweite.
Nun macht Elisandra auch Gartenfreunde glücklich.
Inspiriert von Ausflügen ins Grüne, hat die
Berliner Künstlerin das Buch Blumen sind die
Sterne des Tages (ars edition, 9,99 Euro)
gestaltet, das ihre lebendigen Illustrationen
mit poetischen Zeilen zum Pflanzen, Gärtnern
und Wachsen verbindet. Platz für eigene
Ideen bieten handliche Notizbücher, deren
blühende Cover ebenfalls aus Elisandras
Feder stammen. Blanko oder liniert erhältlich.
Dem Glück auf der SpurWas macht uns glücklich? Dieser Frage ging zehn Jahre lang der in den USA
lebende Österreicher Stefan Sagmeister nach. Er erforschte, ob man das
Glücklichsein trainieren kann und welche Bedeutung Religion, Geld, Ehe und
Sex dabei spielen. Dafür unternahm er verschiedene Selbstversuche: Er
meditierte, erlernte Konzentrations- und Entspannungstechniken, machte eine
Verhaltens therapie und konsumierte stimmungsaufhellende Pharmazeutika.
Die Ergebnisse seiner Suche zeigt Sagmeister bis zum 25. September in der Aus-
stellung The Happy Show im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main
(museumangewandtekunst.de). Die Ausstellung zeigt nicht nur Infografiken,
Drucke und amüsante Filme, sondern animiert Besucher mit interaktiven Installa-
tionen auch zum Mitmachen. Wer es nicht nach Frankfurt schafft oder schon mal
vorab wissen willst, was ihn erwartet, schaut hier: thehappyshow.tumblr.com
Story des TagesWenn das keine gute Idee für eine
kleine Auszeit ist: Die App A Story
A Day liefert dir jeden Tag eine
Kurzgeschichte von Autoren wie
Kirsten Fuchs, Marc-Uwe Kling
oder Jochen Schmidt auf dein
Smartphone. Mal ist sie zum
Schmunzeln, mal zum
Lachen oder sie regt zum
Nachdenken an. Die ersten
fünf Texte sind kostenlos.
30-Tage-Abo 3,59 Euro
für Android, 3,99 Euro für
iOS. a-story-a-day.de
Faire BikinisGanz schön schwer, einen Bikini
zu finden, der schlicht, schön und
praktisch ist. Das fand auch
die Designerin und passionierte
Surferin Mareen Burk und fing an,
selbst Bademode zu entwerfen.
Mit tollen Schnitten, nachhaltig
und fair produziert. Oberteil (ab
110 Euro) und Hose (ab 70 Euro)
lassen sich frei kombinieren und
sogar wenden. Ja, die Teile haben
ihren Preis, dafür hat man lange
was davon. mymarini.com
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WEBSHOPPENEgal wo man lebt – die schönsten Dinge sind nur einen Klick entfernt
84 _ Spoil yourself
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Helen Entwisle ✱ ca. 26 Euro
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Badeanzug „Riviera“ von Seafolly
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Sonnenvisier ✱ 4,95 Euro
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Strandtuch ✱ ca. 34 Euro
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Ungesüßtes Erfrischungsgetränk
von Monotee ✱ je 2 Euro
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Stick“ von Clinique ✱ 24,99 Euro
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Sarong „Maurice“ von Beach Panties
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Retrokühltasche „Limonade“ ✱ 11,95 Euro
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Pantolette „Pool“ von Flip-Flop ✱ 29,95 Euro
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Bild dient lediglich Illustrationszwecken.Bei der abgebildeten Person handelt es sich um ein Fotomodell.Selbst diejenigen, die bisher
nur eine 3- oder sogar 6-Tages-
Therapie kannten. Denn Ferien-
tage sind zu kostbar, um sich
unnötig lange mit dem Problem
zu beschäftigen. Die verschie-
denen Arzneiformen haben eines
gemeinsam: Der Wirkstoff wird
dort angewendet, wo die Be-
schwerden auftreten. Eine solche
lokale Therapie ist daher meist
sehr gut verträglich und belastet
den Körper nicht.
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Betreuung und Inkasso erfolgen durch DPV Deutscher Pressevertrieb GmbH, Nils Oberschelp(Vorsitz), Christina Dohmann, Dr. Michael Rathje, Düsternstraße 1, 20355 Hamburg,
als leistender Unternehmer. AG Hamburg, HRB 95752. Auslandsangebote auf Anfrage.
EXTRAS✻ 1000-FRAGEN-
BÜCHLEIN✻ 3 GESCHENK-
TÜTEN
Wohin gehen wir? Immer nach Hause.NOVALIS (1772 –1801)
Pina Bausch 1966. Statt eines
Hutes trug sie auf der Bühne
eine durchlöcherte Scheibe
92 _ Spoil yourself
Porträt
Das bewegte Leben der
PINA BAUSCHSie hat mit ihren Choreografien Menschen weltweit berührt. Ihre Idee,
im Ballett tiefe Gefühle auszudrücken, statt nur körperliche
Höchstleistungen zu zeigen, hat sich nach und nach durchgesetzt.
Doch der Weg dorthin war kein federleichter Tanz
_ 93
Ganz links: Auf dem Theater-
festival Avignon mit dem
französischen Choreografen
Bartabas, 2000
Links: Pina Bausch im Jahr
2007, damals war sie 67
So konsequent wie sie hat wohl kaum jemand am Theater auf
Emotionen gesetzt. Für ihre Stücke gab es keine Vorlagen, oft hatte
sie nur ein Gefühl im Kopf, das sie darstellen wollte. Pina Bausch
sah viel von dem, was die Menschen bewegt: ihre Ängste und Nöte,
ihre Wünsche und Sehnsüchte. Passende Worte fand sie dafür
nie. Ihre Sprache war der Tanz. Sie brach mit allen Konventionen
des klassischen Balletts, und ihre Stücke sind so anders, voller
Wucht, so ergreifend, dass sie auf der ganzen Welt geliebt werden.
Auch ihr Schaffensdrang war unvergleichlich: Als Pina 2009 im
Alter von nur 68 Jahren starb, hinterließ sie fast 50 Produktionen,
7500 Videos und ein zutiefst trauerndes Ensemble. Sie wird als
Revolutionärin des modernen Tanzes gefeiert.
KNEIPENTISCHE UND SCHWEBEBAHN
Dabei war Pina eine stille Frau, fast schüchtern und stets von
Selbstzweifeln geplagt. Ihr Lebensweg war keinesfalls vorgezeich-
net. Sie wurde 1940, mitten im Zweiten Weltkrieg, in Solingen
geboren. Ihre Eltern hatten dort eine Gaststätte mit Hotelbetrieb.
Wenn die kleine Pina abends nicht ins Bett wollte, versteckte sie
sich unter den Tischen, lauschte den Gesprächen über Liebe und
Verlassenheit, kleine und große Hoffnungen. So bekam sie schon
früh eine Ahnung von den großen Themen. Sie war ein fantasie-
volles, zappeliges Kind. Die Eltern schickten sie auf Anraten von
Gästen ins Kinderballett. Das tat Pina gut, und schon bald trat sie
in Kinderstücken in Wuppertal auf. Wenn sie zum Unterricht fuhr,
mit ihrem Rucksack in der Schwebebahn saß, konnte sie durch
die Fenster in die Häuser schauen, in fremde Wohnzimmer, bekam
flüchtige Eindrücke aus dem ganz privaten Alltag der anderen.
Auch diesen Blick ins Private griff sie in ihren Stücken auf.
Beim Ballett war ihr Talent unübersehbar. Eine der Tanzlehrerinnen
nannte sie „Schlangenmensch“. Und so durfte Pina bereits mit
14 Jahren ein Tanzstudium an der Folkwang-Hochschule in Essen
beginnen. Hier bekam sie zwar eine klassische Tanzausbildung,
lernte aber auch Schauspiel, Musik und Malerei kennen. „Wir lebten
zusammen, sahen und hörten einander zu“, beschrieb sie diese
Zeit, und die Nähe aller Künste hat sie geprägt. Unbefangen band
sie später Gesang oder Sprechtheater in ihre Stücke ein, was
damals un gewöhnlich war. Doch indem sie Tanz und Theater ver-
mischte, etablierte sie eine Form, die vorher allenfalls in Nischen
existiert hatte. Auf der Hochschule Folkwang lernte Pina auch
ihren ersten Mann kennen, den Grafiker Rolf Borzik.
Ihre Eltern hatten eine
Gaststätte. Pina bekam dort früh
mit, was Menschen bewegt
Eine große Liebe. Die beiden leben und arbeiten zusammen.
Er entwirft alle Bühnenbilder und Kostüme für ihre Stücke, kleidet
die Tänzer ein, schafft eine unverwechselbare Atmosphäre für
die Pina-Stücke. Doch das Paar hat nur wenig gemeinsame Zeit:
Mit 36 Jahren stirbt Rolf an Krebs.
ZWISCHEN NEUGIER UND ANGST
Nach dem Studium tanzte Pina in New York an der Metropolitan
Opera, unterrichtete bald selbst an der Folkwangschule. Der
Wuppertaler Intendant Arno Wüstenhöfer will das „Wunderkind“
unbedingt als Choreografin an sein Theater holen, denn Pina hatte
angefangen, erste Stücke selbst zu entwickeln. Wüstenhöfer
ahnte, welche Kraft ihre Choreografien entfalten könnten, wenn
man sie dazu bekäme, weiter daran zu arbeiten. Aber Pina hat
94 _ Spoil yourself
Pinas Ensemble im Stück Vollmond, 2007
Nelken, Stück für 21 Tänzer, uraufgeführt im
Jahr 1982 – diese Aufnahme ist von 2010
_ 95
Mit 27 Jahren beim Training an
der Essener Folkwangschule
96 _ Spoil yourself
Pina Bausch während einer Probe des Wuppertaler
Tanztheaters 1988 – mal ohne Zigarette
Pina tanzt ihr berühmtes Stück Café Müller,
hier in Avignon 1995
98 _ Spoil yourself
Pina, ein Film von Wim Wenders
aus dem Jahr 2011. Wenders
drehte mit dem Ensemble zum
Teil mitten in Wuppertal, in
Parks und auf Industriebrachen
TEXT MAJA BECKERS FOTO CORBIS, GETTY IMAGES, INTERFOTO, LAIF, PICTURE PRESS, ULLSTEIN BILDERDIENST, WALTER VOGEL/BPKAngst vor der Aufgabe und sagt ab. Erst als Wüstenhöfer nicht
locker lässt, gibt sie nach: „Ich kann’s ja mal probieren.“ Da ahnte
noch niemand, dass sie ihr Leben lang bleiben würde. Die Furcht
vorm Scheitern verließ sie trotzdem nicht. „Vor jedem Stück wieder
dieselbe Angst“, klagte sie. Jedes entwickelte sie auf eigene Art.
Sie setzte sich mit ihren Tänzern zusammen, sie führten intensive
Gespräche. Pina rauchte und fragte: „Wie hast du dich als Kind
gefühlt, wenn …“ Oder: „Was kann man Gefährliches mit einem
niedlichen Gegenstand machen?“ – „Wir erkunden etwas, lachen
über uns selber, versetzen uns in die Gefühle anderer“, erklärte sie
ihr Probenprinzip. Doch trotz ihres Mutes, assoziativ zu arbeiten,
fürchtete sie, zu versagen. Mehrmals versuchte sie, Premieren zu
ver schieben. Gelang das nicht, weigerte sie sich, dem Stück einen
Namen zu geben – um dessen Unfertigkeit zu betonen.
UNGEWOHNT VIEL GEFÜHL UND VIEL VERTRAUEN
Die Angst vor den Reaktionen des Publikums war zudem nicht
unbegründet. Auf die ersten Stücke reagierte es empört: Türen-
knallend verließen die Leute den Saal, schimpften, Pina soll sogar
Drohanrufe bekommen haben. Das, was sie zeigte, kannte man in
den 70er-Jahren so noch nicht. Tanzstücke waren meist klassische
Ballette, die Tänzer trugen Tutus und eine unbewegte Miene. Bei
Pina findet man keine Tutus – höchstens als Gag an einem männ-
lichen Darsteller. Dafür gehörte das Alltägliche bei Pina auf die
Sie fragte die Tänzer: " Was
kann man Gefährliches mit einem
niedlichen Gegenstand machen?“
Bühne. „Mich interessiert nicht, wie sich Menschen bewegen, mich
interessiert, was sie bewegt“, sagte sie einmal. Um das zu zeigen,
setzte sie ungeniert Hilfsmittel ein: Manchmal ließ sie ihre Tänzer
durch knöcheltiefes Wasser laufen. Oder sie sprangen gegen
Wände, sangen oder lachten laut. „Ist das noch Tanz?“, fragten
die Leute damals. Heute würde das jeder bejahen. Aber wohl nur,
weil es Pina Bausch gab. Die Reaktionen des Publikums trafen
Pina – sie wollte nie provozieren. „Es hat mich traurig gemacht“,
sagte sie später, „aber nie verbittert.“ Vielleicht ahnte sie, dass
die meisten überfordert waren, mit ihren eigenen verdrängten
Gefühlen und Sehnsüchten konfrontiert zu werden. Darum war sie
in Wuppertal gut aufgehoben: Das Ensemble stand hinter ihr.
Große Bühnen hätten sie gern engagiert, aber Pina wechselte nie.
Wuppertal bot den Schutzraum, in dem sie so sein durfte, wie sie
wollte, man sie walten ließ, wie sie es sich wünschte.
Diesen geschützten Rahmen bot sie auch ihren Tänzern. Nur so
konnten sie all das Private, Intime, ihre Verletzlichkeit hervorholen.
