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12 FREITAG, 4. DEZEMBER 2015 BAYERISCHER BEZIRKETAG BAYERISCHE STAATSZEITUNG NR. 49 VERÖFFENTLICHUNG DES BAYERISCHEN BEZIRKETAGS VERANTWORTLICH für beide Seiten: Bayerischer Bezirketag, Redaktion: Ulrich Lechleitner Olaf Heinrich kocht mit Heimbewohnern chilischarf Auch 2015 hieß es wieder „Rol- lentausch“ – und das Sozialteam Haus Isar in Landshut war bei der Aktion, die Einblicke in die Arbeit sozialer Einrichtungen gibt, er- neut mit von der Partie. Zum ge- lungenen Abschluss der Woche freuten sich das Team und die Be- wohner über den Besuch von Olaf Heinrich. Der Präsident des nie- derbayerischen Bezirkstags nahm seine neue Rolle sofort an, man kochte gemeinsam ein herzhaft- scharfes Chiligericht. In offener Atmosphäre wurde dabei vieles erörtert: Aktuelle Themen, wie die Installierung eines mobilen Kri- sendienstes; eine bessere Finan- zierung, um sich in Sachen Bil- dung, Freizeit, Arbeit und Woh- nen freier entwickeln zu können, oder auch die Umsetzung der UN- Behindertenrechtskonvention. Zudem wurden die Ausbildung zum EX-IN Genesungsbegleiter sowie die notwendige finanzielle Förderung thematisiert. TEXT UND FOTO KNOTT vorhandenen klinischen und am- bulanten Hilfsangebote nicht nur weiterhin vorzuhalten – und dort, wo es notwendig ist, auch auszu- bauen. Darüber hinaus, so Mederer, sei es Aufgabe der Bezirke, über ihre politischen Gremien und die Öf- fentlichkeitsarbeit nach außen zu vermitteln, dass psychische Er- krankungen kein Tabuthema mehr sein dürfen – und dass es hier eine erstklassige medizinische und the- rapeutische Hilfe gebe, die mit den Menschen für die Menschen ge- meinsam wirke. „Wenn wir immer aus guten Gründen sagen, dass wir uns als Anwalt der Schwächsten, der kranken Menschen und der Menschen mit Behinderungen ver- stehen, dann wird dieser Anspruch vor allem auch in unseren psychi- atrischen Einrichtungen mit Leben erfüllt. Eine weitere Entstigmati- sierung der Psychiatrie bleibt des- halb für uns Auftrag und Verpflich- tung“, so Mederer. Und Professor Freisleder er- gänzt: „Vieles wurde hier schon er- reicht. Aber es bleiben auch immer noch offene Fragen und Probleme, die etwa die Kinder- und Jugend- psychiatrie allein auch nicht be- wältigen kann, wenngleich vieles auch auf einem guten Weg ist, den wir, auch im Blick auf die neue gro- ße Aufgabe, der künftigen Betreu- ung und Behandlung von unbeglei- teten traumatisierten Kinder- und Jugendlichen Flüchtlingen, nur ge- meinsam werden gehen können.“ > ULRICH LECHLEITNER heit, vor allem in der ohnehin schwierigen Phase der Pubertät. Daher überrasche es nicht, dass Kinder von Alleinerziehenden häufiger für bestimmte Erkrankun- gen anfällig seien als Kinder, deren Eltern nicht getrennt lebten. Weitere Faktoren: Eine wach- sende Armut und die Herausfor- derung, die die Migration mit sich bringe. Zusätzlich treten neue Krankheitsbilder wie Computer- oder Internetsucht auf, die nach ganz neuen Behandlungskonzep- ten verlangten. Man sei hier zwar auf einem erfolgversprechenden Weg, gleichwohl bleibe viel zu tun. „Unser bewusst gehaltenes niederschwelliges Angebot in un- seren Einrichtungen erleichtere es heute, dass Eltern weniger Berüh- rungsängste haben, sich an uns zu wenden, als noch vor Jahren. Da- durch können wir nicht nur be- stimmte Erkrankungen von Kin- dern frühzeitiger erkennen, son- dern auch besser und nachhaltiger helfen“, so Freisleder. Für den Präsidenten des Bayeri- schen Bezirketags, Josef Mederer, stellt das Anwachsen an Fallzah- len sowohl im erwachsenen wie auch im kinder- und jugendpsy- chiatrischen Bereich ebenso eine „gewaltige Aufgabe“ für die dritte kommunale Ebene und deren Ein- richtungen dar. Depressionen bei- spielsweise könnten jeden Men- schen zu jeder Zeit in seinem Le- ben treffen. Das müsse man sich bewusst machen und ehrlich ein- gestehen. Umso mehr gelte es, alle Warum aber ist so ein derartiger Anstieg der Fallzahlen zu beobach- ten? Eine Ursache dafür liege, so Freisleder, sicher darin, dass in frü- heren Zeiten die Familien viele in- terne Probleme allein lösten und dadurch ihren Kindern Halt und Stabilität in ihrem Reifungsprozess vermitteln konnten. Diese Kon- stante fehle heute immer mehr. Denn das Netzwerk