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ALS : Diagnosestellung und Verläufe Reinhard Dengler, Neurologische Klinik Medizinische Hochschule Hannover DGM, LV Niedersachsen/Bremen Syke, 04.09.2010 [email protected]

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ALS : Diagnosestellung und Verläufe

Reinhard Dengler, Neurologische Klinik

Medizinische Hochschule Hannover

DGM, LV Niedersachsen/Bremen

Syke, 04.09.2010

[email protected]

ALS: Klinische Kurzübersicht

neurodegenerative Erkrankung:

Untergang von motorischen Nervenzellen in der Hirnrinde , im Hirnstamm und im Rückenmark (oberes und unteres Motoneuron) :

Muskelschwäche u. Atrophien, Faszikulationen, Spastik

90% sporadisch, 10% familiär,

Krankheitsbeginn 50 – 65 Jahre,

Rascher Verlauf

Keine diagnostischen Marker: EMG wichtigste Zusatzdiagnostik,

Glutamatantagonisten wirksam: Rilutek®

World Federation of Neurology - Research Group on Motor Neuron Diseases

El Escorial Kriterien, revidiert 1998, Goldstandard der ALS-Diagnostik

Suspected

ALS

LMN signs only

>= 1 region

UMN signs only

>= 1 region

Definite

Familial ALS

Laboratory

Supported

Identified

DNA

Gene

Possible

ALS

LNM + UMN

1 region

Probable ALS

Laboratory

Supported

EMG acute

denervation

>= 2 limbs

LMN + UMN

1 region

or UMN

>= 1 region

Probable

ALS

LMN + UMN

2 regions

Definite

ALS

LMN + UMN

3 regions

Weakness, Atrophy, Hyperreflexia, Spasticity

Progression over time

EMG, NCV, Neuroimaging, Biopsy

Neuropathology

brauchbar für die klinische

Forschung,

zu streng für die Patienten-

versorgung

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) – Diagnostik

Anamnese (Vorgeschichte),

Neurologische Untersuchung,

Elektromyographie (!) u. -neurographie, Transkranielle MagnetStimulation

Blutanalysen zur Ausschlussdiagnostik,

Nervenwasser zur Ausschlussdiagnostik

Bildgebung: MRT Kopf und Hals zur

Ausschlussdiagnostik

Muskelbiopsie (selten)

ALS-Diagnostik: empfohlene Zusatzdiagnostik (EFNS Guidelines 2005)

Blut: obligat fakultativ

BSG X

CrP X

BB X

GOT/GPT/LDH X

TSH, FT3, FT4 X

Vit B12, FolatX

Elphor X

Immun-Elphor X

CK X

Kreatinin X

Elektrolyte X

Glucose X

ACE X

Lactat X

Hexosaminidase A und B X

Gangliosid GM-1-AK X

antineuronale AK X

RF, ANA, anti-DNA X

Anti-AChR, Anti-MUSK X

Bakteriologie (Borreliose u.a.) X

Virologie (HIV u.a.) X

DNA-Test (SOD-1; Androgen Rez.) X

Urin X

Liquor X

Neurophysiologie:EMG X

ENG X

MEP X

Bildgebung:MRT: Kopf, Hals, X

BWS, LWS X

Thorax X

Biopsien:Muskel X

Nerv X

KM X

LK X

Signs of active denervation: These consist of:

fibrillation potentialspositive sharp waves

Signs of chronic denervation consist of:large motor unit potentials of increased duration with an increased proportion of

polyphasic potentials, often of increased amplitude reduced interference pattern with firing rates higher than 10 Hz unless there is a significant UMN component, in which case the firing rate may be lower than 10 Hz

unstable motor unit potentials.

El Escorial Revisited: Revised Criteria for the Diagnosis of Amyotrophic Lateral Sclerosis

The combination of active denervation findings and chronic denervationfindings is required but the relative proportion may vary from muscle to muscle.

