kfz - kaltstart-festivalzeitung / # 03 / 1. jahrgang

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Kaltstart KFZ Festivalzeitung Deutsche Dramen Sechs explosive Seiten zur Autorenlounge Einsame Herzen Der KFZ-Kleinanzeigenmarkt Umstürzende Bierflaschen Wie das Festival das Theater zur Party macht Fr 16. - So 18.Juli 1.Jahrgang # 3 2010

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Die Zeitung des Kaltstart-Festival 2010 in Hamburg.

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Page 1: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 03 / 1. Jahrgang

Kaltstart KFZ

Festivalzeitung

Deutsche DramenSechs explosive Seiten

zur Autorenlounge

Einsame HerzenDer KFZ-Kleinanzeigenmarkt

Umstürzende Bierflaschen

Wie das Festival das Theater

zur Party macht

Fr 16. - So 18.Juli

1.Jahrgang# 32010

Page 2: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 03 / 1. Jahrgang

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Editorialwie geht es Dir/Euch? Uns geht es gut. Das Wetter ist wechselhaft, das Essen lecker und das Theater super. In

dieser Ausgabe der KFZ haben wir wieder gaaaanz viele Stücke rezensiert oder anderweitig als Textvorlage

benutzt (Seiten 10 bis 13). Man rennt ja über dieses Festival wie über einen Jahrmarkt: Überall blinkt und ruft

und klingelt es, man kommt irgendwann nachts nach Hause -- und schreibt dann ganz entspannt noch ein

paar Artikel. Lies/Lesen Sie selbst!

Man kann sich aber natürlich auch mal einen Tag lang mit mehreren Stapeln eng bedruckter A-4-Blätter

sowie einer schönen Tasse echtem Bohnenkaffee auf einen Gartenstuhl setzen und Theaterstücke lesen --

um sich anschließend den einen oder anderen Gedanken über den Zustand der Jungen Deutschen Dramatik

zu machen (Seiten 8 und 9) -- schließlich ist am Freitag und Samstag die KALTSTART-AUTORENLOUNGE im

Terrace Hill, mit Lesungen von Gerhild Steinbuch, Claudia Grehn und Darja Stocker, Dirk Laucke und David

Richter, Pia Hierzegger, Laura Naumann, Ulrike Syha, Johan Heß, Ursula Kohlert, Jens Nielsen und Nora

Mansmann. Toll! Wir haben sogar zwei Interviews zum Thema (Seiten 6 und 7)

Danach ist jeweils Party, jeweils im Terrace Hill. Mit DJ und Konzert und Getränken (nur Limo, Mama!). Wie ja

eigentlich das ganze Festival eine Theaterfeier ist, mit (alkoholfreiem) Bier und Schifferklavier, draußen und

drinnen, zu Fuß und zu Pferd (siehe Titel). Und irgendwie auch ein bisschen wie ein Konzert: live, laut, hand-

gemacht. Mehr zum Thema auf den Seiten 3 und 14.

DISKURS ZUR HAND #3Jede Ausgabe gibt es einen Diskurs aus dem Heft zum Nachspielen für Zuhause. Einfach ausschneiden, schwarze Streifen hinten zusammen-kleben, über den Finger ziehen und losstreiten. Heute: Junge Dramatiker vs. Regietheater (hier vertreten von Claus Peymann).

Liebe Kulturschaffende, liebe Partygemeinde, hallo Mama,

In diesem Sinne: Freude im Gebäude!

Die Red.

Page 3: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 03 / 1. Jahrgang

Kaltstart

Theater auf dem TanzflurÜber den Unplugged-Gedanken des KALTSTART-Festivals

fällt da auch eine Flasche um, und hin und wieder klingelt

auch ein Handy, weil man vor lauter Clubgefühl ganz vergisst,

die Dinger auszuschalten. Aber wenn es schonmal klingelt,

dann kann man ja auch rangehen, könnte ja wichtig sein.

Das KALTSTART ist als Unplugged-Festival im deutschspra-

chigen Gebiet einzigartig. Das Körber Studio Junge Regie fin-

det in den altehrwürdigen Räumen des Thalia Theaters statt;

die unzähligen Produktionen, die beim 100° Berlin gezeigt

werden, gehen im Hebbel am Ufer und in den Sophiensälen

auf die zwar jüngeren, aber ähnlich standardisierten Büh-

nen. Beide Festivals ziehen in erster Linie ein theateraffines

Publikum an – theaterferne Zuschauer werden nicht gezielt

angesprochen. Das KALTSTART dagegen bespielt Lieblings-

clubs und Schulen, Strandbars und Bibliotheken und geht (im

OPEN AIR Special) auch auf die Straße. Die Leute müssen also

nicht erst dahin kommen, wo das Theater sich die Ehre gibt

– es reicht, sich auf dem Barhocker ein paar Zentimeter wei-

ter zu drehen. So entsteht ein Publikum, das sich nicht immer

wie ein Theaterpublikum verhält, sondern wie aufmerksame

Clubgäste. Die umfallenden Bierflaschen, die telefonierenden

Zuschauer, die quietschenden Stühle – Hintergrundge-

räusche, die Teil des Geschehens sind, die die Bühne als Ort

der heiligen Verkündung entmachten.

Das lila Monster gehört jetzt dazu

Dazu muss man sich als Schauspieler verhalten, genauso

wie zu dem Raum, der seine eigene Präsenz einfordert. Wer

versucht, das lila Monster zu überspielen, der scheitert. Denn

das lila Monster, das gehört jetzt genauso zum Superzeichen

wie der Schauspieler. Das als Herausforderung zu begrei-

fen, als Chance, ist die Aufgabe, die das KALTSTART seinen

Teilnehmern stellt: Eine neue, eine einmalige Variante des

Stücks zu kreieren. In der Musik kann man ja mit herausgezo-

genem Stecker auch nicht einfach das zupfen, was man sonst

auf die E-Gitarre schrammt. Da sollte man schon mindestens

ein kleines Cello daneben setzen.Und so entsteht in der

Verbindung des Theaters mit dem ungewohnten Raum etwas

Neues, Drittes. Wir gehen hinunter in den dunkel gefliesten,

muffigen, düsteren Clubkeller des Haus III&70 oder steigen

hinab in die beklemmende Enge eines nuklearen Strahlen-

schutzbunkers. Wir sitzen im Waagenbau und verstehen in

der Dunkelheit, wie traurig ein Ponyleben sein kann, in dem

man mit der angeblich ultimativen Show durch Clubs wie die-

sen tingelt. Wir schwitzen im 13ten Stock und stellen plötzlich

fest, dass der tätowierte Barkeeper ebenso gut ein Schau-

spieler sein könnte. Und dann klingelt mein Handy. Aber da

geh ich jetzt mal gerade nicht ran.

von Clara Ehrenwerth

Haus III&70, Anbau: Auf der Bühne wird geschillert und ge-

räubert, was das Zeug hält, die Rüschenhemden blitzen weiß

und rein, der Arm wird zum Monolog gehoben – aber dahinter

steht keine naturalistische Waldkulisse und auch keine meta-

phorische Waldkulisse aus Plastikflaschen oder so, dahinter

steht nicht mal einfach gar nichts, was ja auch immer geht,

assoziationsoffener Raum et cetera. Nein: Auf der Clubwand,

die heute zur Bühnenrückwand umfunktioniert wurde, jagen

und zerfleischen sich mehrere Monster in türkis und lila,

Zeichenstil irgendwo zwischen Surrealismus und Soziokultur.

Normalerweise wird hier unten Musik aufgelegt. Wir versu-

chen, den Raum auszublenden, wegzudenken, wo er doch Teil

des theatralen Superzeichens sein sollte. Wirkt das über-

haupt noch, wenn einer vor den malerischen Überbleibseln

einer verlorenen Neunzigerjahrejugend mit großer Geste re-

zitiert: „Ich habe große Rechte, gegen die Natur ungehalten zu

sein“? Wenn vor der Tür die Flipperhühner gickern? Wünscht

man sich da nicht aller Zumutungen ledig ins klimatisierte

und sitzgepolsterte Stadttheater zurück?

Nirvana ohne Stecker? Legendär!

Wer als Ensemble zu KALTSTART PRO oder zum FRINGE

fährt, der fährt nicht einfach auf Gastspiel. Anderswo muss

man vielleicht mit ein paar abgespeckten Lichtstimmungen

rechnen, einem veränderten Abgang, einer kleineren Garde-

robe. Wer zum KALTSTART fährt, der findet in den meisten

Fällen eine Bühne vor, die im klassischen Sinne gar keine ist,

sondern die im Alltag als Disco, als Schule, als Rumpelkeller

oder als Jugendzentrum dient. Platz ist eher wenig, Licht- und

Tontechnik beschränken sich auf ein Minimum. Da sind Im-

provisation und künstlerischer Gestaltungswille gefragt: Die

Schauspieler müssen sich aller Sicherheiten entledigen, sich

stärker auf den eigenen Körper, die Stimme, die Wirkmächtig-

keit der Sprache und der Bilder verlassen. Das KALTSTART-

Festival hat sich für dieses Prinzip den Ausdruck „Unplugged“

aus der Musikszene ausgeliehen, in der das Steckerrauszie-

hen einige der legendärsten Konzerte zu verantworten hat

(Nirvana in New York, Die Ärzte in Hamburg), weil eine

akustische Version - die Konzentration auf das Wesentliche -

ganz neue Aspekte eines Songs zutage fördern kann.