einer klassi- schen Familie gehe verloren; Scheidung oder Trennung der El- tern bedeute für die meisten Ju- gendlichen einen erheblichen Ver- lust an Orientierung und Sicher- leiden über 20 Prozent inzwischen unter sogenannten psychischen Belastungsstörungen. Rund sechs Prozent davon seien ernsthaft er- krankt, was eine oft lange und langwierige Behandlung erfordert; stationär oder ambulant. Rund 1,9 Millionen Berufstätige in Deutschland waren im letzten Jahr von einer depressiven Episo- de betroffen. Fachleute betonen, dass sich die Zahl der Fehltage auf Grund seelischer oder psy- chischer Krankheitsbilder seit dem Jahre 1997 verdreifacht habe. Die meisten Krankschreibungen, so sagen es unterschiedliche Sta- tistiken, betreffen dabei den Be- reich der Depressionen in ihren unterschiedlichsten Ausprägun- gen. „Das ist ein Zuwachs, dem auch wir uns mit unseren thera- peutischen und medizinischen Angeboten verstärkt stellen müs- sen“, betont Mittelfrankens Be- zirkstagspräsident Richard Bartsch, der sich seit vielen Jah- ren mit dieser Thematik intensiv befasst. Professor Franz Joseph Freisle- der, der Direktor der Heckscher Klinik für Kinder- und Jugendpsy- chiatrie in München, erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass auch Heranwachsende von dieser Entwicklung immer häufi- ger betroffen seien. Die Ursachen dafür seien „multikausal“. Auch unter Kindern und Jugendlichen Depressionen und andere psychische Belastungsstörungen nehmen zu „Oberstes Gebot: Entstigmatisieren“ Auch in Bayern erkranken immer mehr Menschen an einer Depression und leiden dann meist viele Jahre daran – nach Berechnungen der Krankenkassen angeblich bereits jeder 20. Arbeitnehmer. Das stellt die Bezirke und ihre psychiatrischen Kliniken und Institutsambulanzen vor große Herausforderungen. Seit 1997 haben sich die Krankschreibungen aufgrund psychischer Störun- gen verdreifacht. FOTO DPA „Sie haben hier in Coburg ein Förderzentrum geschaffen, auf das ganz Oberfranken stolz sein kann“, lautete das Resümee des Be- zirkstagspräsidenten Günther Denzler am Ende seines Besuches im neu errichteten Förderzentrum des Vereins Hilfe für das behinder- te Kind Coburg . Der Verein mit sei- nem Schulförderzentrum und heil- pädagogischen Einrichtungen be- treut Kinder und Jugendliche mit dem Förderschwerpunkt körperli- che und motorische Entwicklung. Weil auch schwerstbehinderte und beatmete junge Menschen dort vom dritten Lebensjahr bis zum Ende der Schulpflicht Aufnahme finden, ist das Förderzentrum die einzige Einrichtung dieser Art in Oberfranken. Zu Schuljahresbeginn sind etwa 130 Kinder in die Förderschule ein- gezogen, 90 Kinder besuchen die Tagesstätte und 16 die schulvorbe- reitende Einrichtung. Dass die Schüler nach der Schule nicht au- ßer Haus gebracht werden müssen, sondern in ihrer gewohnten Umge- bung bleiben können, sei ein un- schätzbarer sozialer Vorteil. In die- ser ruhigen Atmosphäre, der Ver- trautheit der Personen und des Umfelds können sich die Kinder entspannen und entwickeln. > E.B. Einzigartiges Förderzentrum in Coburg „Klinik to go go?“ lautete das Thema beim jüngsten kbo-Fach- symposium in München. Dabei diskutierten Fachleute über die Strukturen, Schwerpunkte und Schnittstellen einer ambulanten Versorgung, die auch bei der Be- handlung von Menschen mit einer psychischen Erkrankung eine im- mer wichtigere Rolle spielt. Josef Mederer, Präsident des Bayeri- schen Bezirketags, stellte gleich zu Beginn klar, dass der Grundsatz „ambulant vor stationär“ keines- falls nur eine ökonomische Maxi- me zur Kostenbegrenzung sei. Für ihn stehe primär das Wohl der Pa- tienten im Vordergrund. Mederer sieht in der ambulanten Behand- lung viele Vorteile: „Die Anwesen- heit und Einbeziehung von Ange- hörigen, das unterstützende sozia- le Umfeld sowie die Möglichkeit, den Arbeitsalltag und das Leben in der eigenen Wohnung aufrechtzu- erhalten, sind für einen nachhalti- gen Therapierfolg und die gesell- schaftliche Teilhabe von unschätz- baren Wert“, betonte er. Die Psychiatrischen Institutsam- bulanzen (PIA) zielen dabei in ers- ter Linie darauf ab, stationäre Auf- nahmen zu vermeiden bzw. zu ver- kürzen. Jedoch steht dabei keines- falls eine schnellere und kosten- günstigere Gesundheitsversor- gung im