Revidierte El Escorial-Kriterien und neue Awaji-Kriterien

Kloster El Escorial nahe Madrid

Westin Hotel, Awaji-Shima, Japan

Deshalb wurden die Awaji-Kriterien entwickelt.

De Carvalho M, Dengler R, Eisen A, England JD, Kaji R,

Kimura J, Mills K, Mitsumoto H,Nodera H, Shefner J,

Swash M.

Electrodiagnostic criteria for diagnosis of ALS. Clin

Neurophysiol. 119: 497-503, 2008

brauchbar für die klinische Forschung,

zu streng für die Patientenversorgung ;

Patienten können versterben , bevor die

Diagnose gestellt werden kann.

Kernspintomographie bei ALS

T 2 Bilder

Erhöhte Signalintensität

in der Pyramidenbahn

Nur bei wenigen Patienten und

auch bei Gesunden oder anderen

neurologischen Krankheiten

unempfindlich und

unspezifisch

ALS: Voxel Based Diffusion Tensor Imaging (DTI)

Fractional Anisotropy: ALS (n=17) < Controls (n=17) (p 0.01, uncorrected)

Voxel based analysis (SPM99); Veränderungen der Pyramidenbahn

Controls

ALS baseline

ALS follow-up

t-value

4.5

20

neurologic convention, p < 0.05 corrected

fMRI – aktive Handbewegungen

ALS - wichtige Differentialdiagnosen

deshalb ist die Ausschlussdiagnostik wichtig !!!

Zervikale Myelopathie u.a. Engpasssyndrome (z.B. CTS)

Bulbospinale Muskelatrophie (Kennedy-Syndrom)

Multifokale motorische Neuropathie (MMN)

Muskelkrankheiten (Einschlußkörpermyositis)

ALS: epidemiologische Kurzübersicht

90% sporadisch, 10% familiär,

Krankheitsbeginn 50 – 65 Jahre

mittlere Überlebenszeit 3-4 Jahre,

Die ALS ist stetig fortschreitend,das Tempo

ist individuell unterschiedlich

Abteilung und/oder Titel

Abteilung und/oder Titel

Datum

Verläufe und Erscheinungsbilder (Phänotypen) der ALS

Klassische ALS:

Beginn umschrieben (fokal) >> Generalisierung

Beteiligung des oberen und des unteren Motoneurons

bulbär,

Extremitäten,

Progressive Muskelatrophie (PMA)

klinisch unteres Motoneuron

Primäre Lateralsklerose (PLS)

klinisch oberes Motoneuron

Genetik: sporadische (90%) und familiäre (10%) ALS

Nebeneinander von peripheren und zentral

motorischen Ausfällen

Fokaler, asymmetrischer, meist distaler Beginn

Aussparung der Augenmuskeln und der

Sphinkteren

Beginn entweder an den Extremitäten oder

bulbär meist mit Zeichen des 2. Motoneurons

Klassische ALS

el

Bulbärer Verlaufstyp der ALS:

ca. 25% der Patienten

Beginn: Gesicht, Mund, Rachen , Kehlkopf

Symptome: Sprechstörung (nasal), Heiserkeit,

Speichelfluss, Schluckstörung, Anarthrie,

pathologisches Lachen, Weinen und Gähnen

Meist Befall der Extremitäten im Verlauf

Überlebenszeit kürzer

Extremitätenbeginn der ALS

> 2/3 der Patienten

Obere Extremität:

meist distal, z.B. eine Hand

„flail arm syndrome „(Mann im Fass);

Untere Extremität:

meist distal am Fuss,

„flail leg syndrome“

proximal betonte atrophische Paresen

symmetrische Ausprägung an beiden Armen/ Beinen

dabei lange Zeit erhaltene Muskelkraft in den distalen Anteilen

der unteren/ oberen Extremitäten

geringe Hinweise auf Mitbeteiligung des 1. Motoneurons

Flail- Arm/ Flail- Leg-Syndrom

Wijesekera et al., 2008

Flail- Arm/ Flail- Leg-Syndrom –

Unterschiede in Prognose und Verlauf

Untersuchung an 1569 Patienten: m/f >4:1

Symptome deutlich länger auf Ursprungsregion begrenzt

Zeit bis zum Beginn nichtinvasiver Beatmung signifikant länger

Überlebenszeit der FA/ FL-Patienten um 2-2,5fach länger

als die der Patienten mit klassischer ALS

5-Jahres-Überlebensrate signifikant erhöht

(> 50% der FA-Patienten; > 60% der FL-Patienten)

