torsion gerader stbe
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3Kapitel 3
Reine Torsion gerader Stabe
3
3 Reine Torsion gerader Stabe
3.1 Torsion von Staben mit Kreisquerschnitt.................... 63
3.2 Torsion von Staben mit Rechteckquerschnitt............... 68
3.3 Torsion dunnwandiger Stabe mit offenem Querschnitt ... 70
3.4 Torsion dunnwandiger Stabe mit geschlossenem Quer-
schnitt.............................................................. 72
3 Reine Torsion gerader StabeAls ein mogliches Modell einfacher Konstruktionselemente wurde bisher dergerade prismatische bzw. zylindrische Stab unter einachsigem Zug- oderDruckspannungszustand betrachtet. Die Stabquerabmessungen waren defi-nitionsgemaß wesentlich kleiner als die Stablange, so dass die uber dem Stab-querschnitt konstante Spannungsverteilung nach dem Prinzip von DE SAINTVENANT (s. a. Kapitel 10) nahezu im gesamten Stab als gultig angesehenwerden konnte.Wir untersuchen jetzt wieder schlanke gerade Stabe mit konstanter Quer-schnittsflache. Diese Stabe sind jedoch an den Enden durch entgegengesetztgleich große Torsionsmomente in Stabachsrichtung belastet. Wir erwartenauch hier eine Losung fur die Spannungs- und Verzerrungsfelder, die bisauf Storungen in den begrenzten Lasteinleitungsgebieten nicht von der Stab-langskoordinate abhangen. Es wird sich erweisen, dass der Spannungszustandin jedem Stabpunkt die Charakteristik des reinen Schubes wie in Beispiel 2.1besitzt. In diesem Zusammenhang findet auch der Begriff ”reine Torsion“Anwendung.
3.13.1 Torsion von Staben mit KreisquerschnittDer einfachste Fall einer Torsionsbeanspruchung liegt bei Staben mit Kreis-querschnitt vor. Kreisringquerschnitte sind einbezogen. Zur Bereitstellung derGrundannahmen wird wie beim Zugstab von den Grundgesetzen der Statik,den kinematischen Beziehungen und der Materialgleichung ausgegangen. Diedas Problem wesentlich vereinfachende Annahme ist kinematischer Natur.Dies zeigt Bild 3.1. Die Momente Mt verursachen eine Relativverdrehung ϕdes Stabquerschnittes C gegenuber dem Stabquerschnitt B. Storungen imLasteinleitungsbereich bleiben unberucksichtigt, d. h. alle Querschnitte zwi-schen B und C sind bezuglich der Torsionsbelastung als gleichberechtigt an-zusehen. Axiale Verschiebungen aus Ebenen z = konst. heraus treten beimKreisquerschnitt wegen Symmetrie und wegen der Gleichberechtigung allerQuerschnitte nicht auf. Die Verdrehung eines zwischen B und C befindlichenQuerschnitts, fur die Starrheit des Querschnitts in seiner Ebene angenommenwird, wachst beim Ubergang von B nach C linear mit dem Abstand von B
bis auf den Winkel ϕ bei C an. Eine ursprunglich zur Stabachse paralleleMantellinie auf dem Kreiszylinder mit dem Radius r wird schraubenformigverwunden. Fur den entstehenden Winkel γ zwischen Mantel- und Schrau-benlinie gelte |γ| � 1. Der Winkel γ beschreibt die schon in Bild 1.7 erlauterteSchubverzerrung des Materials. Mit der getroffenen Annahme, dass die Stab-querschnitte bei ihrer Verdrehung in ihrer Ebene unverzerrt bleiben, fuhrt
64 3. Reine Torsion gerader Stabe