Hin und wieder fällt eine Flasche Indie-Limo um

Wir sitzen auf weißen Klapppapphockern. Alle vier Minuten

fährt die S-Bahn über unsere Köpfe hinweg, dann wird es ein

bisschen schwierig, das zu verstehen, was da auf der Bühne

gesprochen wird. Wir haben Bierflaschen und Indie-Limos in

der Hand, wir dürfen sie hier mit reinnehmen, warum auch

nicht, das ist ein Club, da wird getrunken, und hin und wieder

KFZThema

Page 4: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 03 / 1. Jahrgang

04 / 05

Was haben Ang Lees „Der Eissturm“ und

„Feuchtgebiete“ gemeinsam? Die Löcher

in den Werken sind tief. Nicht nur die

Öffnungen, in denen ganze Duschköpfe

verschwinden, sondern auch die emotio-

nalen Leerstellen. Denn Charlotte Roches

Roman ist weit mehr als ein skurriles

Wunderland der Muschimöglickeiten. Der

Meinung ist zumindest Regisseur Peter

Dorsch, der aus der Popoprosa eine Büh-

nenfassung gemacht hat und sie nun im

Rahmen von FRINGE zur Premiere bringt.

Theater Liga ist eine freie Gruppe, ein

Theaternetzwerk aus Schauspielern, Dra-

maturgen und Regisseuren. Ihr Anspruch

ist kein geringer: Von der Po-Ebene soll

es hoch gehen ins emotionale Bergland:

„Feuchtgebiete ist ein Buch über Ver-

drängung. Helen ist einsam. Deswegen

verschanzt sie sich mit ihrer Avocadofa-

milie“, sagt Peter Dorsch über das Stück.

Wer die Vorlage kennt, weiß: Die besagten

Kerne dürfen auch mal Helens „Vanil-

lekipferl“ streicheln. Das ist dann wohl

Früchtcheninzest.

Helen Memel, die Frau mit der Analfissur,

ist in relativ kurzer Zeit zu einer Galionsfi-

gur der glibberigen Körperkontemplation

geworden. Deutungen ernstzunehmender

Feuilletonisten dieses Landes gingen bis

zu einem Engel in weißem Krankenhaus-

Dress, der sich in einen Zustand der tran-

szendenten Meditation befindet. Wer da

sagt, das sei purer Mösen-Manierismus,

hat laut Theater Liga die zweite Ebene

nicht erkannt: Die Gruppe inszeniert den

Stoff als Coming-of-Age-Story und Fami-

liendrama.

Trotz seines ernsten Kerns ist die Büh-

nenfassung von „Feuchtgebiete“ alles

andere als trocken. Es wird Comedy- und

Slapstickelemente geben, Figuren agieren

comichaft oder mimen Figuren wie Bob,

den Baumeister. Statt auf dem obligato-

rischen Krankenhausbett aus der Vorlage

sitzt Helen auf einer Kuh. Kein Naturalis-

mus, dafür viel Trash. Und natürlich ein

paar Avocadobäume aus Gummi.

Termine13:00 >Performance Rebecca – eine

48 Stunden Performance / DAP

// siehe www.kaltstart-hamburg.

de // Fringe // 18:00 >Theater Die

Nacht kurz vor den Wäldern / Kam-

merspiele Paderborn // Haus III&70

Club // Kaltstart Pro //

18:00 >Performance Today i am

willing to understand / Maria

Isabel Hagen // monsun theater

– Werkstattraum // Fringe //

19:00 >Theater Komm, süsser Tod /

Schauspiel Frankfurt // Haus III&70

Anbau // Kaltstart Pro // 19:00

>Performance dis-oriented / Julia

Blawert // Waagenbau // Fringe //

19:00 >Theater Maria Stuart // The-

aterakademie Zeisehallen // Finale

// 19:00 >Gespräch Kick-Off Junge

Dramatik // Terrace Hill //

20:00 >Autorenlounge Abend 1 /

Syha-Naumann-Steinbuch /

Mansmann-Hierzegger-Finger //

Terrace Hill / Im Anschluss große

Party mit Überraschungskonzert,

DJ usw. / www.kaltstart-hamburg.

de // Terrace Hill // 20:00 >Theater

Das Schwert / Alsomirschmeckt s!-

Theater // Schule Altonaer Straße

// Fringe // 20:00 >Theater Die

Unterrichtsstunde / Das Hambur-

gische Kulturkontor // Foolsgarden

Theater e.V. // Fringe // 20:30

>Performance Today I am willing to

understand / Maria Isabel Hagen //

monsun theater – Werkstattraum

// Fringe // 20:30 >Arbeitsproben

Werkstatt // Theaterakademie Zei-

sehallen // Finale // 21:00 >Theater

Vom Schlachten des gemästeten

Lamms und vom Aufrüsten der

Aufrechten / vorschlag:hammer /

Universität Hildesheim&Hochschule

der Künste Bern (CH) // Haus

III&70 Saal // Kaltstart Pro // 22:00

>Performance Alte Sehnsucht / Per-

formanzART – Vieux|Maram // 13ter

Stock (Bar Rossi) // Fringe //

20:00 >Theater Firestarter / Ball-

haus Ost (Berlin) // Terrace Hill //

Kaltstart Pro //

20:00 >Theater Hausaufgaben /

Landungsbrücken Frankfurt // Haus

III&70 Club // Kaltstart Pro //

20:00 >Theater Das kleine Hasen-

stück oder Meister L. lernt laufen

/Gestaltungsweise // monsun thea-

ter – Werkstattraum // Fringe //

20:00 >Theater Der Kick / Anika

Lehmann // Foolsgarden Theater

e.V. // Fringe // 20:30 >Theater

Feuchtgebiete / Theater Liga // BiB

– Bühne im Bürgertreff Altona-Nord

// Fringe //

21:30 >Theater Während sie / PACK

// 13ter Stock (Bar Rossi) // Fringe

22:00 >Theater Glaube, Liebe, Hoff-

nung / Landungsbrücken Frankfurt

// Haus III&70 Saal // Kaltstart

Pro //

22:00 >Theater Ich ersehne die

Alpen; so entstehen die Seen /

Schwankhalle Bremen // Schule

Altonaer Straße // Kaltstart Pro //

Sonntag 18. Juli 2010

tor // Foolsgarden Theater e.V. //

Fringe //

20:00 >Theater Das kleine Hasen-

stück oder Meister L. lernt laufen /

Gestaltungsweise // monsun thea-

ter – Werkstattraum // Fringe //

20:00 >Autorenlounge Abend 2 /

Kohlert-Grehn&Stocker / Heß-

Laucke& Richter-Nielsen //

Terrace Hill // Im Anschluss große

Party mit Überraschungskonzert,

DJ usw. / www.kaltstart-hamburg.

de // Terrace Hill

20:00 >Theater PHILOKTET mein

hass gehört mir // Theaterakade-

mie Zeisehallen // Finale //

20:30 >Theater Feuchtgebiete /

Theater Liga // BiB - Bühne im

Bürgertreff Altona-Nord // Fringe //

Premiere + Hamburger Erstauffüh-

rung//

21:30 >Theater Komm, süsser Tod /

Schauspiel Frankfurt // Haus III&70

Anbau // Kaltstart Pro //

21:30 >Film Eieruhr // Theateraka-

demie Zeisehallen // Finale //

22:15 >Theater end-station:

(wirklichkeit) // Theaterakade-

mie Zeisehallen // Finale // Im

Anschluss Abschlussparty Finale //

Theaterakademie Zeisehallen

von Stephanie Drees

Die Einsamkeit derSmegma-Spielerin

Sa. 17.07. und So. 18.07. | 20.30 Uhr | Bürgertreff Altona-Nord

Theater Liga inszeniert „Feucht-gebiete“ von Charlotte Roche

Freitag 16. Juli 2010

19:00 >Performance dis-oriented

/ Julia Blawert // Waagenbau //

Fringe // 20:00 >Theater Glaube,

Liebe, Hoffnung / Landungsbrücken

Frankfurt // Haus III&70 Saal //

Kaltstart Pro //

20:00 >Theater Die Unterrichtsstun-

de / Das Hamburgische Kulturkon-

Samstag 17. Juli 2010

Page 5: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 03 / 1. Jahrgang

Sa 17.07., So 18.07. | 20:00 | Monsun-theater, Werkstattraum

Kaltstart

„PHILOKTET mein hass gehört mir“ steht auf dem

Programm, von Christopher Rüping. Über ihn wurde

2007 geschrieben, er inszeniere mit „Witz, Ironie und

Ideereichtum“. Hier macht er nun Heiner Müller. Yes.

Müllers Texte sind politisch, verweislastig, gigantisch.

Brainfuck. Oder wie Peter Hacks es ausdrückt: „Keiner

handhabt so souverän wie Müller den Vers als Grenzer-

eignis. Wir lesen Philoktet und erkennen die Verbesse-

rungsbedürftigkeit unserer Gedanken über die Kunst.“

Was hat Rüping vor? Der Pressetext verrät nicht viel.

Ein Brief: Odysseus will Philoktet überreden, zusammen

mit ihm die Trojaner zu besiegen. Philoktet? Ein Grieche

mit göttlichem Bogen, aber mit einer stinkenden Wunde

– und darum von eben diesem Odysseus auf einer ein-

samen Insel ausgesetzt. So einen krassen Müller mit

Witz, Ironie und Ideenreichtum inszeniert – fantastisch!

Aber geht das überhaupt? Christopher Rüping, überra-

schen Sie mich.

Wenn Kritikerinnen Wünsche frei hätten...