Bedeutung des Phänotyps für die Prognose der ALS

Erstbeschreibung 1850 durch Aran

ausschließliche Affektion des 2. Motoneurons mit Faszikulationen, schlaffen Paresen und

Muskelatrophien, selten bulbäre Symptome, rasche Progredienz, Ateminsuffizienz

Bei fALS assoziiert mit bestimmten SOD1-Mutationen (G93C, A4V)

•auch im Verlauf der Erkrankung keine klinischen Zeichen einer Mitbeteiligung des

kortikospinalen Systems

Mitbeteiligung des 1. Motoneurons mit Hilfe klinisch neurophysiologischer Untersuchungen,

insbesondere mit der transkraniellen Magnetstimulation zum Teil nachweisbar

EMG erlaubt frühzeitige prognostische Einschätzung (Nachweis von Denervierung in

klinisch nicht betroffenen Regionen)

Prognose wie bei klassischer ALS

Progressive Muskelatrophie (PMA)

Adulte Formen i.d.R. sporadisch

Klinisch ausschließlich Zeichen des 1. Motoneurons (gesteigerte

Muskeleigenreflexe, positive Pyramidenbahnzeichen, beinbetonte spastische

Paresen, Pseudobulbärparalyse)

Krankheitsverlauf über Jahre langsam progredient ohne Nachweis eines Befalls auch

des 2. Motoneurons

Zeichen leichtgradigen chronisch neurogenen Umbau im EMG sprechen nicht gegen

die Diagnose, Faszikulationen, positive Wellen oder Fibrillationen gehen über das

Bild der PLS hinaus

Im Verlauf z.T. frontale Auffälligkeiten, sensible Ausfälle,

Blasenentleerungsstörungen, extrapyramidalmotorische Symptome

Übergang in klassische ALS auch nach Jahren noch möglich!

Primäre Lateralsklerose (PLS)

Problem:

Differenzierung zwischen UMN-dominanter ALS und PLS?

Retrospektive Analyse von 21 Patienten (9 mit PLS, 13 mit ALS):

Bulbärsymptome, Gewichtsverlust, FVC-Abnahme und Paresen sind Prädiktoren für eine Transition zur ALS

Fehlen von klinischen oder elektrophysiologischen LMN-Zeichen nach 4 Jahren prognostisch günstig

Primäre Lateralsklerose (PLS) vs. ALS

Gordon et al., 2008

Bedeutung des Phänotyps für die Prognose der ALS

ALS im Kindes-/ Jugendalter

– Meist familiär

– Bisher 2 Gene identifiziert:

ALS2: Mutationen im ALSIN- Gen (überwiegend bei

arabischen/ persischen Patienten)

AR, assoziiert mit juveniler ALS oder PLS oder

infantiler hereditärer spastischer Spinalparalyse)

ALS 4: Senataxin-Mutationen

AD, klinisch definitive ALS gemäß El Escorial-Kriterien, jedoch

langsame Progredienz, keine respiratorische Insuffizienz

ALS ALS/FTD FTD

Klinisch manifeste frontotemporale Demenz

bei bis zu 15% aller ALS-Patienten

Subklinische Zeichen frontaler Dysfunktion

bei bis zu 50% der ALS-Patienten

Klinik: Veränderung der Persönlichkeit und

des Sozialverhaltens, Enthemmung,

Beeinträchtigung der Exekutiv- und

Sprachfunktionen Cairns et al., 2007

Dank an

Prof. Susanne Petri

Dr. Katja Kollewe

[email protected]

0511-532-2391