„Es geht um Vertrauen“, sagte Pina einmal, „man muss sich jeden
Blödsinn leisten dürfen. Und dafür muss man sich geliebt fühlen.“
Pina kritisierte ihr Ensemble nie. Und sie schenkte den Tänzern
ein in der Branche ungekanntes Sicherheitsgefühl, indem sie teil-
weise jahrzehntelang mit ihnen arbeitete. Zu alt – das gab es für
sie nicht. So konnten Stücke entstehen, die so echt waren, dass
sich jeder Zuschauer darin wiederfinden konnte – ob in Indien
oder in den USA. Anfang der 80er hatte sich ihre neue Sprache
dann etabliert, und sie wurde mit Preisen überschüttet. Die
Wuppertaler gaben Gastspiele in ausverkauften Häusern weltweit.
Auf einer dieser Reisen lernte Pina ihren zweiten Mann kennen,
den chilenischen Schriftsteller Ronald Kay, der zu ihr zieht. Als
Pina 41 Jahre alt ist, bekommt das Paar einen Sohn. Sie nennen
ihn Rolf Salomon, nach Pinas verstorbener Liebe. Pina arbeitet
weiter, ihr Mann kümmert sich um das Kind. Kommt sie abends
aus dem Theater, essen sie zusammen. Dann geht sie wieder an
die Arbeit, sieht bis in die Nacht Notizen durch.
So sehr lebte sie für den Tanz, dass sie wohl nicht merkte oder
merken wollte, dass sie schon länger krank war. Kurz nach ihrer
letzten Premiere, im Juni 2009, erfährt sie, dass sie Lungenkrebs
hat. Fünf Tage später stirbt sie. Sie geht so, wie sie gearbeitet
hat: dezent, fast still. Doch ihr Weltruhm bleibt. Zu Recht, findet ihr
alter Freund Wim Wenders: „Niemand konnte die Menschen so
lesen wie Pina. Sie hatte einen einzigartigen Blick. Und mit ihren
Stücken hat sie einen liebevoll an die Hand genommen und in
die Lage versetzt, selbst auch anders zu gucken.“ ●
Mehr sehen? Der Bildband Pina Bausch backstage: Photographien (Nimbus, 39,80 Euro)zeigt die Anfänge von Pina Bauschs Arbeit in Wuppertal Mitte der 70er-Jahre _ 99
Heute essen wirDRAUSSEN
Bei dem Wetter wollen wir raus – ein lauschiges Plätzchen, wo man
seine Decke ausbreiten kann, findet sich immer. Und die passenden
Rezepte fürs Picknick liefert uns die Wiener Köchin Julia Kutas
Zitronen-Orangen-Eisteesirup
100 _ Spoil yourself
Rezepte
Caesar Salad mitRosenkohl & Parmesantalern
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Gefüllte Feigen mitKaramellnüssen
Zitronen-Orangen-Eisteesirup
ZUTATEN FÜR CA. 300 ML SIRUP:
2 Biozitronen ✻ 3 Bioorangen ✻ 2 Handvoll Minze
200 g Gelierzucker ✻ 1/2 l Wasser ✻ 2 Tl Kardamom
Zitronen- und Orangenschalen abreiben, Früchte auspressen.
Saft mit allen angegebenen Zutaten in einem Topf aufkochen
und ca. 45 Minuten bedeckt köcheln lassen. Dann den Sirup je
nach Belieben durch ein Küchentuch sieben oder ungefiltert
heiß in aus gekochte Flaschen füllen.
Für einen Eistee 2 El Sirup, 1 Zweig Minze und Eiswürfel in ein
Glas füllen und mit ca. 150 ml gekühltem Schwarztee aufgießen.
Tipp: Der Sirup kann auch mit Prosecco aufgespritzt oder
als Kuchenglasur verwendet werden. Ich liebe auch Grüntee-
Eistees; Rooibos- oder weißer Tee eignen sich ebenso gut.
Caesar Salad mit Rosenkohl& Parmesantalern
ZUTATEN FÜR 4 PORTIONEN:
2 Scheiben Ciabatta ✻ einige Spritzer Olivenöl
1 El getrocknete Kräuter der Provence ✻ 2 El Fleur
de Sel ✻ 200 g Rosenkohl ✻ 2 El Chiliöl ✻ 200 g
frisch geriebener Parmesan ✻ 1 großer Römersalat
FÜR DAS DRESSING: 2 El Dijonsenf ✻ 2 El frisch ge-
riebener Parmesan ✻ 100 ml Olivenöl ✻ Saft von
1/2 Zitrone ✻ 1 El Weißweinessig ✻ Salz ✻ Pfeffer
Ciabatta grob würfeln. Mit Olivenöl, Kräutern und Fleur de Sel
auf einem Backblech im vorgeheizten Backofen bei 200 Grad
5–10 Minuten goldbraun rösten. Zur Seite stellen.
Rosenkohl putzen und halbieren. Das Chiliöl in einer Pfanne
erhitzen und den Rosenkohl darin scharf anbraten, bis er an
einigen Stellen Farbe annimmt.
Ein Backblech mit Backpapier auslegen. Parmesan in ca. 2 x 2 cm
großen Häufchen darauf verteilen, dabei genug Abstand lassen.
Im vorgeheizten Ofen bei 200 Grad 5–10 Minuten backen, bis die
Hügelchen zu Talern werden. Abkühlen lassen, wenn die Taler
fest werden, und vom Backpapier ablösen.
Für das Dressing alle Zutaten mit dem Stabmixer cremig ver-
rühren. Römersalat putzen, waschen, trocken schleudern und
in Vierecke schneiden. In einer Schüssel mit dem Rosenkohl
mischen und mit dem Dressing gut marinieren.
Zum Transport Ciabatta, Parmesantaler und Salat getrennt ein-
packen. Vor dem Servieren Salat mit Würfeln und Talern toppen.
Gefüllte Feigen mit Karamellnüssen
ZUTATEN FÜR 4 PORTIONEN:
1 Handvoll Walnüsse ✻ 100 g Puderzucker
2 El Butter (zimmerwarm) ✻ 50 ml Sahne (zimmer-
warm) ✻ 4 Feigen ✻ 1 Prise Fleur de Sel
100 g Ziegenfrischkäse
Walnüsse im Ofen oder in einer Pfanne rösten. Puderzucker in
einer Pfanne schmelzen lassen, dabei mit einem Kochlöffel
ständig rühren. Immer wieder von der Flamme nehmen, wenn er
zu schnell schmilzt. Wenn keine Klumpen mehr da sind, zu
102 _ Spoil yourself
Mini-Limettencheesecake
_ 103
Prosciutto-Tarte mit Zucchini& getrockneten Tomaten
einem Schneebesen wechseln. Butter und Sahne hinzufügen
und gut verrühren. Von der Flamme nehmen. Wenn der Karamell
leicht abgekühlt ist, Salz hinzufügen und Walnüsse einrühren.
Auf Backpapier auskühlen lassen.
Am oberen Spitz der Feigen über Kreuz einschneiden. Mit Ziegen-
käse füllen und jeweils 1 karamellisierte Walnuss aufl egen.
Mini-Limettencheesecake
ZUTATEN FÜR 20 STÜCK:
500 g Frischkäse ✻ 70 g Zucker ✻ 200 ml Sahne
2 Eier ✻ 2 Tl Limettensaft ✻ 1 Packung Vanille-
Puddingpulver ✻ 5 El Zitronen-Orangen-Sirup
(Rezept siehe Seite 102) ✻ Minze zum Dekorieren
Puderzucker zum Bestreuen
Frischkäse, Zucker, Sahne, Eier, Limettensaft und Vanille-
Puddingpulver gut miteinander verrühren und in kleine Papier-
backförmchen in ein Muffi nblech füllen.
Ca. 45 Minuten bei 170 Grad im vorgeheizten Ofen backen,
bis ein Zahnstocher hineingepikst und wieder herausgezogen
werden kann, ohne dass Kuchenreste daran haften.
Kurz abkühlen lassen und mit dem Sirup bepinseln. Mit Minze
dekorieren, mit Puderzucker bestreuen.
Prosciutto-Tarte mit Zucchini& getrockneten Tomaten
ZUTATEN FÜR 1 BLECH:
FÜR DEN MÜRBETEIG: 250 g Mehl ✻ 125 g Butter ✻ 1 Ei
125 ml eiskaltes Wasser ✻ 1 Prise Salz
FÜR DEN BELAG: 1 Zucchini ✻ Olivenöl zum Anrösten
100 g Prosciutto ✻ 100 g getrocknete Tomaten in Öl
2 Eier ✻ 3 El Ricotta ✻ Rucola zum Garnieren
Alle Teigzutaten schnell verkneten und dann den Teig 30 Minuten
im Kühlschrank ruhen lassen.
Teig ausrollen, auf ein mit Backpapier ausgelegtes Blech legen.
Im Kühlschrank nochmals durchkühlen lassen (wenn das Blech
zu groß ist, Teig auf dem Backpapier in den Kühlschrank legen).
Zucchini in Scheiben schneiden und von beiden Seiten in einer
Pfanne in etwas Olivenöl anrösten. Den Teig mit Zucchini,
Prosciutto und getrockneten Tomaten belegen. Eier und Ricotta
verrühren und mit einem Löffel darüber verteilen.
Ca. 50 Minuten bei 200 Grad im vorgeheizten Ofen backen,
mit Rucola garnieren. Schmeckt warm oder kalt. ●
LECKERES (NICHT NUR) TO GOJulia Kutas betreibt in Wien zwei
Restaurants (hiddenkitchen.at), wo
man auch gefüllte Picknickkörbe
zum Mitnehmen erwerben kann. In
ihrem Buch City Picknick (Brand-
stätter, 25 Euro) finden sich neben
tollen Rezepten auch Ideen für ein
Movie-Dinner mit Freunden oder
ein Sonntagsfrühstück im Bett. FOTO WOLFGANG HUMMEL/BRANDSTÄTTER VERLAG104 _ Spoil yourself
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VOLLER KREATIVITÄT
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108 _ Spoil yourself
Inspiration
Wohnen und arbeitenAUF DEM WASSER
Die Designerin Roos Brancovich lebt auf einem 100 Jahre alten Amsterdamer
Hausboot – mit ihrer Familie und einer Tonne Indigo. Mit der bearbeitet sie antike Stoffe
und ist immer wieder fasziniert, wie unterschiedlich die Farbe ausfallen kann
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3
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Mein Fass mit 60 Litern Indigofarbe steht in“
der Schlafkajüte. Ich mag den Geruch der Farbe“
4
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110 _ Spoil yourself
Das Kartoffelschiff „Catootje“ hat ein
respektables Alter: Mit 101 Jahren ist es
als Frachtschiff längst in Rente, bietet
nun jedoch Roos Brancovich (37), ihrem
Mann Leo (42), Tochter Charlie (4) und
Sohn Saul (2) ein Dach über dem Kopf.
„Mein Fass mit Indigofarbe steht in der
Schlafkajüte“, erzählt Roos. „Das Indigo,
das ich benutze, ist nicht irgendeine Farbe.
Es ist wichtig, sie richtig zu behandeln.
Wenn es ihr gut geht, schwimmt eine Blume
darauf, ein Kreis aus dunkelblauem Schaum.
Das Indigo muss jeden Tag umgerührt
werden, seine Temperatur sollte so kons-
tant wie möglich sein. Darum steht das
Fass im Schlafzimmer. Wo jetzt unser Bett
ist, war früher der Motor. Am Anfang roch
man noch das Öl, aber jetzt hängt immer
ein Hauch von Indigo in der Luft. Ich mag
das, und dennoch hoffe ich, irgendwann
ein eigenes Atelier zu haben. Meine Manu-
faktur heißt ,Toile de Chine‘, nach dem
indigoblauen Stoff, aus dem man bereits
im alten China Arbeitskleidung machte.
Die Franzosen brachten ihn im 17. Jahrhun-
dert nach Europa und verwendeten ihn zum
selben Zweck, weil er robust war und nicht
schnell schmutzig wurde. Später stellten
sie den Stoff in Nîmes selbst her. Daraus
entstand der Name Denim: von ,de Nîmes‘.“
SAMMELWUT
„Ich bin ausgebildete Modedesignerin.
Meine Faszination für Denim entstand, als
ich für Marly Nijssen arbeitete. Sie hat
lange Kollektionen für Diesel und andere
Marken entworfen und ist mein Denimguru.
Inspiriert von Marly, habe ich während
meiner Dienstreisen immer nach besonde-
rer Kleidung von früher Ausschau gehalten,
insbesondere aus der Zeit von 1900 bis
1950. Das artete schließlich in eine Sammel-
wut aus. Ich interessierte mich mehr und
mehr für Dinge, die Menschen selbst her-
gestellt hatten, wie Quilts oder Kissen, und
beschäftigte mich mit
alten Techniken, etwa
der japanischen
Shashiko-Stickerei.
Sie wurde verwendet,
um alte Kleidung
auszubessern und
gleichzeitig zu ver-
zieren, da man mit
dickem weißem Garn
verschiedene Muster
stickte. Ich interes-
siere mich auch für
gestickte Symbole:
,Semamori‘, Amu- 7lette, die auf die
Rückseite von Kinder-
kimonos gestickt wurden, um die Kinder
gegen das Böse zu beschützen. Und ich
färbe eigene Muster und Motive in alte
Stoffe. Am liebsten jedoch tauche ich
schöne alte Kleidungsstücke in das Indigo-
fass. Je tiefer man sie eintaucht, desto
intensiver wird die Farbe. Häufig verwende
ich auch die Itajime-Shibori-Technik: Man
nimmt ein Stück Stoff und klemmt es zwi-
schen zwei Formen, sodass an bestimmte
Stellen keine Farbe gelangt. Dadurch ent-
stehen beim Färben wunderschöne Muster.“
LIEBE AUF DEN ERSTEN BLICK
„Leo wollte gern auf einem alten Kahn
wohnen. Als wir ,Catootje‘ sahen, haben
wir uns sofort in sie verliebt. Leben auf dem
Wasser ist etwas Besonderes. Wir sind
mitten in der Stadt, aber auch mitten in der
Natur. Ich kann mir nicht vorstellen, irgend-
wann mal wieder auf dem Land zu woh-
nen. Schon allein das leichte Wiegen des
Bootes würde ich sehr vermissen.
