revolutionsfolgen

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sich depressive Patienten von gesunden Kontrollpersonen un- terschieden. In den diagnostischen Kriterien habe sich dies mangels offensichtlicher klinischer Relevanz aber nicht nieder- geschlagen. „Es sieht so aus, als seien die Veränderungen kli- nisch nicht relevant“, so Kasper. Der Grund für diese Einschät- zung: Manche dieser biologischen Kennzeichen laufen quer zu den diagnostischen Kategorien, wie sie in Manualen wie dem DSM oder ICD vorgegeben sind. „Es scheint daher nur logisch zu sein, die Forschung über die phänotypischen Diagnosen hin- weg auf biologisch homogene Subtypen zu konzentrieren“, meinte Kasper. Dafür spricht nach Ansicht des Wiener Psychi- aters auch die pharmakologische Erfahrung. Medikamente mit antidepressivem Profil würden eben nicht nur gegen Depressi- onen, sondern auch gegen Angststörungen, schizophrene Sym- ptome und Demenz wirken. Um die Biologie, die dem zugrun- de liegt, zu verstehen, empfiehlt er, spezifische Subtypen neu zu umreißender Krankheitsentitäten anhand von Biomarkern zu definieren und zu validieren. Damit würde zumindest nach bio- logisch-psychiatrischem Verständnis die Diagnostik vom Kopf auf die Füße gestellt: Nicht die Biologie müsste sich an der Psy- chopathologie, sondern umgekehrt die Psychopathologie an der Biologie orientieren. Aktuelle Ansätze Aktuelle Versuche, dieses Prinzip für die Depressionsforschung nutzbar zu machen, fokussieren – im Zusammenhang mit dem Phänomen der Anhedonie – auf die serotonergen Mechanismen der zentralen Belohnungssysteme. Bisher lag der Schwerpunkt in diesem Bereich auf der Erkundung der Dopamin- und Opi- oidsysteme. Pharmakologische Studien weisen nun aber darauf hin, dass Serotonin als fundamentaler Mediator emotionaler, motivationaler und kognitiver Aspekte der Belohnungsreprä- sentation fungiert. Für die Belohnungsverarbeitung ist es wo- möglich ebenso wichtig wie Dopamin. Auf eine Besonderheit der Serotonineffekte bei Depressio- nen verweist auch folgender, von Kasper betonter Umstand: Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer beeinflussen zwar die mentalen und sozialen sowie die Folgen für die Ar- beitsfähigkeit auch längerfristig positiv. Die körperlichen Be- schwerden depressiver Patienten – beispielsweise Schmerzen, Fatigue und Schlafstörungen – bessern sich indes i m Wesent- lichen nur i m ersten Monat der Einnahme, danach folgt ein Wirkplateau. Fortschritte von der Stratifizierung erho sich Kasper beim Problem der therapieresistenten Depression. Eine solche liegt vor, wenn mindestens zwei an sich adäquate Behandlungsver- suche fehlgeschlagen sind. Klar scheint zu sein, dass der meta- bolische Status gemäß den Polymorphismen des Gens für Cyto- chrom P450 nicht dazu taugt, Ansprech- und Remissionsraten für bestimmte Antidepressiva vorherzusagen. Bei einer Reihe anderer Gene sind hingegen signifikante Zusammenhänge mit dem erapieansprechen von Patienten mit Major-Depression gefunden worden, etwa bei Einzelnukleotid-Polymorphismen der Catechol-O-Methyltransferase ( COMT), die in den Kate- cholaminstoffwechsel eingreiſt. Therapie der Schizophrenie Für den Bereich der erapie von Schizophrenie ist es laut Pro- fessor Hans-Jürgen Möller , Universität München, ebenfalls we- nig sinnvoll, den Ausdruck „personalisierte Medizin“ zu gebrau- aktuell 49 In|Fo|Neurologie & Psychiatrie 2014; 16 (3) Gefährlicher Frühling Eine systematische Übersichtsarbeit der Publikationen zur Saisonalität der Suizidraten zeigt auf Nord- wie Südhalbkugel einen Gipfel der Suizidraten im Frühling und Frühsommer, selten – und dort vor allem bei Frauen – auch im Herbst. Da- bei scheint die Saisonalität mit dem Alter ausgeprägter zu wer- den. Nahe des Äquators ist keine Saisonalität berichtet. FK Verdura Vizcaino EJ et al. EPA-Kongress, München, 4.3.2014, Poster #090 Kiffen macht alt Cannabiskonsumenten könnten einer beschleunigten biologi- schen Alterung unterliegen. Eine Untersuchung der Univer- sität Cambridge belegt, dass Personen, die aktuell Cannabis konsumieren, gegenüber früheren Konsumenten und Proban- den, die nie Cannabis konsumiert haben, signifikant höhere Eotaxin1-Werte (CCL11) aufweisen, ein Sekretionsprodukt von Immunzellen, das unter anderem bei der biologischen Al- terung eine Rolle zu spielen scheint. Die Level des Biomarkers entsprachen denen etwa 30 Jahre älterer Menschen. FK Scoriels L et al. EPA-Kongress, München, 4.3.2014, Poster #028 Männer schlafen anders Eigentlich wollten Forscher vom Max-Planck-Institut für Psy- chiatrie, München, den Einfluss des Einzelnukleotidpolymor- phismus (SNP) rs2032583 des ABCB1-Gens beim Effekt von Escitalopram auf den Schlaf nachweisen, mit dem Ziel einer in- dividualisierten erapie. Carrier und Nicht-Carrier hatten je- doch die gleiche verkürzte REM-Phase unter Escitalopram. Al- lerdings zeigte sich ein geschlechtsabhängiger Effekt des Gen- polymorphismus. Die männlichen Carrier wiesen längere Wachzeiten und kürzere REM-Schlafphasen in der Polysom- nografie auf als die Non-Carrier. Geschlechtsspezifische Un- terschiede in der Schlafregulation sind eher Regel als Ausnah- me. So verbessert beispielsweise Renin bei Männern den Schlaf, bei Frauen nicht. Nun gilt es, die physiologische Rolle des Gen- produkts „P-Glykoprotein“ für den Schlaf zu ergründen. FK Vortrag T. Sobow, Free Communication Session 8: Treatment. EPA-Kongress, München, 4.3.2014 Revolutionsfolgen In einer tunesischen Klinik stellten sich 2012 – nach der Re- volution – deutlich mehr Patienten mit einer Abhängigkeit von hochdosiertem Buprenorphin vor als 2010. Dabei war der Anteil der Arbeitslosen und ehemaligen Gefängnisinsassen an den Abhängigen deutlich angestiegen, ebenso der Anteil an Patienten mit Depressionen. Der nach der Revolution kaum kontrollierte Drogenhandel führt wohl zu dieser Zu- nahme, vermuten die Autoren. FK Belarbi A et al. EPA-Kongress, München, 4.3.2014, Poster #004

