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Björn Niehaves Verwaltungsreform in Deutschland und Japan

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Björn Niehaves

Verwaltungsreform in Deutschland und Japan

Björn Niehaves

Verwaltungsreform in Deutschland und JapanEine empirisch-vergleichende AnalyseKooperativer Kommunaler Reformpolitk

1. Auflage 2009

Alle Rechte vorbehalten© VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009

Lektorat: Katrin Emmerich / Tanja Köhler

VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media.www.vs-verlag.de

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Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergDruck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., MeppelGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in the Netherlands

ISBN 978-3-531-16809-8

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Inhalt

Vorwort ................................................................................................................. 9

1 Exposition ..................................................................................................... 11

2 Forschungsmethodik ..................................................................................... 15 2.1 Grundprobleme eines länderbezogenen Modernisierungsvergleichs .... 15 2.2 Forschungsprozess ................................................................................ 19 2.3 Eigene Vorarbeiten ............................................................................... 23 2.4 Vorgehen im Rahmen der qualitativen Analyse ................................... 29 2.5 Vorgehen im Rahmen der quantitativen Analyse ................................. 40

3 Grundlagen Kooperativer Kommunaler Reformpolitik ................................ 47 3.1 Begriffsdefinition .................................................................................. 47 3.2 Stand der Forschung ............................................................................. 50

3.2.1 Public Management Reform ...................................................... 50 3.2.2 Staat und Verwaltung in Japan und Deutschland ...................... 51 3.2.3 Gemeindedemokratie in Gefahr? ............................................... 51 3.2.4 Dezentralisierung als Herausforderung lokaler Demokratie? .... 53

3.3 Rahmenbedingungen Kooperativer Kommunaler Reformpolitik ......... 54 3.3.1 Rahmenbedingungen Kooperativer Kommunaler

Reformpolitik in Deutschland ................................................... 54 3.3.2 Rahmenbedingungen Kooperativer Kommunaler

Reformpolitik in Japan .............................................................. 60 3.4 Ergebnisse der qualitativen Analyse ..................................................... 68

3.4.1 Ergebnisse der qualitativen Analyse in Deutschland ................. 68 3.4.2 Ergebnisse der qualitativen Analyse in Japan ........................... 83

3.5 Thesen zur Kooperativen Kommunalen Reformpolitik ........................ 93

4 Daten zu Einflussfaktoren Kooperativer Kommunaler Reformpolitik ........ 101 4.1 Finanzsituation .................................................................................... 101 4.2 Reformgründe ..................................................................................... 103 4.3 Reformfelder ....................................................................................... 112

6 Inhalt

4.4 Reformprobleme ................................................................................. 120 4.5 Reformeigenschaften .......................................................................... 126 4.6 Kommunale Verwaltungskultur .......................................................... 131 4.7 Finanzielle Reformrestriktionen ......................................................... 137 4.8 Bewertung des Finanzsystems ............................................................ 144 4.9 Die Rolle der Bürger bei Verwaltungsreformen ................................. 148 4.10 Die Rolle der Kommunalverbände bei Verwaltungsreformen ............ 155 4.11 Reformdezentralität ............................................................................ 160

5 Daten Kooperativer Kommunaler Reformpolitik ........................................ 167 5.1 Grundlagen der Reformfelder ............................................................. 167

5.1.1 Reformfeld Geschäftsprozessmanagement .............................. 167 5.1.2 Reformfeld Finanzmanagement & Buchführung .................... 171 5.1.3 Reformfelder im zusammenfassenden Vergleich .................... 175

5.2 Kooperative Kommunale Reformpolitik im Vergleich ...................... 177 5.2.1 Kooperative Kommunale Reformpolitik ................................. 177

5.2.1.1 Deskriptiver Vergleich .............................................. 177 5.2.1.2 Differenzanalytischer Vergleich ................................ 187 5.2.1.3 Ergebniszusammenfassung........................................ 191

5.2.2 Kooperative Reformpolitik finanzstarker und -schwacher Kommunen .............................................................................. 193 5.2.2.1 Deskriptiver Vergleich .............................................. 193 5.2.2.2 Differenzanalytischer Vergleich ................................ 206 5.2.2.3 Ergebniszusammenfassung........................................ 211

6 Diskussion und Interpretation ..................................................................... 215 6.1 Ähnlichkeiten im Ländervergleich ..................................................... 215 6.2 Differenzen im Ländervergleich ......................................................... 217 6.3 Reform Governance ............................................................................ 233

7 Fazit und Ausblick ...................................................................................... 237

8 Referenzen .................................................................................................. 241

Abkürzungen

AEB Administrative Evaluation Bureau at the MIC (Japan) BRD Bundesrepublik Deutschland BSC Balanced Scorecard DE Deutschland DST Deutscher Städtetag DStGB Deutscher Städte- und Gemeindebund dt. deutsch eGovernment Electronic Government EU Europäische Union EU-DLR EU-Dienstleistungsrichtlinie FM Facility Management, dt. Synonym Gebäudemanagement GG Grundgesetz HRM Human Resource Management IAA Incorporated Administrative Agencies (Japan) Int. Interview IP Interviewpartner IT Informationstechnologie JNP Japan New Party (Japan) JP Japan jp. Japanisch KGSt Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanage-

ment KLR Kosten- und Leistungsrechnung LAC Local Autonomy College (Japan) LAU Local Administrative Unit LDP Liberal Democratic Party (Japan) MIC Ministry of Internal Affairs and Communication (Japan) NGO Non-Governmental

Organization/Nichtregierungsorganisation NKR Neues Kommunales Rechnungswesen NKF Neues Kommunales Finanzmanagement NPM New Public Management NSM Neues Steuerungsmodell

8 Abkürzungen

PARC Provisional Administrative Reform Commission (Japan) SDP Social Democratic Party (Japan) SPARC Second Provisional Administrative Reform Commission

(Japan)

Vorwort Noch einmal? So die häufigste und sehr berechtige, spontane Reaktion, wenn ich von meinem Vorhaben berichtet habe, nach der 2006 abgeschlossenen Promotion im Fach Wirtschaftsinformatik nun auch noch „richtig in Politikwissenschaft zu machen“. Ich werde auch an dieser Stelle eine vollständige Antwort leider schul-dig bleiben, hoffe aber, dass die vorliegenden Seiten, ebenso wie meine weiteren Arbeiten, deutlich machen können, welches Potenzial noch in der Integration politikwissenschaftlicher und wirtschaftsinformatischer Perspektiven liegt. Für mich persönlich stellt sich hier aktuell vor allem die Frage, welche Möglichkei-ten sich bieten, Veränderungen – sei es nun im öffentlichen oder privaten Sektor, in Deutschland, Japan oder einem anderen Kontext – zu demokratisieren. Wie lassen sich verteiltes Wissen, verteilte Kapazitäten und Legimitäten aktivieren, um Dinge zu einem Besseren zu verändern … und auch dazu, überhaupt erst festzustellen, was dieses „Bessere“ denn ausmacht? Sei es nun in Bezug auf Informationstechnologie – bspw. zur Demokratisierung von Prozessinnovationen – und/oder mit ihrer Hilfe – bspw. mittels Nutzung von Web 2.0-Technologien. Eben dieser Grundgedanke liegt der Untersuchung Kooperativer Kommunaler Reformpolitik in Deutschland und Japan zugrunde.