In meinem idealen Zuhause sollte es viel
Vintageleinenwäsche, französische Arbeits-
kleidung und antike Spitze geben. Und
seidene Unterwäsche und Nachthemden
mit gestickten Initialen; dazwischen
1. Den Holzofen gab es schon auf dem Boot
2. „Einige meiner alten Scheren. Ich habe sie
schleifen lassen und benutze sie wieder“
3. Akzente gegen das Blau setzt Roos mit
Hinguckern: zum Beispiel dem Babyfoto
ihrer Tochter Charlie …
4. … oder mit einem Paar knalliger Schuhe
5. „Ob es dem Indigo gut geht, erkennt man an
der Schaumblume, die darauf schwimmt“
6. Die Farbe muss jeden Tag umgerührt werden
7. Roos’ Tassensammlung: Reisemitbringsel
und Familienstücke. Natürlich fast alle in Blau
_ 111
2
1“Ich liebe alles, was schon ein
Leben hinter sich hat“
3
1. „Es ist immer wieder spannend, zu sehen, ob
ich den Stoff häufi g und tief genug in das Indigo
getaucht habe. Wenn nicht, wird die Farbe nach
dem Trocknen zu hell“
2. Auch die Etiketten stickt Roos von Hand
3. „Einige der Stoffe kommen aus Japan und sind
schon 100 Jahre alt. Manchmal benutze ich sie
für Ausbesserungen, aber am liebsten mache
ich gar nichts damit und schaue sie mir nur an“
hübsche, abgenutzte Denimstoffe. Ich
selbst mag abgetragene Jeans; darüber
ein schönes Hemd mit farbigem Akzent,
schon wirkt es weiblicher. Dieser Stil findet
sich auch auf unserem Boot. Von außen
ist es dunkelblau, aber drinnen leuchtet es
in knalligem Rosa und Orange; Farben,
die auch in meiner Kleidung vorkommen.
Für mich müssen die Dinge ein gewisses
Extra haben. Es darf gern alles etwas
durcheinander wirken. Wir mögen Krims-
krams, Bildersammlungen an den Wänden,
alte Lampen, verwitterte Kisten. Alles,
was ein Leben hatte, bevor es zu uns kam.
Mit Kleidung geht es mir genauso. Einen
alten Kimono, der aufgearbeitet wurde,
finde ich interessanter als einen neuen.
MYSTERIÖSE SYMBOLE
80 Jahre alte Stoffe aus Leinen sind
meist immer noch sehr schön. Es ist schwer,
sie zu finden, aber wenn ich welche ent-
decke, macht mich das glücklich. Genau
wie aufgearbeitete Kleidungsstücke: All
die kleinen Ausbesserungen – eine schöner
als die andere. Und wenn man sich erst
die japanischen Stickereien ansieht, mit all
den mysteriösen Symbolen! Es scheint,
als sei dort jeder ein Perfektionist.
Ich glaube, auch bei uns gab es früher viele
schöne Dinge, denen man die Fachkennt-
nis und Konzentration ansah, mit denen sie
hergestellt wurden. Denn selbst wenn so
ein Objekt abgenutzt ist – die Qualität ist
noch erkennbar. Ich versuche, das Gefühl
für diese Art der Qualität wiederzubeleben,
auf meinem Boot und in meiner Arbeit. Ich
möchte handgemachte Produkte verkaufen,
die nicht aus grauer Vorzeit stammen, aber
trotzdem mit alten Techniken hergestellt
wurden – jedes für sich ein Unikat.
Außerdem versuche ich, alter Arbeits-
kleidung neues Leben einzuhauchen. Diese
Arbeit verschafft mir während des
gesamten Prozesses große Befriedigung,
gerade weil sie so intensiv und zeitauf-
wendig ist. Wie die Quilts, die ich seit eini-
ger Zeit herstelle, inspiriert von dem Buch
The Quilts of Gee’s Bend. Gee’s Bend ist
ein isoliertes afroamerikanisches Dorf in
Alabama. Die Frauen dort stellen schon
seit dem 19. Jahrhundert Quilts in einem
sehr eigenen Stil her, mit groben abstrak-
ten Formen und fantastischen Farben.
Meinen Quilts gebe ich einen Dreh, indem
ich alte Denimstoffe für sie benutze.
Manchmal bin ich wochenlang mit einem
Quilt beschäftigt. Erst schneide ich Stoff-
streifen zu, die ich lose auf dem Boden
anordne – wie ein Puzzle. Hat jedes Stück
Stoff seinen Platz gefunden, fotografiere
ich das Bild und nähe alles zusammen.
Anschließend besticke ich den Quilt. Das
erfordert viel Aufmerksamkeit; oft geht es
um Details. Es hat etwas Therapeutisches,
so konzentriert an etwas zu arbeiten.“ ●
✻ toiledechine.com TEXT CHRIS MUYRES FOTO BARBARA GROEN STYLING LINDIVIDU112 _ Spoil yourself
MAKE IT SIMPLE
Ein Tierpfleger im Amsterdamer Artis 1951, Zeitung lesend
neben dem Gehege seines Schützlings. In der Gegenwart wird
auf deutlich mehr Abstand geachtet, die Tiere sollen so
naturnah leben, wie in einem Tierpark möglich. Der Kontakt
mit Menschen bleibt deshalb bewusst sehr begrenzt. FOTO (VORDERSEITE) J. D. NOSKE/ANEFO/NATIONAAL ARCHIEF
Je länger man lebt,
desto deutlicher sieht man,
dass die einfachen Dinge
die wahrhaft größten sind.
Romano Guardini, Theologe (1885–1968)
_ 115
MAKE ITSIMPLEEs muss gar nicht so kompliziert sein
Zackig ausgebügeltÄrgere dich nicht länger über den Fleck, der sich so hartnäckig an dein
Lieblingsshirt klammert. Gib ihm lieber eins drüber – ein Quadrat, ein Parallelo-
gramm, ein Dreieck oder was sich noch so unter den mehr als 100 grafischen
Stickern in der Bastelbox „Create me“ findet. Mit den schwarzen, goldenen und
silberfarbenen Textilbügelbildern bezwingst du aber nicht nur Soßenspritzer
und kleine Löcher. Du kannst mit ihnen auch richtig kreativ werden und schlichte
Hemden, Hosen oder Handtaschen zu kantigen Unikaten „umbügeln“.
Wenn das nicht spitze ist … Über humade.nl, 21 Euro
Herei n, bete!Die „kleinste Form eines spirituellen
Raumes“ hat der Künstler Oliver Sturm
erfunden: den Gebetomaten. In ihm
kann man wie fürs Passfoto Platz neh-
men und sich eines von 300 Gebeten
in 65 Sprachen anhören. Gesprochen
von Anhängern der fünf Weltreligionen
wie auch kleinerer Glaubensrichtungen,
etwa der Sikhs. In Berlin, Frankfurt
und an weiteren Orten. gebetomat.de
Wenn ein“Problem gelöstwerden kann,braucht man
sich keine Sor-gen zu machen.
Wenn nicht,sind Sorgen
si n n los.“
Dalai Lama
SpülgefühlEntspannen? Geht in einem
Abwasch. Und das ist wörtlich
gemeint: Geschirr per Hand zu
spülen ist laut Psychologen
der Florida State University gut
gegen Stress. Für eine Studie
baten sie Studenten, in der Küche
klar Schiff zu machen. Diejenigen,
die dabei achtsam dem Geruch
des Spülmittels oder der Wärme
des Wassers hinterherspürten,
fühlten sich danach um 27 Pro-
zent weniger nervös und um ein
Viertel inspirierter. Sauber!
116 _ Make it simple
Am Wassergebaut
Die Füße vom Steg baumeln
und den Blick über den See
schweifen lassen reicht dir
nicht? Unsere Kollegen von
Walden verraten in ihrer neuen
Ausgabe, wie man ein Paddel
schnitzt, eine Angel baut und
welche Abenteuer am Wasser
auf dich warten. walden-
magazin.de, 7,50 Euro.
Alles ist erleuchtetBloß nichts wegwerfen: Das Sammelsurium im Küchenschrank eignet sich für
originelle DIY-Ideen. So werden alte Teekannen kurzerhand zur Vase, bunte Teller
zur Etagere (Bausatz über koalaplan.com) – und aus Omas blumigem Unter-
tässchen lässt sich dank der „Holden Isolde“ leicht ein Kerzenleuchter zaubern.
Der schlichte Halter glänzt in acht Farben, 12,90 Euro, dekoop.de
TEXT CHRISTINE RITZENHOFF FOTO GETTY IMAGES, PLAINPICTURE, LARISSA YAHIAChe bello!Wer bei „bello“ zuerst an einen kläffenden Hund
denkt, ist womöglich reif für Babbel: Die App
hat Kurse in 14 verschiedenen Sprachen in petto,
für Anfänger wie Fortgeschrittene und in kleinen,
spielerischen Lektionen. Die sind ideal, um sich
zwischendurch die Zeit zu vertreiben. Und korri-
gieren sogar die Aussprache. Wau, äh, wow!
Wie gemalt!Kein Schnappschuss der Skyline, kein Selfie am Strand.
Die New Yorkerin Lauren Hom reist gerade ein Jahr lang
durch Südamerika, Europa und Asien – mit dem festen
Vorsatz, kein einziges Foto zu machen. „Statt die Welt durch
eine Kameralinse zu erleben, will ich meine Erlebnisse
altmodisch festhalten, mit Skizzen und Schriftzügen“, sagt
die Illustratorin. Auf ihrem
Blog nophotosplz.com
doku mentiert sie, wie das
aussieht: Dinge, die sie auf
dem Markt von Montevideo
entdeckt, Klamotten, die
im Koffer stecken, Gefühle,
die sie fern der Heimat
übermannen, all das gibt
es von ihr – hübsch ge-
scribbelt und ohne Filter.
_ 117
BLUMENMAL ANDERS
Wir umgeben uns gern mit Blumen, immer wieder zaubern sie uns ein
Lächeln aufs Gesicht. Und es gibt so viele Möglichkeiten, sie zu arrangieren:
in Schalen, mit Masking-Tape an der Fensterscheibe oder in Form von
Gesichtern. Inspiration haben wir bei Bloggern und auf Instagram gefunden
Eine Blumendeko aus dem Buch Wohnen mit
Blumen, das Holly Becker gemeinsam mit der
Stylistin Leslie Shewring gemacht hat
118 _ Make it simple
Inspiration
1. Nimm ihn auseinander„Was ich mache, wenn Gäste kommen: Blumenstiele kurz
schneiden und mit Masking-Tape ans Fenster kleben“
Manchmal muss man die ausgetretenen Pfade verlassen, um
etwas Schönes zu schaffen, meint die Autorin, Stylistin und
Bloggerin Holly Becker. „Ich nehme gebundene Sträuße einfach
aus einander und arrangiere die Blumen beispielsweise nach
Arten. Das Bindegrün werfe ich weg. Das, was in Sträußen so oft
verwendet wird, mag ich nicht, weil es meist etwas künstlich
aussieht. Stattdessen verwende ich frische Minze oder Blätter,
die ich im Wald gefunden habe. Ich sortiere das gesamte Mate-
rial, breite es vor mir aus und überlege mir interessante neue
Kom binationen.“ Die Amerikanerin Holly, die inzwischen mit
Mann und Baby in Hannover wohnt, hat sich als Einrichtungs-
beraterin und mit ihrem Designblog decor8 einen Namen ge-
macht. Schon als Kind hat sie ihrer Mutter, einer Floristin, gern
im Garten geholfen. Holly hat mehrere Bücher über Wohnen
geschrieben, darunter auch Wohnen mit Blumen (Callwey).
Aber zurück zu den Blumensträußen, die sie neu sortiert:
„Es macht sich gut, wenn du die Blumen einzeln oder in kleinen
Sträußchen in schönen Vasen, Töpfen oder Bechern in der
ganzen Wohnung verteilst. So hast du in jedem Zimmer Freude
an ihnen.“ Pfi ngstrosen, Clematis, blühender Kirschbaum –
Holly arbeitet mit allem, was zur Verfügung steht. Die einzigen
Pfl anzen, die sie nicht so gern mag, sind Orchideen im Topf
(„In jedem Haus in Deutschland steht so ein Topf im Fenster“)
und die klassische rote Rose („klischeehaft und einfallslos“).
Noch ein weiterer Tipp von Holly: „Was ich häufi g mache, wenn
Gäste kommen, zum Beispiel zum Brunch: Ich schneide Blumen-
stiele ziemlich kurz und klebe die Blüten mit Masking-Tape im
Esszimmer an das große Fenster. Die Blumen bleiben ungefähr
vier Stunden schön aufrecht. Danach schneide ich die Blüten-
köpfe ab und lege sie in eine mit Wasser gefüllte Schale, die ich
auf den Tisch stelle.“
Holly Becker schreibt nicht nur auf ihrer eigenen Website decor8blog.com.
Du findest ihre Beiträge auch in verschiedenen anderen Blogs und ame-
rikanischen Magazinen wie Good Housekeeping und Sweet Paul oder dem
britischen Mollie Makes. Daneben veranstaltet sie auch Workshops.
2. Entscheide dich für eine Farbe„Ich liebe alle Blumen, aber am liebsten arbeite ich mit
Blumen aus meinem eigenen Garten“
Stylistin und Bloggerin Stéphanie Lhérété bezeichnet sich selbst
nicht als Expertin oder Floristin. „Ich spiele einfach mit Blumen.
Wichtig ist es für mich, Wildblumen oder Saisonblumen zu
verwenden. Sie vermitteln mir ein Gefühl von Freiheit. Ich ent-
scheide mich immer für eine Grundfarbe, denn ich fi nde es
nicht gut, wenn mehrere kräftige Farben nebeneinanderstehen.