Es geht um einen Professor, der eine Professorin

ist. Und es geht um seine Schülerin, die zum Opfer

wird. Es geht um Mord und darum, ein wenig ver-

rückt und ein wenig komisch zu sein. Und zwischen

den Zeilen, wenn der Prof lüstern blickt, geht es

vielleicht um mehr. So kennt man das absurde The-

ater, so kennt man Eugène Ionesco. Tjadea Marck-

mann spielt in “Die Unterrichtsstunde” die Schüle-

rin, die sich ihrem Professor hingibt. Sie ist 16 Jahre

alt und laut ihrer Mitspielerin Annabelle Krieg

“nicht so verkorkst” wie die Profis. Sie selbst ist

schon seit zehn Jahren dabei und hat zum Festival

über theaterjobs.de gefunden. Irgendwie absurd.

von Alexandra Müller

von Khesrau Behroz

Hoffnung auf einen witzigen „Philoktet“

Sa 17.07. und So 18.07. | 20:00 | Monsuntheater, Werkstattraum

Samstag 17.07. | 22.15 Uhr | Zeisehallen

Schule ist absurdWir haben es schon immer gewusst

Erst mal schön Kaffee trinken

Hattu Öhrchen?

Mit Tierstücken haben wir bisher eher

schlechte Erfahrungen gemacht („König

der Löwen“, „Ponydressing“). Aber die Ein-

Hasen-Revue „Das kleine Hasenstück oder

Meister L. lernt laufen“ des deutsch-schwei-

zerisch-österreichischen Kollektivs Gestal-

tungsweise klingt doch sehr vielversprech-

end: Dürer soll vorkommen und Beuys,

tickende Uhren, falsche Zähne und: Hasen,

Hasen und nochmal Hasen.

Ein dreifach Hasi Palau!

Letzte Abfahrt RealismusGernot Grünewald lässt Tennessee Williams näher kommen – „end-station: (wirklichkeit)“ in den Zeisehallen

Samstag 17.07. | 20 Uhr | Zeisehalle

von Johannes Schneider

Schwer angenagtEine Ein-Hasen-Revue im Monsuntheater

Fr. 16.07. und Sa. 17.07. | 20 Uhr | Foolsgarden

Eine Version von „Endstation Sehnsucht“ geht so:

Marlon Brando steht vor der dauergewellten Blan-

che, der Blick spöttisch, die Lippen feucht und das

Shirt durchgeschwitzt. Tennessee Williams‘ „End-

station Sehnsucht“ ist die realitätstreue Obduktion

einer gesellschaftlichen Ordnung im Amerika der

1940er Jahre. Eine andere Version geht so: In der

Ankündigung von „end-station: (wirklichkeit)“ des

Regisseurs Gernot Grünewald stehen Begriffe, die

breite Diskurs-Abzweigungen der Theaterfahrbahn

markieren: Authentizität. Selbst. Konstruktion. „Es

ging mir um die Frage, wie Realismus heute noch

auf der Bühne funktioniert“, sagt Grünewald. Auch

wenn er der Vorlage nicht zu viel Tribut zollen will,

finden sich doch narrative Elemente. Eingesperrt

in einen Glaskubus thematisieren die Schauspieler

immer die eigene Spielsituation mit. „End-station:

(wirklichkeit)“ hat zwar keinen verschwitzten Bran-

do, dafür aber Voyeurdiskurs und Anteilnahme.

von Stephanie Drees

KFZVorschau

Page 6: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 03 / 1. Jahrgang

Jens Nielsen ist einer der neun Autoren, die in der Kaltstart-Autorenlounge vorgestellt werden. Der gebürtige Schweizer spielt dort seinen Monolog „1 Tag lang alles falsch machen“. Die KFZ-Autorin Alexandra Müller traf ihn im Facebook-Chat.

06 / 07

Erinnerung verändern, stilisieren, radikalisieren

Jens Nielsen

Jens 12:51

letztes mal, als ich gechattet habe, war noch ein anderes

jahrhundert. aber ich kann es noch.

Me 12:52

mich würde erstmal interessieren, was das „Erzählte Mani-

fest“ ist, mit dem du hier antrittst.

Jens 12:54

es ist eine erzählperformance. und ein „erzähltes manifest“,

weil die figur, die auftritt, für sich das falschmachen als

credo ausprobiert. es ist ein manifest, das nur für die figur

gilt, aber ein wenig möchte sie diese absurde lebenshaltung

auch propagieren.

Me 12:55

spielt das falschmachen auch in deinem leben eine rolle?

Jens 12:58

ja, aber ich mache es privat nicht extra. das privat-ich erlei-

det die fehler, das autor-ich darf sie künstlerisch nutzen: die

figur, die nicht ich ist, spielt die fehler, die mir unterlaufen,

als kunstfigur aus, um zu untersuchen, wo das hinführt. ich

überlege grad, ob mir ein schöner fehler einfällt …

Jens 13:08

ich wollte letzte woche einen sonnenhut kaufen. ging dazu

ins warenhaus, wo ich sonst nie hingehe. ich sah einen hut,

der mir gefiel, getragen von einer schaufensterpuppe, die

mitten in der verkaufsfläche stand. ich fragte nach dem hut.

aber niemand konnte ihn mir beschaffen. erst dachte ich,

es sei die schuld des personals und habe mich sehr doof

benommen, habe unverständliche fragen gestellt. ich habe

meine ganze ablehnung für warenhäuser auf das arme per-

sonal projiziert. jetzt habe ich einen sonnenschirm gekauft.

Me 13:13

wie ist es, etwas, das du schon erlebt und verarbeitet hast,

zu spielen?

Jens 13:18

die gestalt der erinnerung wird beliebig verändert, stilisiert,

radikalisiert. ich schreibe ja auch für die theaterformation

„trainingslager“. ein stück letztes jahr hieß „die erbsenfrau“.

da züchtet eine frau männer auf dem kompost. es ist eine

traurige komödie über die vergeblichkeit der suche nach

dem perfekten partner. da ist die groteske mir eine hilfe, all-

tagsinhalte so zu überhöhen, dass sie parabelhaft werden.

Me 13:20

bist du ein „lustiger“ autor? ich habe schon eine menge dis-

kussionen darüber geführt, dass komödien in deutschland

nicht so gut ankommen, in der schweiz aber schon.

Jens 13:27

was mich im theater interessiert, ist ein möglichst hohes

gefälle zwischen humor und ernst. der moment, in dem man

lacht, kann genutzt werden, weil der lachende zuschauer

einen moment lang offen ist. so kann man, vielleicht, eine

botschaft vermitteln, die tiefer in den zuschauer fällt, als

wenn er von anfang bis ende nur mit reflektieren beschäf-

tigt ist.bei der erbsenfrau gibt es einen moment, in dem

sich die von ihr geschaffenen männer emanzipieren wollen.

sie gewährt es ihnen, wenn auch nur aus erschöpfung. in

diesem monolog redet sie „komisch“ und kippt dabei fast in

den faschismus … im zuschauerraum wird es dann plötzlich

ganz still. das sind meine lieblingsmomente im theater.

Me 13:30

die autorenlounge wurde bei kaltstart eingerichtet, weil man

erkannt hat, dass viele junge theatermacherInnen vor allem

„junge“ dramatik spielen.

Jens 13:35

mir sind kategorien des alters suspekt. ich selber war gar

nie ein ganz junger autor, weil ich erst relativ spät angefan-

gen habe, professionell zu schreiben. in der schweiz habe

ich aber von den förderprogrammen für junge dramatik

profitieren können. das kann sich, wie alles, mit der zeit

totlaufen, aber dann kann man ja was neues beginnen. sehr

junge dramatik zum beispiel.

Me 13:42

oft ist es ja so, dass ein neuer autor einen text vorlegt, der

wird als uraufführung gebracht und verschwindet dann

wieder.

Jens 13:44

ich habe keinen verlag. meine texte werden uraufgeführt

von „trainingslager“ oder von mir selber. zu weiteren insze-

nierungen kommt es in der regel nicht. ich nehme das aber

gelassen, verweigere mich vielleicht auch ein stück weit den

regeln des betriebs.

Me 13:46

erhoffst du dir etwas von kaltstart? kontakte, fans?

Jens 13:47

ja. ich würde gerne in norddeutschland spielen, und ich

glaub, in norddeutschland hätten die zuschauer vielleicht

ein interesse an meinen texten. da täusche ich mich eventu-

ell, aber mal sehen.

Me 13:48

wieso norddeutschland?

Jens 13:50

ich habe das „vorurteil“ dass die menschen in norddeutsch-

land eine affinität zur genauigkeit in der sprache haben, zu

trockenem humor, und zu intellektbetonter kunst. ich gebe

aber zu, wenn das festival in münchen stattfände, hätte ich

nicht abgesagt :)

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KFZAutorenspezial

Page 7: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 03 / 1. Jahrgang

Kaltstart

Die schützende HandAn ihnen muss jeder vorbei, der sein Glück als Dramatiker versuchen möchte: Die Lek-torinnen und Lektoren der Theaterverlage entscheiden neben den Preisrichtern der Nachwuchswettbewerbe häufig über Aufstieg und Fall junger Theaterautoren. Maren Zindel ist Lektorin beim Rowohlt Theater Verlag, der seinen Sitz in Reinbek bei Hamburg hat. Clara Ehrenwerth sprach mit ihr über Autorenförde-rung, gegenwärtige Tendenzen in der Dramatik und die Verantwortung der Lektoren.

KFZ Was reizt Sie als Lektorin daran, bei der Autorenlounge

des KALTSTART-Festivals dabei zu sein?