Wenngleich sich selbst die Entstehung dieser Idee – hier gilt mein herzli-cher Dank erstens dem joggenden Dr. Karsten Klose, zweitens dem gesamten Hilton Waikoloa Village Ressort – schon als schwierig gestaltete, so wäre jedoch vor allem ihre Umsetzung ohne die ungeheuer große Unterstützung, die ich so zahlreich erfahren durfte, niemals möglich gewesen. Mein Dank gilt hier vor allem Herrn Professor Paul Kevenhörster, der sich – entgegen aller „Widrigkei-ten“ – nicht nur dazu entschlossen hat, das Erstgutachten der Dissertation zu übernehmen, sondern in den letzten drei Jahren ein wunderbarer Mentor war und mir nicht nur deshalb auch zu einem akademischen Vorbild geworden ist. Herrn Professor Norbert Konegen gebührt mein Dank, nicht nur für die Übernahme des Zweitgutachtens, sondern auch für die Unterstützung, die schon bis zur Betreu-ung der Magisterarbeit zurück reicht. Die Forschunsaufenthalte in Japan – No-vember 2006 bis März 2007, September bis Oktober 2007 sowie September bis Oktober 2008 – wurden von der Japan Society for the Promotion of Science (JSPS) sowie dem Schneider-Sasakawa Fund der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster großzügig gefördert. Ohne die Einladung und Unterstützung

10 Vorwort

durch Herrn Professor Koichiro Agata (Waseda Universität) hätte ich jedoch vermutlich nicht einmal einen Fuß auf japanischen Boden gesetzt. Ihm gilt mein großer Dank ebenso, wie Herrn Professor Hisao Tsukamoto (Waseda Universi-tät), Frau Professorin Mari Kobayashi (Waseda Universität) und Herrn Professor Masao Kikuchi (Meiji Universität), ohne die ich in den japanischen Ministerien und Verwaltungen wohl kaum jemand anderen als die – immer tadellos freundli-chen – Pförtner kennengelernt hätte. Sie alle – nicht die Pförtner – waren mir mit ihren vielfältigen Anregungen und ihrer Geduld auch eine unerlässliche Hilfe, die Fülle der oft verwirrenden Eindrücke aus Japan zu verarbeiten, erste Ansätze eigener Ideen zu entwickeln und diese zu reflektieren – wenngleich selbstver-ständlich alle eventuell verbleibenden Unstimmigkeiten und Errata allein zu meinen eigenen Lasten gehen.

Inhaltliche Inspiration und moralische Unterstützung durfte ich auch im Rahmen des Symposiums „Chancen und Risiken von Dezentralisierung – Deutschland und Japan im Vergleich“ im September 2007 an der Waseda Uni-versität erfahren. Vor allem Frau Professorin Gesine Foljanty-Jost, Herrn Profes-sor Werner Pascha und Herrn Professor Hellmut Wollmann möchte für ihre Kommentare im Februar 2009 zum Manuskript des vorliegenden Buches dan-ken; Herrn Wollmann darüber hinaus auch für den spannenden und aufschluss-reichen Diskurs zur vergleichenden Verwaltungsreformforschung. Herrn Profes-sor Jörg Becker sowie meinen Kollegen am Institut für Wirtschaftsinformatik der Westfälischen Wilhelms-Universität gilt mein Dank für die tolle Zusammen-arbeit und Unterstützung – nicht nur während der letzten drei Jahre. Der aller-größte Dank geht jedoch an meine Freunde, meine Familie und insbesondere an meine Eltern, denen ich diese Arbeit hiermit widme.

Münster im Juli 2009 Björn Niehaves

1 Exposition

Verwaltungsreform ist ein Dauerthema in Kommunen. New Public Management (NPM),1 Electronic Government2 oder Transformational Government3 sind nur einzelne Reformperspektiven, die deutlich machen, dass öffentliche Verwaltun-gen heute schneller, effizienter, kundennäher oder schlicht besser werden sollen. Die Anspruchsgruppen, die kommunale Verwaltungsreformen einfordern, sind dabei jedoch ebenso vielfältig wie ihre Beweggründe, Zielsetzungen und konkre-ten Reformideen. Sind es übergeordnete staatliche Institutionen, die ihrerseits kommunale Reformagenden schmieden, IT- und Beratungsunternehmen, die ihre Produkte und Dienstleistung verkaufen, oder Kommunalverbände, Stiftungen und Wissenschaftler, die ihre Reformideen in der Verwaltungspraxis umgesetzt sehen wollen? Oder sind es Bürger und Unternehmen, die „Kunden“ der Verwal-tung, die bessere Leistungen und mehr Transparenz einfordern? Wenngleich zu unterschiedlichen Graden, so besteht doch für kommunale Verwaltungen hier auch Potenzial, die Beziehungen zu diesen Anspruchsgruppen zielgerichtet zu gestalten. Beispielsweise können Bürger und Unternehmen im Zuge von Re-formvorhaben stärker in die Pflicht genommen, der Umgang mit IT- und Bera-tungsunternehmen weiter professionalisiert4 und Reformnetzwerke geschmiedet oder gezielter angesprochen werden. Während unter dem Begriff Governance Regelungen von Sachverhalten und Lösung kollektiver Probleme unter Berück-sichtigung verschiedener Formen sozialer Handlungskoordination5 auf der Ebene substanzieller Politiken6 einschlägig untersucht worden sind,7 findet sich eine solche Perspektive auf die Analyse kommunaler Reformpolitik (institutionelle Politik)8 jedoch bislang kaum. Auch bleibt die Frage bis dato unbeantwortet, wie 1 Vgl. bspw. Hood 1995, König 1996, Koike 2000, Sahlin-Andersson 2001, Kudo 2003, Hori

2003, Kikuchi 2005, Lynn 2006 und Agata 2008. 2 Vgl. bspw. Becker et al. 2006, Sannarnes et al. 2006 und Wimmer et al. 2008. 3 Vgl. Irani et al. 2007, S. 327ff. 4 Vgl. Mohe 2003, S. 1ff. 5 Vgl. Kevenhörster 2006, S. 353f. 6 Vgl. Wollmann 2003b, S. 4ff. 7 Vgl. bspw. Benz 2004, S. 11ff, Sorensen 2006, S. 101ff und Kussau & Brüsemeister 2007, S.

15ff. 8 Vgl. Wollmann 2003b, S. 4ff.