die Kinematik der Torsion nach Bild 3.1 im Rahmen der Linearisierung auf
lγ(r) = rϕ . (3.1)
B
C
Mt
r
l
°
Mt
z
Bild 3.1. Zur kinematischen Annahme fur die Torsionsverformung
Außer γ entstehen keine weiteren Verzerrungen. Das HOOKEsche Gesetz(1.16) oder eine der Gleichungen (2.59) liefert mit (3.1)
τ = Gγ = Gϕ
lr (3.2)
bzw. mit der Abkurzung Gϕ/l = K
τ = Kr . (3.3)
Das Verhaltnis ϕ/l = ϑ stellt die so genannte Drillung dar.Der Spannungszustand ist in jedem Stabpunkt eben. Die Hauptrichtungendes ebenen Spannungszustandes in einem solchen Stabpunkt liegen in derTangentialebene am Kreiszylinder durch diesen Punkt, und zwar unter 45◦
geneigt gegen die Mantellinie des Kreiszylinders (s. Bild 2.5).Bild 3.2 demonstriert außer der Gleichheit der zugeordneten Schubspannun-gen (vgl. (2.5) oder (2.22)) mittels der unterschiedlichen Pfeillangen auch dieaus den kinematischen Annahmen und dem linearen Materialgesetz folgendelineare Abhangigkeit (3.3) der Schubspannungen vom Radius.Die Statik des Torsionsproblems reduziert sich auf die globale Momenten-bilanz des außeren Torsionsmomentes Mt mit dem resultierenden Momentder tangentialen Flachenkrafte (Schubspannungen) an einem Querschnitt imStabinneren. Diese Bilanz folgt nach Bild 3.2 und 3.3 aus der elementarenKraft τrdθdr in Umfangsrichtung θ mit dem Abstand r zur Momentenbe-
3.1 Torsion von Staben mit Kreisquerschnitt 65
¿ r~
Mt
Bild 3.2. Zur Veranschaulichung der Schubspannungen bei Torsion
zugsachse z sowie unter Berucksichtigung von (3.3) zu
Mt =
ra∫
ri
2π∫
0
τr2dθdr = K
ra∫
ri
2π∫
0
r3dθdr . (3.4)
r
z
rdµ
dµ
dµdr
µ
¿r
rira
¿
¿
¿
Bild 3.3. Zur Berechnung des Torsionsmomentes
Dabei wurde der allgemeinere Fall eines Kreisringquerschnittes zugelassen.Die Beziehung (3.4) stellt auch die Definitionsgleichung des SchnittmomentesMt fur die gegebene Schubspannungsverteilung τ(r) dar.Die Integrationen in Umfangs- und Radiusrichtung konnen getrennt aus-gefuhrt werden, mit dem Ergebnis
Mt = K2π
ra∫
ri
r3dr = Kπ
2(r4a − r4i ) = KIp . (3.5)
Der Ausdruck
Ip =π
2(r4a − r4i ) (3.6)
stellt das schon in der Statik angegebene polare Flachentragheitsmoment furKreisringquerschnitte dar. Er enthalt fur ri = 0 den Sonderfall des Kreis-querschnitts.
66 3. Reine Torsion gerader Stabe
Mit (3.3) und (3.5) ergibt sich der radiale Schubspannungsverlauf
τ =Mt
Ipr . (3.7)
Dessen Maximalwert am Außenrand folgt aus
τmax =Mt
Ipra =
Mt
Wt, Wt =
Ipra
. (3.8)
Das Widerstandsmoment gegen Torsion Wt fur den Kreisringquerschnitt
Wt =π
2r4a − r4ira
(3.9)
enthalt den Sonderfall des Vollquerschnittes mit ri = 0
Wtv =π
2r3a . (3.10)
Der relative Verdrehwinkel ϕ zwischen den Querschnitten C und B (s. Bild3.1) folgt durch Einsetzen der vor (3.3) eingefuhrten Abkurzung K = Gϕ/l
in (3.5) zu
ϕ =Mtl
GIp, (3.11)
ein Ergebnis, das mit zunehmendem Verhaltnis l/ra weniger durch Lastein-leitungs- oder Lagerungseffekte beeintrachtigt wird. Der Vergleich mit demErgebnis von Beispiel 1.1 zeigt die Analogie des Verdrehwinkels des Torsi-onsstabes und der Verlangerung des Zugstabes. Das Produkt GIp heißt Tor-sionssteifigkeit.