Fokus, sondern eine pa- tientenorientiertere und bedarfs- gerechtere Weiterentwicklung von bereits vernetzten Strukturen. Die Zahlen sprechen hier für sich: Al- lein in den Jahren 2011 bis 2014 stiegen die PIA-Fallzahlen in den kbo-Kliniken von nicht ganz 45 000 auf rund 70 000. Im Jahr 2014 wurden zweieinhalbmal so viele Patienten ambulant behan- delt wie stationär. Obwohl die Nachfrage nach ambulanten Alter- nativen immer weiter steigt, ist eine flächendeckende Versorgung mit ambulanten Angeboten sowohl in Deutschland als auch in Bayern immer noch nicht ausreichend ge- währleistet. Hier müssen sich die Versorgungspartner und Leis- tungsträger vor Ort stärker vernet- zen. Denn besonders in den länd- lichen Regionen müssen die Ver- sorgungsstrukturen noch besser ausgebaut werden. Auch ausrei- chend finanzielle Rahmenbedin- gungen forderten die Fachleute auf dem Symposium. > M.K. Das Motto lautet „Klinik to go“ beim kbo-Symposium Hochschule München und kbo-Isar-Amper-Klinikum stimmen Ausbildungsinhalte für angehende Psychotherapeuten ab Theorie und Praxis greifen nahtlos ineinander Die Vorteile sprechen bereits auf den ersten Blick für sich: Mit dem staatlich anerkannten Insti- tut für Psychotherapie am kbo- Isar-Amper-Klinikum und der Hochschule München haben zwei ausgewiesene Experten eine Ko- operation beschlossen, die mit dem innovativen Ausbildungs- konzept für Psychologische Psy- chotherapeuten (Verhaltensthera- pie) Theorie und Praxis nahtlos aufeinander abstimmt und mitei- nander verknüpft. Adressaten der Ausbildung sind Psychologen mit Diplom oder Masterabschluss (Universität), die sich für ihren weiteren Berufsweg als Psycholo- gische Psychotherapeuten qualifi- zieren möchten. Die Hochschule München und das kbo-Isar-Amper-Klinikum be- treten damit bundesweit Neuland, denn die enge Verzahnung zwi- schen Theorie und Praxis ist ein- zigartig. Der Studiengang startete vor wenigen Wochen. Professor Gabriele Vierzigmann von der Hochschule München verweist auf „die langwierigen, manchmal auch zähen Verhandlungen und Ge- spräche“. Auch sei es nicht einfach gewesen, die Anforderungen der Regierung von Oberbayern zu er- füllen. Dass am Ende aber doch der gemeinsame Start gelungen sei, wäre auch ein Verdienst von Ge- schäftsführer Jörg Hemmersbach, der in schwierigen Situationen tragfähige Lösungen gefunden und den „gordischen Knoten“ mit Er- folg durchschlagen habe. Die Ko- operation habe viele Mütter und Väter, die über das vergangene Jahrzehnt engagiert an der inhalt- lichen Ausgestaltung gearbeitet hätten, betonte auch Professor Mi- chael Kortstock, Präsident der Hochschule. Auf die zahlreichen Vorteile für die Studenten wies die Ärztliche Direktorin des kbo-Isar-Amper- Klinikum, Professor Margot Al- bus, hin: „Dieses Angebot ist ein- zigartig, denn hier haben sich zwei Giganten zusammenge- schlossen, um ein gemeinsames Projekt zu schaffen.“ Besonders betonte Albus, dass zwei öffentli- che Einrichtungen Flagge zeigen gegenüber den privaten Fortbil- dungsträgern. „Das Ausbildungs- konzept ermöglicht uns eine enge Zusammenarbeot mit dem kbo- Isar-Amper-Klinikum München- Ost, einem der größten Fachkran- kenhäuser für Psychiatrie, Psy- chotherapie, psychosomatische Medizin und Neurologie in Deutschland“, freut sich Christi- ne Daiminger, ebenfalls von der Hochschule München und ver- antwortlich für den Studiengang, über die Zusammenarbeit. Diese ermögliche es, theoreti- sche und praktische Ausbildungs- inhalte nach den neuesten wissen- schaftlichen Standards zu integrie- ren. „Die Studenten profitieren zweifach: sie arbeiten eng mit den Patienten zusammen und sammeln somit bereits wertvolle Erfahrun- gen während der Ausbildung. Auch finanziell ist diese Ausbil- dung interessant, denn die jungen Leute bekommen pro Monat 1000 Euro vergütet“, betonte Albus. Hochqualifizierte Dozenten und Supervisoren sind ebenso gewähr- leistet wie eine effiziente Organisa- tion mit festen Ansprechpartnern und ein ausreichend hohes Patien- tenaufkommen für die praktische Ausbildung. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf der psycho- therapeutischen Arbeit im psychi- atrischen Kontext. Das wissen- schaftlich anerkannte Verfahren ist dabei die Verhaltenstherapie. > HENNER LÜTTECKE