12 1 Exposition

stark die Bedingungen des politisch-administrativen Systems in spezifischen nationalen Settings Kooperationsverhalten im Zuge kommunaler Reformen be-einflussen. Gerade ländervergleichende Analysen können hier einen entschei-denden Beitrag zur Beantwortung der offenen Fragen zur „Kooperation“ im Kontext kommunaler Verwaltungsreform leisten.

Deutschland und Japan werden von POLLITT & BOUCKAERT (2003) als Län-der klassifiziert, die beide nur zaghaft und vergleichsweise spät NPM-orientierte Reformen zu implementieren begonnen haben.9 Auch weisen sowohl das poli-tisch-administrative System historisch10 als auch die Wirtschaft und Gesellschaft (u. a. Nachkriegsbesatzung, G8-Mitglieder, exportorientierte Industrienationen) entscheidende Parallelen auf. Entsprechend groß ist das akademische Interesse aneinander11 und an ländervergleichenden Studien.12 Aktuelle, umfassend empi-rische Vergleichsstudien zur Verwaltungsreform in beiden Ländern liegen jedoch nicht vor.13 Vor diesem Hintergrund lautet die Forschungsfrage:

Wie unterscheiden sich die Kooperationsschemata kommunaler Verwal-tungsreformen in Deutschland und Japan und welche Faktoren erklären mögliche Differenzen?

Zur Beantwortung dieser Frage wird ein multi-methodisches, triangulatorisches Forschungsdesign gewählt. Qualitativ-empirische Forschungsergebnisse aus Expertinnen- und Experteninterviews14 in Deutschland und Japan werden hier mit Hilfe einschlägiger Literatur gespiegelt und in Thesen zur Kooperativen Kommunalen Reformpolitik überführt. Durch den datenorientierten Ansatz sol-len bestehende Theorien ergänzt und im multi-disziplinären Kontext weiterent-wickelt werden. Eine anschließende quantitativ-statistische Analyse dient zur

9 Pollitt & Bouckaert 2003, S. 22. 10 Vgl. bspw. Kevenhörster & Uppendahl 1987, S. 23ff und Ando 2000. 11 Vgl. bspw. Pascha & Storz 2000, Kevenhörster et al. 2003, Klein 2006 oder Coulmas 2007. 12 Vgl. bspw. Kevenhörster & Uppendahl 1987, Muramatsu & Naschold 1997, Agata 1998,

Nakamura & Agata 2001, Kobayashi & Niehaves 2009 oder Funck et al. 2009. 13 Jüngere Punlikationen zum Thema „Kommunalreform in Deutschland und Japan“ (Foljanty-

Jost 2009) weisen zumeist exzellente Einzelländerstudien aus (bspw. Hüstebeck 2009 oder Bo-gumil 2009). Mit Ausnahme von Funck et al. (2009), die einen Vergleich von Kobe und Berlin hinsichtlich der Bürgerbeteiligung im Stadtteil vornehmen, besteht jedoch weiterhin ein Bedarf an intergrierten und empirisch-fundierten Vergleichstudien zwischen Deutschland und Japan. Für bspw. europäische Länder liegen zahlreiche Studien vor (z. B. Wollmann 2008 oder Kuhl-mann 2008). Insofern verstehen sich die vorliegenden Ausführungen als Ergänzung und Erwei-terung vergleichender Forschungen zur Verwaltungsreform.

14 Lediglich aus Gründen der Übersichtlichkeit wird im weiteren Verlauf der Arbeit, sofern nicht durch geschlechtsneutrale Formulierungen vermeidbar, die männliche Form verwendet.

2.1 Grundprobleme eines länderbezogenen Modernisierungsvergleichs 13

Überprüfung der formulierten Thesen auf breiter empirischer Basis. Die Unter-suchungslogik folgt dabei einem differenzmethodischen Ansatz.

Dem Forschungsdesign folgend gestaltet sich der Aufbau der Arbeit. Kapi-tel 2 widmet sich der forschungsmethodischen Diskussion. So werden hier zu-nächst grundlegende Probleme vergleichender Modernisierungsstudien erörtert, um ein realistisches Vorverständnis der Möglichkeiten und Einschränkungen der vorliegenden Arbeit vermitteln zu können. Eine detaillierte Diskussion des For-schungsprozesses (Kapitel 2.2) wird durch die Darstellung eigener Vorarbeiten (Kapitel 2.3) sowie die methodische Diskussion des qualitativen (Kapitel 2.4) und quantitativen Untersuchungsteils (Kapitel 2.5) ergänzt. Die Grundlagen Kooperativer Kommunaler Reformpolitik werden im sich anschließenden Kapi-tel 3 erarbeitet. Nach einleitenden definitorischen Überlegungen (Kapitel 3.1) werden einschlägige verwandte Publikationen skizziert (Kapitel 3.2). Gemein-sam mit der Diskussion relevanter Rahmenbedingungen Kooperativer Kommu-naler Reformpolitik in Deutschland und Japan (Kapitel 3.3) stellen diese den Kern literaturanalytischer Ergebnisse dar. Gemeinsam mit den Erkenntnissen einer 46 Experteninterviews umfassenden qualitativ-empirischen Analyse (Kapi-tel 3.4) bilden sie die Grundlage zur Formulierung von sechs Thesen zur Koope-rativen Kommunalen Reformpolitik in Deutschland und Japan (Kapitel 3.5). Überprüft werden diese Thesen mittels einer quantitativ-empirischen Analyse, in die 357 in Deutschland und 180 in Japan beantwortete Fragebögen mit einbezo-gen werden konnten. Kapitel 4 umfasst hier die Darstellung unabhängiger, erklä-render Variablen, beispielsweise der Finanzsituation oder der Verwaltungskultur, Kapitel 5 hingegen widmet sich der Erörterung abhängiger Variablen, d. h. hier der Kooperationsschemata kommunaler Verwaltungsreformen in Deutschland und Japan. Aus Gründen der forschungsmethodischen Strenge nimmt die Dar-stellung der quantitativ erhobenen Variablen (Kapitel 4 und 5) keine interpretati-ven Bestandteile auf. Die gesonderte, gesammelte Interpretation der Daten und Diskussion der sechs formulierten Thesen (Kapitel 6.1 und 6.2) erfolgen hinge-gen im triangulatorischen Rückgriff auf die Ergebnisse der Literaturanalyse und qualitativ-empirischen Vorstudie. Grundlegende Überlegungen zum Reform Governance (Kapitel 6.3) abstrahieren von den landesspezifisch vergleichenden Untersuchungsergebnissen und zeigen mögliche Theorieentwicklungspotenziale auf. Eine Zusammenfassung der Kernergebnisse sowie ein Ausblick auf zukünf-tige Forschungsbedarfe (Kapitel 7) beschließen die Arbeit.

