geschlechtsspezifische unterschiede in der … · pharmakokinetik von torasemid 0 2 4 8 12 24 0 200...
TRANSCRIPT
Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakotherapie
Petra A. ThürmannPhilipp Klee-Institut für Klinische PharmakologieHELIOS Klinikum WuppertalLehrstuhl für Klinische Pharmakologie Universität Witten/Herdecke
33. Interdisziplinäres Forum der Bundesärztekammer "Fortschritt und Fortbildung
in der Medizin" 2009
Interessenskonflikte
Beraterverträge:
Biotest AG (Studienplanung)
Fresenius Kabi (Data Safety Monitoring Board)
Ono Pharmaceuticals (Data Safety MonitoringBoard)
HELIOS Konzernregelung Sponsoring:
http://www.helios-kliniken.de/ueber-helios/strategie/sponsoring.html
Ko-Autorin im Buch:
Gender Medizin (Hrsg. A. Rieder, B. Lohff)
Warum ist das Thema relevant?
Geschlechtsspezifische Unterschiede bei:☯der Häufigkeit, Wahrnehmung und
Ausprägung von Erkrankungen☯der Aufnahme, Verteilung und dem
Stoffwechsel von Arzneimitteln☯der Wirkung, Wirksamkeit und den
Nebenwirkungen von Arzneimitteln☯dem Einschluss von Männern und Frauen
in Studien und Forschungsprojekte☯der Arzneimitteltherapie im Alltag
Was sollte man über Pharmaka wissen?
Pharmakokinetik
Pharmakodynamik
Wirksamkeit
Unerwünschte Wirkungen
… in der Zielpopulation
Pharmakokinetik:Geschlechtsspezifische Unterschiede
Verteilung: Körpergewicht, Wasser-gehalt, Fett-/Muskelmasse
Frauen wiegen meist ca. 10 kg weniger als altersgleiche Männer
Frauen haben einen größeren Anteil and Fett und (zyklusabhängig) einen schwankenden Wasseranteil, weniger Muskelmasse
Frauen verstoffwechseln in hohem Ausmaß eigene Hormone ⇒Leberfunktion
Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der CYP3A4-mRNA-Expression und dem Enzym-Proteingehalt in menschlichen Leberproben
Wolbold R et al, Hepatology 2003
Tirilazad bei Subarachnoidalblutung
0102030405060708090
100
++ + Tod. ++ + Tod.
PlaceboTirilazad 6 mg/kg/d
++ = weitgehend wiederhergestellt
+ = mittlere -schwere neurologische Folgeschäden
Tod. = Todesfälle
% Frauen MännerP < 0,05
P < 0,05
Kassell NF et al, J Neurosurg 1996
Plasmaspiegel von Tirilazad und aktivem Metaboliten(U-89678) nach i.v.-Gabe von 3 mg/kg
0
5
10
15
20
Männer(40-60)
Frauen(<40)
Frauen(40-60)
Frauen(> 60)
Blu
tspi
egel
U-89678Tirilazad
Hulst LK et al, Clin Pharmacol Ther 1994
Plas
mak
onze
ntra
ion
(ng/
ml)
Pharmakokinetik von Metoprolol
0
40
80
120
160
S-Enantiomer R-Enantiomer
Cm
ax (n
g/m
l)
FrauenMänner
Luizer et al, Clin Pharm Ther 1999
0
200
400
600
800
1000
S-Enantiomer R-Enantiomer
AU
C (u
g*h/
l)
FrauenMänner
** * *
*p < 0,05 Männer vs. Frauen
Die Verträglichkeit von Betablockern, die überCYP2D6 abgebaut werden, ist geschlechtsspezifisch
CYP2D6-Substrate:Metoprolol, Carvedilol, Nebivolol, Propranolol
CYP2D6-unabhängige Betablocker:Sotalol, Bisoprolol, Atenolol
Thürmann et al, CP&T 2006
metoprolol
carvedi lol
nebivolo
l
propranolol
sotalol
bisoprolol
atenololm
en
wom
en
05
10152025
30
P = 0.006 M vs. F bei CYP2D6-abhängigen Betablockern
Anzahl UAWs
Einschränkungen
• Keine geschlechtsspezifischen Verordnungszahlen verfügbar – aber:
• Verordnungsdaten der GEK (n = 1.42 Mio) 2003: 58.3 % aller Packungen mit β1-selektiven Betablocker wurden an Männer verordnet (Glaeske& Janhsen, 2004)
• Punkt-Prävalenzstudie an 17.485 Hypertonikern: Frauen > 60 J erhalten signifikant seltener einenBetablocker (Pittrow et al Eur J Clin Pharmacol 2004)
• Relevanz von CYP2D6 für den Metabolismus derBetablocker, PK/PD-Beziehung?