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12 FREITAG, 4. DEZEMBER 2015 BAYERISCHER BEZIRKETAG BAYERISCHE STAATSZEITUNG NR. 49

VERÖFFENTLICHUNG DES BAYERISCHEN BEZIRKETAGS

VERANTWORTLICHfür beide Seiten:Bayerischer Bezirketag,Redaktion: Ulrich Lechleitner

Olaf Heinrich kochtmit HeimbewohnernchilischarfAuch 2015 hieß es wieder „Rol-lentausch“ – und das SozialteamHaus Isar in Landshut war bei derAktion, die Einblicke in die Arbeitsozialer Einrichtungen gibt, er-neut mit von der Partie. Zum ge-lungenen Abschluss der Wochefreuten sich das Team und die Be-wohner über den Besuch von OlafHeinrich. Der Präsident des nie-derbayerischen Bezirkstags nahmseine neue Rolle sofort an, mankochte gemeinsam ein herzhaft-scharfes Chiligericht. In offenerAtmosphäre wurde dabei vieleserörtert: Aktuelle Themen, wie dieInstallierung eines mobilen Kri-sendienstes; eine bessere Finan-zierung, um sich in Sachen Bil-dung, Freizeit, Arbeit und Woh-nen freier entwickeln zu können,oder auch die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.Zudem wurden die Ausbildungzum EX-IN Genesungsbegleitersowie die notwendige finanzielleFörderung thematisiert.

TEXT UND FOTO KNOTT

vorhandenen klinischen und am-bulanten Hilfsangebote nicht nurweiterhin vorzuhalten – und dort,wo es notwendig ist, auch auszu-bauen.

Darüber hinaus, so Mederer, seies Aufgabe der Bezirke, über ihrepolitischen Gremien und die Öf-fentlichkeitsarbeit nach außen zuvermitteln, dass psychische Er-krankungen kein Tabuthema mehrsein dürfen – und dass es hier eineerstklassige medizinische und the-rapeutische Hilfe gebe, die mit denMenschen für die Menschen ge-meinsam wirke. „Wenn wir immeraus guten Gründen sagen, dass wiruns als Anwalt der Schwächsten,der kranken Menschen und derMenschen mit Behinderungen ver-stehen, dann wird dieser Anspruchvor allem auch in unseren psychi-atrischen Einrichtungen mit Lebenerfüllt. Eine weitere Entstigmati-sierung der Psychiatrie bleibt des-halb für uns Auftrag und Verpflich-tung“, so Mederer.