2 Forschungsmethodik

2.1 Grundprobleme eines länderbezogenen Modernisierungsvergleichs Ein länderbezogener Modernisierungsvergleich sieht sich mit erheblichen me-thodologischen Problemen konfrontiert.15 Um hier ein realistisches Verständnis der methodologischen Herausforderungen – auch der vorliegenden Arbeit – zu schaffen, sollen zunächst einige Hauptprobleme des Verwaltungsmodernisie-rungsvergleichs dargestellt werden, während sich die nachfolgenden Abschnitte 2.2 bis 2.5 der Diskussion widmen, wie den Herausforderungen im Rahmen der vorliegenden Arbeit zu begegnen versucht wird.

A) Problemfeld Analyseeinheit Soll sich die vergleichende Reformanalyse auf zentrale oder lokale Einheiten beziehen? Verwaltungsmodernisierung lässt sich ländervergleichend prinzipiell sowohl auf nationaler als auch auf subnationaler Ebene untersuchen. Bei der Entscheidung hierüber spielt die zu erwartende Datenheterogenität eine Rolle. Insbesondere in Staaten, in denen sich kommunale Verwaltungen durch hohe Selbstbestimmtheit und Unabhängigkeit auszeichnen, lässt sich eine große Bandbreite unterschiedlicher Reformansätze identifizieren, die eine länderver-gleichende Analyse erschwert. Wenn sich aufgrund einer möglichen Heterogeni-tät kommunaler Modernisierungsbestrebungen kaum „repräsentative“ Exemplare finden lassen, impliziert dies für eine vergleichende Studie, Wege der Abstrakti-on und Übertragbarkeit über die untersuchten konkreten Einzelfälle hinaus zu identifizieren. Wohl auch aus diesem Grund bezieht sich eine Vielzahl internati-onal vergleichender Modernisierungsstudien auf die Zentralinstanz als Kernana-lyseentität.16 Demgegenüber spielt jedoch auch der zu erwartende Erkenntnisge-winn eine Rolle bei der Auswahl der Analyseeinheit. In der Regel äußern sich die Hauptprobleme moderner Industriegesellschaften auf lokaler Ebene und entsprechend reformintensiv wird auch auf lokaler Verwaltungsebene an deren Bewältigung gearbeitet. Die hohe Dichte an konkretem Problemwissen kann als

15 Zu einer ausführlichen Analyse methodologischer Probleme des internationalen

Modernisierungsvergleichs siehe Pollitt & Bouckaert 2003, S. 12 ff. 16 Bspw. Pollitt & Bouckaert (2004).

16 2 Forschungsmethodik

ein Hauptargument für die Analyse der Verwaltungsmodernisierung auf lokaler Ebene gewertet werden.17

B) Problemfeld Analyseperspektive Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie ein Erkenntnisinteresse an Reformen im öffentlichen Sektor mit der Analyse individueller Organisationen in Einklang gebracht werden kann. Verwaltungsmodernisierung ist (auch heute noch) stark geprägt durch die Diskussion des New Public Management (NPM). NPM orien-tiert sich dabei vor allem an einer Management- bzw. betriebswirtschaftlich-ökonomischen Denkweise. Hiermit geht jedoch auch eine starke singulär-organisationale Perspektive einher.18 Demgegenüber beziehen sich Erkenntnisin-teressen im Ländervergleich häufig in hohem Maße auf supra-organisationale, d. h. hier öffentlich-sektorale Phänomene im politisch-administrativen Gesamt-system,19 wie bspw. die Machtrelationen zwischen zentraler und lokaler Verwal-tung. Hier stellt sich für vergleichende Reformstudien das Problem der Vermitt-lung zwischen den Erkenntnissphären und ihren -möglichkeiten (zur Verdeutli-chung hierzu beispielhafte Analysefragen in Tabelle 1). Tabelle 1: Erkenntnisinteressen organisationaler und sektoraler

Analyseperspektiven

Analyse-aspekte

Organisationale Per-spektive, Management-Perspektive

Sektorale Perspektive, Politisch-administrative Systemperspektive

Strukturen _Auf welche Strukturen stützen sich die Reformen in der einzelnen Verwal-tungsorganisation? _Welche Fachbereiche und Ämter sind mit wel-chen Verantwortlichkei-ten an den Reformen beteiligt? _Wie ist das Projektma-nagement organisiert?

_Auf welche Strukturen stützen sich die Reformen im öffentlichen Sek-tor? _Welche Rolle spielen bestimmte Verwaltungen/Verwaltungsgruppen, bspw. zentralstaatliche oder kom-munale Entitäten? _Welche Entscheidungsmacht ha-ben bspw. lokale und zentrale Enti-täten in Bezug auf die Reformen?

17 Vgl. Kevenhörster & Uppendahl 1987, S. 81. 18 Vgl. Pollitt & Bouckaert 2004, S. 10. 19 Vgl. Metcalfe 1993, S. 183; Pollitt & Bouckaert 2003, S. 13.

2.1 Grundprobleme eines länderbezogenen Modernisierungsvergleichs 17

Prozesse _In welchen Prozessen spielen sich die Reformen in der einzelnen Verwal-tungsorganisation ab? _Welche Mitarbeiter oder Ämter sind auf welche Weise an den Entschei-dungsprozessen beteiligt und nehmen/nahmen Einfluss auf den Reform-verlauf?

_In welchen Prozessen spielen sich die Reformen im öffentlichen Sek-tor/politisch-administrativen Sys-tem ab? _Welchen Einfluss hatten/haben bspw. zentrale und lokale Entitäten auf den Verlauf öffentlich-sektoraler Modernisierung?

Inhalte _Welche konkreten Re-forminhalte werden in der einzelnen Verwaltungs-organisation umgesetzt? _Wie konkretisiert sich bspw. die Dezentralisie-rung von Verantwortlich-keit auf Mitarbeiter in der einzelnen Organisation (Management by Objectives) inhaltlich?

_Wie konkretisiert sich bspw. die Dezentralisierung von Verantwort-lichkeit im öffentlichen Sek-tor/politisch-administrativen Sys-tem für die einzelne Verwaltung inhaltlich?

Während demnach das NPM – als gegenwärtige Hauptkonzeption der Verwal-tungsmodernisierung – vor allem die einzelne Organisation im Blick hat, veran-kern ländervergleichende Studien ihre Untersuchungsfragen zumeist in den poli-tisch-administrativen Gesamtsystemen. Für vergleichende Studien zur Verwal-tungsreform ergibt sich hieraus die Herausforderung, bei der Festlegung der Analyseeinheit und zwischen den Erkenntnisinteressen einer singulär-organisationalen Perspektive und einer vor allem in ländervergleichenden Unter-suchungen aufgegriffenen politisch-administrativen Systemperspektive zu ver-mitteln.20

C) Problemfeld Analysemethode Ein weiterer Problembereich ländervergleichender Modernisierungsstudien be-steht in der Auswahl der Untersuchungs- und Analysemethode(n). POLLITT &

20 Vgl. hierzu auch Pollitt & Bouckaert 2003, S. 13: Analyses are ranging „down from the level

of national comparisons either to sectoral analysis or to more particular comparisons of indi-vidual instruments and processes.”

