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  • Berhmte Musiker

    LEBENS- UND CHARAKTERBILDERXEBST

    EINFHRUNG IN DIE WERKE DER MEISTER

    HERAUSGEGEBEN

    VON

    HEINRICH REIMANN

    XVI

    FREDERIC CHOPIN

  • In gleicher Ausstattung wie vorliegender Band erschienen:

    Johannes Brahms. Von Prof. Dr. H. Reimann, III. Aufl.G. Fr. Haendel. Von Prof. Dr. Fritz Volbach.Joseph Haydn. Von Dr. phil. Leopold Schmidt.Carl Loewe. Von Prof. Dr. Heinrich Bulthaupt.C. Maria v. Weber. Von Dr. phil. H. Gehrmann.Cam. Saint-Saens. Von Dr. phil. Otto Neitzel.Albert Lortzing Von Kapellmeieter G. R. Kruse.Adolf Jensen. Von Arnold Niggli.Giuseppe Verdi. Von Carlo PerineUo.Johann Strauss. Von Rud. Freiherrn Prochzka. II. Aufl.Peter Tschaikowsky. Von Prof. Iwan Knorr.Heinrich Marschner. Von Dr. Georg Mnzer.Franz Schubert. Von Prof. Richard Heuberg er.L. van Beethoven. Von Theodor von Frimmel. II. Aufl.Robert Schumann. Von Hermann Abert.

    Mit Kunst-beilagen

    Prof. Max Klinger,Melchior Lechter,Sascha Schneider,Prof. Franz Stuck,Prof. Julius Grn,Oskar Zwintscher,Prof. Hanns Fechner,Prof. Scomparini,Prof. Franz Lenbach,Prof. Tilgner,J. Schbel u. A.

    Mit vielen PortraitsOriginal-Abbild-

    dungen, Facsimilesetc.

    Weitere Bnde in Vorbereitung.

    VERLAGSGESELLSCHAFT HARMONIE IN BERLIN W. 35.

    (Gedruckt bei J. S. Preuss, Berlin S.W.)

  • Digitized by the Internet Archive

    in 2011 with funding from

    University of Toronto

    http://www.archive.org/details/frdricchopinOOIeic

  • Nach dem Bilde von Stattler nach Ary Scheuer.

    Mit Genehmigung der Fhotographischen Gcseschafl, Berlin.

    .t'K^ddric ( hopi', ,Heiiihiii>.p .Musiker'", l^aiul XVI.

    Verl.ig ^llarmojc", licrlin. Lichtdruckv, W. Ncuniaon & Co , lUrlin S\V. OS

  • FRfiDtRic Chopin

    VON

    Hugo Leichtentritt

    BERLIN 1905

    HARMONIE"VERLAGSGESELLSCHAFT FR LITERATUR UND KUNST

  • Alle Rechte,

    besonders das der Uebersetzung

    vorbehalten.

    {"iL

  • VORWORT.Bis vor kurzer Zeit galt Niecks' i) zweibndige Chopin-Biographie als Ende

    der Chopin-Litteratur, weil es schien, als ob neue, von Niecks unbenutzte Quellenvon Bedeutung sich nicht mehr wrden auffinden lassen. Ganz unerwartetjedoch ist in den letzten Jahren viel neues, wichtiges Material ber Chopinbekannt geworden. Niecks' Werk ist vielfach berholt worden durch FerdinandHoesicks Chopin-Biographie,-) von der bis jetzt nur der erste Teil vorliegt. Eindicker Band von fast 900 Seiten beschftigt sich mit Chopins Leben bis zum2 2. Jahr. Man ermesse die Flle des Stoffes! Zudem ist in polnischen Zeit-schriften und anderwrts verstreut in den letzten Jahren im einzelnen sehr vielneues Material herbeigeschafft worden. Das vollstndige Verzeichnis derneuerer, polnischen Beitrge zur Chopin-Literatur findet man in Hoesicks BuchSeite NLMll. Endlich hat Karlowicz^) 1904 einen Band von ca. 400 Seiten bisdahin unbekannter Briefe von und an Chopin herausgegeben, die auf vieleEreignisse in Chopins Leben ein ganz neues Licht werfen und eine Mengeneuer Information enthalten. Ich hatte das Glck, alle diese neuen, bedeutsamenFunde zu der vorliegenden Arbeit benutzen zu knnen, war aber allerdingsgentigt, bei dem mir zugemessenen, verhltnismssig geringen Raum ausder Ueberflle des Materials viele Einzelheiten fortzulassen und mich auf dasWesentlichste zu beschrnken.

    Was die lteren Quellen betrifft, so ist Karasowski"s Buch,^) auf das Nieckssich vielfach sttzte, durch Niecks keineswegs berflssig gemacht worden-Wichtig sind in Karasowski's Buch allerdings nur die Briefe von Chopin, dieer mitteilt. Sie sind fr einige Abschnitte der Biographie, wie z. B. den Aufent-halt in Wien, fast die einzige Quelle. Freilich muss daran erinnert werden,dass Karasowski, wie Hoesick beweist, Chopins Worte oft im Ausdruck ge-mildert, poliert, stilisiert, manches auch falsch gelesen und so manchmal denSinn entstellt hat. Der eigentmlich sprunghafte, ungeschliffene, gelegentlichderbe Briefstil Chopins kommt in seiner Uebersetzung nicht klar genug zumVorschein. Sie ist nur annhernd dem Wortlaut entsprechend. Eine besseredeutsche Uebersetzung existiert jedoch nicht, berdies sind die polnischen Briefein ihrer Originalfassung in Deutschland sehr schwer aufzutreiben. Es ist daherauch hier Karasowski noch vielfach herangezogen worden, aber mit Vorsicht, unddie Citate nach ihm sind, wo immer mglich, nach den polnischen Originalen

    ^) Frederick Chopin as a man and musician. By Frederick Niecks. 2 Bde. London &New York, Novelle, Ewer & Co., 1888. (Deutsche Uebersetzung von Wilhelm Langhans.Leipzig, Leuckart 1890. 2 Bde )

    2) Ferdynand Hoesick: Chopin zycie i twrczosc (Leben und Werke). Band 1. (1810

    1831). Warschau, F. Hoesick 1904.^) Mieczyslaw Karlowicz : Niewydane dotychczas Pamiatki po Chopinie. Warschau,

    Jan Fiszer, 1904. (Bis jetzt ungedruckte Erinnerungen an Chopin"). Ein Auszug daraus in

    franzsischer Uebersetzung in der Revue musicale, Paris 1903,4.*) Friedrich Chopin. Sein Leben und seine Biiefe. Von Moritz Karasowski. Dresden,

    F. Ries, 1878.

  • sorgfltig kontroliert worden. Auch Liszt's Buch^) ist benutzt worden. Es istzwar als Biographie unbrauchbar, hat aber den grossen Vorzug, dass es v^oneinem Manne geschrieben ist, der Chopin nahe stand, und der als Freund denZauber der Persnlichkeit Chopins, als Kunstgenosse den Geist ChopinscherKunst dem Leser nahe zu bringen verstand. Ein in Deutschland beinahe un-bekanntes, auch \ on Niecks nicht benutztes Werk ist eine kleine Skizze vonTarnowski, die wertvolle Beitrge zur Charakteristik Chopins liefert. Esexistiert davon eine englische Uebersetzung von Natalie Janotha, die im LondonMusical Courier" (20. Juli bis 28. Sept. 18991 verffentlicht worden ist. Vieleandere Quellenwerke sind hier und da ausserdem noch herangezogen worden.Nachweis darber wird an den betreffenden Stellen gegeben werden.

    Es sei nun in Krze angegeben, welcher Zuwachs an Kenntnissenden neuen Quellen zu verdanken ist. Zunchst ist ber die Warschauer Zeitbis 1830 ein sehr reiches, Niecks ganz unbekanntes Material hinzugekommen.Niecks hatte keinen Zutritt zu polnischen Quellen und hatte so aus Mangelan Kenntnis aus erster Hand das polnische Milieu vielfach falsch und unzu-lnglich geschildert. Ueber Chopins Schulzeit im Lyceum, ber die musikalischenVerhltnisse, berhaupt das geistige Leben in Warschau sind wir jetzt aufsgenaueste unterrichtet. Ferner ist es jetzt ziemlich sicher, dass eine Reihebedeutender Kompositionen, wie ein grosser Teil der Etden, die Nocturnesop. 9 und 15, die G-moll-Ballade, das H-moll-Scherzo, die Mazurkas op. 6 und 7,einige Preludes, die meisten der chants polonais u. a. schon vor der PariserZeit, wenigstens der Skizze nach geschrieben waren. Man war bis jetzt all-gemein geneigt, fast alle diese Kompositionen in die ersten Pariser Jahre zuverlegen. Die Einzelheiten von Chopins Beziehungen zu Maria Wodzinska imJahre 1835 sind geklrt. Man vveiss jetzt, dass Chopin sich mit ihr frmlichverlobt hat, und aus welchen Ursachen die Verlobung zurckging, ist leichtersichtlich. Ueber die spteren Lebensjahre, besonders die letzte Zeit derBeziehungen zu George Sand, den Bruch des Verhltnisses und seine Ursachengeben die neuen Briefe viel wichtige Information. Sie bieten auch neue Beitrgezur Charakteristik von George Sand und Chopin. Eine Menge neuer inter-essanter Details ber die Pariser Zeit ist hinzugekommen.

    Was die Errterung der Kompositionen angeht, so habe ich mich bestrebt,wenigstens eine Seite der Chopin'schen Kunst sachlich genauer darzustellenals es bis jetzt geschehen war, nmlich d.e neuartige Harmonik Chopins.Freilich musste ich innerhalb der mir gezogenen Grenzen bleiben und konnteoft nur andeuten, wo ich gern tiefer auf den Gegenstand eingegangen wre.Er verdient eine besondere eingehende Untersuchung, die ich mir auf eineandere Gelegenheit aufspare.