Geschlecht und UAWs unter CYP2D6-Substraten
0
10
20
30
40
50
60
70
80
CYP2C9 CYP2C19 CYP2D6 GPC database
Number of ADR associated drugs (%)
female male
PRL II + III *
*p = 0.023Thürmann et al, Basic Clin Pharmacol Toxicol 2007
Geschlechtsspezifische Unterschiede bei Diuretika
Hydroc
hloro
thiaz
ide
Xipamide
Furos
emide
Piretan
ideTo
rasem
ideSpir
onola
ctone
MenWomen
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
Thürmann et al, 2008; http://www.egms.de/en/meetings/gaa2008/08gaa11.shtml
UAWs unter Diuretika -Erklärungsansätze
• Bei weiblichen Sprague-Dawley Ratten ist die Thiazid-Kanaldichte doppelt so hoch wie bei männlichen Tieren (Chen et al, J Am Soc Nephrol 1994)
• Diuretische, natriuretische und kaliuretischeEffekte von Furosemid sind bei weibl. Ratten singifikant stärker ausgeprägt als bei männl. Tieren (Brandoni et al, Pharmacology 2004)
• Der Hochdruck wird bei F mit zunehmendem Alter Salz-sensitiver, d.h. besseres Ansprechen auf Diuretika (Pechere-Bertschi & Burnier, AM J Hypertens 2004)
• Frauen erhalten mehr Diuretika-Verordnungen?
Thürmann et al, 2008; http://www.egms.de/en/meetings/gaa2008/08gaa11.shtml
Alters-standardisiertes Geschlechter-verhältnis der Verordnungsprävalenzen
0,00
0,50
1,00
1,50
2,00
2,50
Hydroc
hloroth
iazid
Xipamide
Furose
mide
Piretan
ide
Torase
mide
Spiron
olacto
ne
W:M
-Rat
io
MP TH
Thürmann et al, 2008; http://www.egms.de/en/meetings/gaa2008/08gaa11.shtml
Pharmakokinetik von Torasemid
0 2 4 8 12 24
0
200
400
600
800
1000
1200 men women
Time (h)
Tora
sem
ide
(µg/
l)
women menP-value
AUC24/D (µg·h/l/mg)
569.7 ±283.4
381.7 ±142.5
<0.001
Weight-normalizedAUC24/D (kg·h/l)
42.1 ± 20.4 30.9 ±10.3
<0.001
D. Werner, O. Zolk, U. Werner, S. Heinbüchner, B. Wolff, B. Graf, P. Thürmann, M.F. Fromm; ESC 2008
Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Toxizität von 5-FU bei der Therapie des kolorektalen Carcinoms
0
10
20
30
40
50
60Stomati
tisLeu
kopen
ieAlopez
ieÜbelk
eitErb
reche
nDiar
rhoe
Alle U
AWs
FrauenMänner
% Patienten mit UAWSchwere-grad ≥ 3
* *
*
*
*
*p<0,001
Sloan et al, J Clin Oncol 2002
Toxizität von 5-FU in Abhängigkeit von Exposition (AUC), Alter und Geschlecht
Vorschlag für prospektive Studie:
Gusella M et al, Ann Oncol 2006
Geschlechtsspezifische Unterschiede im Arzneistoffmetabolismus
• Geschlechtsspezifische Unterschiede im Arzneistoffmetabolismus sind nachgewiesen
• Einflüsse oraler Kontrazeptiva existieren bei verschiedensten Stoffwechselschritten
• Klinische Relevanz: meist leichte Über- oder Unterdosierungen??
Zeitpunkt des Erwachens aus der Narkose
0123456789
10
N.-Ende bis Augen öffnen N.-Ende bisAnsprechbarkeit
FrauenMänner
Zeit
(M
edia
n, m
in)
Körpergewichtsbezogene Dosierung von Propofol/Alfentanil/N2O
Gan TJ et al, Anaesthesiology 1999
Geschlecht und Opiatbedarf
• Bei Patienten-kontrollierter Schmerzbehandlung benötigen Männer ca. 40 % mehr Morphin als Frauen (n = 1.833 post-op. Patienten).