Außerdem liebe ich Zusammenstellungen, die ein bisschen
ungewöhnlich sind. Ich kombiniere dann zum Beispiel große
Blumen wie etwa eine Pfi ngstrose mit Eukalyptus.“
Die Französin wohnt mit ihrer Familie im Südwesten Frankreichs,
in einem kleinen Ort am Meer in der Nähe von Biarritz. Da über-
rascht es auch nicht, dass sie die etwas wildere Flora aus ihrer
direkten Umgebung so sehr liebt. Stéphanie hat Kunst und Bild-
hauerei studiert und in einem Antiquitätenladen gear beitet, wo sie
sich auf Restaurierung spezialisiert hat.
Ihr Blog Minimom sprüht nur so vor Inspiration: leckere Rezepte
(zum Beispiel für Haselnuss-Schoko-Creme), Reisefotos, die
Fernweh wecken, und natürlich: ihre Blumenarrangements. Damit
hat sie vor zwei Jahren begonnen, als sie in ein Haus mit einem
großen verwilderten Garten zog. „Da blühten die schönsten
Blumen. Alles war schon da, ich musste einfach nur etwas damit
machen. Die Natur inspiriert mich sehr, weil sie lebt und eine
bestimmte Feinheit und Poesie in sich birgt. Eigentlich liebe ich
alle Blumen, aber ich arbeite am liebsten mit denen aus meinem
eigenen Garten: Ranunkeln, Anemonen, Kamille … Die Möglich-
keiten sind unendlich, und die Freude, die du mit Blumen erleben
kannst, ist grenzenlos.“
Mehr über Stéphanie Lhérété und ihre DIY-Ideen gibt es auf Facebook
(Pomverte x minimöm), Instagram (@pomverte), Pinterest (pomverte) oder ihrem
eigenen Blog (minimomblog.wordpress.com). In Stéphanies Onlineshop
(minimom.fr) findest du schöne Sachen für die Wohnung.
3. Schau genau hin„In der Natur neigen sich Pflanzen und Blumen in alle
Richtungen. Warum nicht auch in der Vase?“
Philippa Stanton ist in der Kunstszene vor allem für ihre Blumen-
bilder – abstrakte Ölgemälde – bekannt. Mindestens so populär
wie die Malerin ist allerdings ihr Alter Ego 5ftinf, unter dem sie auf
Instagram täglich ein Foto ihres Tisches postet. Immer dabei:
eine Tasse mit englischem Tee, alltägliche Utensilien, etwa Büro-
klammern oder Buntstifte, sowie frische Blumen. Philippa rät:
„Schau dir Blumen, Pfl anzen und Blätter genau an. Folge ihren
natür lichen Linien und Formen. Lass dich auf sie ein, anstatt ihnen
deinen Willen aufzuzwingen. Ihre Schönheit verrät dir, was du
mit ihnen tun kannst. Es darf auch wild sein – in der Natur neigen
sich Pfl anzen und Blumen ja auch in alle Richtungen, warum
Etwas andere Dekoideen mit Schnittblumen hat auch Franziska von Hardenberg,Gründerin des Blumenversands bloomydays.com, in ihrem Buch versammelt (GU, 14,99 Euro) _ 119
sollte das dann in einer Vase nicht erlaubt sein?“ Ihre Tisch-
arrangements und anderen Blumen kreationen sind ein riesiger
Erfolg, inzwischen folgen Philippa mehr als 450 000 Leute.
Dabei begann alles als Scherz. „Ich habe mit der App einfach
ein bisschen rumgespielt“, sagt die Künstlerin. Dass die Fotos
so beliebt sind, kann sie aber gut verstehen: „Ich vermute,
dass die Wiederholung einer Idee mit der kons tanten Verände-
rung in jedem Bild die Faszi nation ausmacht. Ich denke mir
nie etwas im Voraus aus. Es spricht die Leute einfach an, dass
ich nur an meinem Tisch sitze und Gegenstände hin und her
schiebe, während ich eine Tasse Tee trinke, und zwar genau in
dem Moment, in dem diese Leute ebenfalls ihren Tee trinken.“
Blumen und Zweige für ihre Arrangements pfl ückt sie meist in
ihrem eigenen Garten, im Winter kauft sie sie aber auch mal im
Laden. Und Philippa will noch lange so weitermachen. „Ich liebe
es, einfach nur zu beobachten, ohne an etwas Besonderes zu
denken, etwa den Abwasch oder die Bügelwäsche. Und ich ge-
nieße es sehr, mit etwas zu arbeiten, das unter freiem Himmel
wächst. Das gibt mir ein bisschen ein Gefühl von Demut.“
Philippa Stanton wohnt im englischen Brighton. Sie liebt es, Listen zu machen
und mit Soundtrack-Musik von schlechten Western im Ohr zu joggen. Mehr von
ihrer Arbeit findest du unter 5ftinf.blogspot.co.uk oder unter @5ftinf auf Instagram.
4. Trau dich, etwas auszuprobieren„Eine Blume ist einfach zum Genießen da“
Alles ist möglich, so könnte das Motto von Designerin Justina
Blakeney lauten. Sie geht beim Arrangieren von Blumen und
Pfl anzen immer wieder neue Wege: „Die Grenzen haben wir
selbst gezogen. Aber warum eigentlich? Mein Tipp: Schau mal
über den Tellerrand. Viele Leute sehen eine Blume und denken:
Die sieht schön aus in der Vase. Aber du kannst mit ihr viel mehr
machen. Ich ziehe Blumen auseinander, zerreiße die Blätter,
schneide sie in Stücke. Trau dich einfach, etwas auszuprobieren.“
Justina stylt, entwirft, erfi ndet und macht so gut wie alles auf
dem Gebiet Wohnen und Lifestyle. TV-Produzenten klopfen bei
ihr an, wenn sie für eine Show eine besondere Ausstattung
wünschen. Internationale Magazine beauftragen sie mit Stylings,
und Firmen wie Microsoft oder eBay schätzen ihre Arbeit, weil
ihr Ansatz immer frisch und kreativ ist.
Ihr Stil gilt als originell, eklektisch und persönlich. Für ihre
Stylingjobs verwendet Justina natürlich häufi g Blumen, und nach
dem Fotoshooting sind die schönen Blumen dann immer übrig.
Irgendwann fragte sie sich: Was könnte man eigentlich noch
mit ihnen anfangen? „Ich saß in meinem Garten und spielte mit
1
2
1. Ein Tischarrangement von Philippa Stanton
2. Stéphanie Lhérété verziert Zitate mit Blumen
3. Tipp von Holly Becker: Schneide Blumen recht kurz ab und
kleb sie mit Masking-Tape an die Wand oder ans Fenster
4. Justina Blakeney macht Gesichter aus Blumen. Ihr Projekt
Face the Foliage inspiriert Menschen auf der ganzen Welt
5. Sabine Sansey beschreibt mit zarten Blümchen die Schön-
heit des Alltäglichen3
Blättern, Stielen und zarten Zweigen. Da kam ich auf die Idee,
Gesichter daraus zu machen. Ein neues Projekt war geboren:
Face the Foliage. Das Besondere ist, dass jedes Gesicht eine
ganz eigene Persönlichkeit besitzt.“
Justina freut sich darüber, dass inzwischen auf der ganzen Welt
Blumengesichter gemacht werden. Sie bekommt von überallher
Mails von Leuten, die sie inspiriert hat. Mittlerweile werden die
bunten Gesichter in Sommercamps, Schulen und auch in Behin-
derteneinrichtungen gebastelt. Der Schneeballeffekt überrascht
Justina nicht: „Die Arbeit mit Blumen und Pfl anzen hat eine
therapeutische Wirkung. Ich beginne jeden Tag damit – es ist für
mich wie Medi tation. Blumen regen alle unsere Sinne an: Sie
duften angenehm, sehen schön aus, und manche schmecken
120 _ Make it simple
TEXT ANNE BROEKMAN
4
5
sogar gut. Sie gehören zu den wenigen Dingen, die ausschließ-
lich zum Genießen da sind.“
Mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter wohnt Justina Blakeney in den
Hügeln oberhalb von Los Angeles. Schon ihr Haus („The Jungalow“) ist eine
starke Inspirationsquelle, wie man auf ihrer Website justinablakeney.com
erkennen kann. Du findest Justina auch auf Instagram unter @justinablakeney
und auf pinterest.com/justinablakeney.
5. Pflücke selbst„Der Duft von Blumen weckt immer Erinnerungen in mir“
Die Blumen, mit denen Sabine Sansey arbeitet, pflückt sie grund-
sätzlich selbst. „Ich genieße es, schöne, besondere Exemplare
zu suchen. Blumen, die man im Alltag nicht so häufi g sieht. Ich
schätze aber auch die Schönheit von Allerweltsblumen. Ich rate
jedem dazu, sie selbst zu pfl ücken. Man bekommt dabei ein
Gefühl für die Blumen und für das, was man alles mit ihnen tun
kann“, sagt die Stylistin und Bloggerin.
Nach ihrem Studium an der Kunstakademie hat Sabine 15 Jahre
lang als Dozentin für grafi sche Gestaltung gearbeitet. Vor einem
Jahr wagte sie den Schritt in die Selbstständigkeit und kann sich
nun mehr auf ihre persönlichen Designprojekte konzentrieren.
Irgendwann hat Sabine aus einer Laune heraus ein Wort aus
Blumen gestaltet. Dafür erhielt sie auf ihrem Instagram-Account
so viele Likes, dass sie fortan noch viel mehr mit Blumen ge-
staltete. Inzwischen hatte sie Aufträge für Flow, die chinesische
Elle und andere Magazine und arbeitet an einem Buch. Sie ist
auch als Fotografi n gefragt. Auf ihrem Blog fi nden sich unter
anderem inspirierende DIY-Ideen und Fotos von ihrem Atelier
und ihrer Arbeit. Aber die Liebe zu Blumen bleibt. „Ich liebe ihren
Duft so sehr, weil er immer Erinnerungen in mir weckt. Und ich
genieße es, mit den Formen und Farben zu spielen. Am liebsten
mag ich Pfi ngstrosen, auch wenn ich sie nicht für meine Blumen-
worte verwende; die Blüten sind dafür leider zu voluminös. Die
Blumen und Sträucher, die ich verarbeite, ziehe ich am liebsten
selbst, in meinem eigenen Garten. Auch aus dem Garten meiner
Eltern nehme ich mir immer mal etwas mit.“ ●
Sabine Sansey ist in Bordeaux geboren und wohnt dort heute noch. Auf Instagram
findest du sie unter @miss_etc und auf ihrem Blog miss-etc.com gibt sie nicht
nur zahlreiche Tipps, sondern führt auch einen Webshop. Pardon! Eine Boutique.
ONLINE-INSPIRATION
✻ Blumen selbst pflücken? Überall im Land gibt es
Felder, auf denen du das nach Herzenslust tun
kannst. Google “Blumen selbst pflücken“ und deine
Gegend, und du erhältst überraschend viele Treffer
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findest du hier: shopgartenzauber.com
✻ Es lohnt sich, diesen Leuten auf Instagram
zu folgen: @amy_merrick (Amy kommt aus New York
und fotografiert Blumen auf der ganzen Welt);
@ruby_marylennox (Ruby ist eine tolle Floristin
mit einem Laden in Berlin); @putnamflowers (die
Blumenarrangements von Darroch und Michael,
ebenfalls aus New York, sehen aus wie gemalt)
_ 121
DREIGESCHENKTÜTEN
mit schönen Mustern
122 _ Make
Sie erinnern uns ein wenig an früher, diese hübsch bedruckten, knisternden
Tütchen aus Packpapier. Und sie sind perfekt für kleine Geschenke:
Einfach auffalten, Geschenk reinstecken, ein Kärtchen dranheften und fertig
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HELFENFÜRS HERZ
Ehrenamtliche soziale Arbeit gibt uns ein gutes Gefühl, das haben wir schon gewusst.
Aber sie ist außerdem noch gesund. Diese überraschende Entdeckung machte
die Psychologin Hannah Schreier in einer Studie der Universität von British Columbia
WIE KAMEN SIE AUF DIE IDEE, DASS EHRENAMTLICHE
ARBEIT SICH POSITIV AUF DIE GESUNDHEIT AUSWIRKEN
KÖNNTE?
Nun, bisherige Forschungen zeigten bereits, dass ehrenamtlich
tätige Menschen oft das Gefühl haben, ihr Leben hätte einen
Sinn, und selten unter Depressionen leiden. Helfen stabilisiert
also die Psyche. Und die wiederum hat einen Einfluss auf die
körperliche Gesundheit. Das führte mich zu der Frage, ob ehren-
amtliche Arbeit möglicherweise auch direkt förderlich für die
Gesundheit sein könnte. Und noch eine Sache wollte ich heraus-
finden: Bisher hatten Forscher beim Thema Ehrenamt haupt-
sächlich Personen über 60 Jahren untersucht. Ich wollte gucken,
wie sich Helfen auf junge Menschen auswirkt.
WIESO HABEN SICH DIE FORSCHER DENN BISHER NUR
FÜR ALTE MENSCHEN INTERESSIERT?
Vor allem aus pragmatischen Gründen: Es sind oft eher ältere
Leute, die sich engagieren. 20-, 30- und auch noch 40-Jährige
sind meist zu sehr in Beruf und Familie eingespannt. Aber gerade
weil bisher so wenige Studien auf diesem Gebiet existierten,
fanden wir es interessant, junge Leute zu untersuchen. Wir
stellten eine Gruppe von 106 Highschool-Schülern zusammen.
Die eine Hälfte der Gruppe brauchte nichts zu tun. Die andere
Hälfte arbeitete zehn Wochen lang ehrenamtlich.
WAS WAR DAS FÜR EINE ARBEIT?