Beispiel 3.1Eine abgesetzte Welle ist einseitig eingespannt und am freien Ende durch einTorsionsmoment Mt belastet (Bild 3.4). Die Abmessungen sind
l1 l2
Mt
�d1 �d2
Bild 3.4. Abgesetzte Welle unter Torsionsbelastung
d1=50 mm, d2=40 mm und l1=l2=1200 mm. Der Schubmodul betragtG=83 GPa, die zulassige Schubspannung τzul=28 MPa und die zulassige Ver-drehung des Endquerschnittes ϕzul = 0, 02. Gesucht ist das maximal moglicheTorsionsmoment Mtmax.
3.1 Torsion von Staben mit Kreisquerschnitt 67
Losung:Die Einhaltung der zulassigen Schubspannung erfordert im schwacheren Wel-lenquerschnitt gemaß (3.8) und (3.10)
τmax =Mt
Wt2≤ τzul , Wt2 =
π
2
(d2
2
)3
und folglich
Mt ≤ τzulWt2 = τzulπ
2
(d2
2
)3
=π
2203 mm3 · 28
Nmm2
≈ 352 Nm .
Fur die Verdrehung des Endquerschnittes, die sich aus zwei Anteilen Δϕ1
und Δϕ2 nach (3.11) zusammensetzt, gilt
ϕ = Δϕ1 + Δϕ2 =Mtl1GIp1
+Mtl2GIp2
≤ ϕzul
und deshalb
Mt ≤ ϕzulGl1Ip1
+ l2Ip2
=0, 02 · 83 · 103 Nmm−2
1200 mm(25−4 + 20−4)π
2mm4 ≈ 247 Nm .
Das maximal mogliche Torsionsmoment Mt max ist der kleinere der beidenberechneten Werte. Fur ihn ergibt sich Mt max = 247 Nm. �
In der Losung des Beispiels 3.1 bleiben außer den Storeinflussen der Momen-teneinleitung und der Einspannung auch der Storeinfluss des Wellenabsatzesunberucksichtigt (s. a. Kapitel 10). Ahnliches gilt fur die folgende Aufgabe.
Beispiel 3.2Eine beidseitig eingespannte Welle ist im Inneren durch ein TorsionsmomentMt belastet (Bild 3.5). Gegeben sind die Abmessungen a und R sowie dasTorsionsmoment Mt und der Schubmodul G. Gesucht werden die Lagerreak-tionen, der maximale Schubspannungsbetrag und dessen Ort.Losung:Nach dem Freimachen der Welle ergibt sich fur die Momentenbilanz
� : Mt +MC −MB = 0
mit den beiden unbekannten Lagerreaktionen MB und MC . Das Problemist deshalb einfach statisch unbestimmt und erfordert die Berucksichtigungder Verformung. Die in Bild 3.5 im gleichen Zahlsinn wie der von Mt einge-tragene Verdrehung ϕ des Querschnitts der Momenteneinleitung kann nach(3.11) als Verdrehung des rechten Endquerschnittes des Bereiches 1 oder alsVerdrehung des linken Endquerschnittes des Bereiches 2 berechnet werden.Im ersten Fall ergibt sich ϕ = MB2a/(GIp) und im zweiten Fall wegen der
68 3. Reine Torsion gerader Stabe
Mt�2R
CB
a2a
Mt,
MB,MB
MB MC
MCMC
1
1
2
2
Bild 3.5. Welle unter Torsionsbelastung
entgegengesetzten Zahlrichtung von Moment und Winkel ϕ = −MCa/(GIp),so dass wir
MB2aGIp
= −MCa
GIp, MC + 2MB = 0
erhalten. Dies liefert zusammen mit der Momentenbilanz die LagermomenteMB und MC
MB =Mt
3, MC = −2
3Mt .
Damit ergibt sich der maximale Schubspannungsbetrag gemaß (3.8) und(3.10) am Mantel der Welle im Bereich 2 zu
|τ |max =|MC |Wt
=2Mt
3· 2πR3
=4Mt
3πR3.
�
3.2 3.2 Torsion von Staben mit RechteckquerschnittBei Torsion von Staben mit Kreisquerschnitt ist die Schubspannungsvertei-lung im Querschnitt durch die lineare Beziehung (3.7) gegeben. Am außerenZylindermantel greifen keine außeren Flachenkrafte (Spannungsvektoren) an.Folglich sind die im Querschnitt denkbaren, den tangentialen Koordinaten desSpannungsvektors zugeordneten Schubspannungen τ senkrecht zur Randkon-tur bei r = ra nach (2.22) gleich null. Die verbleibenden Schubspannungenτ im Querschnitt besitzen ebenfalls eine Orientierung in Umfangsrichtungkonzentrischer Kreise (Bild 3.6a).