MZ Für mich ist es selbstverständlich zu kommen. Mit

Laura Naumann, Gerhild Steinbuch und Ulrike Syha lesen

gleich drei Autorinnen, die in unserem Verlag publizieren,

und da nutze ich gerne diesen Ort, um denen mal wieder zu

begegnen. Ob ich anreisen würde, wenn ich nicht in Ham-

burg leben würde, weiß ich allerdings nicht, weil es sich ja

um Produktionen handelt, die schon gespielt worden sind,

und die Autoren, deren Stücke vorgestellt werden, bereits

unter Vertrag sind. Für uns Lektoren ist die Autorenlounge

weniger ein Entdeckerfestival als vielmehr eine Präsentati-

onsplattform. Für Theaterschaffende ist es aber sicher sehr

interessant, hier Entdeckungen zu machen.

KFZ Welche Chancen bietet die Autorenlounge für junge

Dramatiker?

MZ Im Vordergrund steht der Gedanke der Plattform: Für

die Autoren bietet KALTSTART die Möglichkeit, Kontakte zu

knüpfen, neue Begegnungen zu machen, sich gegenseitig

und dem Publikum die Texte zu präsentieren, und das finde

ich in jedem Fall sehr sinnvoll.

KFZ Welche anderen Möglichkeiten der Förderung junger

Dramatiker sehen Sie?

MZ Am meisten fördert man junge Autoren natürlich, indem

man sie spielt. Unter den konkreten Fördermaßnahmen

halte ich das Modell des Düsseldorfer Autorenlabors für

eines der sinnvollsten. Dort wird eine Gruppe junger Auto-

ren über einen längeren Zeitraum in ihrem Schreiben ge-

fördert und begleitet. Aber langfristig gesehen sind Haus-

autorschaften, die dem Autor über mehrere Stücke treu

bleiben, also Sachen nicht nur zur Uraufführung bringen,

sondern auch nachspielen und sich intensiv mit ihnen

auseinandersetzen, die besten Förderungsmaßnahmen.

KFZ Ist man als Lektorin auch für eine gewisse Art von

Welpenschutz verantwortlich, um unerfahrene Autoren

nicht an einen nimmersatten Markt zu verfüttern?

MZ Auf jeden Fall, ich sehe das als Teil unserer Arbeit. Die

Autoren werden heute sehr früh aus ihren Studiengängen

weggecastet, aber sie brauchen erstmal einen geschützten

Raum, um sich und ihr Schreiben auszuprobieren. Das

wird schwer, wenn man einmal auf den Markt geworfen ist,

vielleicht einen Preis gewonnen hat und plötzlich unter dem

Druck steht, sechs Stücke in drei Jahren zu schreiben. Da

muss man tatsächlich ein bisschen seine schützende Hand

über die Autoren halten, oder es zumindest versuchen.

KFZ Abseits vom Markt: Können Sie ästhetische Trends in

der jungen Dramatik bestimmen?

MZ Schwer zu sagen. Man sucht ja eigentlich immer die Aus-

nahme und nicht die Regel. Ich bin froh, dass wir nicht mehr

so viele WG- und Familienstücke bekomme wie noch vor

zehn Jahren – es scheint sich herumgesprochen zu haben,

dass das nicht notwendigerweise interessant ist. Die Au-

toren bemühen sich heute, ein größeres Themenspektrum

in ihr Schreiben aufzunehmen. Aber es bleibt sehr schwie-

rig, das eine Talent unter Vielen zu entdecken, das einen

langfristig interessiert, und das ist ja kein rein inhaltliches,

sondern auch ein sprachliches Interesse. Aber man muss

merken, dass der Einfluss der Vorbilder sich schon zurück-

gebildet hat. Jemand, der schreibt wie Sarah Kane, interes-

siert mich nicht, denn die gibt es ja schon.

KFZ Was raten Sie den vielen unveröffentlichten Autoren, die

Ihnen ihre Manuskripte zusenden?

MZ Ich bekomme sehr viele Stücke von Leuten, die keine

Theatererfahrung haben oder deren Theatererfahrung sich

auf Klassiker beschränkt. Aber Stückeschreiben bedeutet

eben nicht, einen Roman in Dialogen zu schreiben. Jeder

Theatertext braucht Subtext. Man braucht Bühnenimagina-

tion, wenn auch nicht zwangsläufig eine realistische.

Man muss Figuren vor Augen haben. Theater ist nicht Soap,

Theater ist nicht Literatur, Theater ist eine eigene Kunst-

form, und mit der muss man umzugehen wissen. Man muss

eine eigene Form, eine eigene Sprache finden, und die findet

man nur durch ein aktives Interesse an Theater.

Man muss sich mit dem Theater auseinandergesetzt haben.

Das ist eigentlich auch schon alles.

KFZAutorenspezial

Page 8: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 03 / 1. Jahrgang

08 / 09

Drama alsDas Gute an der Krise ist, dass sie die Zeiten wieder existen-

tiell werden lässt. Nicht von einem Tag auf den anderen und

nicht für alle in gleichem Maße. Auch nicht im Sinne einer

existentiellen Not. Mehr in Form einer existentiellen Ah-

nung: Es wird anders werden in den nächsten zehn Jahren

- und wahrscheinlich wird es schlechter. Beziehungsweise:

Es ist schon schlechter, es kriselt ja bereits, und wir warten

wieder mal auf die Bombe, die diesmal nicht aus der UdSSR

oder islamistischen Rollkoffern kommt. Diese hier wird aus

dem Innern des Landes kommen, wo wir mit Zeitverträgen

und ohne Rentenversicherung leben. Wo wir unsere Kinder

besser gar nicht erst zeugen sollten.

Das ist jetzt natürlich arg katastrophierend und trifft ja gar nicht

auf alle zu (Maschinenbauingenieure haben ein ganz anderes Ge-

genwartsbild als freischaffende Künstler oder junge Journalisten).

Aber wir brauchen Tendenzen. Wir können ja keinen Essay über

Gegenwartsdramatik schreiben, und da steht dann: „Hü und Hott.

Das Pony läuft im Kreis.“ Wir müssen ja irgendwie nach vorne.

Weiter geht‘s ...

Für die Literatur brechen goldene Zeiten an. Wer heute re-

levant schreiben möchte, muss nicht den Nazi-Opa aus dem

Schrank holen und sich selbst kunstvoll ein Dritte-Genera-

tions-Trauma konstruieren. Es reicht ja ein Blick ins eigene

Leben, dahin, wo zur Jahrtausendwende noch die Dekadenz

und tausend nölende Judith Hermanns zu Hause waren. Wo

der Journalismus denkbar prosaisch die „Angst vor dem

sozialen Abstieg“ erkennt, streicht der literarische Autor auf

Themensuche fünf Worte und verharrt bei einem großen:

Angst.

Nonsens! Eine empirische Umfrage unter deutschen Gegenwarts-

autoren würde wahrscheinlich ergeben, dass maximal drei Prozent

(willkürliche Schätzung) „Angst“ als ihr vordergründiges Thema an-

geben. 27 Prozent würden hingegen „Intersubjektive Beziehungen“

oder sowas sagen, und 70 Prozent „Irgendwie gedruckt werden“

- wenn sie ehrlich wären.

Wenn wir ehrlich wären, hätten wir längst zugegeben, dass

wir nur irgendwie auf die elf Stücke hinleiten wollen, die in

diesem Jahr zur KALTSTART-AUTORENLOUNGE eingeladen

sind. So ist es kaum verwunderlich, wenn wir das, was wir

bisher über die Literatur im Allgemeinen gesagt haben, hier

wunderbar an der jungen Dramatik festmachen können.

(Die abzubilden hat sich die Lounge ja zum ehrenwerten Ziel

gesetzt.) Am meisten fällt uns auf (und es fällt uns sehr, sehr

Ein sorgfältig abwägender Essay von Johannes Schneider

Die Theaterautoren der KALTSTART-AUTORENLOUNGE haben mitbekommen, dass Krise ist. Das ist gut.

angenehm auf!), was da alles nicht vorkommt: Generations-

konflikte, Familiensagas, Hitler. Da verzweifelt niemand

wahlweise an seinen 68er-Eltern oder 33er-Großeltern. Und

niemand verzweifelt mehr daran, dass es nix mehr zum Ver-

zweifeln gibt. Regieanweisungen wie „Ein Raum, zwei Stühle,

er und sie“ (frei konstruiert aus leidvollen Lektüre- und Seh-

erfahrungen) sucht man in dieser Auswahl vergeblich.

Bla, Bla, Bla: Es gehört wohl zu den billigsten rhetorischen Tricks,

irgendwelche Pappkameraden zu konstruieren, gegen die sich die

tatsächlichen Texte strahlend absetzen können. Außerdem ist es

schon eine nackte Unverschämtheit, aus der Gruppe der Elf (Stücke

in der Autorenlounge) irgendeine Tendenz rauslesen zu wollen, lie-

gen uns doch zum momentanen Zeitpunkt aufgrund verschiedener

logistischer Probleme nur derer sechs vor. Aber gut ...

Genau, gut. Gut ist das (größtenteils), was man da zu lesen

kriegt: Reich an Welt, die - das ist ja unsere These - nicht

mehr belanglos ist. Es gibt Stücke wie das von Ulrike Syha,

das, obwohl es so provokant „Privatleben“ heißt, nichts,

aber auch gar nichts Privates an sich hat, im Sinne einer

behaupteten Intimität, einer ungesunden Nähe zu den Fi-

guren. Das sind in diesem Fall „ER, SIE. Und ein Land, das

schrumpft“ - und das Land, das schrumpft, bringt‘s total,

viel mehr als ein Raum und zwei Stühle (s.o.). Ohne genau zu

wissen, was mit dieser Volte im Dramatis Personae gemeint

ist (so naiv, aus dem schrumpfenden Land nur den Verweis

auf eine demographische Tendenz zu lesen, sind selbst wir

nicht), spüren wir doch in jeder Zeile, wie das ungesunde

Klima dieses Landes SIE und IHN bedrückt und formt, deren

Wege sich bei einer Zugfahrt kreuzen und die sich fortan vor

dem Hintergrund maximaler Unterschiedlichkeit (bei glei-

cher Verzweiflung) grandios aneinander abarbeiten.