    Endlich sei die angenehme Pflicht erfllt, allen denen Dank zu sagen,die mir bei meiner Arbeit mit Rat zur Seite standen, so ganz besonders HerrnProfessor Dr. Max Friedlnder in Berlin.

    Berlin, im Oktober 1904.Hugo Leichtentritt.

    ^) F. Chopin par F. Liszt. Nouvelle edition. Leipzig, Breitkopf & Haertel. 1879.(Deutsche Uebersetzung von Lina Ramann.)

  • Nebengebude zum Schloss Zelazowa Wola, Geburtsort von Chopin.

    JUGENDJAHRE.

    Die Stellung, die Frederic Chopin in der Kunstgeschichte einnimmt, isteine ganz aparte. Wo sonst in der Welt grosse Komponisten aufgetretenwaren, standen sie fast immer inmitten einer nationalen Kunst. In Deutsch-land, Italien, Frankreich, den Niederlanden, England, immer und berall wareine heimische Kunst, eine Tradition vorhanden. Anders in den slavischenLndern. Polen hatte eine Geschichte von vielen Jahrhunderten hinter sich,

    aber von einer nationalen Kunst der Musik ist nicht viel von Belang zu meldenFreilich wurde auch in Polen viel Musik getrieben. Viele polnische Musikerwerden genannt. Dennoch ist man gentigt, mehr von Musik in Polen, alsV01 polnischer Kunstmusik zu reden. Auslnder, vornehmlich Italiener undDeutsche waren es, die sich als Musiker in Polen hauptschlich auszeichneten.

    Von wahrhaft bedeutenden polnischen Meistern hren wir nichts, wenigstensim ganzen l8. Jahrhundert nichts.

    Aus der Schaar mittelmssiger Musiker seiner Nation tritt nun Chopinweit heraus. Als einziger seines Volkes wird er den grossen Meistern der

    Tonkunst zugerechnet. Unmittelbar vor ihm, wie nach ihm ragt kein Pole alsMusiker besonders hervor.

    Fehlte auch in Polen eine eigentliche nationale, knstlerische Tradition,

    so war doch ein Schatz von lebendiger Volksmusik, Tnzen und Liedern vor-handen, und so wurde der Mangel an eigener Kunstmusik einigermassen wiederwett gemacht. Chopin verstand es darin besteht ein Teil seiner Be-deutung die polnische Volksmusik allgemein gltig knstlerisch zu gestalten.Aus dem, was vor aller Augen offen dalag, wusste er allein Edelmetall zuprgen. Kaum ein moderner Musiker klebt so eng, so unmittelbar an der

  • 8 -

    heimischen Scholle, wie Chopin. Nicht auf \'orgngern fusste er, wie die Meisteranderer Nationen, nicht mhsam ber sie hinweg brauchte er sich den eigenenWeg zu bahnen er stand vollkommen unbefangen auf einem jungfrulichenBoden. So hat er auch keine Fortschritte gemacht ber die vor ihm, er hattenicht ntig, andere zu berholen, auf seinem Wege war eben noch keinergegangen. Dies mag vielleicht seine merkwrdige Frhreife und Ursprnglich-keit zum Teil erklren. Was er nachahmend von seinen Mustern, nicht

    Vorgngern, haupt-

    mmBBmm^-^.^WI-iipJM^liiWIL. -^^^^'S'^m^^BB sachlich von Hummel^" '-r^^^^^^M

    ^^^ Field bernahm,waren nur usser-

    liche Manieren, die erberraschend schnellso umwandelte, dasssie bald wie eigeneserscheinen.

    \'on den Biogra-phen wurde bis vorwenigen Jahren im-mer der I.Mrz 1809als Chopin's Geburts-tag angegeben. Wieaus einer Anzahl vonFamilienbriefen her-vorgeht, galt auchin der Chopin'schenFamilie und bei Cho-pin selbst der i.Mrzals Geburtstag. Trotz-

    dem haben archiva-lische Studien pol-nischer Forscher!) inden letzten Jahrenergeben, dass irgendein unaufgeklrtesMissverstndnis hierwalte, dass Chopinam 22. Februar 1810geboren ist, also einvolles Jahr jngerKind seiner Eltern,

    Die ltere Schwester,die jngste, Emilia,

    Glckwunsrhschreiben des 6jhrigen Chopin

    ist, als man gewhnlich annahm. Er war das zweitenicht, wie in allen Biographien zu lesen ist, das dritte.Luise, war 1807 geboren, die zweite, Isabella, 1811 i),

    1813. Seine frheste Jugend verbrachte Chopin in seinem Geburtsorte ZelazowaWola bei Warschau, dem Gute der grflich Skarbek'schen Familie, wo seinVater, Nikolaus Chopin, eine Stellung als Erzieher im grflichen Hause einnahm.Schon zum 1. Oktober 1810 jedoch siedelte die Chopin'sche Familie nachWarschau ber, nachdem Nikolaus Chopin eine Anstellung als Lehrer desFranzsischen am neuen L3xeum erhalten hatte.

  • Ueber Nikolaus Chopin-) wird berichtet, dass er am 17. August 1770in Xanc}' geboren wurde. Er stammte aus einer polnischen Emigrantenfamilie.Sein Grossvater soll aus Polen nach Frankreich gekommen sein. StanislausLeszczinski, 17041709 Knig von Polen, residierte spter als Herzog vonLothringen und Bar lange Jahre in Nancy, und so ist es erklrlich, dass vielePolen gerade nach Nancy gezogen wurden. Gegen 1787 kam Nikolaus Chopinnach Polen, wie berichtet wird als Buchhalter mit einem Franzosen, der inWarschau eine Tabak -Manufaktur begrndete. In die ersten Jahre seinesWarschauer Aufenthaltes fielen die Wirren, die mit der zweiten und drittenTeilung Polens (1793 und 95) ihr vorlufiges Ende erreichten. Chopin schlosssich der allgemeinen Erhebung unter Kosciuszko an, diente in der Brgergardeund brachte es bis zum Kapitn. Spter erteilte er Unterricht im Franzsischen,nahm Hauslehrerstellen an und kamschliesslich zu den Skarbeks nachZelazowa-Wola. In dieser Stellungmachte er die Bekanntschaft einesjungen Mdchens aus verarmterAdelsfamilie, Justina Krzyzanowska,die er im Jahre 1806 heiratete.

    Schon als ganz kleines Kind^jzeigte Frederic eine abnorme Em-pfnglichkeit fr Musik, die sichfreilich zunchst darin usserte, dasser beim Hren von Musik zu weinenbegann. Frh hatte er eine solcheVorliebe fr das Klavier, dass dieEltern beschlossen, ihm zusammenmit seiner lteren Schwester Klavier-unterricht geben zu lassen. AlsLehrer whlten sie Adalbert Zywny*),der sich in Warschau einen gutenRuf erworben hatte. Wie alt Chopinwar, als er den ersten regelrechtenUnterricht erhielt, wird nirgends mit-geteilt. Doch ist es sicher, dass er schon im Alter von 8 Jahren zum ersten Mal mitgrossem Erfolg ffentlich als Pianist auftrat. Das Debt fand am 24. Februar 1818statt, bei Gelegenheit eines Wohlttigkeitsfestes. Der kleine Chopin spielte einKonzert von Gyrowetz, einem damals beliebten VV^iener Komponisten. Ueberden Unterricht, den Z3'wny dem jungen Chopin erteilte, wissen wir nicht viel.Er galt als Anhnger der klassischen deutschen Schule; man wird wohl nichtirre gehen in der Annahme, dass Chopin bei ihm das wohltemperirte Klavier,vielleicht auch Suiten u. a. von Bach spielte, wie auch Sonaten von Haydn,Mozart, Beethoven, Hummel, Gyrowetz, Ries, Field, Etden von Cramer undClementi. Ein ganz hnliches Repertoire studierte Chopin spter seinen Schlernwhrend der ersten Studienzeit als Grundlage fr die hhere Virtuositt ein.

    Wie gut der Knabe schon damals in den besten Warschauer Kreisenbekannt war, geht daraus hervor, dass einer der bedeutendsten MnnerWarschau's, Ursin Niemczewiz, als Schriftsteller und Politiker hervorragend,es war, der ihn zur Teilnahme am Konzert einlud. Als neunjhriges Kind war

    Adalbert Zywny, Klavierlehrer Chopins.(Such einem OelhUd von JJiro.-zeunki.)

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    er in den aristokratischen Salons von Warschau ganz heimisch, und dieserfrhe Umgang mit den hchsten Gesellschaftskreisen gab ihm wohl den Schliffder Manieren, die weltmnnische Eleganz, die ihn zeitlebens auszeichneten,bestrkte zweifellos die ihm wohl angeborenen aristokratischen Neigungen.Eine Menge Namen der ersten Huser werden genannt, in denen der kleineChopin verkehrte: die Frsten Czartoryski, Sapieha, Czetwertynski. Radziwill,Lubecki, die Grafen Skarbek, Wolicki, Hussarzewski und viele andere ludenihn oft zu sich. Im Salon der Frstin Czetwerty ska machte er auch die Be-kanntschaft der Frstin Lowicka, geborenen Grfin Grudzinska, der Gattin desgefrchteten Grossfrsten Konstantin. Die Polen brachten der schnen Frauschwrmerische Verehrung entgegen wegen des Einflusses, den sie zu Gunstenihrer Landsleute auf ihren Gemahl, den Statthalter von Polen, ausbte. Nichtselten geschah es, dass eine vierspnnige Hofequipage vor Nicolaus Chopin'sHaus hielt, um den kleinen Frederic rrit dem kleinen Paul, unehelichen Sohndes Grossfrsten und seinem Gouverneur, dem Grafen MorioUes zu einer

    Spazierfahrt aufzu-nehmen. Bei derF'rstin Lowicka trafChopin auch denGrossfrsten undspielte oft in dessenGegenwart. Eine sei-ner ersten Komposi-tionen, einen Marsch,der spter ohne Cho-pin'sNamen gedrucktwurde, widmete erdem Grossfrsten

    ,

    und dieser nahm dieWidmung des zehn-jhrigen Knaben an

    und Hess den Marsch oft von der Militr -Musik spielen.Auch durch sein Improvisationstatent hatte sich der Knabe schon einen

    Ruf verschafft. Seine kompositorische Begabung war auffallend gross ; schonbevor er irgend welchen theoretischen Unterricht empfangen hatte, versuchteer sich in allerlei Stckchen. So existiert z. B. noch eine Polonaise^), die erals achtjhriger komponiert hat. Als Pianist entwickelte er sich so rasch, dasssein Lehrer Z\'wny die Stunden einstellte, als sein Zgling 12 Jahre alt war.Er konnte ihm nichts mehr beibringen und meinte, der Knabe knne sichweiterhin ohne Gefahr selbst berlassen bleiben. Einen anderen Klavierlehrerhat Chopin nicht mehr gehabt.