Die jungen Erwachsenen betreuten an einem Nachmittag pro
Woche Grundschüler aus ihrer Nachbarschaft bei deren außer-
schulischen Aktivitäten. Sie spielten mit den Kindern Fußball,
machten anderen Sport oder halfen ihnen bei den Hausaufgaben.
WIE KONNTEN SIE MESSEN, WELCHE AUSWIRKUNGEN
DAS AUF DIE GESUNDHEIT HATTE?
Wir haben zunächst alle Versuchsteilnehmer gemessen und
gewogen, sodass wir jeweils ihren Body-Mass-Index berechnen
konnten. Außerdem wurden Blutwerte erhoben und auf Risiko-
faktoren für Herz- und Gefäßkrankheiten untersucht – etwa
anhand des Cholesterinspiegels. Das Ergebnis war eindeutig:
Vor Beginn der ehrenamtlichen Tätigkeit gab es medizinisch
keinen Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Doch als wir
sie zehn Wochen später untersuchten, waren die Werte der
Jugendlichen, die den Kindern geholfen hatten, wesentlich besser.
Sie hatten einen niedrigeren Body-Mass-Index, weniger
Cholesterin und Entzündungsmarker im Blut. Ihre Risikofaktoren
für Herz-Kreislauf-Erkrankungen waren deutlich reduziert.
DAS IST EIN UNGLAUBLICHES ERGEBNIS. WAREN SIE
ÜBERRASCHT?
Ja und nein. Wenn wir geglaubt hätten, dass die Untersuchung
nichts bringen würde, hätten wir sie nicht durchgeführt. Wir
wussten allerdings nicht, ob zehn Wochen Ehrenamt ausreichen
würden, um messbare Ergebnisse zu erzielen. Außerdem ist ein
Einsatz pro Woche auch nicht gerade viel. Vor und nach der
Studie ließen wir die Jugendlichen zudem Fragebögen ausfüllen,
in denen wir uns nach ihrer Stimmung erkundigten, und erhoben,
wie oft sie nun auch sonst Mitgefühl zeigten und anderen halfen.
Die Freiwilligen hatten das in den zehn Wochen ihrer Tätigkeit
häufiger getan, die anderen Jugendlichen nicht. Und je mehr die
Freiwilligen für andere getan hatten und je besser sie sich in sie
hineinversetzen konnten, desto deutlicher hatte sich das Risiko
für Herzkrankheiten verringert.
124 _ Make it simple
Forschung
TEXT RENATE VAN DER ZEE ILLUSTRATION ANNELINDE TEMPELMAN/STUDIO 100%
HABEN SIE EINE ERKLÄRUNG FÜR DIESEN EFFEKT?
Allerdings. Aus früheren Untersuchungen wissen wir, dass eine
negative Lebenseinstellung und ein Mangel an Empathie eine
Rolle bei der Entstehung von Herzkrankheiten spielen. Durch die
ehrenamtliche Tätigkeit hat sich beides bei den Jugendlichen
zum Positiven verändert – mit den entsprechenden günstigen
Auswirkungen auf ihre Gesundheit.
WELCHE REAKTIONEN BEKAMEN SIE AUF IHRE
ERGEBNISSE?
Viele Leute fanden unsere Studie interessant, doch es stellte
sich auch heraus, dass sie zugleich viele Fragen aufwarf. Die
Leute waren gespannt, wie es weitergehen würde. Die Schlüssel-
frage ist ja tatsächlich, wie lange der positive Effekt auf die
Gesundheit anhält. Und was passiert, wenn man das Ehrenamt
wieder aufgibt. In unserer Studie war es uns nicht möglich, die
Versuchspersonen später noch einmal zu testen, aber das wäre
natürlich bedeutsam. Auch eine Untersuchung mit älteren
Menschen wäre nun interessant, da diese ja ohnehin ein erhöhtes
Risiko für Herz- und Gefäßkrankheiten aufweisen. Außerdem
würde ich gern wissen, ob andere Formen ehrenamtlicher Tätig-
keit ebenso große Auswirkungen haben wie die in unserer
Studie. Unsere Versuchsteilnehmer betreuten ja Kinder, hatten
also viel menschlichen Kontakt. Es bleibt völlig offen, ob auch
ehrenamtliche Hilfe, die nicht unmittelbar mit Menschen zu tun
hat, positiven Einfl uss auf die Gesundheit hat. Ich würde gern
eine Studie mit Jugendlichen durchführen, in der ein Teil der
Gruppe freiwillig etwas mit Kindern macht und die anderen zum
Beispiel in einer Bibliothek aushelfen.
HABEN SIE SELBST INZWISCHEN AUCH EIN EHRENAMT
ÜBERNOMMEN?
Ich habe mich schon ehrenamtlich betätigt, bevor ich mit dieser
Studie anfi ng. Eine Zeit lang habe ich Migrantinnen Englisch-
unterricht gegeben und lange für ein Kino gearbeitet, das nur
von Ehrenamtlichen betrieben wird. Ich fi nde es schön, zwischen
bezahlter und unbezahlter Arbeit zu wechseln. Ich hoffe, dass
meine Untersuchung auch andere dazu anregt. Natürlich ist es
schwierig, sich neben dem hektischen Alltag noch freiwillig zu
engagieren. Aber wenn man es will, dann gelingt es auch.
Allerdings hoffe ich, dass die Leute nun nicht nur damit
anfangen, weil es gut für die Gesundheit ist, sondern weil
es ihnen Spaß macht, Menschen zu helfen.
WIE HABEN DIE JUGENDLICHEN VERSUCHSTEILNEHMER
DENN DIE EHRENAMTLICHE ARBEIT ERLEBT?
Am Ende gab es ein kleines Abschlussgespräch. Dort erzählten
mir viele, wie froh sie darüber gewesen seien, dass sie diese
Erfahrung gemacht haben. Einige von ihnen haben ihr Ehrenamt
weitergeführt, nachdem das Projekt beendet war. Darunter waren
sogar Jugendliche, die von der Teilnahme an unserer Studie
anfangs nicht unbedingt begeistert waren.
WELCHES FAZIT ZIEHEN SIE AUS DER UNTERSUCHUNG?
Anderen zu helfen ist buchstäblich gut fürs Herz. Natürlich
schützt es nicht vor sämtlichen Krankheiten, aber es ist auf
jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung.
Ein amerikanischer Forscher beschrieb das Gefühl, das man empfindet, wenn man anderen freiwillig Gutes tut, alshelper’s high“. Es entsteht durch das Hormon Dopamin, das auch bei gutem Essen oder Sex ausgeschüttet wird
"_ 125
MEIN HAUS,DEINE FERIEN!
Ab und an zahlende Gäste zu beherbergen ist viel mehr als eine Einnahmequelle –
es ist auch eine tolle Möglichkeit, neue Leute kennenzulernen.
Aber wie fühlt sich das an, wenn Wildfremde zu Hause ein und aus gehen?
Christiane Würtenberger hat es ausprobiert und erzählt
126 _ Make it simple
Ausprobieren
„Ella, Ella“, ruft das Mädchen mit einem
so kehligen L, dass unsere Hündin den
Kopf schräg hält. Dann fliegt der Tennis-
ball durch den Garten, Ella springt, und
fortan sind die beiden ein Herz und eine
Seele. Ich sitze auf der Terrasse und be-
obachte die kleine Tatjana. Sie kommt
aus der Ukraine, hat blonde Haare und
will Eis prinzessin werden. Mit ihren Eltern
wohnt sie für eine Woche bei uns, und
gleich am ersten Tag fragten die, ob sie
den Garten mitbenutzen dürften. Haben
wir beim Vermietportal Airbnb nicht ge-
schrieben, dachte ich, aber: Ja, na klar.
DIE ZEIT WAR REIF
Vor vier Jahren haben wir in Potsdam
ein altes Haus mit Garten gekauft, das im
Dachgeschoss zwei Extraräume mit
Dusche hat. Erst dachten wir, die Kinder
würden sich da oben ihr eigenes Reich
einrichten. Doch für die war alles so neu,
dass sie ihre Zimmer lieber bei uns haben
wollten. So hatten wir Platz übrig.
Die erste Zeit waren wir mit unserem
neuen Leben beschäftigt. Aber irgendwann
begannen wir, Pläne zu schmieden. Wie
wäre es, wenn wir die Zimmer an Gäste
vermieten würden? Möbel hatten wir übrig,
eine Küchenecke ließ sich einbauen. Wir
hatten Lust, Gastgeber zu sein. Also statte-
ten wir die Räume mit allem aus, was wir
in vergangenen Urlauben wo anders ge-
schätzt oder vermisst hatten. Dann stellten
wir bei Airbnb und FeWo- direkt Fotos und
Texte ein und gingen online.
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde,
es ist nicht wegen des Geldes gewesen.
Was wir durch das Vermieten einnehmen,
können wir im Urlaub ausgeben. Aber es
ist nicht nur deshalb. Es geht uns auch
darum, Menschen kennenzulernen. Wir
lieben unser Zuhause, die Nähe zu Berlin
und die vielen Seen. Und wir freuen uns,
wenn’ s anderen auch gefällt. Sicherlich
sind wir auch vom Zeitgeist beeinfl usst:
Seit ich in Potsdam lebe, gehe ich auf
Klamotten-Tauschpartys. In unserer Straße
ist es normal, sich gewisse Dinge auszu-
leihen, anstatt sie zu kaufen. Der Nachbar
hat die Ausziehleiter, wir den Häcksler.
Und dann ist da Ella, die Australian-Shep-
herd-Hündin. Sie ist unser quickleben-
diger Beweis, dass auch Dog-Sharing mit
einer anderen Familie funktionieren kann.
Kurzum, die Zeit war reif für den nächsten
Schritt: das Zuhause teilen.
Als Erstes meldeten sich Marek und seine
Frau bei uns, ein Pärchen aus Polen. Wir
waren aufgeregt, schauten, seit wann die
beiden bei Airbnb Mitglieder waren und ob
es schon Bewertungen gab. Doch Marek
war, wie wir, neu bei dem Portal. Nach-
denklich starrte ich auf den Bildschirm mit
der Anfrage. Vorab hatte sich alles gut
angefühlt, doch jetzt wurde mir etwas fl au
im Magen. Was, wenn diese oder die
nächsten Gäste uns nicht wohlgesinnt
wären? Waren wir komplett naiv? Plötzlich
war ich nicht mehr so cool wie beim
Planen. Wollte ich das wirklich? Bed ohne
Breakfast spielen? Wir würden fremden
Leuten unseren Hausschlüssel geben. Am
Ende sagten wir zu, und die beiden
entpuppten sich als freundliches, sehr
zurückhaltendes Ehepaar Mitte 50, das zu
einer Hochzeit in Berlin eingeladen war.
Marek erklärte bei der Begrüßung sofort,
dass seine Frau kein Deutsch spreche –
während sie schon mal schüchtern an uns
vorbeiflüchtete, das gemeinsame Treppen-
Ich möchte Menschen um mich haben, die durch Zufall in mein Leben"purzeln und voller Absicht bleiben“ (unbekannter Autor) _ 127
„Wir werden lockerer, beim Ab- wiebeim Zusagen. Mittlerweile können wiruns sogar vorstellen, mit einer anderen
Familie das Haus zu tauschen“
haus hinauf. Ich wollte den beiden alles
zeigen, sie lehnten ab. Ich schluckte und
fühlte mich um irgendetwas betrogen.
Aber nach drei Tagen, in denen wir uns
kaum gesehen hatten, rissen die zwei
plötzlich das Fenster oben auf, weil sie uns
im Garten entdeckt hatten. Sie winkten
fröhlich herunter und Marek rief, wie
schön es in Potsdam sei – und dass sie
ein tolles Fest gehabt hätten.
ÜBERRASCHUNGEN GEHÖREN DAZU
In den kommenden Wochen erlebten wir
viele lustige, herzerwärmende und skurrile
Sachen. Da war Vivian aus Schottland,
die klopfte und sich bei uns etwas Oliven-
öl abzapfen wollte. Thomas brauchte
Ausstecher, um Kekse zu backen. Es
gab Gäste, die uns zum Essen einluden.
Und zwei aalglatte Businesstypen aus
Ungarn, die etwas eingeschnappt waren,
weil wir ihnen bei uns in der Küche kein
Frühstück servieren wollten.
Das Schlimmste, was uns passierte, waren
Gäste aus den USA, die einfach ausblie-
ben – ohne abzusagen. Alles war geputzt.
Wir warteten stundenlang. Da wir keine
Kreditkartenzahlungen annehmen können,
hatten wir über FeWo-direkt Barzahlung
bei Anreise ausgemacht. Pech gehabt. Am
Telefon war für uns keiner mehr zu spre-
chen. Künftig wollten wir besser auf unser
Bauchgefühl hören, denn der Familien-
vater war vorab schon durch blöde Fragen
und einen barschen Ton aufgefallen.
TIPPS & TRICKS✻ SICH ZEIT NEHMEN: Wer schöne Fotos macht und eine freundliche, ausführliche
Beschreibung online stellt, bekommt in der Regel mehr Angebote.
✻ AUF DEN BAUCH HÖREN: Dafür braucht man ein Bild von den Gästen. Gibt es
ein Foto oder eine aussagekräftige Selbstbeschreibung? Ist der Tonfall der Anfrage
nett und persönlich? Leider kann man bei Airbnb nicht miteinander telefonieren,
bevor die Buchung bestätigt ist. Aber chatten geht. Andere An bieter wie FeWo-
direkt verdienen nicht bei jeder Vermittlung, sie verlangen eine Jahresgebühr
von den Gastgebern. Deshalb werden die Kontaktdaten gleich veröffentlicht.
Und um die Bezahlung des Zimmers muss man sich selbst kümmern.
✻ ALLES FEIN MACHEN: Einen Tag sollte man sich schon Zeit nehmen, um einmal
ordentlich durchzuputzen, Persönliches wegzuräumen, Stauraum zu schaffen.