Stopp! Das wird jetzt unerträglich. Kommt die „Welt“ (und mit ihr

die Angst) in diesem Text nicht - wenn überhaupt - etwas plump

daher? „Der Weltwirtschaft geht es nach wie vor schlecht, während

wir so beschäftigt sind“, denkt ER beim Sex mit IHR in einem Bahn-

hofshotel. Das kann es doch nicht sein, die Angst. Das ist doch die

übliche bräsige Lakonie ...

Wir wissen es doch auch nicht! Wir können doch auch nicht

für jeden einzelnen Text, jeden Protagonisten, jede Zeile die

Hand ins Feuer legen. Am wenigsten für uns, die wir völlig

befangen sind in unserem Ansatz, die Stücktexte just in dem,

was wir als den zeitlichen Kontext ausgemacht haben, ernst

zu nehmen. Wenn die Österreicherin Gerhild Steinbuch ihr

K F ZAutoren

spezial

Page 9: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 03 / 1. Jahrgang

Kaltstart

„Herr mit Sonnenbrille“ da spielen lässt, wo in einer „Fluss-

furche“ unterhalb der Skigebiete vor der Bundeshauptstadt

„früher die Stahlindustrie daheim“ war und jetzt „immer

weniger Menschen Arbeit finden“, ist das für uns weniger

morbides Setting einer düsteren, auf zwei verschränkten

Zeitebenen erzählten Beziehungsgeschichte. Vielmehr wird

die düstere Beziehungsgeschichte zur Illustration des morbi-

den Settings.

Wir merken an dieser Stelle, wie uns der Essay - schon bei der

Erwähnung des zweiten Stücks - endgültig entgleitet. Wir benutzen

die Stücke ja nur für einen hanebüchenen Indizienprozess. Dabei

können die so viel mehr ...

Jaja, die können ja gerne viel mehr können. Aber sie können

eben auch das: eine bedrohliche Welt am Abgrund zur Kennt-

lichkeit entstellen. Überhaupt: einen Abgrund ahnen lassen,

der sich in alltäglichen Zugriffsroutinen nur zu gut ausblen-

den lässt. David Richter und Dirk Laucke lassen „Start- und

Landebahn“, ihre „Erzählung fürs Theater“, in einer so

apostrophierten „Eiszeit“ (gemeint: das Jetzt) spielen und

verfrachten uns zielbewusst dahin, wo wir sonst nicht jeden

Tag hinschauen: in ein „fast ausgestorbenes Dorf am Flugha-

fen, sorgsam umschlossen von den Start-

und Landebahnen, einer ICE-Strecke und

einem Autobahnkreuz“. Dort, wo die

Zivilisation den Bodensatz derGesell-

schaft jetzt schon so zerstört, wie sie es

bald mit uns allen machen wird, erhal-

ten wir mehr als nur eine Ahnung vom voraussichtlichen

Ende der Welt. „vergiss den ganzen technischen schrott, den

flughafen, die autobahn, die ärzte und das pflegeheim. genau

dieser bekackte fortschritt hat dein ganzes dorf platt gemacht

und dich in einen degenerierten menschen verwandelt“, sagt

der Protagonist Bill zum Protagonisten Darius ...

... was mehr über die Nervensäge Bill aussagt als über sonst ir-

gendwas. Es bringt nichts. Wir müssen an dieser Mammutaufgabe

scheitern. Alles ist so - und alles ist anders. Alles ist gesellschaftlich

und zugleich privat - vielleicht ist das ja die Tendenz, sonderlich neu

wäre das nicht. Wie wenig weit wir so kommen, sieht man an zwei

Stücken in der Auswahl, die mit alledem, mit der Krise, der verunsi-

cherten Gesellschaft, der düsteren Zukunft, der Angst vor der Bombe

nichts oder nur am Rande zu tun haben: Nora Mansmanns „herr

tod lädt nicht ein aber wir kommen trotzdem“ lässt uns ratlos mit

Bonnie-und-Clyde-Fragmenten, zwei Kindern und dem

Tod zurück, und aus Jens Nielsens selbstzerstörerischer Flanérie „1

Tag lang alles falsch machen“ können wir mit unserem Zugriff auch

nichts „rausholen“ - spätestens hier scheitert der Versuch, den

ästhetischen Texten einen diskursiven Gebrauchswert abzutrotzen.

Diskursiver Gebrauchswert in your face! An dieser Stelle

müssen wir das Über-Ich hart ausbremsen, denn eins ist

mal klar: So viele Artikel, Essays, Feuilletons, vielleicht

sogar Romane können wir über die Krise gar nicht lesen,

um uns annähernd so körperlich mies, durchgerockt und

existentiell bedroht zu fühlen wie nach einem Lektüretag

(plus Nacht) mit den Autorenlounge-Stücken. Huhn oder Ei,

gesellschaftliche Krise oder düstere Dramatik, das ist doch

jetzt völlig egal. Fakt ist: Es schwingt wieder was. Es gibt

wieder eine Form von Furcht vor der Gegenwart jenseits

von Wehleidigkeit. Der wir glauben. Und vielleicht - und jetzt

beginnen wir zu träumen - kann eine derart politische (oder

politisch gelesene) Dramatik ja einen Effekt zeitigen, wie ihn

KFZ-Kollegin Laura Naumann (ebenfalls bei der Autoren-

lounge dabei) in ihrem „DEMUT VOR DEINEN TATEN BABY“

andeutet: Drei Frauen erleben da auf einer Flughafentoilette

einen (vermeintlichen) Bombenanschlag und erfahren dabei,

wie Angst zusammenschweißen kann. Sie beschließen, einen

„Anschlagsimulator“ zu bauen, um auch anderen dieses

Hochgefühl zu geben, beziehungsweise: „wir brauchen nicht

mal was bauen wir machen das alles selbst wir su-

chen die Orte aus wir spielen die Terro-

risten wir machen die Leute erleben“.

Drama als nicht-letale Therapie-

bombe für die sich entsolidari-

sierende Gesellschaft - das

wäre doch was. Erst

einmal reicht es

aber zu sagen:

Es ist Krise.

Die jungen

Dramatiker

haben das

mitge-

kriegt.

Das ist gut.

Therapiebombe

Page 10: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 03 / 1. Jahrgang

10 / 11

Paris hat Helena aus Liebe dem Agamemnon geraubt. Aus

Liebe ist der Krieg zwischen Griechenland und Troja ausge-

brochen. „I love you, Helena!“, sagt Paris ihr immer wieder

und es soll sie trösten darüber, dass ganz Troja sie hasst,

weil Krieg ist, wegen ihr. Seit zehn Jahren belagern die Grie-

chen nun Troja. Alle sind müde. Alle hassen den Krieg, aber

immer findet er statt, zu allen Zeiten. Auch die vier Frauen

haben ihn erlebt, in Bosnien und Herzegowina. Wirklich

erlebt, bis sie nach Deutschland kamen. In der Inszenie-

rung von Krzysztof Minkowski und Dirk Moras spielen sie

sowohl Götter als auch Krieger und Kriegerfrauen. „Die

Jungs sind fit“, sagt Agamemnon und schickt das Heer los.

Es ist kein Mitleidstheater, kein Ausstellen von „Opfern“, da

werden Parallelen gefunden zwischen der Antike und der

Gegenwart, Laien und Profis sind so gut zusammen, wie es

selten der Fall ist und alles wird gezeigt, wie es wohl immer

ist: der Krieg und Angst und Vertreibung und Verlust, aber

dazwischen wird gesoffen und getanzt und geweint und

immer noch erzählt und immer noch gelacht und immer noch

geliebt. Die verlorene Stadt zum Beispiel, die Familie, die

Mädchen und die Götter, was soll’s.

von Laura Naumann

Nicht im Bild: Der Du. Foto: Lisa Kratz

„Die Jungs sind fit“Der Heimathafen Neukölln zeigt die Ilias mit Flüchtlingsfrauen aus Bosnien und Herzegowina und zwei Schauspielern

Frauen spielen Frauen, die Frauen spielenK. und L. im Dialog über „Der Du“ von Julia Wolf, in einer Inszenierung von Sahar Amini vom Düsseldorfer Schauspielhaus, inspiriert von der Erzählweise des Stücks

K.: Also, da sitzen wir beide, mit Pappe in unseren Händen,

fächern die Luft und blicken auf die Bühne, streng. L. schaut

strenger.

L.: Interessiert hab ich geguckt, nicht streng. Ich hab da ganz

entspannt gesessen und geguckt und gewedelt und dann ging

es los. Da hast Du gleich die Arme vor der Brust verschränkt.

Streng.

K.: Ich wusste einfach nicht, wohin mit den Armen. Sind ja

auch sperrig, die Dinger. Also habe ich sie einfach vor meiner

Brust verschränkt. Strengfrei.

L.: Gestritten wird später. Jetzt geht‘s erstmal los.

Wir sehen: drei junge Frauen. Sie spielen: drei junge Frauen.

Sie stellen sich vor. Ein Hotel kommt vor. Ein Anruf von einer

Mutter. Eine Bar.

K.: Nein. Ich würde das anders sagen. Wir sehen: drei junge

Frauen. Sie spielen: Drei junge Frauen. Die spielen: Drei jun-

ge Frauen, die von drei jungen Frauen berichten. Sie stellen

sich vor. Sie haben schöne Stimmen.

L.: Und es sind die gleichen Frauen. Immer nur drei. Sie

erzählen sich gegenseitig und sich selbst. Mit ihren schönen

Stimmen.