    Trotz aller Erfolge als Musiker sollte Chopin nach des Vaters Wunschdennoch nicht von vornherein ausschliesslich zur Kunst erzogen werden. DerVater sorgte dafr, dass des Sohnes allgemeine Bildung ber den musikalischenStudien nicht Schaden litt. Nicolaus Chopin hatte in jenen Jahren ein Pensionaterfinet, in dem die Shne zahlreicher angesehener Familien erzogen wurdenMit den Zglingen seines Vaters erhielt Frederic Unterricht in den Schulfchernbis zum Jahre 1823.^^*) In diesem Jahre trat er in die vierte Klasse desLyceums ein und setzte dort seine Gymnasialstudien weiter fort. Auf dem

    Palais des Frsten Radziwill in Warschau (1830).

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    Lyceum zeigte sich Chopin als ein aufgeweckter, lebhafter Knabe, der zuallerlei mutwilligen Streichen aufgelegt war. Eine Anzahl von Anekdoten wirdaus diesen Schuljahren erzhlt. Seine Lust an Karrikaturen bettigte er ineinem Portrt des wrdigen Rektors Dr. Linde, dem Chopins Meisterstck indie Hnde fiel. Der erfahrene Pdagoge Hess die Schandtat unbestraft vorber-gehen, erteilte Chopin sogar noch Lob fr die gute Zeichnung.^) Die Predigteines deutschen Pastors, der ein sehr mangelhaftes Polnisch sprach, karrikierteChopin einst in hchst komischer Weise im 'Freundeskreise. Schon damalszeigte er ein grosses mimisches Talent, so dass ein tchtiger polnischer Schau-spieler, Piasecki, allen Ernstes behauptete, an Chopin gehe ein grosser Schau-spieler verloren. Aehnlich sprachen sich spter in der Pariser Zeit franzsischeSchauspieler von Bedeutung ber ihn aus. Zum Geburtstag des Vaters i. J. 1824verfasste Chopin mit seiner Schwester Emilia eine kleine Komdie in Versen.

    Lyceum in Warschau.

    Ueberhaupt liebte er als Knabe sich in allerlei zu versuchen, er malte undzeichnete, machte gelegentlich V^erse.

    Noch mehr liess er seiner bermtigen Laune die Zgel schiessen, als er,vom Schulzwang befreit, whrend der ersten Schulferien (1823 u. 24) als Gast einerbefreundeten Familie, der Dziewanowski's. auf deren Gut Szafarnia in Masovienweilte. Seinen Briefen nach Hause gab er die Form einer Zeitung : KurjerSzafarski", sogar der Censor in Person des Frl. Louise Dziewanowski waltetebei jeder Nummer seines Amtes. Einmal heisst es in diesem Kurier (nach demVorbilde des Warschauer Kurier"): Am 15. Juli produzierte sich Herr Pichonin der musikalischen Gesellschaft zu Szafarnia, die aus einigen Personen undHalbpersonen besteht. Er spielte das Konzert von Kalkbrenner, welches jedochbesonders bei den jugendlichen Zuhrern, nicht soviel Furore machte, als dasLiedchen, ebenfalls von Herrn Pichon vorgetragen." Allerlei lustige Erlebnissewerden im Kurier geschildert. Einmal lud Chopin im Dorfe Obrow mehreregetreidekaufende Juden in sein Zimmer ein und spielte ihnen Majufes'- vor,eine Art jdischer Hochzeitsmusik. Darob gerieten die Zuhrer in helles Ent-zcken und riefen aus: Er spielt wie ein geborener Jude." fingen an zu tanzenund forderten ihn auf, bei einer bevorstehenden Hochzeit ihre Glaubensgenossengleichermassen zu erfreuen. Von mancherlei anderem mutwilligeren, nicht immerlblichem Schabernack wird aus jenen Tagen berichtet'}.

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    Doch gab es ausser solchen Streichen und Vergngungen auch mancher-lei Anregendes auf dem Lande. Da war z. B. die nationale, lndliche Musik,die man zur damaligen Zeit noch mehr als jetzt in Polen hren konnte. BeiKirchweih und Erntefest, an Feiertagen, zu Tanz und Hochzeit, bei hundertGelegenheiten gab sich der polnische Bauer mit Leidenschaft seinem Hangezur Musik hin. War es auch eine kunstlose Musik, die er machte, so hattesie doch Feuer und sinnlichen Klang, Schwung und Grazie. Mit reger Lustlauschte der Knabe den Volksweisen; was er hier knstlerisch erlebte, wurdeder Kern, um den seine eigene Kunst spter wuchs und reifte. So wurde seinknstlerischer Instinkt geschrft und auch sein Horizont wurde erweitert durchBerhrung mit neuem, fremdartigem. Ausflge nach den Stdten jenseits dernahen preussischen Grenze wurden von Szafarnia aus gelegentlich gemacht,Thorn und Danzig wurden besucht.

    So gereift und geistig entwickelt, konnte er sich allmhlich grsserenAufgaben zuwenden, und so finden wir, dass die erstenknstlerischen Taten von grsserer Bedeutung in dasnchstfolgende Jahr 1825 fallen. Sein opus 1, dasRondo in C-moU, erschien im Druck. er war miteinem Schlage als 15 jhriger unter die ernst zunehmenden Komponisten gestellt. Auch als Klavier-spieler trat er in diesem Jahr fter als je vorher undbei wichtigeren Anlssen ffentlich auf. Der Konser-vatoriumsprofessor Javurek veranstaltete im Konser-vatoriumssaal am 27. Mai und 10. Juni zwei VVohl-ttigkeitskonzerte. In einem wirkte Chopin mit; erspielte ein Allegro aus einem F-moU Konzert vonMoscheies und improvisierte auf dem Aeolopantalon,einem harmoniumartigen Instrument, das einWarschauerInstrumentenbauer konstruiert hatte. Die .,LeipzigerAllgemeine musikalische Zeitung-' enthlt einen kurzenBericht ihres Warschauer Mitarbeiters ber dieses Auf-treten Chopins. Darin heisst es: Unter den Hndendes talentvollen, jungen Chopin, der sich durch einen Reichtum musikalischerIdeen in seinen freien Phantasien auszeichnet und ganz Herr dieses Instrumentsist, machte es grossen Eindruck." In demi^elben Jahre weilte Kaiser Alexander I.in Warschau. Er wnschte das Aeolomelodicon, ein hnliches Instrument, zuhren, und Chopin wurde berufen, vor dem Kaiser darauf zu spielen. AlsErinnerung an diese Auszeichnung bewahrte Chopin einen Diamantring auf,den ihm der Kaiser geschenkt hatte.

    Wir sehen hier den jungen Chopin schon als wichtige Persnlichkeitmitten im Warschauer Musikleben stehen.

    Dass er so frh bedeutende Erfolge erringen konnte, verdankte er ausserseinen Talenten der sorgsamen Erziehung, die ihm die Eltern angedeihenHessen, und der Gunst der Verhltnisse. Wenigen Musikern waren die Pfade sogeebnet, wie ihm. Das Familienleben seiner Eltern war ein ungemein glckliches.Der Vater war ein gebildeter, rechtlicher Mann, der sich des grssten Ansehenserfreute. Seine sympathische Persnlichkeit lsst sich aus dem erhaltenen Brief-wechsel zwischen ihm und seinem Sohn sehr wohl erkennen. Die Mutterscheint eine stille Frau gewesen zu sein, die in ihrer Familie vllig aufging.

    S. B. Linde.Rektor des Warschauer Lyceums.

    (Alis tintr Zeichnung ton Fr. Chopin.}

  • 14

    Von ihrer Hand sind nur wenige Briefe erhalten. Doch ist es sicher, dass derGatte und die Kinder mit zrtlichster Liebe an ihr hingen. Mit den Schwesternwar Chopin von Jugend an zeitlebens aufs innigste verbunden. Die geachteteStellung des Vaters, die geordneten huslichen V'erhltnisse konnten auf dieEntwicklung des Kindes nur vom gnstigsten Einfluss sein.

    Aber auch geistig bot das Vaterhaus dem heranwachsenden Knaben einFlle von Anregungen. Nikolaus Chopin war in stndigem Verkehr mit einerAnzahl der hervorragendsten Gelehrten, Literaten und Knstler, und so lernteder Knabe im Elternhause die besten Kpfe Warschau's kennen.^)

    Eine Periode von grosser geistiger Regsamkeit war in Warschau in denzwanziger Jahren eingetreten. Nach den Strmen der Napoleonischen Kriegewar allmhlich Ruhe eingekehrt, der Wohlstand begann sich zu heben; Knsteund Wissenschaften fanden Verstndnis und Pflege. Besonders fr die polnischeLiteratur brach eine grosse Epoche an. Brodzinski und der grosse DichterMickiewicz, um nur die bekanntesten zu nennen, hatten den Hauptanteil andem Umschwung von der formalen, klassischen Dichtung zur Romantik. Derjunge Chopin, im hufigen Verkehr mit Brodzinski, einem der heftigsten Vor-kmpfer fr die Romantik, wird wohl romantische Ideen an der Quelle ein-gesogen haben.