Tipp: Nachbarn Bescheid geben, dass man Gäste hat oder hatte. Die können
dann Alarm schlagen, wenn einmal etwas nicht in Ordnung zu sein scheint.
✻ GUTE ORTE TEILEN: Eine Liste mit dem Lieblingsitaliener, der Bar ums Eck und
dem Bäcker, der sonntags auf hat, ist Gold wert. Auch ein Infoblatt hilft weiter.
Wie funktioniert die Espressomaschine? Wo steht das WLAN-Passwort? Wie kur-
belt man die Jalousie herunter? Am besten auch auf Englisch aufschreiben.
Von meiner Freundin Sabine lernte ich,
dass man besser nicht allzu schnell zusagt
bei Anfragen. Sabine hat eine große
Altbauwohnung in München, und seit ihre
Söhne ausgezogen sind, vermietet sie
ein Zimmer. Sie erzählte mir, dass sie zu
Anfang mal aus Freundlichkeit einer gan-
zen Familie zugesagt hatte. Also waren
vier Leute eingezogen und stapelten sich
nun in einem Schlafraum. Am Ende wurde
Sabine noch gefragt, ob sie nicht abends
aus ihrer Küche verschwinden könne –
man wolle dort gern mal in Ruhe kochen.
Seit diesem Erlebnis mailt Sabine immer
erst ein paar Mal, bevor sie ihr Okay zu
einer Buchung gibt. „Ich frage die Leute
zum Beispiel, was ihre Pläne für München
sind. Und ich checke ihre Facebook-
Seiten, um ein Gefühl dafür zu bekommen,
wer in meiner Wohnung übernachten
möchte. Wenn meine potenziellen Gäste
sich nicht die Zeit nehmen, eine nette
E-Mail zu schreiben und auch ein bisschen
von sich zu erzählen, haben sie das
Prinzip von Airbnb nicht verstanden. Dann
sollen die ins Hotel gehen.“
Ich finde, sie hat recht. Über Airbnb werden
mittlerweile zwar auch anonyme Ferien-
appartements angeboten, aber die Idee
ist schon, dass man Menschen bei sich zu
Hause beherbergt. Man öffnet ihnen also
die Tür ins Private. Freundlich, aber be-
stimmt haben wir deshalb zwei 16-jährigen
Mädchen abgesagt, die bei uns ohne
Eltern Silvester feiern wollten. Wir hatten
selbst eine Reise geplant und fürchteten,
dass die beiden zu wenig Erfahrung haben
könnten, um unbeaufsichtigt mit sich
und unserem Haus klarzukommen. Auch
einen Gast, der sich von Anfang an
128 _ Make it simple
TEXT CHRISTIANE WÜRTENBERGER FOTO GETTY IMAGES, STOCKSYhauptsächlich für die Stornierungs
bedingungen interessierte und insgesamt
unsympathisch wirkte, lehnte ich ab.
SCHÖNE HERAUSFORDERUNG
Wir werden lockerer – beim Ab- wie beim
Zusagen. Mittlerweile können wir uns
sogar vorstellen, auch mal unsere eigene
Wohnung zu vermieten. Oder mit einer
anderen Familie während der Sommer
ferien das Haus zu tauschen. Für drei
Wochen kostenfrei in Florida leben? Auf
ein Haus in der Provence aufpassen?
Das könnte uns gefallen. Was uns bislang
noch davon abhält, ist vor allem der
Aufwand, den das mit sich bringt. Im
v ergangenen Sommer haben wir schon
mal einen Testlauf gemacht. Gute Freunde
wohnten bei uns, während wir im Urlaub
waren. Die Chaos-Ecken bekamen sie
nicht mehr zu Gesicht. Mein Mann repa
rierte die Deckenlampe im Flur, ich
sortierte angeschlagene Teller aus. Ein
Teil unserer Klamotten verschwand auf
dem Dachboden. Als das Taxi zum Flug
hafen eintraf, waren wir nervlich am Ende.
Aber wir fühlten uns auch gut, weil wir
mal so richtig Ordnung gemacht hatten.
Seitdem wissen wir: Es ist eine Heraus
forderung, vor dem Urlaub nicht nur job
mäßig alles abzuschließen und Koffer zu
packen, sondern auch noch ein tipptopp
sauberes Zuhause zu hinterlassen.
Weniger schlimm ist für uns die Vor
stellung, dass fremde Leute ihre Nase in
unsere privaten Sachen stecken. Da
sind wir ziemlich entspannt. Außerdem
waren wir mittlerweile selbst Gäste in
einer sehr stilvoll und persönlich eingerich
teten Wohnung in Amsterdam – und
haben uns dort respektvoller verhalten als
in einem x-beliebigen Feriendomizil.
EIN GEFÜHL VON ZUHAUSE
Man macht eben so seine Erfahrungen,
mit sich und mit anderen. Ein junges Pär
chen sagte uns zum Abschied, dass das
Schönste am Urlaub nicht die Ausflüge
gewesen seien, sondern das Zuhause
gefühl, das sich bei uns von der ersten
Minute an einstellte. Also werden wir so
weitermachen, einen Tick privater eben:
Bei uns erwarten Gäste im Sommer meist
selbst gepflückte Blumen auf dem Tisch.
Und wenn sie abends anreisen, sorgt
mein Mann für ein kühles Bier im Kühl
schrank. Wer bei uns wohnt, muss ande
rerseits aushalten können, dass unsere
Kinder hin und wieder durchs Treppen
haus poltern. Wir beschweren uns aber
auch umgekehrt nicht, wenn morgens um
fünf über unserem Schlafzimmer die Füße
kleiner Gäste über den Holzboden tippeln.
Wir haben es so gewollt, es ist schwer
was los bei uns. Nur im Winter wird’s
ruhiger. Dann machen wir zu Hause Urlaub,
Urlaub von Airbnb – und freuen uns auf
die Gäste der kommenden Saison. Für die
stehen, seit Tatjana und ihre Eltern bei
uns waren, auch Tisch und Stühle draußen
unter dem Apfelbaum.
SELBER (VER-)MIETEN?
✻ airbnb.de
✻ fewo-direkt.de
✻ homelink.de (Haus-/
Wohnungstausch)
Wer noch einen Schritt weiter gehen möchte, meldet sich bei dem Portal couchsurfing.com an:Hier übernachten die Gäste kostenlos bei einem zu Hause — umgekehrt funktioniert das aber genauso _ 129
Ein einzigartiges
NOTIZBUCH
130 _ Make
Wir lieben schöne Notizbücher. Deshalb hat uns dieses DIY-Projekt
besonders gefallen, das dir zeigt, wie du sie ganz einfach selber binden kannst.
Mit einem Umschlag nach Wunsch und so vielen leeren Seiten, wie
du brauchst – für alle deine Träume, Pläne, Ideen, Skizzen oder Geschichten
it simple
Selber machen
Du brauchst:✻ DIN-A4-Papier für die Innenblätter
✻ DIN-A4-Papier oder Tonpapier
für den Umschlag
✻ Vielzweckklammern
✻ Falzbein
✻ Lineal
✻ Cutter
✻ Bleistift
✻ Ahle
✻ Radiergummi
✻ Zwirn
✻ Nähnadel 1
3
6
4
7
2
5
8
So geht’s:1. Wähle ein Papier, das du verwenden
möchtest – wir haben DIN-A4-Bogen
genommen. Der Einband sollte aus
Tonkarton oder einem Papier bestehen,
das fester ist als die Innenblätter.
2. Den Einband mit dem Falzbein in der
Mitte knicken.
3. Alle Innenblätter mit dem Falzbein falten.
4. Alle gefalzten Papierbogen ineinander-
legen und den Einband darüberstülpen.
5. Den Stapel gefalteter Bogen wieder
öffnen und mit Vielzweckklammern an
allen vier Ecken zusammenstecken.
6. Gleichmäßig verteilt drei Punkte entlang
der gefalzten Mittellinie markieren.
7. Den Radiergummi unter das Papier
legen und an den markierten Stellen mit
der Ahle vorsichtig Löcher stechen.
8. Den Zwirn einfädeln. Die Nadel zuerst
von innen nach außen durch das mitt-
lere Loch (B) stechen.
_ 131
„ Ich schreibe, um herauszufinden,was ich denke“SUSAN SONTAG, AMERIKANISCHE SCHRIFTSTELLERIN (1933–2004)
9 10 11
12 13 14
ECHT BINDUNGSFÄHIGIn leicht verständlichen Schritt-für-Schritt-
Anleitungen werden in dem Buch Bind
it yourself. Buchbinden leicht gemacht
(Haupt Verlag, 24,90 Euro) verschiedene
Bindearten vorgestellt. Ob mit Gummi-
bändern, mit Faden gebunden oder gefalzt,
vom Leporello übers Notizbuch bis hin
zur Fächermappe: So verleihst du deinen
ständigen Begleitern aus Papier und
Pappe eine ganz persönliche Note.
9. Dann den Zwirn durch das untere
Loch (C) wieder nach innen ziehen,
dabei darauf achten, dass der Faden
genügend Spannung hat.
10. Die Nadel erneut durch Loch B von
innen nach außen stechen.
11. Nun den Zwirn von außen nach innen
durch das obere Loch (A) ziehen.
12. Wie im Foto gezeigt, den Zwirn unter
dem zuvor genähten Spannfaden
durchziehen.
13. Den Zwirn doppelt verknoten und
sehr straff ziehen, damit sich die
Bogen nicht verschieben.
14. Überschüssigen Zwirn abschneiden.
Und schon ist dein handgenähtes
Notizbuch fertig! ●
132 _ Make it simple
SCHÖNESVON FLOW
Flow, ein Magazin,das sich Zeit nimmt. Wirfeiern die Kreativität,
das Unperfekte und dasGlück im Kleinen.
_ 133
Alles über Flow & Abonnements
INSPIRATION - IDEEN - EINBLICKE - ANSTÖSSE - INSPIRATION - IDEEN - EINBLICKE
EXTRAS✻ 1000-FRAGEN-
BÜCHLEIN✻ 3 GESCHENK-
TÜTEN
Wohin gehen wir? Immer nach Hause.NOVALIS (1772 –1801)
ACHTSAMKEIT Was uns dabei hilft, einwenig weiser zu werden
INSPIRATION Wie Gedichte unserenAlltag schöner machen
DIY Ein Notizheft selber binden
THEMA: TROST BEI SICH FINDEN
BIST DU BEREITFÜR FLOW?In jedem Heft stellen wir einen
bunten Strauß an Inspirationen,
Ideen und Lesenswertem mit
viel Liebe zu sammen. Wenn du
dich für ein Abo entscheidest,
bekommst du die Papierge-
schenke jeder Ausgabe dop-
pelt. Bestelle es (pro Ausgabe
zum Preis von 6,95 Euro) tele-
fonisch unter (040) 55 55 78 00
oder online. Und schon liegt
Flow ab der nächsten Aus gabe
in deinem Briefkasten. Natür-
lich kannst du dein Abo jeder-
zeit wieder kündigen.
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SCHREIBTUNS!
Wir möchten euch
kennenlernen, eure Wünsche
an Flow, eure Ideen und
was euch im Leben bewegt.
Lasst es uns wissen
und mailt uns an:
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gibt: vom Blick ins Heft bis zur Ankündigung der nächsten Ausgabe.