Und Professor Freisleder er-gänzt: „Vieles wurde hier schon er-reicht. Aber es bleiben auch immernoch offene Fragen und Probleme,die etwa die Kinder- und Jugend-psychiatrie allein auch nicht be-wältigen kann, wenngleich vielesauch auf einem guten Weg ist, denwir, auch im Blick auf die neue gro-ße Aufgabe, der künftigen Betreu-ung und Behandlung von unbeglei-teten traumatisierten Kinder- undJugendlichen Flüchtlingen, nur ge-meinsam werden gehen können.“> ULRICH LECHLEITNER

heit, vor allem in der ohnehinschwierigen Phase der Pubertät.Daher überrasche es nicht, dassKinder von Alleinerziehendenhäufiger für bestimmte Erkrankun-gen anfällig seien als Kinder, derenEltern nicht getrennt lebten.

Weitere Faktoren: Eine wach-sende Armut und die Herausfor-derung, die die Migration mit sichbringe. Zusätzlich treten neueKrankheitsbilder wie Computer-oder Internetsucht auf, die nachganz neuen Behandlungskonzep-ten verlangten. Man sei hier zwarauf einem erfolgversprechendenWeg, gleichwohl bleibe viel zutun. „Unser bewusst gehaltenesniederschwelliges Angebot in un-seren Einrichtungen erleichtere esheute, dass Eltern weniger Berüh-rungsängste haben, sich an uns zuwenden, als noch vor Jahren. Da-durch können wir nicht nur be-stimmte Erkrankungen von Kin-dern frühzeitiger erkennen, son-dern auch besser und nachhaltigerhelfen“, so Freisleder.

Für den Präsidenten des Bayeri-schen Bezirketags, Josef Mederer,stellt das Anwachsen an Fallzah-len sowohl im erwachsenen wieauch im kinder- und jugendpsy-chiatrischen Bereich ebenso eine„gewaltige Aufgabe“ für die drittekommunale Ebene und deren Ein-richtungen dar. Depressionen bei-spielsweise könnten jeden Men-schen zu jeder Zeit in seinem Le-ben treffen. Das müsse man sichbewusst machen und ehrlich ein-gestehen. Umso mehr gelte es, alle

Warum aber ist so ein derartigerAnstieg der Fallzahlen zu beobach-ten? Eine Ursache dafür liege, soFreisleder, sicher darin, dass in frü-heren Zeiten die Familien viele in-terne Probleme allein lösten unddadurch ihren Kindern Halt undStabilität in ihrem Reifungsprozessvermitteln konnten. Diese Kon-stante fehle heute immer mehr.Denn das Netzwerk einer klassi-schen Familie gehe verloren;Scheidung oder Trennung der El-tern bedeute für die meisten Ju-gendlichen einen erheblichen Ver-lust an Orientierung und Sicher-

leiden über 20 Prozent inzwischenunter sogenannten psychischenBelastungsstörungen. Rund sechsProzent davon seien ernsthaft er-krankt, was eine oft lange undlangwierige Behandlung erfordert;stationär oder ambulant.

Rund 1,9 Millionen Berufstätigein Deutschland waren im letztenJahr von einer depressiven Episo-de betroffen. Fachleute betonen,dass sich die Zahl der Fehltage aufGrund seelischer oder psy-chischer Krankheitsbilder seitdem Jahre 1997 verdreifacht habe.Die meisten Krankschreibungen,so sagen es unterschiedliche Sta-tistiken, betreffen dabei den Be-reich der Depressionen in ihrenunterschiedlichsten Ausprägun-gen.

„Das ist ein Zuwachs, demauch wir uns mit unseren thera-peutischen und medizinischenAngeboten verstärkt stellen müs-sen“, betont Mittelfrankens Be-zirkstagspräsident RichardBartsch, der sich seit vielen Jah-ren mit dieser Thematik intensivbefasst.