3.2 Torsion von Staben mit Rechteckquerschnitt 69
h
y
b
z x¿
¿
z
r
ra
a) b)
= 0
max
¿
Bild 3.6. Torsionsspannungen im Kreiszylinder a) und Rechteckzylinder b)
Dieser Sachverhalt bleibt bei anderen Querschnittsformen qualitativ erhal-ten und liefert fur Rechteckquerschnitte das Bild 3.6b. In den Ecken schlie-ßen die verschwindenden außeren tangentialen Flachenkrafte die zugeordne-ten Schubspannungen im Inneren in x- und y-Richtung aus, so dass dortτ = 0 gilt. Die hier nicht ausgefuhrte genaue Rechnung fur den elliptischenQuerschnitt zeigt die maximale Schubspannung τmax dort an, wo die kleineHalbachse den Querschnittsrand durchstoßt. Dem entspricht hier die Mit-te der langen Seitenlinien. Sowohl beim Stab mit Kreisquerschnitt als auchbeim Stab mit Rechteckquerschnitt verschwindet die Schubspannung auf derz-Achse.Im Gegensatz zum Kreisquerschnitt treten jetzt torsionsbedingte axiale Ver-schiebungen uz(x, y) auf (so genannte Querschnittsverwolbung). Werden siez. B. durch eine starre Einspannung behindert, so fuhrt dies zu Wolbnormal-spannungen σz, deren Integral uber der Querschnittsflache wegen der ver-schwindenden Langskraft null ergibt. Die Wolbnormalspannungen liefernauch kein resultierendes Biegemoment. Sie klingen nach dem Prinzip vonDE SAINT VENANT (s. a. Kapitel 10) in z-Richtung uber einer Lange ab,die etwa der Hauptabmessung des Querschnitts gleicht.Die quantitative Berechnung des Verdrehwinkels ϕ und der maximalen Schub-spannung τmax beruht auf weitergehenden theoretischen Untersuchungen. AlsErgebnis werden Formeln analog zu (3.11) und (3.8) angegeben:
ϕ =Mtl
GIt, It = c1hb
3, (3.12)
τmax =Mt
Wt, Wt = c2hb
2 . (3.13)
Die Konstanten c1 und c2 hangen vom Seitenverhaltnis h/b ab und sind derfolgenden kleinen Tabelle entnehmbar.
70 3. Reine Torsion gerader Stabe
h/b 1 2 4 10 ∞c1 0,141 0,229 0,281 0,312 0,333
c2 0,208 0,246 0,282 0,312 0,333
Fur die Querschnittskenngroße It, die Torsionstragheitsmoment heißt, giltdie Beziehung It ≤ Ip, welche mit (3.12) und Ip = Ixx + Iyy = (bh3 +hb3)/12durch die Tabelle bestatigt wird.Hier sei noch auf eine Analogie zwischen dem Torsionsproblem und eineruber dem tordierten Querschnitt hydrostatisch aufgespannten Seifenhaut mitder Hohe uz(x, y) uber dem Querschnitt hingewiesen. Es lasst sich zeigen,dass die Schubspannung τzx der partiellen Ableitung ∂uz(x, y)/∂y der Mem-branflachenfunktion uz(x, y) proportional ist. Entsprechendes gilt fur dieSchubspannung τzy. Folglich zeigt die großere Hohenliniendichte der Funkti-on uz(x, y) langs der Geraden z = 0, y = 0 im Vergleich zur Geraden z = 0,x = 0 die großeren Schubspannungen an.