18 2 Forschungsmethodik

BOUCKAERT (2003) bspw. bezeichnen das Vorhaben eines wissenschaftlich fundierten internationalen Modernisierungsvergleichs als nahezu unmögliches Unterfangen, insbesondere vor dem Hintergrund der Restriktionen wissenschaft-licher Untersuchungsmethodiken.21 Während sich wissenschaftlich valide und den Anforderungen forschungsmethodischer Strenge (research rigor) genügende Aussagen bspw. auf laborexperimentelle Untersuchungen mitsamt Kontrollgrup-pen, fixierten Variablen, Placebos usw. beziehen könnten, liegen solche Bedin-gungen zur Untersuchung der Verwaltungsmodernisierung, insbesondere im Ländervergleich, nicht vor. „In real life, however, this kind of experimentalism can only rarely be attained in the field of management reform. The ‘treatment’ cannot be kept secret, placebos cannot be devised and, for a mixture of ethical and practical reasons, credible control groups cannot be established. It is almost unknown for management reforms to be subject to true experimental proce-dures.”22 So stellt sich demnach die Frage nach der Verwendung eines umfas-senden quantitativ-empirischen Apparates oder der Konzentration auf die Analy-se einiger ausgewählter reichhaltigerer Fälle (rich data).23 Aus szientistischer Perspektive ist einer quantitativ-empirischen Methodenanwendung aufgrund seiner beabsichtigten Objektivierungsfunktion der Vorzug zu geben, während sich Fallstudienanalysen zumeist mit einer Generalisierbarkeitsproblematik kon-frontiert sehen. Dennoch können gerade mit Hilfe der reichhaltigen Fallstudien-daten bislang unbekannte Zusammenhänge aufgedeckt und ggf. Variablenerwei-terungen vorgenommen werden. So ist die Methodenwahl im Rahmen länderver-gleichender Reformanalysen demnach maßgeblich von der zugrunde liegenden Forschungsfrage abhängig.

D) Problemfeld Sprache Die Rolle des Sprachproblems bei der Durchführung ländervergleichender Re-formanalysen, jedoch auch bei der Auswahl der dem Vergleich zugrunde liegen-den Länder, wird nur selten thematisiert. Nur wenige Autoren treffen konkrete Aussagen, dass die Objektauswahl im Rahmen des länderbezogenen Reformver-gleichs durch die sprachliche Dimension maßgeblich beeinflusst wurde.24 KEVENHÖRSTER & UPPENDAHL (1987) stellen bspw. in Bezug auf ihre japanisch-deutsche Vergleichsuntersuchung zur Gemeindedemokratie fest: „Interkulturelle Untersuchungen tun sich schwer, das Sprachproblem angemessen in den Griff zu

21 Vgl. Pollitt & Bouckaert 2003, S. 15. 22 Pollitt & Bouckaert 2003, S. 15. 23 Vgl. Kevenhörster & Uppendahl 1987, S. 84. 24 Japan wurde explizit als potenzielles Studienobjekt erwähnt, das jedoch auch aus Gründen der

sprachlichen Unzugänglichkeit nicht in die dortige international vergleichende Reformanalyse aufgenommen wurde. Vgl. Pollitt & Bouckaert 2004, S. 2.

2.2 Forschungsprozess 19

bekommen. Dabei ist festzustellen, daß dieses Problem immer dann als beson-ders groß zu veranschlagen ist, wenn auch die genetischen Unterschiede zwi-schen den jeweiligen Sprachen groß sind“.25 Vergleichende Reformuntersuchun-gen sehen sich hier nicht nur wissenschaftlichen Problemen, wie bspw. dem Stimulanzwert unterschiedlich-sprachiger Items, sondern auch ganz praktischen Problemen, bspw. der Beschaffung von Datenmaterial, der Ansprache von Inter-viewpartnern oder der Auswertung von Protokollen ausgesetzt. Sprachliche Probleme sind in ländervergleichenden Studien potenziell erschwerend, jedoch in vielen Fällen nicht vermeidbar. Hieraus erwächst ein methodologischer Impe-rativ für ländervergleichende Reformstudien in der Art, dass Transparenz über Sprachverwendungen hergestellt werden sollte, um auf diese Weise den Einfluss eines potenziellen Sprachproblems abschätzen zu können. 2.2 Forschungsprozess Um den beschriebenen Herausforderungen vergleichender Modernisierungsfor-schung Rechnung zu tragen, wurde ein mehrstufiges und multimethodisches Vorgehen gewählt. Während die Elemente des Forschungsprozesses – Vorarbei-ten (Kapitel 2.3), qualitative Analyse (Grundlagen Kapitel 2.4, Ergebnisse 3.4), Literaturanalyse (Kapitel 3.2 sowie 3.3) und quantitative Analyse (Grundlagen Kapitel 2.5, Ergebnisse Kapitel 4 und 5) – im Weiteren detailliert beschrieben werden, soll die folgende Skizze des Forschungsprozesses ein einleitendes Ver-ständnis der methodischen Zusammenhänge vermitteln. So haben grundlegende Vorarbeiten (06/2003 bis 10/2006) u. a. zum Geschäftsprozessmanagement, strategischen Management, Kulturmanagement und eGovernment das der spezi-fisch vergleichenden Studie vorausgehende Verständnis der Verwaltungsreform, hier in Deutschland, geprägt. Aufbauend auf diesen Vorkenntnissen wurde ein parallel qualitativ-empirisches und literaturanalytisches Vorgehen gewählt. Ziel vor allem der qualitativen Analyse (11/2006 bis 03/2008)26 war es, zunächst explorativ und theoriebildend mögliche Kernpunkte eines Verwaltungsreform-vergleichs zwischen Deutschland und Japan zu erarbeiten. Auf diese Weise soll

25 Kevenhörster & Uppendahl 1987, S. 83. 26 Die Forschungsaufenthalte in Japan wurden finanziell von der Japanese Society for the

Promotion of Science (http://www.jsps.go.jp, 11/2006 bis 03/2007), der Westfälischen Wilhems-Universität Münster (09/2007 bis 10/2007), dem Schneider-Sasakawa-Fund der Westfälischen Wilhems-Universität Münster (09/2008 bis 10/2008) gefördert sowie durch das Department for Political Science and Economics und die Okuma School of Public Management der Waseda Universität, Tokyo, unterstützt.