Professor Franz Joseph Freisle-der, der Direktor der HeckscherKlinik für Kinder- und Jugendpsy-chiatrie in München, erinnert indiesem Zusammenhang daran,dass auch Heranwachsende vondieser Entwicklung immer häufi-ger betroffen seien. Die Ursachendafür seien „multikausal“. Auchunter Kindern und Jugendlichen

Depressionen und andere psychische Belastungsstörungen nehmen zu

„Oberstes Gebot: Entstigmatisieren“Auch in Bayern erkranken immer mehr Menschen an einerDepression und leiden dann meist viele Jahre daran – nachBerechnungen der Krankenkassen angeblich bereits jeder20. Arbeitnehmer. Das stellt die Bezirke und ihrepsychiatrischen Kliniken und Institutsambulanzen vorgroße Herausforderungen.

Seit 1997 haben sich die Krankschreibungen aufgrund psychischer Störun-gen verdreifacht. FOTO DPA

„Sie haben hier in Coburg einFörderzentrum geschaffen, auf dasganz Oberfranken stolz seinkann“, lautete das Resümee des Be-zirkstagspräsidenten GüntherDenzler am Ende seines Besuchesim neu errichteten Förderzentrumdes Vereins Hilfe für das behinder-te Kind Coburg . Der Verein mit sei-nem Schulförderzentrum und heil-pädagogischen Einrichtungen be-treut Kinder und Jugendliche mitdem Förderschwerpunkt körperli-che und motorische Entwicklung.Weil auch schwerstbehinderte undbeatmete junge Menschen dortvom dritten Lebensjahr bis zumEnde der Schulpflicht Aufnahmefinden, ist das Förderzentrum dieeinzige Einrichtung dieser Art inOberfranken.

Zu Schuljahresbeginn sind etwa130 Kinder in die Förderschule ein-gezogen, 90 Kinder besuchen dieTagesstätte und 16 die schulvorbe-reitende Einrichtung. Dass dieSchüler nach der Schule nicht au-ßer Haus gebracht werden müssen,sondern in ihrer gewohnten Umge-bung bleiben können, sei ein un-schätzbarer sozialer Vorteil. In die-ser ruhigen Atmosphäre, der Ver-trautheit der Personen und desUmfelds können sich die Kinderentspannen und entwickeln. > E.B.

EinzigartigesFörderzentrumin Coburg

„Klinik to go go?“ lautete dasThema beim jüngsten kbo-Fach-symposium in München. Dabeidiskutierten Fachleute über dieStrukturen, Schwerpunkte undSchnittstellen einer ambulantenVersorgung, die auch bei der Be-handlung von Menschen mit einerpsychischen Erkrankung eine im-mer wichtigere Rolle spielt. JosefMederer, Präsident des Bayeri-schen Bezirketags, stellte gleich zuBeginn klar, dass der Grundsatz„ambulant vor stationär“ keines-falls nur eine ökonomische Maxi-me zur Kostenbegrenzung sei. Fürihn stehe primär das Wohl der Pa-tienten im Vordergrund. Mederersieht in der ambulanten Behand-lung viele Vorteile: „Die Anwesen-heit und Einbeziehung von Ange-hörigen, das unterstützende sozia-le Umfeld sowie die Möglichkeit,den Arbeitsalltag und das Leben inder eigenen Wohnung aufrechtzu-erhalten, sind für einen nachhalti-gen Therapierfolg und die gesell-schaftliche Teilhabe von unschätz-baren Wert“, betonte er.

Die Psychiatrischen Institutsam-bulanzen (PIA) zielen dabei in ers-ter Linie darauf ab, stationäre Auf-nahmen zu vermeiden bzw. zu ver-kürzen. Jedoch steht dabei keines-falls eine schnellere und kosten-günstigere Gesundheitsversor-gung im Fokus, sondern eine pa-tientenorientiertere und bedarfs-gerechtere Weiterentwicklung vonbereits vernetzten Strukturen. DieZahlen sprechen hier für sich: Al-lein in den Jahren 2011 bis 2014stiegen die PIA-Fallzahlen in denkbo-Kliniken von nicht ganz45 000 auf rund 70 000. Im Jahr2014 wurden zweieinhalbmal soviele Patienten ambulant behan-delt wie stationär. Obwohl dieNachfrage nach ambulanten Alter-nativen immer weiter steigt, ist eineflächendeckende Versorgung mitambulanten Angeboten sowohl inDeutschland als auch in Bayernimmer noch nicht ausreichend ge-währleistet. Hier müssen sich dieVersorgungspartner und Leis-tungsträger vor Ort stärker vernet-zen. Denn besonders in den länd-lichen Regionen müssen die Ver-sorgungsstrukturen noch besserausgebaut werden. Auch ausrei-chend finanzielle Rahmenbedin-gungen forderten die Fachleute aufdem Symposium. > M.K.