3.3 3.3 Torsion dunnwandiger Stabe mit offenemQuerschnitt
Dunnwandige Stabe mit offenen Querschnitten, Beispiele hierfur zeigt Bild3.7, werden haufig im Leichtbau eingesetzt.
h
±
s
h
0
0
h
s
±±
a) b) c)
Bild 3.7. Offene Querschnitte dunnwandiger Stabe
Die Querschnittsdicke wird hier mit δ bezeichnet. Sie ist wesentlich kleinerals die Umfangslange h des Querschnittes. Die Stablange L erfullt die Vor-aussetzung L� h.Die bisher angenommenen Voraussetzungen der Torsionstheorie bleiben be-stehen. Dies betrifft insbesondere auch die Starrheit der Querschnitte in ih-rer Ebene. Die Starrheit muss gegebenenfalls durch Aussteifungen gesichertwerden. Fur sehr schlanke Rechteckformen konnen die Querschnittskennwert-konstanten aus der Tabelle von Abschnitt 3.2 entnommen werden. Es ergibt
3.3 Torsion dunnwandiger Stabe mit offenem Querschnitt 71
sich gemaß (3.12) und (3.13)
It =13hδ3 , Wt =
13hδ2 . (3.14)
Diese Formeln gelten naherungsweise auch fur gekrummte und abgewinkelteQuerschnittsformen. Dabei wird der langs der Konturkoordinate s auf derMittellinie des Querschnittes gemessene Umfang anstelle der Hohe benutzt.Bei starken Abweichungen von der schmalen Rechteckform mussen Korrek-turfaktoren berucksichtigt werden, die in Taschenbuchern zu finden sind.Die maximalen Schubspannungswerte treten ahnlich wie beim Rechteck anden langen Außenrandern auf (Bild 3.8). Dazwischen verlauft die Schubspan-nung wegen ihres Nulldurchganges auf der Mittellinie naherungsweise linear.
max¿
sz
Bild 3.8. Torsionsschubspannungsverlauf im offenen Querschnitt dunnwandiger Stabe
Fur Querschnitte, die abschnittsweise aus schmalen Teilflachenstucken mitden Langen hi und Breiten δi zusammengesetzt sind wie z. B. in Bild 3.9,
max
Mt
Mt
±
±iih
Bild 3.9. Aus schmalen Rechtecken zusammengesetzter Querschnitt
gilt in Verallgemeinerung von (3.14)
It =13
∑hiδ
3i , Wt =
Itδmax
(3.15)
mit der Verdrehung nach der ersten Formel von (3.12)
ϕ =Mtl
GIt(3.16)
72 3. Reine Torsion gerader Stabe
und der maximalen Schubspannung nach der ersten Formel von (3.13)
τmax =Mt
Wt=Mt
Itδmax . (3.17)
Letztere tritt also an den Seitenberandungen der breitesten Teilquerschnitteauf.Hinsichtlich moglicher axialer Verschiebungen werden wegen der Starrheitder Querschnitte in ihrer Ebene nur die in der durch die Koordinaten z, s
beschriebenen Mittelflache liegenden Verschiebungen uz(s) und us = zf(s)betrachtet. Die Proportionalitat us ∼ z ergibt sich aus der Proportionalitatus ∼ ϕ und (3.16) mit Ersatz von l durch z. Fur die entsprechende Schub-verzerrung γzs nach Bild 3.8 und (2.41) folgt aus (2.59)
γzs =∂uz
∂s+∂us
∂z=∂uz
∂s+ f(s) =
τzs
G= 0 .
Fur Stabe mit ebener Mittelflache wie in Bild 3.7a und Bild 3.9 kann f(s) ≡ 0gesetzt werden, desgleichen die dann verbleibende konstante Verschiebunguz. Diese Verwolbungsfreiheit der Querschnitte bei Torsion trifft auch furStabe zu, die aus Bundeln ebener Plattenstreifen bestehen wie z.B. T-, L-oder Y-Stabe und deren Drehachse mit der Schnittlinie der Plattenstreifenzusammenfallt.Bei Staben mit nichtebenen Mittelflachen wie in den Bildern 3.7b, c ver-schwindet zwar auch die Mittelflachenschubverzerrung γzs, aber nicht mehrdie Funktion f(s). Dies fuhrt zu einer Verwolbung uz(s), deren Behinderung,z.B. durch eine starre Einspannung, Wolbnormalspannungen σz verursacht.Das Integral der Wolbnormalspannungen uber dem Stabquerschnitt ergibtwie beim Rechteckquerschnitt null. Die Wolbnormalspannungen klingen aberin z-Richtung mit Langen ab, die deutlich großer als die Querschnittsum-fangsabmessungen sein konnen. Wir konstatieren hier eine durch die Geo-metrie des Querschnitts bedingte Form des Stabkorpers, bei der bezuglichder Anwendung des Prinzips von DE SAINT VENANT Vorsicht geboten ist(s. a. Abschnitt 10.1).