    Wichtig fr Chopin's Charakterbildung war ferner der glhende Patriotismus,das Nationalgefhl, die alle Kreise beseelten, mit denen er in Berhrung kam,sowohl die hohe Aristokratie, wie auch die geistige Elite der Besucher imVaterhaus und seine Lehrer.

    Auch darin erwies sich des Vaters Frsorge als weise, dass er seinemSohne eine grndliche allgemeine Bildung zuteil werden Hess, so dass Chopinnicht, wie die meisten Musiker der vorangegangenen Generation, mit kmmer-lichen Schulkenntnissen in die Welt zu treten brauchte. Alle Gymnasialfcherwurden im Lyceum tchtig betrieben, mit alten und neuen Sprachen, Geschichte,Naturwissenschaften, Mathematik u. a. machte der junge Chopin grndlicheBekanntschaft.^) Die Anstrengungen waren fr die zarte Krperbeschaffenheitdes Knaben zeitweilig zu gross. Fllt die Schule mit ihren Aufgaben die Zeitanderer Knaben schon zum grssten Teil aus, so kam bei Chopin hinzu, dasser die freien Abendstunden fr seine Kompositionsversuche in Anspruch nahm.Sogar in der Nacht Hess ihn der knstlerische Trieb oft nicht zur Ruhe kommen.Manchmal stand er mitten in der Nacht auf, um ein paar Akkorde anzuschlagen,einen Gedanken zu fixieren. Die Bediensteten des Hauses tuschelten deshalbmitleidig aus, der junge Herr wre nicht recht bei Verstnde. War nun auchsein Geist ganz gesund, so litt der Krper doch so sehr, dass im Sommer 1826eine Badereise notwendig wurde. Die Mutter reiste mit ihm und zwei seinerSchwestern nach Reinerz zur Kur. An den Aufenthalt erinnert ein Denkstein,der vor einigen Jahren in Reinerz gesetzt wurde. Chopin tat sich dadurch her-vor, dass er zum besten zweier mittelloser Waisen ein Konzert veranstaltete.Die Rckreise ging, ebenso wie die Hinfahrt, ber Breslau.'") Dort wurden Be-kanntschaften mit den tchtigsten Breslauer Musikern angeknpft, dem Kapell-meister Schnabel, Berner, an die Chopin durch seinen Lehrer Eisner gewiesenworden war.

    Eisner war es, der sich in den nchsten Jahren um den jungen Chopindie grssten Verdienste erwarb. Im Sommer 1826 hatte Chopin das Lyceumabsolviert. Er konnte sich nun vollstndig der Kunst widmen. Noch im nm-

  • o

  • 16

    liehen Jahre trat er als Kompositionsschler Elsner's in das Warschauer Kon-servatorium ein. Obschon dies nicht besonders berichtet wird, kann man wohlals sicher annehmen, dass er bis 1826 nicht Autodidakt in der Kompositions-lehre geblieben ist: eine so glatte, sichere, gefeilte Technik, wie sie sein I825erschienenes op. 1 zeigt, setzt ernsthafte, fachgemsse Kompositionsstudienvoraus. Eisner hatte zweifellos schon vor 1826 Chopin Privatunterricht erteilt.

    Josef Eisner, einer der lchtigsten Musiker seiner Zeit, hat sich in vielenZweigen der Kunst ausgezeichnet. Er wurde am 1. Juni 1769 in Grottkau i. Schi,geboren. In Breslau besuchte er das Gymnasium und die Universitt, spterstudierte er in Wien. Das medizinische Fach, fr das sein \'ater ihn bestimmthatte, sagte ihm nicht zu. Er betrieb musikalische Studien immer eifriger,sang in Breslau im Chor einer Kirche und fand dann am Theater Beschftigungals Snger und \'iolinist. 1791 war erOrchestergeiger in Brunn, 1792 Kapell-meister in Lemberg, etwas spter kam ernach Warschau, wo er den Rest seinesLebens, bis 1854 zubrachte. Eine Reisenach Paris, wo er seine Kompositionenauffhrte, fllt in das Jahr 1805. ObschonDeutscher von Geburt, war er seinemzweiten Heimatlande so zugetan, dass diePolen ihn den ihrigen zurechneten. InWarschau nahm er unter den Musikernweitaus die erste Stelle ein; als Theater-kapellmeister, Direktor der Musikschule,Professor an der Universitt, und haupt-schlich als Komponist war er hochge-schtzt. Seine zahlreichen Opern, Sin-fonien. Messen, Variationen u. s. w. warenihrer Zeit sehr beliebt. Leichtigkeit derErfindung, Gewandtheit der Gestaltungwird ihm zuerkannt. Tiefe und Eigenartsollen seinen Werken gemangelt haben. Lebendig ist nichts von ihnen ge-blieben. Fr die Nachwelt besteht Elsner's grsster und dauerndster Ruhmdarin, dass er als Lehrer Chopin's diesen in einsichtiger Weise seiner Anlagegemss unterrichtete und aufs glcklichste frderte. Er erkannte die seltenenFhigkeiten seines Schlers, und unterwies ihn so, wie ein genialer Schlerunterwiesen werden soll: er Hess ihn gewhren, hemmte seine Fantasie nichtdurch kleinliche Schulmeisterei, gab ihm weitesten Spielraum, und sorgte beialler Freiheit doch dafr, dass Chopin nicht als verwahrloster Naturalist aufwuchs.Chopin's beraus sorgsam gefeilter, reiner Klaviersatz ist wohl nicht zumgeringsten auch auf Elsner's Unterweisung zurckzufhren.

    Wir wissen jetzt, dass Chopin drei Jahre lang als Schler Eisners dasKonservatorium besuchte, und dort die Kurse in Harmonielehre und Kontrapunktgrndlich absolvierte. Eisner pflegte ber die Leistungen der Schler Buch zufhren. Unter vielen anderen Namen findet sich in drei Rapporten Elsner'sauch Chopin's Name. So notiert Eisner am 17. Juli 1827: Kompositions-Unter-richt, Kontrapunkt. Schler des ersten Jahrgangs: Chopin, Fryderik, (fhiger

    Schler). Im nchsten Rapport heisst es: Chopin, Fr. (tchtiger Schler, im

    Josef Elsner.

  • 3 "=-5

    -

    O

  • 18

    zweiten Jahrgang, reist ab zur Besserung seiner Gesundheit). Endlich am

    20. Juli 1829: Chopin, Fr. (Schler des dritten Jahrgangs, grosse Fhigkeiten,

    musikalisches Genie). "ii)

    Ueber Lehrplan, Programme der ffentlichen Vortrge, Lehrerkollegium,

    Leistungen der Schule sind wir jetzt gut unterrichtet, und wir wissen nun, dass

    dort sehr ernsthaft gearbeitet wurde. Auch den \'ortrgen Elsner's an der

    Universitt ber Musiktheorie wohnte Chopin bei. Aus allem geht hervor,

    dass Chopin einen sorgfltigen Unterricht genossen hat Ueberdies hatte er

    Gelegenheit, ausserhalb der Musikschule in Warschau viel Musik zu hren,

    und dass er mit allem wichtigeren bekannt war, was zu seiner Zeit an Musiknach Warschau ge-drungen war, be-kunden seine Briefe.

    Das musikalischeLeben in Warschauwar in den zwanzigerJahren sehr rege.Oper und Konzert-,wie auch Kirchen -

    musik wurden eifriggepflegt. Man hrtein Warschau alles,was in den grsserendeutschen Stdtengeboten wurde : fran-z(")siscbe und italie-nische Oper, viel

    Mozart und Weber,Instrumental - Musikvon Haydn, Mozart,Beethoven, Hummel,Spohr, Weber u. s.w.Mozart 's Requiem,Haydn's SiebenWor-te, Cherubini's Mes-

    sen wurden oft auf-

    gefhrt. Dazu kamen die heute vergessenen Modekomponisten der Zeit, die

    Pleyel, Ries, Kalkbrenner, Gyrowetz u. s. w., auch die einheimischen Kompo-

    nisten, Eisner, Kurpinski, Dobrzynski, Soliva u. a.

    Ein musikalisches Ereignis des Jahres 1828 mag Chopin"s besonderes

    Interesse erregt haben: Hummel's Konzerte im Warschauer Theater. i')- Hummel

    galt damals neben Field und Moscheies als einer der hervorragendsten Pianisten

    und war als Komponist berhmt. Er spielte viele seiner Kompositionen und

    improvisierte in jedem Konzert ber ein gegebenes Thema. Chopin wurde mitHummel persnlich bekannt; Hummel zeigte fr den jngeren Kollegen Interesseund bewahrte Chopin seine Zuneigung auch spter, wenigstens zeigte er sich bei

    Chopins Aufenthalt in Wien sehr freundschaftlich. Chopin wurde durch Hummel

    stark beeinflusst; er verarbeitete in seiner Spielart und in seinen Kompositionen

    Hummel'sche Elemente und hatte frHummel als Knstler sein Leben lang viel brig.

    Das ehemalige Konservatorium in Warschau.

  • 19

    Mancherlei ernste und freudige Ereignisse unterbrachen den ruhigen Fort-gang der Studien. Im Jahre 1827 wurde die Familie in tiefe Trauer gestrztdurch den Tod der jngsten Tochter Emilia. Sie hatte ein ganz auffallendeslitterarisches Talent gezeigt, das in seiner Art ebenso bemerkenswert war, wiedie musikalische Begabung ihres Bruders. Den Sommer dieses Jahres verbrachteChopin wiederum auf dem Lande als Gast der Frau v. Wiesclowska, einerSchwester von Nikolaus Chopin's ehemaligem Zgling, Graf Friedrich Skarbek.Sie hatte eine Besitzung im Posen'schen, in Strzyzewo. Nicht weit davonentfernt war Antonin (bei Ostrowo in Posen), der Landsitz des FrstenRadziwill. Frst Radziwill, Gouverneur von Posen, hatte vielfache Beziehungenzu den Warschauer Adelshusernund hatte Chopin in Warschauim Jahre 1825 spielen hren. DieLeistungen des jungen Knstlershatten ihm solchen Eindruck ge-macht, dass er ihn nher an sichheranzog. Chopin folgte nuneiner Einladung des Frsten nachAntonin.

