klagenfurt, 4.2.2016 prof. dr. michael macsenaere · 2016-02-15 · klagenfurt, 4.2.2016 prof. dr....
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Was wirkt in der Kinder- und Jugendhilfe?
Klagenfurt, 4.2.2016
Prof. Dr. Michael Macsenaere
IKJ – Institut für Kinder- und Jugendhilfe
Johannes Gutenberg-Universität MainzUniversität zu Köln
Hochschule Niederrhein
Das Institut für Kinder- und Jugendhilfe Austria
• Profil:• Gegründet: Herbst 2015• Eine außeruniversitäre sozialwissenschaftliche Forschungseinrichtung• Plattform zum Wissenstransfer zwischen Forschung, Praxis und Politik
• Partner:• IKJ Deutschland• FICE Österreich • Bundesverband der Therapeutischen Gemeinschaften
• Personen:• Leitung: Prof. Dr. Michael Macsenaere• Koordination: Hermann Radler
Zusammen-Wirken
• Wissenschaftliche Expertise (IKJ Deutschland)
• Internationale Vernetzung (FICE)
• Österreichische Praxis (BTG Österreich)
Was ist Praxisforschung?
• Leitgedanke: Prinzip der PraxistauglichkeitEine Theorie muss der Praxis dienen können!
• Ziel: theoriegeleitete Lösungen für praktische ProblemeDie Praxis analysieren und verbessern!
• Grundsätze:• Von der (Berufs-)Praxis ausgehend und auf Theorien gestützt
(verwandt mit Action Research, Grounded Theory uvm.)• Zirkulär-kumulativer Prozess: Praxisproblem – Reflexion mit bestehender Theorie
– neues Wissen und neue Theorie – Einfließen in Praxis• Forschende ist „mittendrin statt nur dabei“!
Überwindung der Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis!
Wissenschaftshistorischer Hintergrund
• 1920er Jahre (Österreich): Jacob Levy Moreno (1889-1974)Inter-Action-Research Ansatz, Soziometrie, Aktionsforschung Methode des Psychodramas
• 1940er Jahre (USA): Kurt Lewin (1890-1947):Gestaltpsychologie, Feldtheorie, „Action Research“ als Kritik einer praxisfernen experimentellen Sozialpsychologie
• 1990er Jahre (Österreich): Herbert Altrichter, Peter Posch:(Wieder-)Einführung der modernen Praxisforschung in den deutschsprachigen Raum
Praxisnahe Forschung, ausgerichtet auf konkrete Problemlösung!
Gesetzliche Verankerung: § 14, österr. Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz (2013)
(1) Zur Beurteilung der qualitativen Auswirkungen der Leistungender Kinder- und Jugendhilfe sowie zur Fortentwicklungderselben sind Forschungsvorhaben zu betreiben undderen Ergebnisse zu sammeln.
(2) Bei Fragen von länderübergreifender Bedeutung sollenmehrere Kinder- und Jugendhilfeträger zusammenwirken.
Erläuterungen zum Gesetzestext: WAS und WIE soll erforscht werden?
(…) Erkenntnisse über das Ausmaß der Zielerreichung,(…) Auswirkungen (…) auf das Wohl und die Entwicklung der betreuten Kinder und Jugendlichen.
(…) Effizienz der Interventionen der Kinder- und Jugendhilfe prüfen(…) outcome-, praxis- und zielgruppenorientiert.(…) Vergleich mit wissenschaftlichen Arbeiten aus dem EU-Ausland.
(…) Zusammenarbeit mehrerer Länder, in die auch Universitäten einzubeziehen sind.
AustriaAktuelle Projekte des IKJ Austria
Gliederung
1. Wirkungsforschung – Einführung
2. Was wirkt in der Jugendhilfe?
3. Welche Effektivität und Effizienz werden erreicht?
4. Diskussion
Wirkungsforschung in den Erziehungshilfen
Mittlerweile weltweit ca. 250 Wirkungsstudien(deutschsprachig über 100)
Jugendhilfestudien: JuLe, JES, EST!, Bundesmodellprogramm
IKJ-Forschung- Insgesamt ca.100 Jugendhilfestudien ab 1995 - Darunter 40 Wirkungsstudien- Auftraggeber und Kooperationspartner:
- 2 Bundesministerien und 8 Landesministerien- 3 Landesjugendämter und über 50 kommunale Jugendämter- Weit über 1000 Institutionen
Wirkungsorientierte Evaluationen: z. B. EVAS
KlientelÜber 50.000 Hilfen
16 Bundesländer
Ca. 50.000.000 Daten
EinrichtungenTrägerübergreifend
250 Institutionen
Europäisch:
- Deutschland
- Österreich
- Luxemburg
- Niederlande
- Bulgarien
14 Hilfearten
Ergebnisse Ö vs. D
Was sind überhaupt Wirkungen in der Jugendhilfe?