3.4 3.4 Torsion dunnwandiger Stabe mit geschlossenemQuerschnitt
Die hier dargelegte Theorie der reinen Torsion dunnwandiger Stabe mit ge-schlossenem Querschnitt gilt nur, wenn Verwolbungsbehinderungen ausge-schlossen werden.Wir gehen von einem dunnwandigen Stab mit Kreisringquerschnitt unterTorsionsbelastung aus (Bild 3.10).
3.4 Torsion dunnwandiger Stabe mit geschlossenem Querschnitt 73
¿ ¿max
±
2rm
Mt
r
Bild 3.10. Torsion eines dunnwandigen Stabes mit Kreisringquerschnitt
Die Torsionsschubspannung hangt wegen der Gultigkeit von (3.3) linear vomRadius r ab. Die Dunnwandigkeit des Stabes mit δ � rm bedingt einen nurgeringen Unterschied der Spannungen am Innen- und Außenrand des Ring-querschnitts im Vergleich zum Maximalwert τmax. Es kann deshalb eine uberder Wanddicke δ naherungsweise konstante Schubspannungsverteilung τ an-genommen werden. Mit dieser statischen Hypothese ergibt sich das resultie-rende Moment der im Ringquerschnitt 2πrmδ wirkenden Schubspannungenτ zu
Mt = 2πrmδτrm = 2πr2mτδ (3.18)
oder, ausgedruckt durch die vom mittleren Radius rm eingeschlossene FlacheAm = πr2m und die als Schubfluss bezeichnete Große
t = τδ , (3.19)
als
Mt = 2Amt . (3.20)
Beim tordierten dunnwandigen Kreiszylinderrohr tritt wie auch beim Voll-kreiszylinder keine Verwolbung des Querschnitts auf. Dies trifft fur beliebigedunnwandige geschlossene Querschnitte nicht zu. Wir setzen voraus, dassdie dann zu erwartenden Querschnittsverwolbungen nicht behindert wer-den, so dass keine Wolbnormalspannungen entstehen konnen (reine Torsi-on), und verallgemeinern die obige Betrachtung zum Kreiszylinderrohr aufdunnwandige Stabe mit beliebiger Querschnittsform.Es wird wie bisher angenommen, dass die Querschnittsform des Stabes (Bild3.11a) unter Torsionsbelastung erhalten bleibt. Dies muss gegebenenfallsdurch Aussteifungen gewahrleistet werden. Die jetzt von der auf der Mit-tellinie liegenden Umfangskoordinate s abhangige Wanddicke δ(s) sei wieder
74 3. Reine Torsion gerader Stabe
wesentlich kleiner als die Querschnittsumfangsabmessungen und diese we-sentlich kleiner als die Stablange l.
Mt
Mt
Pr s �
± s �
¿±ds
ds
s
0 ± s �
¿±l
l
¿±ds
¿±ds
¿±l ld ¿±� �
s
ds
ds
dAm
P
a)
c)
b)
r s �
Bild 3.11. Zur Torsion dunnwandiger Stabe mit beliebiger Querschnittsform
Die letztgenannte Voraussetzung konnte im Bild 3.11 aus Platzgrunden zeich-nerisch nicht dargestellt werden.Die statische Annahme enthalt wie beim Kreisrohr im Querschnitt wirkendeSchubspannungen, die konstant uber der Wanddicke δ verteilt und tangentialzur Umfangskoordinate s, d. h. naherungsweise tangential zum Rand, orien-tiert sind.Die Kraftebilanz in Stabachsrichtung liefert nach Bild 3.11b
d(τδ) = 0 , (3.21)
d. h.