    Zum zweitenmal weilte Cho-pin im nchsten Sommer (i828)in Strzyzewo, mag wohl auch vonda aus in Antonin wieder Besuchabgestattet haben. Das wichtigsteEreignis der Jugendjahre jedochwar eine Reise nach Berlin imSeptember 1828.

    Die Veranlassung dazu botein Naturforscher - Kongress inBerlin unter dem X'orsitz vonAlexander von Humboldt. DerZoologe Prof. Jarocki aus War-schau war zur Teilnahme einge-laden worden. Er war mit Nico-laus Chopin befreundet, und diesernahm die Gelegenheit wahr, seinen Sohn unter der Obhut des Freundesnach Berlin zu senden. In einem Briefe an seinen Freund Titus Wojciechowski(9. September 1828) gibt Chopin seiner Freude ber die Reise Ausdruck:Jetzt schreibe ich dir wie ein Wahnsinniger, denn ich weiss faktisch nicht,was mit mir vorgeht. Ich fahre nhmlich heute nach Berlin." In Berlin hoffteer mit Musikern von Bedeutung in Verbindung treten zu knnen und viel guteMusik zu hren. Die Absicht, sich ffentlich als Klavierspieler und Komponistzu zeigen, bestand dabei nicht. Am 14. September 1828 kam Jarocki mitChopin in Berlin an und stieg im Gasthaus zum Kronprinzen" ab. In dreilangen Briefen an die Eltern (vom 16., 20. und 27. September; beschreibt Chopinseine Erlebnisse in Berlin. Jarocki nahm ihn zu Professor Lichtenstein (Direktordes zoologischen Museums) mit. Lichtenstein, der Gnner und Freund Weber's,war Mitglied der Singakademie und hatte Fhlung mit manchen Musikern vonRuf, besonders mit Zelter. Er versprach, Chopin bei den Knstlern einzufhren.

    Chopin's Schwester Emilia.{Nach (iner Minwiure.)

  • 20

    Chopin's Gnner, Frst Radziwill, dessen Ankunft erwartet wurde, htte eineEmpfehlung an Spontini geben knnen. Doch Chopin's Hoffnungen wurdennicht erfllt. Zwar sah er Mendelssohn, Zelter, Spontini bei einer Auffhrungin der Singakademie, doch schrieb er: ich habe aber keinen dieser Herrengesprochen, da ich es nicht fr schicklich hielt, mich ihnen selber vorzustellen."Lichtenstein hatte mit den Kongressangelegenheiten alle Hnde voll zu tun,Frst Radziwill war noch nicht eingetroffen. Chopin hrte in Berlin viel Musik:in der Oper Spontini's Ferdinand Cortez, Cimarosa's heimliche Ehe, Winter'sUnterbrochenes Osterfest, Onslow's Hausierer und den Freischtz. Besondersgrossen Eindruck machte auf ihn Hndel's Ccilienode: Dieses nhert sicham meisten dem Ideale, das ich von erhabener Musik in den Tiefen meinerSeele hege." Das zoologische Museum und die knigliche Bibliothek langweiltenihn, dagegen hatte er das grsste Interesse fr Schlesinger's grosses Musikalien-lager: bestehend aus den interessantesten Werken der Komponisten allerLnder und Zeiten. . . . Mein Trost ist, dass ich auch noch zu Schlesingerkommen werde und dass es immer gut ist fr einen jungen Mann, wenn erviel sieht, denn aus allem lsst sich etwas lernen." Seine Neigung zu Satireund Karrikatur fand auf der Reise nach Berlin und in Berlin reichliche Nahrung.An mehreren Festmahlen der Gelehrten nahm er teil: viele erschienen mir wieKarrikaturen, die ich schon in Klassen eingeteilt habe." In der Singakademiewundert er sich, dass die Frstin von Liegnitz mit einem Mann sprach dereinen livreartigen Anzug trug." Der vermeintliche knigliche Kammerdiener"war Alexander von Humboldt. An anderer Stelle jedoch berichtet er in ehr-erbietigen Worten von dem bedeutenden Eindruck, den Humboldt auf ihn ge-macht hatte. Ueber das zweite Diner schreibt er:

    Es war wirklich sehr lebhaft und unterhaltend. Viele passende Tafellieder wurdengesungen, in welche jeder mehr oder minder laut einstimmte. Zelter dirigierte; er hatte aufeinem roten Piedestal einen grossen vergoldeten Becher vor sich stehen, als Zeichen seiner

    hchsten musikalischen Wrde, welche ihm viel Freude zu machen schien. An diesem Tagewaren die Speisen besser als gewhnlich ; man sagt, weil die Herren Naturforscher sich in ihrenVersammlungen vorzugsweise mit der Vervollkommnung der Fleischspeisen, Saucen, Suppen unddergleichen beschftigt haben sollen."

    Am Schluss eines Briefes heisst es: Die Zahl der Karrikaturen wchst!"Ueber die Berliner Damen schreibt der durch den Geschmack der vornehmenPolinnen verwhnte: sie putzen sich, das ist wahr, aber es ist schade um dieschnen Stoffe, die fr solche Puppen zerschnitten werden". Auch die Reise-gefhrten in der Postkutsche werden weidlich belacht und verspottet. DieseZge von Spottsucht und Ironie mssen hervorgehoben werden, weil sie frChopin charakteristisch sind. Schon aus den frhen Knabenjahren war hn-liches zu erzhlen, spter tritt dieser Zug noch oft hervor. In Zusammenhangdamit steht auch Chopin's mimisches Talent, die Fhigkeit, alle mglichenMenschen in ihren Eigenheiten nachzuahmen, worber seine intimeren Bekanntenvielerlei komische Episoden zu erzhlen wussten.

    Der Berliner Aufenthalt nahm nach vierzehntgiger Dauer am 28. Sep-tember ein Ende. Die Rckreise ging ber Zllichau^^a,) und Posen. Dortfolgten Jarocki und Chopin der Einladung des Erzbischofs Wolicki whrendzweier Tage. Ein grosser Teil des Aufenthalts wurde im Palais des FrstenRadziwill mit Musizieren hingebracht. Am 6. Oktober langten die Reisendenwieder in Warschau an.

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    Von dieser Zeit an ungefhr datiert eine Reihe Briefe Chopin's an seinenvertrautesten Feund Titus Wojciechowski, mit dem ihn eine lebenslange Freund-schaft verband. Diesen Briefen verdanken wir einen grossen Teil derbiographischen Nachrichten. Ueber die persnlichen Erlebnisse, ber Kom-positionen, Musik- und Theaterereignisse geben sie mancherlei Auskunft. Soheisst es z. B. am 27. Dezember 1827: Die Partitur meines Rondo la Kra-kowiak (spter op. 14) ist fertig." Das Rondo in C-dur fr zwei Klaviere (erstnach Chopin's Tode als op. 73 verffentlicht) wird auch erwhnt: Dies ver-waiste Kind hat in Fontana^^^) einen Stiefvater gefunden; ber einen Monat hater es studiert." Dieses Rondo war (nach Chopin"s Brief vom 9. September1828) im Sommer 1828 in Strzyzewo umgearbeitet worden.

    Nicht lange darauf, 1829, erregte Paganini in Warschau Sensation undsein Auftreten mag auch fr Chopin ein Ereignis gewesen sein. Sicherlichhat er durch Paganini einen krftigen Anstoss erhalten, wie spter Liszt. Ob

    nicht manche Etden Chopin's durch Paganini an-geregt sind? Paganini mag ihm geholfen haben, end-giltig ber den Hummel-Field'schen Horizont hinaus-zukommen. Ein Zeugnis von Chopin's Begeisterungfr Paganini ist erhalten geblieben: er schrieb einVariationenwerk Souvenir de Paganini." ^*) DasWerk ist in Deutschland kaum zugnglich ; nach demUrteil polnischer Kritiker soll es ziemlich wertlos sein.Von den zahlreichen musikalischen Veranstaltungenseien nur einige hier genannt.

    Mehrere Wunderkinder traten im Jahr 1829 auf.Stephen Heller, spter in Paris mit Chopin befreundet,damals 14 Jahre alt, Hess sich als Pianist hren. Erspielte u. a. ein eigenes Konzert (D-moU). Auch einjunger Schler von Field, Franz Lopatta trat auf.Heller hat ^^) spter als Musiker Ruf erworben, vonLopatta ist als Knstler nichts weiter gehrt worden.Die Krnung des Kaisers Nikolaus am 24. Mai 1829

    gab Anlass zu grossen Musikauffhrungen. Eisner schrieb aus diesem Anlassseine Krnungsmesse", ^^) die fr eins seiner besten Werke gilt. Auch derGeiger Lipinski trat wiederum auf.

    Im Sommer dieses Jahres nahmen Chopins Studien am Konservatoriumein Ende. Eisner stellte ihm das schon erwhnte glnzende Zeugnis aus. DassEisner ihn als einen reifen Knstler betrachtete, geht auch daraus hervor,dass Chopin im Jahre 1829 seine erste Kunstreise machte: der gewissenhafteMeister htte Chopin sicherlich nicht entlassen, wenn dieser noch etwas Schler-haftes gezeigt htte. Diesmal war Wien das Ziel. Es lag zunchst nicht inChopin's Absicht, ffentlich aufzutreten; vielmehr wollte er Verbindungen an-knpfen, seine Kompositionen zeigen, lernen, wo es zu lernen gab.

    Paganini.