20 2 Forschungsmethodik

den Daten bzw. den Kenntnissen der in Deutschland und Japan befragten Exper-ten entsprechender Raum gegeben werden, um so die Emergenz relevanter Theoriekonstrukte zuzulassen. Die spätere Fokussierung der Analyse Kooperati-ver Kommunaler Reformpolitik kann damit als direktes Ergebnis des explorativen Vorgehens aufgefasst werden. Gerade die der Verwaltungsreform-diskussion inhärente Multidisziplinarität ruft dazu auf, disziplinär geprägte Theo-rie- und Analyseperspektiven einander anzunähern und, soweit möglich, zu ver-binden.27 So konnte mit Hilfe des explorativen Vorgehens bspw. auch eine kon-zeptionelle Einbeziehung von Akteuren wie Beratungs- und Software-unternehmen in die Diskussion kommunaler Reformpolitiken begründet und damit die bestehende Literaturlage ergänzt werden. Um hier eine entsprechende Rückkopplung zuzulassen, wurde die qualitative Untersuchung durch eine paral-lele Literaturanalyse (11/2006 bis 03/2008) ergänzt. Emergente Theoriekon-strukte wurden so gespiegelt, hinterfragt und bei Bedarf ergänzt. Wenngleich die Darstellung der Ergebnisse im Rahmen der vorliegenden Arbeit notwendigerwei-se sequenziell und vereinfacht erfolgt, liegt den Erkenntnissen jedoch ein herme-neutischer Prozess zugrunde. Ertrag dieses Vorgehens ist die literaturanalytisch und qualitativ-empirisch begründete Formulierung von Thesen zur Kooperativen Kommunalen Reformpolitik im Vergleich Deutschland-Japan (Kapitel 0). Die formulierten Annahmen wurden mittels der sich anschließenden differenz-methodischen, quantitativ-empirischen Analyse einer Überprüfung zugeführt (03/2008 bis 07/2008).

Da die Interpretation der quantitativ erarbeiteten Ergebnisse unter Rückgriff auf die literaturanalytischen und qualitativ-empirischen Erkenntnisse erfolgt, kann hier von einem triangulierenden Forschungsansatz28 gesprochen werden, der sich auf theoretische, qualitativ- sowie quantitativ-empirische Ergebnisse stützt. (Eine grafische Darstellung des skizzierten Forschungsprozesses liefert Abbildung 1). Abgeleitet aus der zugrunde liegenden Forschungsfrage und ihrem multidisziplinären Theoriekontext wurde somit ein multimethodischer, triangu-lierender Forschungsansatz gewählt, durch den Ergebnisse ausführlicher Einzel-fallbeschreibungen (rich data) und potenziell generalisierbarere Daten (mittels statistischer Analysen) miteinander verbunden werden (Problemfeld C: Analy-semethode).

27 Vgl. bspw. Niehaves 2007, S. 23ff. 28 Vgl. Flick 2004, S. 7ff.

2.2 Forschungsprozess 21

Abbildung 1: Forschungsprozess (Quelle: Eigene Darstellung)

22 2 Forschungsmethodik

Bei der Auswahl der Analyseeinheit (Problemfeld A) sind insbesondere die Er-kenntnisertragserwartungen ausschlaggebend, die sich im Zuge der Literaturstu-die und qualitativ-empirischen Analyse verfestigt haben. So lassen sich sowohl in Deutschland29 als auch in Japan30 erhebliche Reformanstrengungen und kon-kretes Problemwissen auf gebietskörperschaftlicher/kommunaler Ebene ausma-chen. Hier soll eine „Gebietskörperschaft“ im Sinne einer Körperschaft des öf-fentlichen Rechts verstanden werden, die Gebietshoheit auf einem räumlich abgegrenzten Teil des Staatsgebietes besitzt. Als „Kommunen“ sollen hier dieje-nigen Gebietskörperschaften im Speziellen bezeichnet werden, die im öffentlich-verwaltungsmäßigen Staatsaufbau die kleinste Entität bilden.31 Für Deutschland sollen unter dem Begriff Kommunen vereinfachend Städte, Gemeinden und andere regionalspezifische Gemeindeformen zusammengefasst werden, d. h. diejenigen Entitäten, die durch die Europäische Union als Local Administrative Units (LAU) der Ebene zwei klassifiziert werden.32 Für Japan werden unter dem Begriff Kommune diejenigen LAU subsummiert, die durch das japanische Local Autonomy Law (chih�-jichi-h�) legaldefiniert sind: cities (shi), towns (machi), and villages (mura). Da sich die vorliegende Arbeit auf die Analyse der Reform-politik in Kommunen fokussiert, beschränkt sich daher auch die Verwendung der Begriffe „Gebietskörperschaft“ und „gebietskörperschaftlich“ allein auf die kommunale Ebene. Entsprechend der im Zuge der explorativ-qualitativen Unter-suchungsphase konkretisierten Forschungsfrage gilt das Erkenntnisinteresse daher insbesondere der kommunalen Verwaltungsebene. Dennoch wurden – auch zu explorativen Zwecken – neben Vertretern subnationaler Verwaltungsor-ganisationen in Japan (bspw. Kawaguchi, Nerima, Sumida, Kitakami, Ichikawa, Chiba, Mie und Toyko) und Deutschland (bspw. Aachen, Potsdam, Heidelberg, Ludwigshafen, Rhede, Hückeswagen, Brandenburg, Berlin und Hessen) auch Experten aus zentralstaatlichen Einrichtungen (bspw. Japanese Ministry of Inter-nal Affairs and Communication, Ministry of Environment und Bundesinnenmi-nisterium) befragt. Auf diese Weise konnten, insbesondere in Japan, Einflüsse von Zentralinstanzen auf lokale Reformbestrebungen untersucht und inhaltlich gegen die Ansätze in zentralstaatlichen Einrichtungen gespiegelt werden.

Bezogen auf die organisationale oder politisch-administrative Analyseper-spektive (Problemfeld B) wurde in den Interviews eine generelle Offenheit für 29 Vgl. hierzu neben eigenen Vorarbeiten (siehe Kapitel 2.3) bspw. auch Pollitt & Bouckaert

2003, S. 22. 30 Vgl. bspw. Ministry of Internal Affairs and Communication 2006; Niikawa 2006; Noguchi &

Koike 2006; Ushiyama 2006; Yorifusa 2006. 31 Zur Problematisierung von Begrifflichkeiten in der vergleichenden Politikanalyse vgl. v.