K.: Die Gleichen sind es, nicht dieselben. In der Geschichte

ging es um einen Kerl, der blutet, und um die drei jungen

Frauen, die auf allen Ebenen die Gleichen sind. Sie flüchten

mit ihm und es kommt zu einem Road Trip, oder?

L.: Nee, anders. Wenn man die Schauspieler-Ebene, so nenn

ich das jetzt mal, wegdenkt, dann waren sie ja schon diesel-

ben. Immer Eve, Dora und Luzi, und die haben erzählt, was

sie erlebt haben und haben das auch gespielt und im Spiel

haben sie wieder erzählt, was sie gerade tun. Also dieselben.

Jedenfalls flüchten sie mit dem Mann und es kommt zu

einem Road Trip, jawoll. Luzi hat Verwandte im Taunus.

Aber dann erreichen sie das Meer.

K.: Dort ist es schön und der Kerl blutet immer noch. Also

stellt Dora ihren Eltern den Du vor. So heißt er nämlich, Du.

Und er sieht gut aus. Zu gut, um liegengelassen zu werden.

L.: Außerdem ist er sehr warm, sagt zumindest Luzi. Sie ist

von Laura Naumann und Khesrau Behroz

die, die am meisten mit dem Du anfangen kann. Sie will ihn

eigentlich, aber dann doch nicht. Alle Drei haben mal gesagt:

„Ich habe es aus Liebe getan.“ Und dann hat Dora gesagt,

Luzi wisse nicht, was das sei, Liebe. Und dann hat es Streit

gegeben.

K.: Warte mal. Ich glaube, L. wusste nicht, dass K. zucken

musste als Luzi und Dora und Eve von Liebe gesprochen

haben, als wäre sie eine außerordentlich große Liebe, eine

Liebe, die ein Theaterstück sehr, sehr schwierig macht, ihm

die Leichtigkeit nimmt, weil es ihrer Größe, also der Größe

der Liebe, gar nicht gerecht werden kann. Wusstest Du das?

L.: Nein, das wusste L. nicht. Allerdings war das hier, glaube

ich, nicht so eine Liebe. Eher eine Sehnsucht danach. Davon

waren die Figuren ja voll. Das hat man in jedem ihrer Sätze,

in jeder ihrer Bewegungen sehen können. Luzi hat dem Du

ihre Mutter vorgestellt, um ihm Hoffnung zu geben. So eine

Liebe eher. Dann kam Polizei.

K.: Wie sie so durch die Gegend gefahren sind, wie sie be-

schossen wurden - das war gut gemacht. Das haben K. und L.

hinterher ja auch festgestellt: Die etwas einfache Geschichte

- das verzeiht man.

L.: Ja, die war irgendwann egal, weil es einfach Spaß ge-

macht hat, den Figuren zu folgen. Gute Sprache, guter Flow

im Text und gute Schauspielerinnen: Lisa Arnold, Viola

Pobitschka, Sabrina Tannen. Ich war auch Fan von den Pro-

jektionen, die waren gut eingebunden und liefen nicht nur im

Hintergrund. Geil, mit den Polizeiautos und die Schüsse auf

die Frauen gegen Ende. Peng Peng Peng. Löcher. Blut.

Da hab ich gelacht.

Page 11: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 03 / 1. Jahrgang

Kaltstart

1. Man nehme zwei gegensätzliche Charaktere, vor-

zugsweise Mann und Frau, und sperre sie in eine aus-

weglose Situation.

2. Man bitte die Kostümbildnerin, auf sozialrealistische

Kostüme zu achten.

3. Man halte die Schauspieler an, möglichst natürlich zu

spielen. Sie werden folgende Gesten aus ihrem Reper-

toire abrufen: Aggression wird durch Schreien ausge-

drückt, Angst durch starkes Zittern, Zuneigung durch

körperliche Nähe.

4. Man achte darauf, dass das Stück auf ein eskalie-

rendes Moment kurz vor dem Ende zuläuft. Beliebt sind

hier insbesondere Vergewaltigung, (Selbst-)Mordver-

such, Enthüllung eines Lebensgeheimnisses. Prinzipiell

ist jeder lautstarke Ausbruch des Konflikts erlaubt, der

im bisherigen Verlauf der Handlung bereits brodelte

und schwelte.

5. Man arbeite das Ende derart, dass es die Figuren

ein letztes Mal zusammen bringt, um sie zur Selbstre-

flexion anzuregen. Hier sollte man darauf achten, das

gewählte Thema noch einmal abschließend auszuleuch-

ten. Vorhang.

von Alexandra Müller und Clara Ehrenwerth

Mal so ganz allgemeinWie man ein verdammt gutes Zwei-Personen-

Stück auf der Nebenbühne inszeniert

Wir wollen den Moment feiern: jenen, an dem

Susanne Plassmann schließlich aufsteht und sich

des Polyester-Pullis, der Kurzhaarperücke und

der breiten westfälischen Sprachfärbung entledigt.

Jener Attribute, die in den vorangegangenen Minuten

beim Publikum - distinguierte Hamburger Best-Ager

- für schamhafte Blicke gen Boden gesorgt hat-

ten. Plötzlich wird Susanne Plassmann zur pinken

Sex-Bombe, während vom Monitor ein verrückter

Professor (ebenfalls Plassmann) erklärt, was es da

eben - im endlosen Bramarbasieren einer Vorzeige-

Spießerin - gesehen hat: eine Narrationsform, die in

ihrer Uferlosigkeit an Morton Feldman erinnere und

auf Adornos Idee der musique informelle verweise.

Dann hopst die pinke Furie sinnlos zu seichter Musik

vor den verstörten Pfeffersäcken und ruft: „Ich bin

eine Allegorie!“ Toll!

von Johannes Schneider

Von Bottrop zu Adorno in 30 Sekunden„Erstmal schön hinsetzen“ ist eine

grandiose ÜberraschungDer Schmollmund ist eine Art kleinster gemein-samer Frivolitätsnenner. Wer sich dazu eine Stange zwischen die Beine klemmt, an deren Ende ein Pfer-dekopf prangt, der hat schon alle Zutaten zusam-men, um das Rezept der Sexyness zu vollenden. Die Mädels von „Ponydressing“ reiten durch eine Welt, in denen Pferde-Liebe, Rollschuhtanzeinlagen und Call-Center-Reenactments zu einer Revue ver-schmelzen. Sie verteilen im Publikum „Möhrchen-Marys“ – Vitaminsaft und Wodka – frei nach dem Motto: Geteilte Schmerzfreiheit ist volle Schmerz-freiheit. Zwei Nymphen im schwarzen Retrobody kreieren ein neues Genre: Den Try-and-Error-Trash. Und dabei passiert etwas durchaus Faszi-nierendes, etwas, dass sich nur in der geplanten, in Schieflage geratenen Erotik offenbart: Das Mittel des Frivolen bleibt, anders als viele seine ästhe-tischen Geschwister, auch in ironischer Brechung es selbst. Hier heißt das: Frau auf Pferdestange kann nicht nicht zum Objekt werden, egal ob sie das Objektivierende meta-reflektiert oder nicht. Eine besondere Form von Echtheit also. Die Anzüglich-keit dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde.

von Stephanie Drees

Möhrchen im MaulPferde und Frivolität bei „Ponydressing“

Uli Edels Film „Baader Meinhof Komplex“ stellt wenig Fragen. Die RAF spult sich durch eine Stefan-Aust-hi-storisch korrekte Handlung. AKRteatro dagegen stel-len jede Menge Fragen, inhaltlich wie ästhetisch: „Was bringt einen Terroristen dazu, Terrorist zu werden?“ Das Beste: Sie geben keine Antworten. In „E.C.F.C eravamo cosi folli che – wir waren so verrückt, dass“ performt sich die aus Rom angereiste Gruppe durch verschiedene Formen des gewalttätigen Widerstands – zweisprachig. Das kühle Deutsch rationalisiert den Ter-ror, Performer Carsten Wilhelm raunt ins Mikro. Das Italienische klingt aufbrausender, emphatischer, Maria Laura De Bardi und Aurora Kellermann treiben sich ge-genseitig durch einen aufrührerischen Sprachfluss. Es wird hin und her übersetzt: Viele Redenschnipsel der RAF oder der Brigate Rosse, ihrem italienischen Pen-dant. Szenische Gegenentwürfe flankieren die Recht-fertigungsentwürfe der 70er-Jahre-Terroristen: Die Performerinnen schmiegen sich in hautengen Bodys an ihren männlichen Counterpart, der dann aufspringt und brüllt: „Ich bin doch nicht der Baader!“ „E.C.F.C.“ ist ein theatrales Mind Map, eine Assoziationsmaschine, die zum Lachen bringt und Fragen aufwirft. Dramaturgisch perfekt durchgeplant und ohne in die Moralfalle zu tap-pen. Da steckt eh noch immer Uli Edel drin.

von Alexandra Müller

AKRteatro übersetzen den Terrorismus aus dem Italienischen und zurück

Dimenticano Uli Edel!

KFZKritik

Page 12: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 03 / 1. Jahrgang

12 / 13

R: Was war eigentlich das?

L: Ein Abgesang auf das Hirngewichse im Theater, ein

Kommentar zum vergeistigten Diskurs, ein gelungener

Scherz.

R: Aber war es nicht eine Aneinanderreihung von plat-

ten Nummern?

L: Haben Sie schon mal erlebt, dass jemand auf

der Bühne Pizza bestellt oder beim Verbeugen SMS

schreibt?

R: Die Pizza war lecker, der Wodka auch. Aber das wa-

ren doch nur Effekte!