    Mitte Juli 1829 brach Chopin mit seinen Freunden Cielinski, Hube undFranz Maciejowski von Warschau auf.'*^') Die Reise ging ber Krakau. Vonhier aus machten die Freunde einen Abstecher in die sogenannte polnischeSchweiz" nach Ojcw. Der erste Brief aus Wien") enthlt eine eingehende

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    Schilderung der in Ojcw empfangenen Eindrcke; Xatur und Sage hatten umdiesen Ort einen romantischen Schimmer gebreitet, der Chopin zu Aeusserungendes Entzckens hinriss. Am 31. Juli trafen die Reisenden in Wien ein. Hierging es Chopin besser als in Berlin. Die Empfehlungsbriefe, die er mitgebrachthatte, verschafften ihm Zugang zu leitenden Persnlichkeiten, und von diesenwieder weiter empfohlen, stand er bald mitten im Treiben des musikalischenWien. Zuerst meldete er sich bei dem Verleger Haslinger, an den ihm Elsnerein Schreiben mitgegeben hatte. Schon frher hatte Chopin einige seiner Kom-positionen an Haslinger gesandt. Dieser erinnerte sich jetzt der noch immerungedruckten Werke und versprach, die Variationen ber La ci darem la mano"in kurzer Zeit in der Sammlung Odeon" zu verffentlichen. Er nahm Chopinmit ausgesuchter Hflichkeit auf. Die Fhigkeiten des jungen Knstlers musser bald erkannt haben, denn er redete Chopin zu, seine Kompositionen in einemeigenen Konzert selbst vorzufhren. Nicht leicht war Chopin dazu zu bewegen.Haslinger brachte Chopin in \'erbindung mit dem Leiter des Krnthnerthor-Theaters, Grafen Gallenberg (Gatten der aus Beethovens Lebensgeschichte be-kannten Grfin Giulia Guicciardi). Diesem stellte mich Haslinger als einen Feig-ling VT)r, der sich frchte, ffentlich aufzutreten. Der Graf war so gefllig, mir dasTheater zur \'erfgung zu stellen; ich aber war schlau genug, dankend abzu-lehnen. Von vielen anderen Personen wurde Chopin jedoch auch zu einem Konzertgedrngt, so besonders in einer von vielen Aristokraten besuchten Gesellschaftbei dem polnischen Grafen Hussarzewski, auch von dem Journalisten Blahetka,der, wie Chopin, etwas selbstgefllig schreibt, von ihm gesagt htte, er seiKnstler ersten Ranges und nehme einen wrdigen Platz ein neben Moscheies,Kalkbrenner und Herz." Der Kapellmeister am Krnthnerthortheater, W.Wrfel,frher Klavierlehrer am Warschauer Konservatorium, der Chopin von Warschauaus schon kannte, nahm sich seiner ganz besonders an. Er war es auch, derdas Arrangement des Konzertes leitete, zu dem Chopin sich hauptschlich aufsein Zureden endlich entschlossen hatte. Auch die Klavierfabrikanten Graff undStein berboten einander in Liebenswrdigkeiten. Das Konzert fand am11. August 1829 im Krnthnerthortheater statt.

    ,,Da ich kein Honorar beansprucht hatte, beschleunigte Graf Gallenberg mein Auftreten.Das Programm lautete : Ouvertre von Beethoven (Prometheus), meine Variationen (ber la cidarem la mano), Gesang von Frulein Veitheim, mein Krakowiak (Rondo a la mazur op. 5),zum Schluss ein kleines Ballet." (Brief vom 12. Aug.).

    Der Erfolg war ausserordentlich gross, trotzdem die Probe sehr schlimmverlaufen war.

    ,,Die Orchestermitglieder zeigten mir auf der Probe saure Gesichter ; am meisten ver-dross es sie, dass ich sofort mit neuen Kompositionen auftreten wollte .... Die Variationengelangen gut, whrend das Rondo so schlecht ging, dass wir zweimal von vorne anfangenmussten, wobei die schlechte Schrift Schuld haben sollte ^die Stimmen waren in der Tat voUvon Fehlern) .... Genug, die Herren schnitten solche Grimassen, dass ich schon Lust be-kam, mich fr den Abend krank zu melden."'

    Diese verunglckte Probe bestimmte Chopin am Abend das Rondo ausdem Programm zu streichen und dafr eine freie Fantasie einzulegen berein Thema aus der weissen Dame" und das polnische Lied Cbmiel."*''*)Das Publikum, dem derartige Xationalmelodien fremd waren, war wie elek-trisiert." Doch schreibt er: Ich gestehe, dass ich mit meiner freien Phantasienicht ganz zufrieden war." Nicht nur das Publikum applaudierte begeistert, auch

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    die Orchestermitglieder, die vorher raisonniert hatten, waren nach der Imprrjvi-sation umgewandelt und stimmten in den allgemeinen Beifall mit ein.

    Durch dieses Konzert war Chopin in der vornehmen Wiener Gesellschaftder Held des Tages geworden. Er kam in die hchsten Kreise. Zwei Tagedarauf machte er die Bekanntschaft des Grafen Lichnowski.

    ,,Er wusste nicht, was er alles zu meinem Lobe sagen sollte, so entzckt war er vonmeinem Spiel .... Es ist derselbe, der Beethovens bester Freund war, und dem diesergrosse Meister viel zu verdanken hat .... Schvvarzenbergs, Wrbnas usw. waren von derZartheit und Eleganz meines V'ortrages ganz enthusiasmiert ; als Beweis diene auch, dass Grat

    Dietrichstein mich auf der Bhne aufgesucht hat.'"

    Auch die Musiker hielten mit ihrem Lob nicht zurck.Czerny hat mir viel Komplimente gesagt, wie auch Schuppanzigh und Gyrowetz. An

    einem Tage lernte ich alle grossen Knstler Wiens kennen, darunter : .Mayseder, Gyrowetz,Lachner, Kreutzer, Schuppanzigh etc."

    Nach diesem Erfolg kann es nicht Wunder nehmen, dass Chopin demersten schnell ein zweites folgen liess,

    wiederum im Krnthnerthortheater und ohneHonorar zu nehmen.

    ,,Die5 gescnieht, um mir den Grafen Gallenberg

    zu verbinden, mit dessen Geldbeutel es nicht be-

    sonders gut bestellt ist." .... ,,Ein drittes Konzert

    wrde ich auf keinen Fall geben; schon das zweitehtte ich nicht veranstaltet, wenn ich nicht dazu

    gezwungen worden wre, und dann dachte ich mir,in Warschau knnte man sagen: ein Konzert hat

    er nur gegeben und dann Wien wieder verlassen:wahrscheinlich hat er nicht besonders gefallen. Ich

    bin heute schon bei einem Recensenten gewesen,

    der sehr gut fr mich disponiert war und gewisseine gnstige Kritik schreiben wird."'

    Man sieht, dass er ganz geschfts-mssig kalkulierte, ein Zug, der auch spternoch oft hervortritt. Mit Recht konnte ervon sich sagen: Jetzt bin ich wenigstensum 4 Jahre klger urd erfahrener."

    Das zweite Konzert fand am 18. August statt. Diesmal spielte er dasRondo la mazur, nachdem sein Freund Xidecki die Stimmen korrigiert hatte.

    Mit meinem Rondo habe ich alle Musiker von Fach fr mich gewonnen ; vom Kapell-meister Lachner bis zum Klavierstimmer, loben alle die Komposition. Gyrowetz hat ungeheuer

    gelrmt und Bravo gerufen'schreibt er am 19. August. Bezeichnend fr ihn ist im nmlichen Briefe der Satz:Ich weiss, dass ich den Damen und den Musikern gel allen habe." DieVariationen spielte er wiederum auf speziellen Wunsch der Damen." In der-selben musikalischen Akademie", wie man die Koncerte damals nannte, kamauch Lindpaintners Ouvertre zum Bergknig'' und eine Polonaise von Maysederzum Vortrag, gespielt von einem jugendlichen Geiger. Joseph Khayl.

    Dem grossen Pblikumserfolg entsprachen auch die Urteile der Presse.Eingehende Rezensionen ber beide Konzerte erschienen im ,.Sammler", in derZeitschrift fr Kunst, Literatur, Theater und Mode" (22. und 29. August 1829),auch in der Allgemeinen musikalischen Zeitung' (Xo. 46, i^'. November 1829J.Ueberall wird Chopin als Meister" behandelt, und im wesentlichen zollen alle

    Chopin im 17. Lebensjahre.

  • - 24 -

    Besprecher ihm fast uneingeschrnkte Anerkennung. Besonders eingehend ist derBericht der Wiener Theaterzeitung" vom 20. August. Ueber ein anderes Urteilder Zuhrer berichtet Chopin selbst: Es ist fast eine Stimme, dass ich zu leichtoder vielmehr zu zart fr das hiesige Publikum gespielt habe. Man ist nmlichan das Pauken der hiesigen Klaviervirtuosen gewhnt." Der Flgel, auf demChopin spielte, war ein wunderbares, zur Zeit vielleicht das allerbeste WienerInstrument von Graff". Graf Lichnovvski war der Meinung, dass der schwacheTon des Instruments vielleicht nicht ausgereicht habe, und bot Chopin fr daszweite Konzert seinen eigenen Flgel an. Chopin erwiderte, der zarte Klangsei seine Art zu spielen, die den Damen so sehr gefiel, und besonders demFrulein Blahetka", setzte er fr den Freund (Wojciechowski) hinzu. Siemochte mir freundlich gesinnt sein, nebenbei gesagt, sie ist noch nicht zwanzigJahre alt, und ein geistreiches, selbst schnes Mdchen". In der Korrespondenzaus dieser Zeit ist von Frl. Blahetka. die eine vorzgliche Pianistin war, nochmehrmals die Rede. Mit Bezug auf die Beurteilung, die seine Konzerte erfuhren,schrieb er ferner: Niemand will mich hier mehr fr einen Schler ansehen.Blahetka sagte mir, dass man sich am meisten darber wundert, dass ich dies

    alles in Warschau habe lernen knnen. Ich erwiderte, dass bei den HerrenEisner und Zywny selbst der grsste Esel etwas lernen msse."