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Page 1: Revolutionsfolgen

sich depressive Patienten von gesunden Kontrollpersonen un-terschieden. In den diagnostischen Kriterien habe sich dies mangels o� ensichtlicher klinischer Relevanz aber nicht nieder-geschlagen. „Es sieht so aus, als seien die Veränderungen kli-nisch nicht relevant“, so Kasper. Der Grund für diese Einschät-zung: Manche dieser biologischen Kennzeichen laufen quer zu den diagnostischen Kategorien, wie sie in Manualen wie demDSM oder ICD vorgegeben sind. „Es scheint daher nur logisch zu sein, die Forschung über die phänotypischen Diagnosen hin-weg auf biologisch homogene Subtypen zu konzentrieren“, meinte Kasper. Dafür spricht nach Ansicht des Wiener Psychi-aters auch die pharmakologische Erfahrung. Medikamente mit antidepressivem Pro� l würden eben nicht nur gegen Depressi-onen, sondern auch gegen Angststörungen, schizophrene Sym-ptome und Demenz wirken. Um die Biologie, die dem zugrun-de liegt, zu verstehen, emp� ehlt er, spezi� sche Subtypen neu zu umreißender Krankheitsentitäten anhand von Biomarkern zu de� nieren und zu validieren. Damit würde zumindest nach bio-logisch-psychiatrischem Verständnis die Diagnostik vom Kopf auf die Füße gestellt: Nicht die Biologie müsste sich an der Psy-chopathologie, sondern umgekehrt die Psychopathologie an der Biologie orientieren.

Aktuelle AnsätzeAktuelle Versuche, dieses Prinzip für die Depressionsforschung nutzbar zu machen, fokussieren – im Zusammenhang mit demPhänomen der Anhedonie – auf die serotonergen Mechanismen der zentralen Belohnungssysteme. Bisher lag der Schwerpunkt in diesem Bereich auf der Erkundung der Dopamin- und Opi-oidsysteme. Pharmakologische Studien weisen nun aber darauf hin, dass Serotonin als fundamentaler Mediator emotionaler, motivationaler und kognitiver Aspekte der Belohnungsreprä-sentation fungiert. Für die Belohnungsverarbeitung ist es wo-möglich ebenso wichtig wie Dopamin.