τδ = t = konst. (3.22)
Der Schubfluss t hangt also nicht von der Umfangskoordinate s ab. Die ma-ximale Schubspannung tritt deshalb im Gegensatz zur Torsion von dunn-wandigen Staben mit offenem Querschnitt an der Stelle mit der kleinstenWanddicke auf.Bild 3.11b zeigt auch die identische Erfullung der Kraftebilanz in Richtungder Umfangskoordinate s an.Das resultierende Moment Mt des Schubflusses t = τδ betragt nach Bild3.11a und (3.22)
Mt =∮r(s)tds = t
∮r(s)ds , (3.23)
wobei der Kreis im Integralzeichen darauf hinweist, dass die Integration vombeliebig gewahlten Ursprung 0 der Umlaufkoordinate s beginnend langs der
3.4 Torsion dunnwandiger Stabe mit geschlossenem Querschnitt 75
Querschnittsmittellinie bis zum vollstandigen Umlauf auszufuhren ist. GemaßBild 3.11c kann noch der Inhalt der schraffierten Dreiecksflache durch dieBasislange ds und die Hohe r(s) ausgedruckt werden, d. h.
dAm =12rds , (3.24)
so dass nach Einsetzen in (3.23)
Mt = t
∮2dAm = 2tAm (3.25)
entsteht. Wie aus Bild 3.11c ersichtlich, bezeichnet Am analog zum Kreis-ringquerschnitt den Inhalt der von der Mittellinie umfassten Flache, die er-wartungsgemaß nicht von der Wahl des Bezugspunktes P abhangt.Fur Schubfluss und Schubspannung ergibt sich aus (3.25) und (3.22)
t = τδ =Mt
2Am, (3.26)
eine Beziehung, die als erste Formel von BREDT (1842-1900) bezeichnet wird.Die maximale Schubspannung τmax an der Stelle mit der kleinsten Wanddickeδmin ist
τmax =Mt
2Amδmin=Mt
Wt, Wt = 2Amδmin , (3.27)
wobei die Große Wt wieder das Widerstandsmoment gegen Torsion bezeich-net.Zur Berechnung des Verdrehwinkels ϕ kann die Verzerrungsenergie herange-zogen werden. Dazu wird in dem Ausdruck fur die Arbeit (2.62) die Kraft Fals Bestandteil eines Kraftepaares Fa zweier paralleler Krafte mit dem Ab-stand a aufgefasst. Dieses Kraftepaar ist wegen der Gultigkeit der Momen-tenbilanz der Statik einem Moment Mt = Fa aquivalent. Das Verschiebungs-differenzial du in (2.62) lasst sich bei einer Drehung der Abstandsgeraden umdϕ durch du = adϕ ausdrucken, so dass aus der außeren Arbeit (2.63)
Wa =
u∫
0
Fdu =
ϕ∫
0
Fadϕ =
ϕ∫
0
Mt(ϕ)dϕ (3.28)
entsteht. Wenn das Torsionsmoment Mt den Stab aus linear-elastischem Ma-terial verdreht, wird die außere Arbeit (3.28) analog zu (2.71) als Verzer-rungsenergie
U =12Mtϕ (3.29)
76 3. Reine Torsion gerader Stabe
im Stab gespeichert. Diese Energie bestimmt sich andererseits aus (2.82) furreinen Schub mit (2.59) und (3.26) zu
U =∫
V
U∗dV =12
∫
V
τγdV =1
2G
∮τ2lδds =
12G
∮M2
t
4δ2A2m
lδds . (3.30)
Der Vergleich von (3.29) und (3.30) liefert mit Einfuhrung des Torsions-tragheitsmomentes It den gesuchten Verdrehwinkel ϕ (zweite Formel vonBREDT)
ϕ =Mtl
GIt, It =
4A2m∮ds
δ(s)
. (3.31)
Ohne Beweis sei darauf verwiesen, dass die bei beliebigen dunnwandigen ge-schlossenen Querschnitten wie schon bei dunnwandigen offenen Querschnit-ten infolge behinderter Querschnittsverwolbung auftretenden Wolbnormal-spannungen in axialer Richtung Eindringtiefen erreichen konnen, die nichtmehr klein im Vergleich zu den Umfangsabmessungen sind (s. a. Abschnitt10.1).Die Anwendung der BREDTschen Formeln (3.26) und (3.31) wird am Pro-blem des tordierten dunnwandigen Kastentragers nach Bild 3.12 erlautert.