L: Dann haben Sie anscheinend die intimen Momente

der Selbstironie verpasst, in denen die Regisseure

ihren persönlichen Weg zum Theater nachgezeichnet

haben.

R: Alles in allem hatte ich das Gefühl, außen vor zu

sein.

L: Es ging wohl weniger darum, eine Geschichte zu er-

zählen, als darum, das Theater zu entkrampfen. Gerade

den großen Themen haben sich die Protagonisten char-

mant entzogen, indem sie sich selbst zum Mittelpunkt

der Untersuchung gemacht haben.

R: Aber sind die großen Themen nicht gerade die ent-

scheidenden?

L: Nur, wenn man sich zum Ziel setzt, eine Situation zu

schaffen, die analysiert und nicht emotional erfahren

werden will.

R: Die Fußspuren aus Quark, vorbei am Pool mit den

Luftschlangen drin, fand ich auch schön, aber waren

das genug Hinweise für den Zuschauer, um der Suche

nach ihrem individuellen Theater zu folgen?

L: Folgen konnte der, der sich von Anfang an ihrem

Konzept öffnen konnte. Angekommen ist er in einem

entspannten Verhältnis zum Diskurs. John Vorhaus

sagt: „Humor ist Wahrheit und Schmerz.“ Beides habe

ich gesehen.

von Lobinger und Reißer

Das beste, das sich an diesem Festival anmeldet!“

– „Wirklich?“Ein kritisches Kritikergespräch

Man nennt das Putzlicht: Das unerbittliche Neonlicht,

wenn die Musik vorbei ist. Dan Florescu steht in diesem

Licht, vor schwarzen Kacheln. Der Keller des Haus

III&70 sieht aus wie das Negativ eines Schlachthaus-

fotos. Eine rauschige Opernarie läuft. Florescu zieht

die Straßenkleidung aus und einen Trenchcoat an. „Es

regnet“, sagt er, und kippt sich Wasser aus einer Evian-

Flasche über den Kopf. Dann geht es los: Bernard-Ma-

rie Koltès’ „Die Nacht kurz vor den Wäldern“ (Regie:

Christian Onciu): Céline trifft Salinger trifft Camus trifft

Fight Club trifft Großstadttristesse. Anderhalb Stunden

monolithischer Monolog eines Irren, ein Außenseiter-

text, in dem einer versucht, zu sein wie alle anderen

und seine Simulation zu weit treibt, und seinen Hass

nicht unter Kontrolle bringt: „Nennt mich den Vollstre-

cker“, sagt der Protagonist über sich selbst, und will

ständig alle verprügeln. Aber – und das ist das Gruse-

lige – irre ist er nicht: Florescu ist Schauspieler, der

irre spielt, der hin und wieder einen Texthänger hat und

sich aushelfen lassen muss, der nicht den Irrsinn des

Textes herauskehrt, sondern seine Logik: Denn natür-

lich erweckt Koltès’ Text nur den Anschein von Irrsinn

und arbeitet eigentlich mit sorgsam gedrechselten Mo-

tivketten, mit schimmernden Sätzen, mit ausgeklügel-

ten Überrumpelungstechniken: Da läuft kein Irrer über

die Bühne, sondern einer, der weiß, was er tut, wenn er

das Publikum anspielt und überrumpelt, wenn er seine

Sätze mit voller Absicht leuchten lässt.

Das Wunderbare an genau dieser und keiner anderen

Aufführung des Textes ist, dass es keinen besseren Ort

für Koltès Hasstext gibt als das Herz der Schanze. Dass

Koltès’ regnerische Pariser Straßen dem Schulter-

blatt ähneln, dass der Text plötzlich aktuell wird. Dass

die Art, wie der Irre sich inszeniert, wie er diejenigen,

die er „Lackaffen“ nennt und diejenigen, die er „Ka-

meraden“ nennt, in ihrem Ausgehviertel beschreibt,

umklappt und sich eigenartig leicht auf die Straßen da

draußen projizieren lässt. Plötzlich ist alles wie unter

Putzlicht: Die Gentrifizierungscrowd, wie sie sich selbst

dort schauspielt und ihre Modebrause trinkt, und dass

die einzige Antwort auf ihre Selbstherrlichkeit tatsäch-

lich ist: Tu so, als seist du verrückt. Dann lassen sie

dich in Ruhe.

von Jan Fischer

Für Christian Oncius Inszenierung von

Koltès’ „Die Nacht kurz vor den Wäldern“

gibt es keinen besseren Ort als die Schanze

Vollstrecker im Putzlicht

Köpper in den Themenpool!

KFZKritik

Page 13: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 03 / 1. Jahrgang

Kaltstart

Einer von ihnen wird später zum Mörder: Bennet (Max

Gadow) lässt Apfelstücke aus dem Mund fallen, spuckt

oder wirft sie ins Publikum, Lilly (Jessica Ohl) isst, Wil-

liam (Martin Winkelmann) schlingt. Und Chatwick (Paul

Pötsch) beobachtet den Fall seines Apfels vom ausge-

streckten Arm zum Boden. Die Inszenierung „The Amok

Society“ von Lea Connert in den Zeisehallen gibt sich

nicht mit dem zufrieden, was die Vorlage „Punk Rock“

von Simon Stephens an Charakterisierung leistet.

Im Text werden die Figuren durch grobe Typologi-

sierungen eingeführt: Streber Chatwick will wissen,

was außerhalb des Universums ist, William fragt sich,

warum wir träumen, Lilly beschäftigt sich mit Pho-

bien. Stephens’ Stärke ist weniger, den Figuren Tiefe

zu geben, als die perfiden Machtspielchen hinter der

Maske der Anteilnahme zu kaschieren: Viel wirkungs-

voller, wenn Bennett Chatwick quält, indem er ihn einen

Geldschein fangen lässt, den er ihm zuvor abgenommen

hat. „Ich spiel doch nur das Arschloch“, oder: „Bist du

traurig, weil du so hässlich bist?“

Die Aggressionen und Autoaggressionen, von denen der

Text handelt, führt er im Subtext mit. Erst durch Bisse

in die Haut oder wenn Chatwick beim Sprechen den

Tick entwickelt, sich mit der Zunge übers Zahnfleisch

zu fahren, werden sie zu Theater. Immer stiller wird die

Inszenierung, immer körperlicher, intensiver. Selbst die

Morde sind nur das stumme Schichten bewegungsloser

Körper. Eine Inszenierung, die mit klug gesetzten Bil-

dern und beeindruckender schauspielerischer Leistung

vom Alltagsterror an einer Schule erzählt.

Abstrakter ist der Terror bei „Terrorgraphie“: Eine junge

Mutter leitet einen geheimen Bericht weiter, weil ihr

Chef sie gedemütigt hat, ein Geschwisterpaar kämpft

mit der Leidenschaft füreinander, eine alte Frau bittet

bei Fremden um etwas vom Grill. Aus dem Drang,

der Isolation („vielleicht ist niemand außer mir in der

ganzen Stadt“) zu entkommen, entsteht Terror – und sei

es nur der Terror plötzlicher Stimmungsumschwünge,

sei es, dass man kein Mandelcroissant bekommt.

Die Vorlage „Pornography“, auch von Stephens, stellt

die Regisseurin Laura Louise Brunner vor die Heraus-

forderung, lange, eher technische und eher auf Effekt

denn auf Atmosphäre angelegte Monologe zu inszenie-

ren und dabei dem Text die Kühle und Unbewegtheit der

Einsamkeit zu lassen. Das gelingt ihr durch die feine

Choreographie von Bewegung und Mimik, das gelingt

nicht zuletzt ihren Schauspielern (Sebastian Klein,

André Lassen, Hannah Müller, Laura Schuller) durch ihr

exaktes, intensives Spiel.

von Jan Berning

Das stumme Schichten

der KörperEin kritisches Kritikergespräch über eine

Performance von Maria Umbach, Martin

Grünheit und Benjamin von BebberPotzlow, Brandenburg, 2002: Die Brüder Marco und

Marcel Schönfeld foltern den 16-jährigen Marinus

Schöberl, lassen ihn auf die Kante eines Schweine-

futtertrog beißen und töten ihn mit einem Sprung

ins Genick. Das Dorf schweigt. Was Andres Veiel in

seinem dokumentarischen Theaterstück „Der Kick“

geschafft hat, ist ein kleines Wunder: Nach und nach

werden die Strukturen eines hermetischen Gewalt-

kosmos offen gelegt. Die Schauspielerinnen Annika

Lehmann und Anne Noack setzen in ihrer Inszenie-

rung ganz reduziert auf die Wirkungskraft des Textes

– und verwandeln sich binnen Minuten mit beein-

druckender Körperlichkeit vom schwergewichtigen

Neonazi zur gebrochenen Mutter des Opfers. Dabei

schaffen sie es, die Qualität des Stücks zu transpor-

tieren: Die vermeintlichen Monster aus ihrem Käfig

zu holen.

von Stephanie Drees

Das Monster aus dem KäfigIn „Der Kick“ zeigen Annika Lehmann und

Anne Noack einen Kosmos aus Gewalt„

Liebe Dummet Face,

ihr habt euch eine ganze Seite gewünscht, ich kann

euch aber nur eine halbe Spalte geben. (Hab ja auch in

Hildesheim studiert, wie sähe das denn aus?)