Wirkung: Durch zielgerichtetes Handeln erreichte Ergebnisse
Welche Ergebnisse sollen erreicht werden?
bis 1995: Reduzierung von Defiziten
ab 1995: Aufbau von Ressourcen und Reduzierung von DefizitenMacsenaere, Petermann, Schmidt
aktuell: Förderung der Grundbefähigungen (Capabilities) Nussbaum, Sen, Otto/Ziegler, Macsenaere
Standards der Wirkungsforschung - ÜBERBLICK
1. Immer einzelfallbezogen2. Prospektive Veränderungsmessung (Längsschnittdesign)3. Fokus auf Ergebnisqualität4. Erfassung von Wirkfaktoren5. Intendierte und nicht intendierte Wirkungen erfassen6. Verschiedene Sichtweisen berücksichtigen7. Repräsentative/Überregionale Stichproben8. „Hochwertige“ Untersuchungsdesigns / Kontrollgruppen9. Anerkannte Teststandards berücksichtigen10.Alltagstauglichkeit und Ethik sicherstellen (DeGEval)
(adaptiert nach Macsenaere, 2007)
Zentrale Wirkfaktoren der Jugendhilfe
Qualitäts-Entwicklung
Partizipation
KooperationHilfedauer
Nachsorge
Ressourcenor. Pädagogik
Mitarbeiter-Qualifikation
Elternarbeit
Indikation
Sozialpäd. Diagnostik
Ressourcenor. Hilfeplanung
Individualpädagogik
Alter
Keine Jugendhilfekarriere
WirkungsorientierteHilfeplanung
Zentrale Wirkfaktoren
Beziehungsqualität
Traumapädagogik
Verselbständigung
Wirkungsdialog
Stufen der Partizipation (Kühn, 2013)
Stufe 4 – Selbstbestimmung: Das Kind erlebt Eigenverantwort-lichkeit, auch in Teilfragen. Selbstwirksamkeit wird erlebt.
Stufe 3 – Mitbestimmung: Kind wird gleichberechtigt an Entscheidungsverfahren beteiligt.
Stufe 2 – Mitsprache: Das Kind wird selbstverständlich nach seiner Sichtweise und Meinung gefragt, die Weichen stellen jedoch die Betreuungspersonen. „Keine Entscheidung ohne das Kind gehört zu haben!“
Stufe 1 – Information (Mindestanforderung!): Das Kind wird umgehend über alle Dinge, die es betreffen informiert.
Stufe 0 – Nicht-Information, Manipulation: Dem Kind sind Prozesse nicht transparent, es erlebt sich den Entscheidungen ausgeliefert („Wir werden das im Team besprechen!“)
Part
izip
atio
n
+
-2
0
2
4
6
8
10
12
14
Partizipation
niedrigePartizipation
hohePartizipation
EVAS
-Eff
ekti
ndex
Effektivität und Partizipationsgrad
-
+
Effektstärke und Hilfedauer
-4
-2
0
2
4
6
8
10
12
0 6 12 18 24 30 36 48 >48
Entw
ickl
ung
der D
efiz
ite u
nd R
esso
urce
n
Hilfedauer in Monaten
RessourcenDefizite
-
+
EVAS; nur abgeschlossene Hilfen; n = 26286
Frühzeitigere Effektein Ö
Kriterien für eine gute Beziehungsqualität
Beziehungs-qualität
Vert
raue
n
-4
-2
0
2
4
6
8
10
12
Effektivität Ressourcen Defizite Schulleistungen
Beziehungsqualität niedrig
Beziehungsqualität hoch
EVAS
-Eff
ekti
ndex
Beziehungsqualität und Effektivität
-
+ Beziehungsqualitätin Ö erheblich höher
Ressourcenorientierte Pädagogik
Tier
Musik
Bewegung
Psychomotorik
Kunst
Fotografie/Film
Theater
Religion
...
Kommt häufiger zum Einsatz in Ö
Hilfeentscheidung
Weichenstellung… für den Hilfeerfolg!