    Chopin berichtet von einigen mittelmssigen Konzerten", die er in Wiengehrt habe und von den Opern: Die weisse Dame" von Boieldieu, Ceneren-tola" von Rossini, 11 Crociato" von Meyerbeer. Ueber die Wiener Knstlerschreibt er nicht viel. Mayseder habe ich als Solisten bewundert," heisst eseinmal. Mit Czerny bin ich sehr genau bekannt geworden; ich spielte mit ihmsehr oft auf 2 Klavieren. Er ist ein guter Mann, aber auch nichts weiter."

    Von Schubert ist mit keinem Wort die Rede er war kaum "4 Jahre tot, vonBeethoven scheint Chopin nur die Prometheus-Ouvertre gehrt zu haben.

    Am 19. August reiste Chopin mit seinen Freunden ab. Er erzhlt in denBriefen von seinen Abschiedsbesuchen, dass er im Cafe gegenber dem Theatermit Gyrowetz, Kreutzer, Lachner, Seyfried u. a. zum Abschied zusammentraf,

    dass er schliesslich die Diligence bestieg

    nach einem rhrenden Abschied, es war wirklich ein rhrender Abschied, da mir

    Frl. Blahetka zum Andenken ihre Kompositionen mit eigener Unterschrift gegeben hat, und ifer

    Vater Dich, mein guter Papa, und Dich, meine liebe Mama, herzlich grssen und Euch beiden

    zu einem solchen Sohn gratulieren Hess, da der junge Stein (Sohn des Klavierfabrikanten)weinte und Schuppanzigh, Gyrowetz, mit einem Worte, alle Knstler, sehr ergriffen waren."

    Die Reise fhrte zunchst nach Prag. Hier besuchten die Freunde den

    Philologen und Bibliothekar des Nationalmuseums, Wenzel Hanka, an denMaciejowski ein Empfehlungsschreiben hatte. Im Museum trugen sie sich indas Fremdenbuch ein, Chopin schrieb einige Mazurka-Takte unter Verse vonMaciejowski. In Prag lernte Chopin den Violinspieler Pixis und den KomponistenKiengel kennen. Ueber diesen schreibt er:

    Von allen Bekanntschaften, die ich mit Knslern machte, erfreute mich am meisten die

    von Kiengel, den ich in Prag bei Pixis kennen lernte. Er spielte mir seine Fugen vor, (mankann sagen, dass diese eine weitere Fortsetzung von Bach sind. Es gibt deren -18, und ebenso

    viele Kanons). Welch ein Unterschied zwischen ihm und Czerny!" An anderer Stelle heisst

    es: Ich habe Kiengel ber 2 Stunden seine Fugen vorspielen hren; ich spielte nicht, da man

    mich nicht darum ersuchte. Klengel's Vortrag gefiel mir, aber ich hatte offen gestanden noch

    etwas besseres erwartet."

  • O -

  • 26

    Nach dreitgigem Aufenthalt in Prag fuhren die Freunde nach Teplitzweiter, wo sie in Gesellschaft vieler Polen und Aristokraten einen angenehmenTag verbrachten. Beim Frsten Clary wurde Chopin von der Grfin Chotekgebeten, etwas zu spielen. Er improvisierte ber ein von den Damen gegebenesThema:

    ich hrte die Damen, die sich an einen Tisch niedergelassen hatten, flstern: Un theme,un theme. Drei junge, hbsche Frstinnen berieten sich, bis sich endhch eine an HerrnPritsche, den Erzieher des einzigen Sohnes des Frsten wandte, welcher mir unter allgemeinerZustimmung zurief: Das Hauptthema aus Rossini's Moses."

    Am 26. August kam Chopin in Dresden an, nachdem er vorher dasWallenstein-Schloss in Dux besucht hatte. Er sah sich in der Stadt um,besuchte die Grten, die Gallerie, das Theater, gab seine Empfehlungen ab.

    Morgen frh," schreibt er sehr selbstgefllig und etwas eitel, erwarte ich Morlacchium mit ihm zu Frulein Pechwell zu gehen; das will sagen, ich gehe nicht zu ihm, sonderner kommt zu mir. Ja, ja, ja."

    Dabei muss man daran denken, dass Morlacchi damals als KniglicherKapellmeiser in Dresden musikalischer Alleinherrscher war. Klengel hatteMorlacchi gebeten, Frl. Pechwell, Klengel's beste Schlerin, mit Chopin bekanntzu machen. Erwhnenswert ist ferner, dass Chopin in Dresden Goethe's Faustsah. Sein Urteil darber ist von einer verblffenden Einsilbigkeif.

    Eine frchterliche, aber grossartige Phantasie."Aus einer Bemerkung in einem Brief aus Dresden geht hervor, dass

    Chopin von Dresden nach Breslau reiste. Ueber den Aufenthalt dort sind jedochkeine Nachrichten vorhanden. Sicher ist nur, dass er am 12. September wiederin Warschau war.

    Nach seinen grossen Erfolgen in Wien fand Chopin den Aufenthalt inWarschau eintnig und wenig anregend. In einem Briefe an Titus Wojciechowskivom 3. Oktober 1829 klagt er:

    Du glaubst nicht, wie traurig Warschau fr mich ist; wenn ich mich nicht in meinerFamilie glcklich fhlte, mchte ich nicht hier leben. wie bitter ist es, wenn man niemandhat, mit dem man Trauer und Freude teilen kann, wie entsetzlich, wenn man sein Herz be-drckt fhlt und gegen keine Seele seine Klagen aussprechen kann! Du weisst schon, wasich damit sagen will."

    Dieses jammervolle Bekenntnis des jungen Chopin, der gerade jetzt nachseinen Triumphen am wenigsten Grund zur Klage htte haben sollen, dem' esin jeder Beziehung vortrefflich ging, ist bezeichnend fr den Menschen. Zudemist es nicht das einzige seiner Art. Ein kleines, manchmal nur eingebildetesHindernis gengte, um ihn in tiefe Betrbnis zu versetzen. In dem selben Brieferwhnt er auch den Grund seiner Erregung: Ich habe vielleicht zumeinem Unglck schon mein Ideal gefunden, das ich treu und aufrichtigverehre. Ein halbes Jahr ist es schon her, und ich habe mit ihr, von derich allnchtlich trume, noch nie eine Silbe gesprochen." Er ist von derGeliebten nicht etwa zurckgewiesen worden. Aus weiter Ferne schwrmter sie an und wird ob dieser Ttigkeit melancholisch. Das Ideal war ConstantiaGladkowska, eine junge Sngerin an der Warschauer Oper. Keinem gegen-ber macht Chopin so vertrauliche Mitteilungen wie Wojciechowski. Es sinddeswegen die Briefe an diesen Freund als biographische Quelle von grosserWichtigkeit. Ihnen verdanken wir fast ausschliesslich die Nachrichten berChopin's Leben whrend der Jahre 1829 und 30, auch ber diese Herzensaffre.Auffllig ist in ihnen eine Ueberschwnglichkeit im Ausdruck, eine Vertraulich-

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    keit und Zrtlichkeit, wie sie in Briefen eines jungen Menschen an die ueliebtewohl erklrlich sein mgen. Hier einige Proben:

    Bitte, behalte mich lieb . . . ., Du weisst gainicht, wie lieb ich dich habe . . . was

    wrde ich darum geben, knnte ich dich wieder einmal so recht herzlich umarmen . . . ichmchte nicht mit Dir reisen, denn auf den Augenblick, in welchem wir uns zum erstenmal im

    Ausland treffen und umarmen werden, freue ich mich von ganzem Herzen; er wird fr mich

    wertvoller sein, als 1000 einfrmige mit dir auf der Reise verlebte Tage .... Deine Briefe

    umschlinge ich mit einem Bndchen, das mir einst mein Ideal geschenkt. Ach der Brieftrger!

    Ein Brief . . von Dir! Ich denke Deiner fast bei Allem, was ich nur vornehme; ich

    weiss nicht, ob es darin liegt, dass ich bei Dir fhlen und empfinden lernte Glaube

    mir, dass ich stets bei Dir bin und Dich bis an mein Lebensende nicht vergessen werde.

    Von Umarmungen und Kssen ist auffallend oft die Rede; man mussdabei an die polnische Sitte des Bruder- und Freundschaftskusses denken.Ist er dem Freund gegenber an Liebesbeteuerungen zu verschwenderisch, soscheut er sich dagegen, der Geliebten nahe zu kommen. Das Auftreten dervergtterten Constantia in der Oper Agnese" von Paer gibt ihm natrlichwieder Anlass zu verzckten Schwrmereien. Im brigen aber scheint die Lieb-schaft mit Constantia mehr in Chopin's Fantasie existiert zu haben, als inWirklichkeit. Nirgends erfahren wir, dass Constantia ihm mehr als freund-schaftlich entgegengekommmen sei, es ist sogar zweifelhaft, ob sie jemals vonChopin's heisser Liebe direkt erfahren habe, sicherlich kam er niemals zueinem Gestndnis, eberdies scheint es, dass Constantia zwar den erstenPlatz in seinem Herzen innehielt, aber nicht den einzigen. Einmal schreibt ermit Bezug auf seine Abreise:

    Jedenfalls will ich vor Michaeli alle meine Schtze zurcklassen. In Wien werde ichzu ewigem Seufzen und Schmachten verdammt sein! Das kommt davon, wenn man keinfreies Herz mehr hat "

    Einige Zeilen weiter erfahren wir nheres:es ist schon V2I2 Uhr, und ich sitze noch hier im tiefsten Neglige, whrend Mariolka

    sicherlich schon auf mich wartet, um mit mir zu C. zum Diner zu gehen . . . Ich bin nachmeiner Rckkehr noch nicht bei ihr gewesen und muss dir ganz offen gestehen, dass ich oftdie Ursache meines Kummers auf sie schiebe .... Der Vater lchelt dazu; aber wenn erAlles wsste, wrde er vielleicht weinen. Ich bin auch scheinbar ganz vergngt, whrendmein Herz ..."