Prittwitz 2007, S. 13ff. 32 http://ec.europa.eu/eurostat/ramon/nuts/lau_en.html

2.3 Eigene Vorarbeiten 23

die Verwaltungsmodernisierung in Bezug auf beide dieser Sichten berück-sichtigt. So adressieren die Interviewfragen sowohl organisationale als auch politische-administrative Aspekte in ihren Strukturen, Prozessen und Inhalten. Dabei wurde auch bei der Vermittlung zwischen diesen Analyseaspekten den empirischen Daten Triebkraft eingeräumt. Wie die noch folgende genaue Analy-se der Experteninterviews zeigen wird, wurden im japanischen Kontext vor al-lem Veränderungsprozesse und Dynamiken thematisiert, während die deutschen Interviewpartner vor allem Schwerpunkte auf konkrete Reforminhalte legten. Letztlich nimmt die Analyse Kooperativer Kommunaler Reformpolitik die Per-spektive des politisch-administrativen Gesamtsystems ein (bspw. Funktion- und Aufgabendezentralisierung zwischen Zentralstaat und Gebietskörperschaften) und bietet hieran anknüpfend konkrete Ansatzpunkte für das Management kom-munaler Reformen aus Einzelorganisationsperspektive an (bspw. Klienten-professionalisierung im Umgang mit Beratungsunternehmen33). 2.3 Eigene Vorarbeiten Die vorliegende Untersuchung schließt sich an eigene Vorarbeiten zur Verwal-tungsmodernisierung in Deutschland an. Diese Vorarbeiten leisten einen Beitrag zur Motivation der aktuellen Fragestellung, Forschungsperspektive, Methoden-wahl und bestimmen daher das Vorgehen in erheblichem Maße. Um hier ein angemessenes Verständnis der Vorerkenntnisse zur Reform öffentlich-sektoraler Organisationen zu eröffnen, sollen im Folgenden kurz zentrale eigene Vorarbei-ten diskutiert und im Hinblick auf ihre Wirkung auf die vorliegende Untersu-chung dargestellt werden. Zu den Kernthemenbereichen gehören a) Geschäfts-prozessmanagement, b) strategisches Management und c) Kulturmanagement in deutschen Kommunalverwaltungen.

a) Geschäftsprozessmanagement in Kommunalverwaltungen.34 Der gestie-gene Kosten- und Leistungsdruck hat dazu geführt, dass Effektivität und Effizi-enz des Verwaltungshandelns auf kommunaler Ebene viel diskutiert worden sind. Auf der Einnahmeseite verzeichnen gerade kleine Städte und Gemeinden vielerorts eine Stagnation oder sogar einen Rückgang, wodurch der Kosten- und Einsparungsdruck steigt. Gleichzeitig sehen sich Kommunalverwaltungen mit

33 Vgl. Mohe 2003. 34 Kernveröffentlichung zu eigenen Vorarbeiten in diesem Themenfeld ist die Journal-Publikation

Becker et al. 2006 „A Procedural Model for Process Oriented e-Government Projects“ erschie-nen im Business Process Management Journal (12:1). Vgl. hierzu auch die nachfolgenden Aus-führungen zum Prozessmanagement in Kommunalverwaltungen.

24 2 Forschungsmethodik

gestiegenen Ansprüchen von Bürgern und Unternehmen konfrontiert. Diese äußern sich vor allem in den Anspruchsdimensionen Qualität, Bearbeitungszeit und Umfang der angebotenen Verwaltungsdienstleistungen. Es werden immer mehr jederzeit und ortsunabhängig verfügbare Dienstleistungen verlangt, wobei die Bearbeitungszeiten, die Zahl der notwendigen Interaktionen und der Umfang der zusätzlich notwendigen Dokumente kritisch hinterfragt und als verbesse-rungswürdig beurteilt werden.

Die gestiegenen Ansprüche und die gesunkenen Einnahmen konfrontieren die öffentliche Verwaltung somit zunehmend mit einer Modernisierungs- und Leistungslücke.35 Mithilfe des eGovernment wird diese Modernisierungs- und Leistungslücke zu schließen versucht.36 Zu beachten ist jedoch, dass durch den alleinigen Einsatz von IT keine Optimierungspotenziale offengelegt und umge-setzt werden können, sondern erst durch die prozessorientierte Analyse des Ver-waltungshandelns und die darauf aufbauende IT-Unterstützung Erfolge erzielbar sind.37 Die frühzeitige Berücksichtigung der möglichen Bereitstellung von Dienstleistungen über das Internet im Zuge von internen prozessorientierten Reorganisationsprojekten kann vorhandene Interdependenzen und somit Hemm-nisse und Potenziale direkt aufdecken. Mit dieser Zielsetzung wurde das Projekt Regio@KomM („Realisierung von Electronic Government in Organisationen der Kommunalverwaltungen im Münsterland“) im vierten Quartal des Jahres 2003 initiiert. An dem Projekt nahmen sechs Kommunalverwaltungen (zwei Kreis-verwaltungen und vier Stadt- und Gemeindeverwaltungen), ein kommunales Rechenzentrum sowie die Universität Münster teil. Das Ziel bestand darin, elekt-ronische Bürgerdienste zu realisieren, die einen Mehrwert für die Verwaltungen, Unternehmen und Bürger schaffen und langfristig in ein städteübergreifendes Verwaltungsportal integriert werden können. Hierzu wurden mithilfe eines schrittweisen Modells alle Prozesse der sechs teilnehmenden Verwaltungen grob analysiert und anschließend ausgewählte Abläufe detailliert untersucht. Somit konnten Schwachstellen identifiziert, mögliche Lösungen diskutiert sowie kon-krete Empfehlungen zur Verbesserung der Verwaltungsabläufe gegeben und umgesetzt werden. Hierbei wurden organisatorische als auch technologische Potenziale erhoben und genutzt. Die vergleichende Analyse der Verwaltungsmo-dernisierung in Deutschland und Japan wird sich daher auch auf praktische Um-setzungserfahrungen im Sinne von Vorkenntnissen zum Geschäftsprozessmana-gement in deutschen Kommunalverwaltungen beziehen können. Auch hierin

35 Vgl. Jann et al. 2006, S. 143 ff. 36 Vgl. Falck 2002, S. 137f. 37 Vgl. Langkabel 2000, S. 6.

2.3 Eigene Vorarbeiten 25

begründet sich die Auswahl des Geschäftsprozessmanagements als eines der im Rahmen dieser Arbeit quantitativ detailliert untersuchten Reformpolitikfelder.

b) Strategisches Management in Kommunalverwaltungen.38 NPM und eGovernment sind Ansätze, öffentliche Verwaltungen zu IT-basierten, vernetzten und bürgerorientierten Organisationen umzugestalten.39 Während die Nutzung von IT zur Einbindung Externer, insbesondere von Bürgern und Unternehmen, intensiv diskutiert wurde,40 ist der organisationsinterne Gebrauch von IT,41 bei-spielsweise für Managementunterstützung, bislang wenig untersucht worden. In den letzten Jahren wurden öffentliche Verwaltungen mit NPM-Konzepten wie produktorientierter Haushaltsplanung oder doppelter Buchführung konfrontiert, die hauptsächlich darauf abzielen, finanzwirtschaftliche Daten zu liefern und so die Informationslage für ein ergebnisorientiertes Management zu verbessern. Die Umsetzung dieser Konzepte ist beispielsweise für die meisten deutschen Kom-munalverwaltungen gesetzlich verpflichtend (z. B. in Nordrhein-Westfalen ab 2009 oder in Niedersachsen ab 2010). Doch wird vernachlässigt, wie diese steue-rungsrelevanten Daten tatsächlich im Rahmen eines ergebnisorientierten Mana-gements zu nutzen sind.42 Anwendungsbezogene systematische Lösungen, um strategisches Management in der Planungs-, Durchführungs- und Überwachungs-phase zu unterstützen, sind in der Verwaltungspraxis kaum zu finden. Ein Strate-giedefizit in der öffentlichen Verwaltung ist die Folge. Balanced Scorecards (BSC)43 erweisen sich hier als nützliches Instrument, existierende Management-probleme in privatwirtschaftlichen und öffentlichen Organisationen anzugehen.44 Gegenstand der Fallstudie in einer deutschen Kommunalverwaltung war hier die

38 Kernveröffentlichung zu eigenen Vorarbeiten in diesem Themenfeld ist der Buchbeitrag

Niehaves & Müller-Wienbergen 2007 „Designing Open Source Business Intelligence for Pub-lic Administrations“ in: A. Oberweis „eOrganisation: Service, Process, Market Engineering“ erschienen im Universitätsverlag Karlsruhe. Hierzu vgl. auch die nachfolgenden Ausführungen zum strategischen Management in Kommunalverwaltungen.