Zuweisungsqualität (EVAS, aktualisiert)
0% 25% 50% 75%
61%
12%
27%
nicht tauglich
bedingt tauglich
sehr tauglich
n = 17.619
Arbeitsbelastung
--
+
-
-
+
+
+
+ +Sozialpädagogische Eingangsdiagnostik
Zuweisungsqualität
Kosten der HilfeGeeignete Hilfe
Effektivität Abbruchquote
Anschlusshilfen Outcome: Effizienz
Aufwand
+Reliabilität
Validität
Akzeptanz-
Wirkungsorientierte Steuerung im Einzelfall
-15
-10
-5
0
5
10
15
20
Beginn 6 Monate 12 Monate 18 Monate 24 Monate Ende
EVA
S-Ef
fekt
inde
x
Steuerungs-potential
Hilfen mit einer Laufzeit von mind. 2 Jahren
5,3 5,54,7
8,09,5
15,3
-5
0
5
10
15
gesamt TG Heim IntGr GU ISE
Effektstärken „Systemsprenger“
Systemsprenger > Nicht-Systemsprenger
Nicht-Systemspr. > Systemsprenger
Effe
ktst
ärke
: EVA
S-E
ffekt
inde
x
-5
0
5
10
15
20
25
Beginn 6 12 18 24 30
Tagesgruppe
Heimerziehung
GU
ISE
Hilfedauer in Monaten
Hilfedauer und Effekte
EVA
S-Ef
fekt
inde
xMaximalniveau
0
2
4
6
8
10
12
14
16
Kooperation in Hilfe Kooperation in Schule
niedrige Kooperation
hohe Kooperation
EVAS
-Eff
ekti
ndex
Kooperation und Effektivität
-
+Kooperation in Ö höher –insbes. zum Ende der Hilfe
Methoden
- Partizipation- SoLiG- Partizipations Award (BVkE)
- Hilfe zur Selbsthilfe: „Unterstützung des jungen Menschens, dass er seine Einwicklungs-aufgaben selbst bewältigt.“ (Hurrelmann, Berlin, 4.11.15)
- Förderung von intrinsischer Motivation durch Ressourcenorientierung => an Interessen ansetzen
- Marte Meo- „ich sehe etwas, wo du schon etwas kannst“- Man muss Anliegen des Gegenüber kennen und was ihn berührt- Erfolg in kleinen Schritten rückmelden Erfolg ist unmittelbar zu sehen (nach 1-3 Sitzungen)
Qualitäts-Entwicklung
Partizipation
KooperationHilfedauer
Nachsorge
Ressourcenor. Pädagogik
Mitarbeiter-Qualifikation
Elternarbeit
Indikation
Sozialpäd. Diagnostik
Ressourcenor. Hilfeplanung
Individualpädagogik
Alter
Keine Jugendhilfekarriere
WirkungsorientierteHilfeplanung
Zentrale Wirkfaktoren
Beziehungsqualität
Traumapädagogik
Verselbständigung
Wirkungsdialog
Effektivitätder Jugendhilfe
Effektivität der Jugendhilfe
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
positiv neutral negativ
- gute Effektstärken
- beim jungen Mensch mehr
als im Umfeld
- regionale Disparitäten
- erreichte Wirkungen
bleiben stabil
- hohe UMF Effektstärken
Höhere Effekte in Ö
Sind Hilfen zur Erziehung ihr (vieles) Geld wert?
Erste Kosten-Nutzen-Analyse in der Jugendhilfe
Effizienz von Heimerziehung (Roos, 2005; IKJ, 2009)
Kosten: 120.317 €
Nutzeneffekte
– Bildung, Arbeitslosigkeit und Erwerbstätigkeit
– Gesundheit
– Delinquenz
Gesamtnutzen: 355.137 €
Jugendhilfe rechnet sich:
Das ist nur der tangible Nutzen.Der intangible Nutzen kommt noch dazu.
Keine Kosten, sondern Investitionen !
Effizienz von Heimerziehung (Roos, 2005; IKJ, 2009)
Resümee
Chancen / Nutzen
Wirkungsforschung ermöglicht: Überblick auf allen relevanten Ebenen Vergleich / Stärken-Schwächen-Analysen Wissensgewinn Qualitätsentwicklung und Legitimation
Weitere Informationen
IKJ Institut für Kinder- und Jugendhilfe ÖsterreichGrinzingestraße 30A-1190 Wien
Telefon: +43 676 898 776 310Fax: +43 2624 54898E-Mail: [email protected]: www.ikj-austria.at