• Die Konzentration am Opiatrezeptor, um 50% Schmerzlinderung zu erfahren, muss bei Männern etwa doppelt so hoch sein.
• Der Unterschied ist nicht in der Pharmakokinetik begründet.
• Frauen erleiden auch bei ca. 30 % niedrigeren Dosierungen Atemstörungen.
Pley et al, Acta Anaesthesiol Scand 2003
Einfluss gestagenhaltiger oraler Kontrazeptivaauf die Wirkung von Benzodiazepinen
0
5
10
15
20
25
30
35
AIM DSST AIM DSST
mit Pilleohne Pille
AlprazolamLorazepam
Rea
ktio
nsi
nde
x
Kroboth & McAuley, 1997
Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakodynamik und Wirksamkeit
• Die Ansprechrate ist bei manchen Arzneimitteln geschlechtsspezifisch unterschiedlich
• Solche Unterschiede treten auch an primär „unverdächtigen“ Organen, Rezeptoren und Enzymen auf
• Klinische Relevanz häufig unklar, Unterschied wird meist retrospektiv entdeckt und von anderen Faktoren überlagert
Alters- und Geschlechtsverteilung bei Arzneimittel-nebenwirkungen von neu zugelassenen Arzneimitteln in England
Martin RM et al, BJCP 1998
Repräsentanz von Frauen in klinischen Studien (EMEA 2000-2003)
010203040506070
Hypert
onieDiab
etes
COPDSch
izophren
ieOste
oarthrit
is
CML
in Studieni.d. Praxis
Müllner et al, Int J Clin Pharm Ther 2008
Geschlechtsspezifische Angaben in den Fachinformationen neuer Arzneistoffe
Tenter & Thürmann; Int J Clin Pharmacol Ther 2006
0
20
40
60
80
100
120
ja nein ja nein
Hinweis auf g.Analyse
Hinweis auf g.Unterschiede
1989-19941999-2004
Hinweise auf geschlechtsspezifische Analysen fanden sich bei 10,2 % der älteren Wirkstoffe, hingegen bei 45,5 % der neueren Wirkstoffe (bezogen auf jeweils n = 118 und n = 132 Wirkstoffe, die für beiderlei Geschlecht zugelassen sind). Tatsächlich Unterschiede wurden nur bei jeweils 5 bzw. 18 Arzneistoffen gefunden.
p < 0,0001 p < 0,05
n
Gesamtanzahl aller Patienten mit I3/I4-UAW
(2000- Juni 2006)
Gesamtbevölkerung 2005 (Kreise HRO, DBR, OVP, HGW, Jena, Weimar, Weimar-Land und SHK )
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
55
60
65
70
75
80
85
90
0
Alter
0 100 200 300 400400 1002003000 10.000 20.000 30.00010.00020.00030.000
Männer(n = 409.060)
Frauen(n = 419.889)
Männer(n = 1.393)
Frauen(n = 2.268)
Anzahl
UAWs der nationalen PVZ 2000 bis Juni 2006
Thürmann et al, Fortschritt & Fortbildung in der Medizin; Band 31; 2007
Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Pharmakotherapie
• Es gibt geschlechtsspezifische Unterschiede bei - Pharmakokinetik- Pharmakodynamik- Wirkungen und unerwünschten Wirkungen der Pharmakotherapie
• Es fehlen z.T. noch die Grundlagen in der Arzneimittel- und in der Versorgungsforschung, um konkrete Empfehlungen auszusprechen (= mangelnde Evidenz)
• Viele Arzneistoffe sind im höheren Lebensalter und/oder bei Frauen nicht adäquat geprüft
• Gerade ältere Frauen sind gefährdet:- geringes Körpergewicht- wahrscheinlich höhere Sensitivität anmanchen Rezeptoren/Kanälen
- Polypharmakotherapie und noch mehrOTC Präparate
• Voraussetzung für die Umsetzung bereits vorhandener Erkenntnisse ist eine Sensibilität seitens aller Beteiligten: Ärzte, Apotheker und Pflegekräfte
Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Pharmakotherapie
Ergänzende Folien
• Thema: Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Bereitschaft zur Studienteilnahme
Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Bereitschaft zur Studienteilnahme