±±
Mt
±
s
a
2a
2±
s3
s4
s2
s1
Bild 3.12. Zur Torsion eines Kastentragers
Das linear-elastische Material des Tragers der Lange l mit l � a� δ besitzeden Schubmodul G. Wir berechnen die maximale Schubspannung τmax imTrager infolge des Torsionsmomentes Mt.Nach (3.27) ergibt sich mit Am = 2a2
τmax =Mt
2Amδmin=
Mt
4a2δ. (3.32)
Dieser Wert tritt im oberen horizontalen und in den beiden vertikalen Quer-schnittsbereichen auf.Die auf die Lange l des Tragers bezogene Relativverdrehung ϕ der Endquer-schnitte, die Drillung ϑ = ϕ/l, kann aus (3.31) gewonnen werden. Das imNenner des Torsionstragheitsmomentes It stehende Umlaufintegral ist mit
3.4 Torsion dunnwandiger Stabe mit geschlossenem Querschnitt 77
abschnittsweise konstanten Wanddicken durch
∮ds
δ(s)=
2a∫
0
ds12δ
+
a∫
0
ds2δ
+
2a∫
0
ds3δ
+
a∫
0
ds4δ
=2a2δ
+a
δ+
2aδ
+a
δ= 5
a
δ
gegeben, so dass fur das Torsionstragheitsmoment
It =4A2
m∮ds
δ(s)
=4(2a2)2
5aδ =
165a3δ
folgt. Damit nimmt die Drillung den Wert
ϑ =ϕ
l=Mt
GIt=
516
Mt
a3δG
an.
Beispiel 3.3Ein torsionsbelastetes Rohr besitze einen dunnwandigen Kreisringquerschnitt(Bild 3.13).
±
rm
±
a) b)
rm
Bild 3.13. Zum Vergleich geschlossener und offener Querschnittsformen
Im Fall a) ist der Querschnitt geschlossen und im Fall b) infolge eines Schlit-zes langs einer Mantellinie offen. Gesucht sind das Verhaltnis der maximalenTorsionsschubspannungen des geschlitzten und des ungeschlitzten Rohres so-wie das Verhaltnis der Drillungen des geschlitzten und ungeschlitzten Rohres.Losung:Die Widerstandsmomente gegen Torsion des ungeschlitzten Rohres Wtu nach(3.27) und des geschlitzten Rohres Wtg nach (3.14) sind
Wtu = 2πr2mδ , Wtg =23πrmδ
2 .
Der Ausdruck fur das Torsionstragheitsmoment des ungeschlitzten RohresItu hat gemaß (3.31) mit ∮
ds
δ(s)=
2πrmδ
78 3. Reine Torsion gerader Stabe
die Form
Itu =4(πr2m)2
2πrmδ = 2πr3mδ .
Dieses Ergebnis kann wegen der Kreisringform des Querschnittes mit rm =ra − δ/2 = ri + δ/2 und δ � rm naherungsweise auch als polares Flachen-tragheitsmoment Ip aus (3.6) gewonnen und damit bestatigt werden:
Ip =π
2(r4a − r4i
)=π
2
[(rm +
δ
2)4 − (
rm − δ
2)4]
≈ π
2(r4m + 4r3m
δ
2− r4m + 4r3m
δ
2)
= 2πr3mδ .
Das Torsionstragheitsmoment des geschlitzten Rohres Itg ergibt sich nach(3.14) zu
Itg =132πrmδ3 .
Fur das Verhaltnis der maximalen Schubspannungen liefern (3.17) und (3.27)den Ausdruck
(τmax)g
(τmax)u=Wtu
Wtg=
2πr2mδ2πrmδ2/3
= 3rmδ� 1 .
Das Verhaltnis der Drillungen betragt mit (3.15), (3.16) und (3.31)
ϑg
ϑu=ϕg
ϕu=ItuIgu
=2πr3mδ
2πrmδ3/3= 3
r2mδ2� 1 .
Bei geschlitzten Rohren sind also wegen rm � δ die maximalen Schubspan-nungen und noch mehr die Verdrehungen wesentlich großer als bei unge-schlitzten Rohren. �