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schönen Dinge, die wir im Netz finden, könnt ihr auf unseren Pinterest-
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134 _
Vor ein paar Jahren mieteten wir in Ablenkung fehlt, nimmt man Er-
Portugal ein Häuschen mit weit- fahrungen besser auf. Das Ge-
läufigem, verwildertem Grund- dächtnis funktioniert wie ein Re-
stück. Wir durften uns aus dem korder, der alles registriert. Man
Garten holen, was wir wollten. Der entdeckt neue Landschaften, be-
Urlaub war eine Idylle. Wir fau- gegnet unbekannten Menschen,
lenzten mit der Familie am erkennt auch Bekanntes, Vertrau-
Schwimmbecken, lasen, gingen tes wieder, aber in einem anderen
spazieren, hingen versonnen un- Kontext. Deswegen kann man sich
seren Gedanken nach, aßen gut, auch so gut daran erinnern, dass
fühlten uns einfach wohl. So ist es man damals auf dem Camping-
oft im Urlaub: Er ist wie ein erhöh- platz Weißbrot mit Kleehonig ge-
ter Fluchtpunkt auf einer belebten gessen hat – weil das Licht so hell
Straße: man steht still, rührt sich und das Gedächtnis klar und auf-
nicht – und alle Hektik gleitet von nahmefähig war.einem ab. Endlich hat man Zeit für
sich, den Partner und die Familie. Oft kommt dazu, dass man mehr
Vielleicht ist dieses Zusammen- mit den Elementen lebt. Was man
sein das Schönste an den Ferien: den Tag über tut, wird stark von
Die selbstverständliche Nähe von Licht und Wetter bestimmt. Man
Familie oder Freunden. So erinne- schaut morgens als Erstes in den
re ich mich noch ziemlich genau Himmel und überlegt dann, was
daran, wie ich früher mit meinen man unternimmt. Auch später am
Eltern, meinen Schwestern und Tag schaut man öfter nach oben –
unserem kleinen Bruder wochen- und sieht so auf einmal, was sich
lang in einem Segelboot hauste. über unseren Köpfen abspielt. Da-
Die Ausstattung war einfach, aber hintreibende Wolken, das Geäst
gemeinsam auf kleinem Raum zu der Bäume und das faszinierende
leben, gab uns ein Gefühl der Ge- Spiel von Licht und Schatten ...borgenheit und es entstand eine
ganz besondere Beziehung zwi- Wenn wir früher mit dem Segel-schen uns allen. boot in einem Hafen lagen, gab
der Rhythmus der Gezeiten kom-
LICHT UND SCHATTEN promisslos die Ruhezeiten vor. Bei
Im Urlaub hinterlässt sowieso je- Ebbe entstand vor unseren Augen
des Gefühl und Erlebnis einen tie- eine eigene Landschaft aus Sand-
feren Eindruck. Weil die alltägliche bänken voller kleiner Pfützen,
10 _ Ferienbuch _ 11
Wasserläufe, Vögel und Krebse. auf die Zugfahrt mit, aber dann le- geistiger Freiheit, das eng mitSolche intensiven Sinneseindrü- se ich doch meistens nicht, son- dem Reisen verknüpft ist. Und mitcke verkleinern unser Blickfeld dern lasse mich von der Abfolge jedem Urlaub, den man woandersund vergrößern gleichzeitig das der Bilder da draußen einnehmen. verbringt, wächst die Wahrschein-Wahrnehmungsvermögen. Das Oft kommen mir bei dieser stillen lichkeit, dass man auch Zuhausefunktioniert auch andersherum: Einkehr dann Lösungen für Prob- weniger schwarz-weiß malt undWir sehen neue Landschaften, die leme, über die ich manchmal wo- sich eher zurückbesinnt auf dieuns die Weite unserer Welt deut- chenlang gegrübelt habe. Oder es Erfahrungen, die man in der Frem-lich machen und uns daran erin- fallen mir tolle Ideen für die Arbeit de gemacht hat. Auf den geistigennern, wie unbedeutend wir für den ein, ganz ohne Anstrengung. Die- Schatz, den man nun in sich trägtLauf der Geschichte eigentlich ser Leerlauf im Kopf, das sich Ein- und der einen darin bestärkensind – und das hat etwas sehr Be- lassen auf den Moment, die Ruhe, kann, auch dem eigenen Alltagruhigendes. Erich Kästner be- das alles hilft meinem Denken. Da freier zu begegnen. Doch leiderschreibt es sehr schön in seinen wundert es auch nicht, dass der fühlt man sich, wenn man zurück-Memoiren Als ich ein kleiner Jun- englische Schriftsteller und Philo- kommt, ja höchstens nur ein paarge war. Darin erzählt er, wie er soph Alain de Botton in Kunst des Tage wie ein neuer Mensch. Zuzum ersten Mal die Ostsee sah: Reisens, schreibt: „Reisen sind die schnell fällt man in alte Muster zu-„Eine Stunde später stand ich, Hebammen unserer Gedanken. Es rück und erkennt sich nicht wie-vom Strandhafer zerkratzt, zwi- gibt nur wenige Orte, die so för- der. Wenn ich wieder gestresstschen den Dünen und sah aufs derlich für innere Monologe sind meine Kinder anmeckere, frageMeer hinaus. Auf diesen atembe- wie sich fortbewegende Flugzeu- ich mich jedenfalls schon: „Ist dasraubend grenzenlosen Spiegel aus ge, Schiffe oder Züge.“ der Mensch, der im Urlaub so ge-
Flaschengrün und Mancherleiblau duldig und freundlich war?“ Und
und Silberglanz.“ Aber nicht nur das Reisen an sich dann sehne ich mich nach mei-
– also das Überwinden einer Stre- nem Ferien-Ich.EIN GEFÜHL VON FREIHEIT cke – sondern vor allem der Auf-
Reisen bedeutet aber auch in vie- enthalt in der Fremde funktioniert WO DAS GRAS GRÜNER ISTlerlei Hinsicht, zur Ruhe zu kom- wie ein Augenöffner. Ich stelle im- Der Philosoph Ruud Welten meint,men. Etwa, wenn man den Zug mer wieder fest, dass ich im Ur- es sei darüber hinaus die Sehn-oder den Bus für eine längere laub die Dinge (und Menschen) sucht nach dem reinen, authenti-Strecke nimmt. Ich bin jedes Mal weniger schnell einordne, ihnen schen Leben, die uns dazu treibt,aufs Neue erstaunt darüber, wie mehr Zeit gebe, mich mehr für in den Urlaub zu fahren. Wir stel-sehr mich auf einer Fahrt der Blick das, was hinter der Fassade len uns zu gern vor, das wahre Le-aus dem Fenster beruhigt, die vor- steckt, interessiere. Durch die ben liege anderswo. „Im Urlaubbeiziehenden Landschaften, die ganzen neuen Eindrücke wird man suchen wir nach einem Ort, derTiere, die auf den Weiden grasen. offener und kann Sachen anders besser und schöner aussieht alsZwar nehme ich immer ein Buch bewerten. Es ist ein Gefühl von zu Hause. Wir glauben, dass
12 _ Ferienbuch _ 13
ZUR AUFMUNTERUNG
Wir sind es gewohnt, kritisch zu sein, vor allem ge
genüber uns selbst. Die Amerikanerin Kristin Neff hat
dieses Verhalten untersucht: „Häufig identifizieren
wir uns so stark mit unserem inneren Kritiker – jener
Stimme in uns, die immerfort etwas auszusetzen
hat, der du es nie recht machen kannst –, dass wir den
Schmerz, den wir uns selbst damit zufügen, über
haupt nicht bewusst spüren.“ Glücklicherweise kön
nen wir dem etwas entgegensetzen: Selbstmitgefühl.
Neff: „Selbstmitgefühl bedeutet, dass du freundlich
zu dir bist. Es bedeutet auch, dass du dich aktiv un
terstützt. Versuche also, dich bewusst aufzumuntern,
wenn du traurig bist oder dich schlecht fühlst.“
BEI SICH ANFANGEN
Der Philosoph André van der Braak meint, Selbst
mitgefühl ist die Grundlage dafür, dass du auch mit
anderen mitfühlen kannst. „Im Buddhismus heißt es:
‚Du musst gegenüber allen Wesen mitfühlend sein.‘
Dazu gehörst du selbst also auch. Wenn du zu dir nicht
milde sein kannst, ist es auch schwierig, gegenüber
anderen großherzig zu sein. Wer wirk lich Mitgefühl für
sich selbst empfinden kann, hat meistens auch kein
so starkes Bedürfnis mehr, von anderen anerkannt
und bestätigt zu werden.“
MORGEN IST EIN NEUER TAG
Du kannst dich darin üben, etwas milder zu werden
im Urteil gegen dich selbst. Zuerst ist es wichtig,
dass du dir deine Selbstkritik überhaupt bewusst
machst. Gehe einen Schritt zurück, um innezuhalten
und zu überlegen, was du denkst und fühlst. Welche
Gedanken spuken dir im Kopf herum? Was empfin
dest du dabei? Versuche, die kritische Stimme durch
eine freundliche Stimme zu ersetzen. Behandle dich
so, wie du eine gute Freundin behandeln würdest.
Gehst du mit ihr auch so streng um, wenn sie einen
schlechten Tag hat? Versuche, die Gedanken zu
stoppen, die dir suggerieren, dass du vieles nicht gut
Wo hast du heute Kaffee getrunken?
Was war aufregend neu für dich heute?
Was war wunderbar vertraut?
Dein Tag in einem Satz:
guter Kaffee Restaurant schlechte Laune lustiger Tag fauler Tag
12 _ Urlaubstagebuch
genug machst. Sprich stattdessen freundlich zu dir
selbst: „Wie schade, du hast dein Bestes gegeben.
Aber morgen ist ein neuer Tag.“
KOMPLIMENTE ANNEHMEN
Angenommen, neun Personen sagen etwas Anerken
nendes zu dir und eine Person sagt etwas Kritisches.
Meistens fokussierst du dich dann auf jene negative
Bemerkung und ignorierst den gesamten positiven
Input. Gestehe dir zu, die positiven Bemerkungen wirk
lich zu hören und sie nicht zu übergehen. Schwäche
ein Kompliment also nicht ab, sondern bedanke dich
und versuche, es zu genießen.
ÄNGSTE GEHÖREN DAZU
Manchmal ist es wichtig, sich auch Angst, Ärger,
Schmerz und Eifersucht einzugestehen. Du bist
schließlich nicht die Einzige, die zu kämpfen hat.
Wir alle sind verletzlich und bei Weitem nicht perfekt.
Wenn du dich den unangenehmen Dingen stellst,
erkennst du, was du brauchst. So wirst du deinen
Bedürfnissen gerecht.
158 _ Ferienbuch Auf der Website selfcompassion.org kannst du noch mehr über das Thema Selbstmitgefühl lesen _ 159
Zeit, die wir uns nehmen,"ist Zeit,
die uns etwas gibt"
ERNST FERSTL
(ÖSTERREICHISCHER SCHRIFTSTELLER)
Das hat mir heute die Augen
geöffnet:
Früher gehörte das Verschicken von Ansichtskarten zum Urlaub wie der
Geruch von Sonnenmilch. Heute machen wir das nur noch selten – obwohl
es so schön ist, eine Karte im Briefkasten zu finden. Und: sie zu schreiben.
Warum lassen wir diese Tradition eigentlich nicht wiederaufleben?
Welche Tiere hast du in diesen Ferien schon gesehen?
Wie sehen die Bäume und Blumen in deiner Umgebung
aus? Wonach riechen sie?
Dein Tag in einem Satz:
Zugfahrt Naturerlebnis Cocktail/Drink Strand Regen
26 _ Urlaubstagebuch
Für den Urlaub gibt es zwei"Erfolg versprechende Rezepte: Er muss
ganz anders sein als sonst — oder
er muss genauso sein wie immer"
HEINZ RÜHMANN
(DEUTSCHER SCHAUSPIELER, 1902 – 1994)
Eine vergilbte Karte aus den
70er-Jahren mit einem Bouilla-
baisse-Rezept für die Freunde,
die so gern kochen. Ein lachender
alter Bauer für die Oma. Ein toller
Strand für die Eltern. Ein muskel-
bepackter Schönling im knappen
Höschen für die beste Freundin,
die diese Art des Humors teilt.
Ein großer Teil des Vergnügens
eine Ansichtskarte zu verschi-
cken, besteht für mich schon im
Aussuchen des richtigen Motivs.
Auch das Schreiben am Cam-
pingtisch oder abends im Restau-
rant gehört dazu. Eine Urlaubs-
karte ist so viel mehr als eine
kurze Nachricht aus der Fremde.
Und daher finde ich es wirklich
verwunderlich, dass sie – die in
vielen Familien und Freundeskrei-
sen sehr lange eine feste Traditi-
on hatte – so schnell von SMS
und Email abgelöst wurde.
XXXXXXXXXXXXX
Ich bin nach wie vor eine leiden-
schaftliche Kartenschreiber- und
verschickerin – und mittlerweile in
meinem Freundes-und Familien-
kreis fast die Einzige. Alle ande-
ren posten bei Facebook oder
schicken Bildchen über Whats-
app. Mich wundert es ehrlich ge-
sagt, dass man unterwegs über-
haupt noch so viele Karten-
ständer findet. Und die anderen
wundern sich über mich. Freuen
sich aber dann doch, wenn wie-
der einmal eine Karte aus Frank-
reich, New York oder Norderney
bei ihnen im Briefkasten landet.
Denn das Versenden von Karten
hat ja so etwas wunderbar Altmo-
disches. In meiner Familie wurden
jedenfalls schon immer Karten
geschrieben, sogar, wenn man
nur kurz über das Wochenende
vereist war. Einfach um den Da-
heimgebliebenen zu zeigen: ‚Ich
denke an euch. Und ich möchte
euch gern teilhaben lassen, an
dem, was ich hier erlebe.’
Auch meine Kinder sind schon
Postkarten-infiziert. Als sie noch
nicht schreiben konnten, malten
sie ihren Kindergartenfreunden
oder Großeltern ihre Erlebnisse
einfach auf. Heute schauen sie
sich begeistert die oft absurden,
lustigen und kitschigen Motive
an, die auf den Kartenständern in
den Touristen-Orten findet. Und
sind begeistert, wenn sie auf den
Fotos die Plätze wieder entde-
cken, die sie vor Ort schon selbst
gesehen haben. Deswegen
4 _ Ferienbuch _ 5
WENIGER IST MEHR
Wer weniger besitzt, hat mehr Platz im Kopf. Das
hat die Soziologin Jeanine Schreurs in einer Studie
über Downshifting belegen können. Das bedeutet,
mit weniger auszukommen, unabhängig vom Einkom
men. Schreurs hat beobachtet, dass sich Downshif
ter nicht so stark an Materielles gebunden fühlen und
dem, was sie haben, größeren Wert beimessen: „Ihre
Lebensqualität stieg dadurch, sie empfinden weniger
Stress, mehr Ruhe und haben das Gefühl, ein abenteu
erliches und kreatives Leben zu führen.“
KLEINE FREUDEN GENIESSEN
In seinem Buch Trost der Philosophie erläutert Alain
de Botton: Etwas zu kaufen erscheint uns häufig
als Lösung für Bedürfnisse, die wir gar nicht durch FlowAutorin Merle Wuttke findet es dort mindestens
schauen. Statt Ordnung in unserem Kopf zu schaf so schön wie im luxuriösen Ferienhaus: „All das
fen, gehen wir shoppen. „Es mangelt nicht an verfüh ‚Muss ich noch‘, das sonst meinen Alltag beherrscht,
rerischen Bildern von Luxusartikeln“, schreibt de existiert dort nicht. Wir erledigen die Sachen dann,
Botton, „leider werden zu selten die alltäglichen Situ wenn wir darauf Lust haben. Kommt sowieso nicht
ationen und Menschen abgebildet. Wir werden nicht darauf an. Man ist wie ausgesperrt aus seiner ande
ermuntert, unser Glück in den kleinen Freuden zu ren Welt – im positiven Sinne. Das ist echte Freiheit.“
suchen – dem Gespräch mit einem Freund, einem
Nachmittag in der Sonne, frischem Brot mit Butter.“ VORFREUDE AUSKOSTEN
Untersuchungen haben ergeben, dass es sich schon
OFFLINE-MOMENTE EINPLANEN positiv auf die Stimmung auswirkt, wenn ein Mensch
Der USPhilosoph Richard B. Gregg (1885 – 1974) nur an etwas Schönes denkt, das in absehbarer Zeit
erläuterte bereits im Jahr 1935 in einem Essay sehr ansteht. Das muss gar kein ganzer Urlaub sein, es
anschaulich, dass die Fokussierung auf Materielles reicht die Aussicht auf ein Essen im Restaurant, ein
einem sinnvollen Leben im Wege steht. „Wir überse Treffen mit einer Freundin oder ein warmes Bad. Wie
hen, dass unsere Faszination für Geräte unser inne wäre es, wenn du dir eine kleine Liste mit den Dingen
res Gleichgewicht und unser Gefühl für das Wichtige machst, auf die du dich freuen kannst?
im Leben stört. Die Zeit, die wir dank moderner Tech
nik sparen, ist dann keine Entspannung mehr und DREIMAL MIT AUFMERKSAMKEIT
wird zu einer bedeutungslosen Zeit.“ Den Essay fin Achtsamkeit bedeutet, sich dem unmittelbaren Au
dest du unter soilandhealth.org. genblick zu widmen, ohne ihn zu werten. Das ist
gar nicht so einfach. Du kannst diese Haltung üben,
EINE AUSZEIT GANZ IN DER NÄHE indem du täglich drei Dinge auswählst, die du mit
Immer mehr Menschen schwören auf einen Mini ungeteilter Aufmerksamkeit ausführst: Zähne putzen,
Urlaub in ihrer Laube oder im Campingbus. Auch duschen, die Treppe hinunterlaufen.