Das Motto lautet„Klinik to go“ beimkbo-Symposium

Hochschule München und kbo-Isar-Amper-Klinikum stimmen Ausbildungsinhalte für angehende Psychotherapeuten ab

Theorie und Praxis greifen nahtlos ineinanderDie Vorteile sprechen bereits

auf den ersten Blick für sich: Mitdem staatlich anerkannten Insti-tut für Psychotherapie am kbo-Isar-Amper-Klinikum und derHochschule München haben zweiausgewiesene Experten eine Ko-operation beschlossen, die mitdem innovativen Ausbildungs-konzept für Psychologische Psy-chotherapeuten (Verhaltensthera-pie) Theorie und Praxis nahtlosaufeinander abstimmt und mitei-nander verknüpft. Adressaten derAusbildung sind Psychologen mitDiplom oder Masterabschluss(Universität), die sich für ihrenweiteren Berufsweg als Psycholo-gische Psychotherapeuten qualifi-zieren möchten.

Die Hochschule München unddas kbo-Isar-Amper-Klinikum be-treten damit bundesweit Neuland,denn die enge Verzahnung zwi-schen Theorie und Praxis ist ein-zigartig. Der Studiengang startetevor wenigen Wochen. ProfessorGabriele Vierzigmann von derHochschule München verweist auf„die langwierigen, manchmal auchzähen Verhandlungen und Ge-spräche“. Auch sei es nicht einfachgewesen, die Anforderungen derRegierung von Oberbayern zu er-füllen. Dass am Ende aber doch dergemeinsame Start gelungen sei,wäre auch ein Verdienst von Ge-schäftsführer Jörg Hemmersbach,der in schwierigen Situationentragfähige Lösungen gefunden und

den „gordischen Knoten“ mit Er-folg durchschlagen habe. Die Ko-operation habe viele Mütter undVäter, die über das vergangeneJahrzehnt engagiert an der inhalt-lichen Ausgestaltung gearbeitethätten, betonte auch Professor Mi-chael Kortstock, Präsident derHochschule.

Auf die zahlreichen Vorteile fürdie Studenten wies die ÄrztlicheDirektorin des kbo-Isar-Amper-Klinikum, Professor Margot Al-bus, hin: „Dieses Angebot ist ein-zigartig, denn hier haben sichzwei Giganten zusammenge-schlossen, um ein gemeinsamesProjekt zu schaffen.“ Besondersbetonte Albus, dass zwei öffentli-che Einrichtungen Flagge zeigen

gegenüber den privaten Fortbil-dungsträgern. „Das Ausbildungs-konzept ermöglicht uns eine engeZusammenarbeot mit dem kbo-Isar-Amper-Klinikum München-Ost, einem der größten Fachkran-kenhäuser für Psychiatrie, Psy-chotherapie, psychosomatischeMedizin und Neurologie inDeutschland“, freut sich Christi-ne Daiminger, ebenfalls von derHochschule München und ver-antwortlich für den Studiengang,über die Zusammenarbeit.

Diese ermögliche es, theoreti-sche und praktische Ausbildungs-inhalte nach den neuesten wissen-schaftlichen Standards zu integrie-ren. „Die Studenten profitierenzweifach: sie arbeiten eng mit den

Patienten zusammen und sammelnsomit bereits wertvolle Erfahrun-gen während der Ausbildung.

Auch finanziell ist diese Ausbil-dung interessant, denn die jungenLeute bekommen pro Monat 1000Euro vergütet“, betonte Albus.Hochqualifizierte Dozenten undSupervisoren sind ebenso gewähr-leistet wie eine effiziente Organisa-tion mit festen Ansprechpartnernund ein ausreichend hohes Patien-tenaufkommen für die praktischeAusbildung. Der inhaltlicheSchwerpunkt liegt auf der psycho-therapeutischen Arbeit im psychi-atrischen Kontext. Das wissen-schaftlich anerkannte Verfahrenist dabei die Verhaltenstherapie.> HENNER LÜTTECKE