39 Vgl. Hood 1995; Ferlie et al. 1996; Schedler & Proeller 2003; Scherlis & Eisenberg 2003; Lawrence et al. 2004.

40 Vgl. Cox & Ghoneim 1998; Tung & Rieck 2006. 41 Vgl. Ang et al. 2001 42 Vgl. Schedler & Proeller 2003. 43 Im Allgemeinen versteht man unter BSC ein Konzept zur Dokumentation der Aktivitäten und

Ergebnisse einer Organisation im Hinblick auf ihre Vision und Strategien. Auf diese Weise soll den Führungskräften ein umfassender Überblick über die Leistungsfähigkeit und Effektivität der Organisation gegeben werden. In der Praxis ist die BSC das bekannteste und meist ange-wandte Konzept zum Performance-Measurement (vgl. Günther & Grüning 2002. Zum Begriff des Performance-Measurement/der Leistungsmessung in öffentlichen Verwaltungen vgl. auch Kuhlmann et al. 2004).

44 Vgl. Kaplan & Norton 1996a; Olve et al. 1999; Kaplan & Norton 2000.

26 2 Forschungsmethodik

konzeptionelle Entwicklung und technisch-organisatorische Umsetzung45 eines BSC-Ansatzes zur strategischen Steuerung (ein Bildschirmabzug der software-mäßigen Umsetzung findet sich in Abbildung 2).

Abbildung 2: BASIS Informationssystem zur strategischen Steuerung (Quelle:

Niehaves & Müller-Wienbergen 2007)

Angepasst an die spezifischen Anforderungen dieser Domäne beginnt ein ideal-typischer BSC-Prozess mit der Entwicklung eines Leitbildes der Verwaltung. In einem zweiten Schritt werden existierende strategische Ziele erhoben, diskutiert und sowohl zueinander als auch zum entwickelten Verwaltungsleitbild in Bezie-hung gesetzt. Mögliche Aktivitäten zur Erreichung dieser Ziele und entsprechen-de Messgrößen zur Erfolgskontrolle werden anschließend erarbeitet. Bei der Diskussion des Leitbildes, der strategischen Ziele und möglicher Maßnahmen und Messgrößen soll ein intensiver Dialog zwischen Politik und Verwaltung angestoßen werden, der sich an den verschiedenen Anspruchsperspektiven auf

45 Zur Diskussion einer gestaltungsorientierten Forschung vgl. Schön 1983; Hevner et al. 2004;

Niehaves 2006b, zum Begriff der Aktionsforschung vgl. McNiff & Whitehead 1992; Whyte et al. 1998.

2.3 Eigene Vorarbeiten 27

die Kommunalverwaltung orientiert, zumeist an der Kunden-, Wirtschafts-, Mit-arbeiter-, Finanz- und Organisationsentwicklungsperspektive. Folglich zielt die BSC darauf ab, Leistungsmessung zwischen Strategie und operativem Geschäft, unter Berücksichtigung von verschiedenen Messungsarten, z. B. qualitativ und quantitativ und unter Einbeziehung unterschiedlicher Interessenperspektiven, z. B. Kunden- oder Mitarbeiterperspektive, „zu balancieren“.46 Die vergleichen-de Analyse der Verwaltungsmodernisierung in Deutschland und Japan wird sich daher auch auf praktische Umsetzungserfahrungen im Sinne von Vorkenntnissen zur strategischen Steuerung in deutschen Kommunalverwaltungen beziehen können. Dem beschriebenen BSC-Projekt ging die Einführung der doppischen Buchführung im Kontext des Neuen Kommunalen Finanzmanagement (NKF) direkt voraus. Auch hierin begründet sich die Auswahl des Bereichs Finanzma-nagement & Buchführung als eines der beiden quantitativ detailliert untersuchten Reformpolitikfelder.

c) Kulturmanagement in Kommunalverwaltungen.47 Die öffentliche Verwal-tung befindet sich im Spannungsfeld von Kostensenkungsdruck und stetig stei-genden Leistungsanforderungen. Die traditionell-bürokratische Verwaltung wird dieser Anforderungssituation nicht gerecht. Zahlreiche Bestrebungen zur Ver-waltungsmodernisierung sind die Konsequenz, jedoch verlaufen diese häufig nicht in erwartetem Maße erfolgreich.48 Ein zentraler Grund hierfür besteht oft in der Vernachlässigung des (Miss-)Erfolgsfaktors Organisationskultur.49 Dabei kann eine Organisationskultur verstanden werden als ein größtenteils implizites soziales Konstrukt. Sie bildet sich als Ergebnis einer kollektiv erlebten erfolgrei-chen Problembewältigung und ist für die Mitglieder der Organisation handlungs-relevant. Dabei umfasst die Organisationskultur nicht nur Symbole, Sprache und Verhalten (sichtbare Kulturelemente), sondern auch Normen, Werte und Grund-annahmen, d. h. größtenteils unterbewusste Kulturelemente.50 Es lassen sich verschiedene Typen von Organisationskulturen unterscheiden. Für die spezifi-sche Typologisierung von Verwaltungskulturen wurde ein Ansatz von SCHEDLER & PROELLER (2003) entworfen. Dieser unterscheidet Verwaltungskulturen da-nach, inwieweit sie Kunden in Entscheidungen einbeziehen, ob sie Ermessens-spielräume kundenorientiert auslegen, auf welche Weisen gelernt wird, wie Mit- 46 Vgl. Kaplan & Norton 1996b. 47 Kernveröffentlichung zu eigenen Vorarbeiten in diesem Themenfeld ist die Buchpublikation

Niehaves 2006a „Management organisationskultureller Veränderungen – Von der traditionel-len Bürokratie zur modernen Verwaltung“ erschienen im VDM Verlag. Hierzu vgl. auch die nachfolgenden Ausführungen zum Kulturmanagement in Kommunalverwaltungen.

48 Vgl. Robbins & Finley 1996; Bürmann & Hüsselmann 2003. 49 Vgl. Klages 1997; Hofmeister 2003; Linge 2003. 50 Vgl. Sackmann 1983; Schein 1985; Buch & Wetzel 2001; Schein 2003.