Auf eine Besonderheit der Serotonine� ekte bei Depressio-nen verweist auch folgender, von Kasper betonter Umstand: Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer beein� ussen zwar die mentalen und sozialen sowie die Folgen für die Ar-beitsfähigkeit auch längerfristig positiv. Die körperlichen Be-schwerden depressiver Patienten – beispielsweise Schmerzen, Fatigue und Schlafstörungen – bessern sich indes im Wesent-lichen nur im ersten Monat der Einnahme, danach folgt ein Wirkplateau.

Fortschritte von der Strati� zierung erho� sich Kasper beimProblem der therapieresistenten Depression. Eine solche liegt vor, wenn mindestens zwei an sich adäquate Behandlungsver-suche fehlgeschlagen sind. Klar scheint zu sein, dass der meta-bolische Status gemäß den Polymorphismen des Gens für Cyto-chrom P450 nicht dazu taugt, Ansprech- und Remissionsraten für bestimmte Antidepressiva vorherzusagen. Bei einer Reihe anderer Gene sind hingegen signi� kante Zusammenhänge mit dem � erapieansprechen von Patienten mit Major-Depression gefunden worden, etwa bei Einzelnukleotid-Polymorphismen der Catechol-O-Methyltransferase (COMT), die in den Kate-cholaminsto� wechsel eingrei� .

Therapie der SchizophrenieFür den Bereich der � erapie von Schizophrenie ist es laut Pro-fessor Hans-Jürgen Möller, Universität München, ebenfalls we-nig sinnvoll, den Ausdruck „personalisierte Medizin“ zu gebrau-

aktuell

49In|Fo|Neurologie & Psychiatrie 2014; 16 (3)

Gefährlicher Frühling

Eine systematische Übersichtsarbeit der Publikationen zur Saisonalität der Suizidraten zeigt auf Nord- wie Südhalbkugel einen Gipfel der Suizidraten im Frühling und Frühsommer, selten – und dort vor allem bei Frauen – auch im Herbst. Da-bei scheint die Saisonalität mit dem Alter ausgeprägter zu wer-den. Nahe des Äquators ist keine Saisonalität berichtet. FK

Verdura Vizcaino EJ et al. EPA-Kongress, München, 4.3.2014, Poster #090

Kiff en macht alt

Cannabiskonsumenten könnten einer beschleunigten biologi-schen Alterung unterliegen. Eine Untersuchung der Univer-sität Cambridge belegt, dass Personen, die aktuell Cannabis konsumieren, gegenüber früheren Konsumenten und Proban-den, die nie Cannabis konsumiert haben, signi� kant höhere Eotaxin1-Werte (CCL11) aufweisen, ein Sekretionsprodukt von Immunzellen, das unter anderem bei der biologischen Al-terung eine Rolle zu spielen scheint. Die Level des Biomarkers entsprachen denen etwa 30 Jahre älterer Menschen. FK

Scoriels L et al. EPA-Kongress, München, 4.3.2014, Poster #028

Männer schlafen anders

Eigentlich wollten Forscher vom Max-Planck-Institut für Psy-chiatrie, München, den Ein� uss des Einzelnukleotidpolymor-phismus (SNP) rs2032583 des ABCB1-Gens beim E� ekt von Escitalopram auf den Schlaf nachweisen, mit dem Ziel einer in-dividualisierten � erapie. Carrier und Nicht-Carrier hatten je-doch die gleiche verkürzte REM-Phase unter Escitalopram. Al-lerdings zeigte sich ein geschlechtsabhängiger E� ekt des Gen-polymorphismus. Die männlichen Carrier wiesen längere Wachzeiten und kürzere REM-Schlafphasen in der Polysom-nogra� e auf als die Non-Carrier. Geschlechtsspezi� sche Un-terschiede in der Schlafregulation sind eher Regel als Ausnah-me. So verbessert beispielsweise Renin bei Männern den Schlaf, bei Frauen nicht. Nun gilt es, die physiologische Rolle des Gen-produkts „P-Glykoprotein“ für den Schlaf zu ergründen. FK

Vortrag T. Sobow, Free Communication Session 8: Treatment. EPA-Kongress, München, 4.3.2014

Revolutionsfolgen

In einer tunesischen Klinik stellten sich 2012 – nach der Re-volution – deutlich mehr Patienten mit einer Abhängigkeit von hochdosiertem Buprenorphin vor als 2010. Dabei war der Anteil der Arbeitslosen und ehemaligen Gefängnisinsassen an den Abhängigen deutlich angestiegen, ebenso der Anteil an Patienten mit Depressionen. Der nach der Revolution kaum kontrollierte Drogenhandel führt wohl zu dieser Zu-nahme, vermuten die Autoren. FK

Belarbi A et al. EPA-Kongress, München, 4.3.2014, Poster #004