• Männer sind eher zur Studienteilnahme bereit, wenn sie bereits erkrankt (und älter) sind; bei Frauen spielte das keine Rolle
• Frauen mit höherem sozialen Status sind eher zur Studienteilnahme bereit, bei Männern kein Einfluss
• Männer befürchten weniger die Risiken, sind aber eher misstrauisch
• Wenn der Prüfarzt Patentrechte/Gelder hat, dann reduziert das die Bereitschaft zur Teilnahme bei Männern, erhöht die Bereitschaft bei Frauen
• Bei Frauen erhöht sich die Bereitschaft zur Studienteilnahme, wenn es ein Patientenhonorar gäbe, bei Männern nicht
Ding et al, Arch Intern Med 2007
Frauen & Männer: Unterschiede bei den Arzneiverordnungen
Frauen erhalten 24 % mehr Medikamente (Tagesdosen) verordnet als Männerca. 75 % mehr Verordnungen für PsychopharmakaFrauen konsultieren den Arzt häufiger (ca. 73% aller Arztbesuche): pro Arztbesuch gleiche Anzahl von Verordnungen
Arzneiverordnungsreport 2005 Schwabe & Paffrath
Geschlechtsspezifische Verordnungen bei ausgewählten Indikationsgruppen der GEK
Indikation Kosten (M:F)
Packungen (M:F)
Migränetherapie 1,0 : 5,3 1,0 : 5,4
Psychopharmaka, Neuroleptika
1,0 : 2,7 1,0 : 2,9
Psychostimulantien 3,6 : 1,0 3,8 : 1,0
Insuline 1,8 : 1,0 1,7 : 1,0
Orale Antidiabetika 1,7 : 1,0 1,6 : 1,0
Glaeske & Janhsen: GEK Arzneimittel-Report 2004
Verordnungen „umstrittener“ Arzneimittel bei Frauen
0
5
10
15
20
25
Expek
torantie
nExte
rna R
h. MgAnti
demen
t.Ven
enther.
Psych
ph. pf.
Antihyp
otonika
FrauenMänner
DD
D je
Ver
sich
erte
r
Arzneiverordnungsreport 2000, Schwabe & Paffrath
Verordnungsstruktur bei Herz/Kreislaufmedikamenten
0
10
20
30
40
50
60
70
ACE-H.O.
ACE-H. G ACE-H.PO
Betab. O. Betab. G Betab.PO
Frauen Männer
% A
ntei
l DD
D
O=Original
G=Generikum
PO=patent-freies Original
Kiewel & Thürmann, 2002
Analyse der IKK Verordnungsdaten 2001
Hormonelle Einflüsse und Wirksamkeit von Antidepressiva (I)
Martenyi et al, Eur Neuropsychopharmacol 2001
Hormonelle Einflüsse und Wirksamkeitvon Antidepressiva (II)
Martenyi et al, Eur Neuropsychopharmacol 2001
Geschlechtsspezifische Unterschiedebeim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom
• Retrospektive Analyse von 227 Patienten (80 F) mit NSCLC, Stadium IIIB-IV
• CTX: Carboplatin, Paclitaxel; bei Rezidiv bzw. Progress erhielten 44 % der M und 56 % der F Gefitinib Monotherapie (Median: 35 (M) vs. 144 (F) Tage, p < 0,001)
• F signifikant häufiger Adenokarzinome• F signifikant seltener Raucher/Ex-Raucher• Leukopenie (p < 0,001) stärker bei F, sonst kein
signifikanter Unterschied in der Toxizität
Yamamoto H et al, Oncology 2008
Geschlechtsspezifische Unterschiedebeim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom
a) Progressionsfreies Überleben, b) Gesamt-Überleben
Yamamoto H et al, Oncology 2008
Geschlechtsspezifische Unterschiede beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom
Yamamoto H et al, Oncology 2008
Adenokarzinome
Nicht-Adenokarzinome
Hypothesen
• M erhielten nicht ausreichend CTX – aber keine höhere Toxizität
• CTX ist bei F effektiver als bei M – aber die Responserate ist n.s. unterschiedlich, nur die Überlebenszeit
• Mehr M als F sterben an anderen Ursachen als NSCLC – 95 % der M und 93 % der F starben an ihrem NSCLCL
• M haben aggressivere Tumore als F – insbes. bei den Adenokarzinomen
• F erhielten häufiger und länger Gefitinib
Yamamoto H et al, Oncology 2008