160 _ Ferienbuch _ 161
Ferienbuch
FERIENBUCH
LESEN, AUSSCHNEIDEN, KLEBEN
✻ Was Urlaub Wundervolles mit uns macht
✻ Erinnerung fürs Leben: die Sommerliebe
✻ Wie reist man mit wenig Gepäck?
Plus: Urlaubstagebuch, Eisdiele zum Basteln,Postkarten mit Rezepten, Ausmalbilder, ei nSchattenspiel-Theater und noch vieles mehr
Für nurSOMMERSPEZIAL12,95 €
DAS FLOW-FERIENBUCH 2016 KOMMTAm 28. Juni erscheint unser neues Flow-Ferienbuch. Auch
diesmal ist es wieder randvoll mit schönen Ideen, Einsichten und
Geschichten: Wir haben zum Beispiel unsere Illustratoren und
Autoren gefragt, was sie nach ihrem Urlaub in ihrem Leben verän-
dern wollen oder wie sie sich Auszeiten vom Alltag schaffen.
Außerdem erzählen wir aus den faszinierenden Lebensläufen
dreier berühmter Frauen, stellen tolle Rückzugsorte auf vier Rädern
vor und servieren leckere vegane Grillgerichte. Und natürlich
findest du wie immer tolle Illustrationen im Heft sowie viele
besondere Extras zum Basteln, Beschreiben und Ausmalen.
DAS IST DRIN:
✻ Urlaubstagebuch ✻ Eisdiele zum Basteln ✻ ein Schattenspiel-
Theater zum Ausschneiden ✻ Stickerbögen ✻ Postkarten
mit Rezepten für Sommerdrinks ✻ Musterpapier ✻ Ausmalbilder
Das Flow-Ferienbuch kannst du für 12,95 Euro vorbe-
stellen unter www.flow-magazin.de/ferienbuch, es wird
dann ab dem 28. Juni automatisch an dich verschickt
TAG FÜR TAGUrlaubstagebuch
_ 9
WASURLAUBSCHÖNES
BRINGTWarum nur fühlen wir uns beim Reisen gleich
so anders? Weit weg von Zuhause haben wir
auf einmal ein Auge für Kleinigkeiten, Muße
für schöne Momente und einen freien Kopf.
Mariska Jansen hat versucht herauszufinden,
was eine Auszeit in uns anstößt
Im Urlaub
hinterlässt jedes
Gefühl und
Erlebnis einen
tieferen Eindruck
als sonst.
POST FÜR DICH
_ 135
126 _ Kochbuch _ 127
Es gibt nichts Schöneres, als etwas Leckeres zu essen und sich und
andere mit etwas Selbstgekochtem zu verwöhnen. Doch oft sind
wir nicht so ganz bei der Sache, die Freude will sich nicht recht einstellen,
hat Merle Wuttke beobachtet. Und probiert es jetzt mit Achtsamkeit
_ 11
Die einen bringen Souvenirs aus dem Urlaub mit, bei
Karin Stöttinger war es die Idee für ihr erstes Kochbuch. Darin
schichtet sie kunterbunte Salatzutaten in hübsche Gläser –
gut geschüttelt mit einem Dressing der perfekte Lunch to go
an wie harsche Kritik. Die Freude
am Kochen stellt sich nicht ein.“
Ist das nicht jammerschade? Und
wäre ich vielleicht eine gelassenere
Gastgeberin, wenn ich in der
Küche ein wenig achtsamer wäre?
Wenn ich all die Dinge, die ich
am Kochen so mag, bewusster
wahrnehmen würde, statt zu
versuchen, möglichst viel auf
einmal hinzubekommen?
ACHTSAM IN DER KÜCHE
Michael Pollan, US-amerikani-
scher Foodjournalist und Autor
mehrerer Sachbücher zum Thema
Essen, ist davon überzeugt.
Auch er musste erst lernen, was
es bedeutet, sich beim Kochen
Zeit zu nehmen, also achtsam zu
kochen. Denn obwohl er ein
ausgewiesener Experte ist, ver-
stand er erst bei der Recherche
für sein Buch Kochen. Eine Natur-
geschichte der Transformation,
dass es dabei vor allem um drei
Dinge geht: Geduld, Aufmerksam-
keit und Übung. All das wurde ihm
klar, als eine seiner Lehrerinnen
ihm beibrachte, etwas vermeint-
lich Unwichtigem wie Zwiebeln-
anschwitzen volle Beachtung zu
schenken – und nichts anderes
zu tun. Eine halbe Stunde lang
briet der Autor von nun an Zwie-
beln an. Eine halbe Stunde!
MEHR LESEN?✻ Jan Chozen Bays erklärt in ihrem Buch nicht nur genau,
was achtsames Essen bedeutet, sondern sie listet auch zahl
reiche Übungsmöglichkeiten auf, wie man selbst lernt,
besser zu erkennen, welche Art von Hunger einen gerade
antreibt. Auch auf der Website des ArborVerlages findet
man weitere interessante Informationen zu dem Thema.
Jan Chozen Bays: Achtsam essen (Arbor, 18,80 Euro)
✻ In seinem Buch erklärt ein Psychologe, wie wir unser
Bauchgefühl wiedergewinnen und sinnvoll einsetzen können.
Thomas Frankenbach: Somatische Intelligenz. Hören,
was der Körper braucht (Koha, 14,95 Euro)
Für Pollan, einen ungeduldigen
Menschen, war dies eine völlig
neue Erfahrung, und ich konnte
mir sofort vorstellen, wie schwer
es für ihn zunächst gewesen sein
muss. Auch ich neige dazu, beim
Kochen nebenbei noch andere
Dinge zu tun, telefonieren, Mails
checken. Das funktioniert nie be-
sonders gut, oft brennt mir etwas
an oder ich bin noch genervter
als vorher. Seit der Lektüre von
Pollans Buch jedoch versuche ich,
mich dem Kochen wirklich voll und
ganz zu widmen, ganz aufmerk-
sam zu sein. Und tatsächlich ver-
ändert es etwas, wenn es mir ge-
lingt. Dann sorgt die Arbeit in der
Küche – das Schneiden der Zuta-
ten, der Geruch der Gewürze, das
Waschen von Gemüse –, diese
volle Konzentration auf das, was
ich tue, dafür, dass mein Kopf ganz
leicht wird. Dann ist es, als würden
sich Hände und Herz auf magische
Weise miteinander verbinden.
Auch der Buddhist und Medita-
tionstrainer Andy Puddicombe
(headspace.com) findet: „Kochen
schafft eine wundervolle Mög-
lichkeit, gegenwärtig zu sein,
achtsam und aufmerksam – im
Gegensatz zu abgelenkt, ge-
stresst oder überwältigt. Es ist
eine Möglichkeit, den Geist zu
trainieren, zu verstehen, was es
14 _ Kochbuch _ 15
ILLUSTRATION TM PEZ AG
In Helsinki veranstalten die Bürger der Stadt mehrmals im Jahr den
International Restaurant Day. Dann verkaufen sie aus ihren Fenstern heraus,
auf der Straße oder im Park ihre selbst gemachten Köstlichkeiten –
sozusagen im eigenen Restaurant. Wir haben uns durch die Stadt probiert
52 _ Kochbuch _ 53 110 _ Kochbuch
Links: Paprika und
Schwärmer heißt
diese Zeichnung der
Naturforscherin
Maria Sibylla Merian
aus dem Jahr 1726
Rechts: Der franzö-
sische Maler Pierre-
Joseph Redouté
war und ist für seine
Aquarelle berühmt
Ob es Orangen, Feigen oder Rosen sind – botanische Illustrationen
gefallen uns sehr. Die zarten Zeichnungen und akademischen
Studien bringen uns die Schönheit der Natur nah und damit auch den
Zauber, der in Kräutern, Früchten und Gewürzen steckt. Zum Sattsehen
Kochbuch
Unser Kochbuch: 40 Rezepte
und noch viel mehr
Couscous-Erdbeer-Spinat-Salatmit Schafskäse und Nüssen
GUTESIM GLAS
REZEPTE
ILLUSTRATION CHRIS CAMPE/ALILLUSTRATION KENDRA DANDY/BOUFFANTSANDBROKENHEARTS.COM
Für nur12,95 €
KENNST DU SCHON UNSERFOOD-SPEZIAL?Es ist ein Kochbuch und noch viel mehr als das: In un-
serem dicken Extra findest du nicht nur 40 tolle Rezepte
zum Schwelgen und Nachkochen, wir zeigen auch die
besonderen Menschen, die sie erdacht haben, und
liefern dir dazu jede Menge inspirierende Geschichten
rund ums Genießen. Wir beschäftigen uns zum Beispiel
mit dem Glück vom achtsamen Essen, stellen tolle Ideen
wie Supperclubs und den International Restaurant Day
vor. Wir gehen der Frage nach, warum die Küche der
schönste Ort der Wohnung ist, und zeigen Kunst werke
mit Früchten und Gemüse aus mehreren Jahrhunderten.
UND DIESE TOLLEN PAPIER-EXTRAS SIND DRIN:
Sticker für Selbstgemachtes ✻ Bastelbögen für Eis
aus Papier ✻ Einladungs- und Dankeskarten ✻ zwei
Poster ✻ Papierbögen mit Vintagemotiven und Mustern
✻ Büchlein mit Rezepten, die du mit Ruhe kochen
kannst ✻ eine Donut-Wimpelkette und vieles mehr
Das Flow-Kochbuch kannst du für 12,95 Euro
be stellen unter www.flow-magazin.de/kochbuch
Hunger ist nicht gleich Hunger. Es
kommt darauf an, zu spüren, was unser
Körper verlangt und was er braucht
DAS GLÜCKVOM ACHTSAMEN
ESSEN
International Restaurant Day
EINE STADTTISCHT AUF
KUNST AUSDER NATUR
136 _
NEU DAS MAGAZIN FÜR
SCHÖNES ZUM SELBERMACHEN
+ SCHNITT-BOGENein Hemd,3x anders
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Unsere Extras & Vorschau
NOCH MEHR FLOWKennst du schon unser Ausmalbuch mit tollen
Vorlagen von zwei unserer Lieblingsillustratorinnen?
Möchtest du unser Book for Paper Lovers ver-
schenken, mit 300 Seiten besonderem Papier zum
Basteln und Beschreiben? Oder fehlt dir noch
unser Achtsamkeits-Buch, das dir hilft, im Alltag
wacher und gelassener zu bleiben, den Augenblick
mehr zu genießen? In unserem Onlineshop kannst
du all unsere Produkte ganz einfach ordern. Beim
Stöbern auf den Seiten findest du noch viel mehr
Extras und Kleinigkeiten von Flow. Hier kannst du
auch Ausgaben bestellen, die dir noch fehlen. Oder
wie wär’s mit der Flow-Kalender-App, die dich jeden
Tag mit Zitaten, Tipps und Inspirationen versorgt?
Alle Flow-Produkte findest du online unter
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Die App Flow Kalender gibt es im Google
Play Store und im App Store für 1,99 Euro
AUSMALBUCH
ACHTSAMKEIT
ILLUSTRIERT VONHELEN DARDIK
UND CAROLYN GAVIN
ALLES ÜBER ACHTSAMKEIT FÜRANFÄNGER, FORTGESCHRITTENE
UND NEUGIERIGE
Warum Mindfulness heute so guttut
Sauer, ängstlich, neidisch? Es ist okay
Freundlicher sein - zu dir selbst
EXTRAS: Schöne-Momente-Kärtchen, Tagebuchfür einen Gedanken pro Tag, Achtsamkeits-Heftzum Rausnehmen, Postkarten und vieles mehr
WÜNSCH DIR WAS:Warum Lebensträume gut sind —
selbst wenn sie nie Realität werden✻
EIN INSPIRIERENDES LEBEN:Malerin Sophie Taeuber-Arp
✻BEZIEHUNGEN:
Manchmal funkt es gleich, manchmalgar nicht. Wie kommt das?
UNSERE PAPIERGESCHENKE:ein Büchertagebuch und
tolle Urlaubspostkarten
FLOW #19: 19.JULI 2016Manchmal ändern wir unsere Pläne, finden etwas noch Besseres,
etwas noch Schöneres. Darum kann es sein, dass die nächste Ausgabe
ein bisschen anders aussieht, als wir es hier ankündigen. FOTO SHUTTERSTOCK ILLUSTRATION ANNELINDE TEMPELMAN/STUDIO 100%138 _
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