Erstmal: Ich wünsche euch, dass ihr „Das Erfolgspro-

jekt“ bald auf Kampnagel spielen könnt, das habt ihr

echt verdient. Eure Idee, Interviews mit Persönlich-

keiten aus der Theaterszene zu machen, um herauszu-

finden, ob es ein Erfolgsrezept für freie Gruppen gibt,

finde ich super. Es hat was Dokumentarisches und ist

gleichzeitig für viele hier interessant. Das ganze als

Rätsel aufzuziehen, bei dem man die Personen anhand

von Zitaten erraten muss, erweitert die reine Informa-

tion um eine Metaebene – man kennt ja die Pappenhei-

mer Matzke, Lilienthal, Pilz. Eure Umfrage, in der wir

Stellung zum Thema „Wie hat man im freien Theater

Erfolg?“ nehmen sollten, war angenehm unpeinlich. So

bezieht man Publikum ein. Eure persönlichen Stellung-

nahmen und Witze, etwa über die Bewerbung an der

Schauspielschule (ja, auch ich …) sind sympathisch,

ohne blöd zu sein. Ein entspannter Beitrag zum Authen-

tizidings-Diskurs, der sich so langsam auf diesem Fe-

stival entwickelt. Manchmal könntet ihr auf der Bühne

noch ein bisschen lockerer sein, aber hey. Lasst euch

gegenseitig nicht so viele Strafrunden laufen. Disziplin

ist zwar wichtig für den Erfolg, aber sich gegenseitig zu

quälen doch nicht. Ihr schafft das auch so.

Eure Alexandra

von Alexandra Müller

Dummet Face ergründen die Geheimnisse

des Erfolgs in der freien Szene

Erfolreich sein, wie wär das fein

So 18.07. | 20:00 | Foolsgarden

KFZKritik

Page 14: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 03 / 1. Jahrgang

14 / 15Sturmzucker: Seeräuber und Jenny. Foto: Sven Heine

Die OPEN-AIR-Sparte des FRINGE zeigt Stücke zum Atmen

„Wir sind kein Straßentheater“, sagt Lukas Bugiel, „aber

weil wir draußen sind, haben sie uns zu OPEN AIR gesteckt.“

Lukas gehört zu Intermedia Orkestra, die ihre Zuschau-

er zwei Minuten lang auf dem Vorplatz des Knust in einem

schwarzen VW-Bus umherfahren, mit ein paar Zwischen-

halten bei Tieren und Paparazzi. Zwei Minuten, die sich an-

fühlen wie zwei Minuten Achterbahn: Schneller, und gleich-

zeitig viel, viel länger.

Der Flyer des OPEN AIR ist lose ins Programmheft ge-

schoben, darin haben die einzelnen Auf-führungen keinen

Ankündigungstext. Vielleicht ist das der Grund, dass an die-

sem Tag nicht viel Publikum da ist: „Wir mussten Leute vom

Platz wegholen, damit die mitmachen“, sagt Lukas. Denn

Continuous Shot lebt vom Publikum: Die Zuschauer sind die

Protagonisten des Musikvideos, das während der Auffüh-

rung entsteht. Während Intermedia Orkestra noch darüber

debattieren, wie eigentlich die PIN-Nummer der Karte des

Vereinskontos ist, tragen Sturmzucker ein Schlauchboot und

zwei Akkordeons auf den Vorplatz des Knust. Broder Zim-

mermann und Marla Weedermann lösen das Publikumspro-

blem auf ihre Art: Wer zufällig da ist, wird einfach zu Publi-

kum erklärt. Sturmzucker basteln in ihrem Gummiboot aus

fremden und eigenen Texten eine maritime Nummernrevue

aus der Mythenmaschine Meer – inklusive einer großartig

gehauchten Version der „Seeräuber-Jenny“. „Gerade“, sagt

Broder Zimmermann in schönstem Hamburger Platt, „arbei-

ten wir an einem abendfüllenden Programm“. Fürs OPEN AIR

zeigen sie nur Ausschnitte. „Wir wollten uns mal an Publi-

kum testen“, sagt er. Derweil arbeiten Intermedia Orkestra

am Rohschnitt der drei Musikvideos des Tages, die im Knust

gezeigt werden. „Von dir haben wir großartige Bilder, wie

du versuchst, nicht umzufallen“, sagt eine blonde Frau mit

Cowboyhut zu einem Zuschauer. Jedes der Videos hat ein

ganz eigenes Setting, ganz eigene Musik: Was Poppiges, was

Indieges, was dazwischen: Auch, wenn die Videos vorerst nur

grob geschnitten sind, dürfte Continuous Shot das schnellste

von Jan Fischer

Ventilatoren im Kopf

Stück auf dem Kaltstart sein, aber wohl auch eines der

technisch aufwändigsten und konzeptuell innovativsten. In

zwei Wochen sollen die Endversionen der Videos fertig sein

– die Zuschauer können sie sich dann im Internet anschauen.

Mundoze machen es noch einmal anders. Sie erklären gleich

die ganze Schanze zu ihrer Bühne: Die zwei Frauen von der

Pantomimenschule und ein Zirkuspädagoge mit Spitzbart

laufen durch die Straßen, improvisieren sich stumm durch

ihre Commedia-dell’Arte-Rollen und jeder, der guckt, ist

Publikum. Es funktioniert: Passanten werden angespielt

und freuen sich, kurz einmal lachen zu können, und wenn es

Mundoze zu langweilig wird, dann setzen sie sich, und trinken

einen Kaffee. Sie sind dabei das eine Extrem: Klassisches

Straßentheater.

Das andere Extrem ist My favourite Thing von Anna Zaorska,

eigentlich auch das Gegenteil von OPEN AIR, eine Kiste näm-

lich. Drin sind die Endsechziger, inklusive der Beatles von

Schallplatte, Original-Tapete und einer Auswahl von Sex-

ratgebern. Jeweils ein Zuschauer kann sich da in Kissen

räkeln. Die Installation ist wohl das Entspannendste, was

das Festival zu bieten hat. Das einzige, was an Annas Kiste

open air ist, ist der Ventilator, den sie mitliefert. Und der

wäre, wollte man jetzt ein Bild finden für das, was OPEN AIR

eigentlich ist, die richtige Wahl: nicht das Theater, das in

stickigen Kellern und Industrieruinen vor sich hin gärt, son-

dern das mit frischer Luft. Damit man auch mal atmen kann.

Continuous Shot: Bitte recht öffentlich! Foto: Sven Heine

Page 15: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 03 / 1. Jahrgang

Kaltstart

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Page 16: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 03 / 1. Jahrgang

Die Festivalzeitung KFZ zum KALTSTART HAMBURG 2010

wird herausgegeben vom Kaltstart e.V.

Redaktion: Khesrau Behroz, Jan Berning, Stephanie Drees, Clara Ehrenwerth,

Jan Fischer, Alexandra Müller, Laura Naumann, Jan Oberländer (V.i.S.d.P.),

Johannes Schneider.

Titelfoto: Sven Heine

Gestaltung: www.kirschcake.net.

Auflage: 500.

Redaktionsblog unter www.kaltstart-hamburg.de/blog.

Schreibt uns unter [email protected].

Face-to-face: Lokal, Max-Brauer-Allee 207, 22765 Hamburg

Mit freundlicher Unterstützung von:

Der Körper im Theater ist ein vielbeschriebener

– auch hier, in unserem kleinen Heftchen. Ob semi-

otisch oder erigiert, emphatisch oder verschwitzt,

der Körper (body) ist im Theater immer anwesend.

Meist ist dieser Theaterbody bekleidet, es gibt Men-

schen, die einen Beruf daraus gemacht haben, ihn zu

bedecken, mal historisch-akkurat mal, vintage-ge-

stylt, mal klassisch-abstakt. Für eine Weile war es

allerdings gang und gäbe, den body ganz unbedeckt

zu lassen, für Performancekünstler wurde es gar

zur Initiationspflicht, sich einmal vor Publikum zu

entkleiden. Regisseure landauf, landab sahen sich in

der Pflicht, mindestes einen nackten Körper in ihren

Shakespeare, Tschechow oder Schiller zu packen. Al-

les so pur, alles so authentisch, alles so schockierend.

Diese Zeiten sind nun endgültig vorbei, die Freizügig-

keit ist weg, die Nackten sind verschwunden: Der body

wird bedeckt – und zwar mit einem Body.

Dieses 80er-Jahre-Utensil aus den Kleiderschränken

unserer Mütter, einige Jahre lang Inbegriff der Unse-

xiness, ist einem Paradigmenwechsel unterworfen.

Auch hier beim Festival schützen plötzlich panzer-

von Alexandra Müller

The body in me is the Body on you

artige Bodys die ausgestellten Performerinnenkör-

per, kürzlich zum Beispiel bei „Ponydressing“. Ein

verzückter Kollege: „Sie hatte so eine Art schwarzes

Babydoll an, mit einem transparenten Spitzenröck-

chen. Ständig sah man ihren Body durchblitzen, der

war rot mit schwarzen Punkten.“ Und auch die Per-

formerinnen von AKRteatro verhüllten ihre revolutio-

nierenden Körper mit knallengen Bodys (einer davon

gar in der Würgfarbe „Haut“). Da rutscht nichts, da

verschiebt sich nichts und schon gar kein Schamhaar

findet seinen Weg nach draußen. Bloß nichts riskie-

ren, nur sanfte Hinweise auf die bodys darunter: Bei

einer AKRteatro-Performerin leuchtet zurückhaltend

und gerade darum umso auffälliger ein schwarzer

Tanga unter dem schwarzen Body. Das ist keine ent-

fesselte Sexualität mehr, kein aufbegehrender Körper.

Alles schön kontrolliert, von einer Schicht Polyester

gebändigt: Der eingeschnürte Body-body bildet die

vielbesprochene „Twilight“-Erotik ab, die nach außen

hin prüde, in Wirklichkeit aber umso teenage-geiler

ist. Die Nacktheit der bodys findet im Kopf des Zu-

schauers statt. Auch geil.

IMPRESSUM

KFZ Kolumne:Affektierte Effekte III