    Hier bricht er pltzlich ab. '*) Die schne Mariolka war die junge KomtesseAlexandra de MorioUes, deren Vater am Hof des Grossfrsten Konstantin alsErzieher von Konstantin' s Sohne Paul fungierte. Ihre Mutter war Hofdame derGrossfrstin. Alexandra war es, die Chopin zu hufigen Besuchen im Belvedereveranlasste. Die Komtesse soll der Neigung Chopin's entgegengekommen sein;doch muss ihm die Aussichtslosigkeit seiner Liebe wohl zum Bewusstsein ge-kommen sein und diese Erkenntnis mag seinen geheimen Kummer genhrthaben. Das Rondo la Mazur op. 5 ist Alexandrine de Moriolles gewidmet.

    Um diese Zeit gehrte Chopin zu den beliebtesten PersnlichkeitenWarschaus. Nach wie vor war er in den vornehmen Salons heimisch. Fastjeder Mensch von einiger Bedeutung in Warschau war ihm bekannt. Merk-wrdig ist es, dass er mit den jungen Musikern nur oberflchlich verkehrte,dagegen mit den Litteraten auf gutem Fuss stand. Brodzinski, Witvvicki,Zaleski neben anderen, die sich in der polnischen Litteratur einen Namen ge-macht haben, verkehrten freundschaftlich mit ihm. Es lag nahe, dass er zuihren Gedichten Musik machte, und so entstand der grsste Teil der erst nachChopin's Tode verffentlichten chants polonais." Viel bedeutsamer, als diese

  • 2S

    kleinen Gelegenheitsstckchen war jedoch die Tatsache, dass dieser Litteraten-kreis auf Chopin's Empfinden nachhaltigen Einfluss bte, wurde er doch hierParteignger der jungen, aufstrebenden romantischen Schule, sog er doch hierden romantischen Geist ein, den ihm der Umgang mit den weniger begabtenjungen Musikern wohl schwerlich konnte vermittelt haben. Die Geistesrichtung,die schon von Jugend auf im Vaterhause angebahnt war, wurde nun gefestigt.Immerhin blieb er natrlich auch in regem Kontakt mit den musikalichen Be-gebenheiten. Bei Kessler, einem der besten Warschauer Musiker, Komponistenvon Etden, die auch jetzt noch nicht ganz vergessen sind, fanden allwijchentlichHauskonzerte statt: Da kommen fast alle hiesigen Knstler zusammen undspielen, was gerade aufgelegt wird, prima vista." Eine Menge neuer Werkelernte er bei Kessler kennen: Gestern spielten sie unter anderem das Octettvon Spohr, ein wundervolles Werk." Er erwhnt ein Konzert (Cis-mcll) vonRies, Trio (E-dur) von Hummel, ein Quintett von Spohr fr Klavier und Blas-instrumente, das letzte Trio von Beethoven (wohl op. 97, B-dur), das ich alsherrlich und grossartig bewundern muss, ferner ein Quartett des PrinzenFerdinand von Preussen, alias Dussek." In Betreff des Prinzen mochte wohlunter den Musikern geredet worden sein, dass dessen Lehrer Dussek der eigent-liche Komponist gewesen sei. Doch war der \'erdacht unbegrndet.

    Ein anderes Mal teilt er mit, dass er nchstens bei Kessler seineWojciechowski gewidmeten Variatidnen (op. 2) vortragen werde. Mehrfacherwhnte er auch Etden ,,nach meiner Art komponiert", die dann spter indas op. l bergingen. Auch ein Konzert- adagio, der Mittelsatz des E-moll-Konzerts, wird genannt, Eisner hat es gelobt, er sagte, es sei etwas neuesdarin." Ueber andere seiner Kompositionen spricht er in einem langen Brief,der seine Erlebnisse in Antonin schildert, wo er als Gast der Radziwills imOktober 1829 weilte.

    ,,Ich war eine Woche dort. Du glaubst nicht, wie schnell und angenehm mir dieselbevergangen ist ... . Was mich betrifft, so wre ich dort gebeben, bis man mich fortgejagthtte ; aber meine Beschftigungen und vor allen Dingen mein Konzert, das noch ungeduldigauf sein Finale harrt, haben mich gezwungen, von diesem Paradiese Abschied zu nehmen.

    Es waren, m. 1. Titus, zwei Evas da, die jungen Frstinnen, ausserordentlich liebenswrdige,musikalische, gemtvolle Damen. Auch die Frau Frstin, die ganz genau weiss, dass nichtnur die Herkunft des Menschen dessen Wert bedingt, ist so liebenswrdig und fein im Umgangmit jedermann, dass es unmglich ist, sie nicht zu verehren. Du weisst, wie der Frst dieMusik liebt ; er zeigte mir seinen ,,Faust", und ich habe manches darin gefunden, das wirklichschn, ja sogar teilweise genial gedacht ist. Im Vertrauen, ich htte solche Musik einemStatthalter garnicht zugetraut i^) . . . . Ich habe whrend meines Besuches eine AUa PoUacca'mit Violoncell geschrieben ^spter als op. 3 verffentlicht). Es ist dies nichts weiter als ein

    brillantes Salonstck, so recht fr Damen ! Ich mchte gern, dass die Frstin Wanda sieeinstudiert. Es soll so heissen, als ob ich ihr Stunde gegeben halte. Sie ist erst 17 Jahre alt,

    schn, und es wre eine Wonne, ihre zierlichen Finger auf die Tasten setzen zu drfen.Doch Scherz bei Seite, in ihrer Seele wohnen wahrhaft musikalische Empfindungen, und manbraucht ihr nicht zu sagen, ob sie crescendo, piano oder pianissimo spielen soll."

    Chopin erbittet vom Freund die Zusendung seiner F-moll-Polonaise (op. 71),welche die Frstin Ehse sehr interessiert .... Du kannst Dir den Charakter der

    Frstin danach ausmalen, dass sie sich alle Tage die Polonaise von mir vorspielen lsst.

    Ganz besonders gefiel ihr immer das Trio in As dur."Liszt erzhlt, dass die jungverstorbene Frstin Elise auf Chopin besonderen

    Eindruck gemacht habe: Sie hinterliess ihm das Bild eines Engels, der frkurze Zeit auf die Erde verbannt war."

  • 29

    Ausser dem Besuch in Antonin hatte Chopin auch im folgenden JahreGelegenheit zu Ausflgen aufs Land. Er besuchte seinen Freund TitusWojciecho'.vski auf dessen Besitzung Poturzyn und hielt sich dann noch beimGrafen Skarbek in Zelazowa -W( la, seinem Geburtsort, auf. Der Besuch inPoturzj'n war eine Erwiderung des Besuches, den Titus im Sommer 1830in Warschau gemacht hatte. Am 28. Mai 1830 war in Warschau seit Jahrenzum ersten Male ein Reichstag wieder zusammengetreten. Aus diesem Anlassfllte sich die Stadt mit einer grrissen Zahl von Adligen und hohen Beamten.Auch Titus hatte die Gelegenheit benutzt. Die auffallend vielen Virtuosen-konzerte dieses Jahres mgen in dem Zusammenstrmen der besten Kreiseihren Grund gehabt haben. Chopin weiss viel darber zu berichten. Da heisstes z. B. von dem kleinen Worlitzer", Pianisten des Knigs von Preussen : ' Erspielt sehr schn und ist, da jdischer Abstammung, von Natur sehr befhigt."Die Leistungen des 16jhrigen Knaben lobt Chopin, besonders seinen wahrhaft

    excellenten" \V.rtrag von Mocheles" damals be-rhmten Alexandermarsch-Variationen. Aber nochzehnmal besser-' als Worlitzer gefllt ihm einefranzsische Pianistin, Frl. Belleville. Sie hatteChopins Variationen (op. 2) in Wien gespielt. Be-sonders die Konzerte der grossen Sngerin HenrietteSonntag geben ihm zu begeisterten SchilderungenAnlass. Durch Frst Radziwill wurde Chopin derSonntag vorgestellt.

    ,,Sie ist nicht schn, aber im hchsten Grade fesselndSie bezaubert alle mit ihrer Stimme, die zwar nicht sehr gross,aber prachtvoll ausgebildet ist. Ihr diminuendo ist das nonplus ultra, was man hren kann, ihr portamento wunderschn,ihre chromatische Tonleiter hauptschlich nach der Hhe zuunerreicht."

    Er hrte von ihr u, a. Arien von Mercadante,Frst Radziwill. aus Rossini's Barbier, Semiramis, und diebische

    Elster, dem Freischtz. \'ariationen von Rode,solche ber ein Schweizerthema. Einmal, als Chopin bei der Sonntag war,erschien Soliva mit seinen Schlerinnen, der Gladkowska und der Wolkw.Chopin musste von der Sonntag das wenig erfreuliche Urteil hren, dass dieStimmen, auch die seines Ideals, ..ganz schn, aber schon etwas ausgeschrienseien," und dass eine \'ernderung der Gesangsmethode dringend notwendigsei. Die Erfolge der Sonntag in Warschau waren kolossal. Auch in ihrerWohnung war sie von Besuchern geradezu belagert. Senatoren, Woiewoden,Kastellane, Minister, Generle und Adjutanten belstigten sie," wie Chopin alsAugenzeuge berichtet.

    Sie hat in ihrem Vortrag"', heisst es an anderer Stelle, manche ganz neue Broderie,mit der sie grossen Effekt macht, aber nicht so wie Paganini. Vielleicht hat es darin seinenGrund, dass es eine kleinere Art ist Es scheint, als ob sie den Duft eines frischen Blumen-bouquets auf das Parterre haucht, und ihre eigene Stimme bald liebkost, bald mit ihr scherzt,aber selten rhrt sie bis zu Thrnen."'

    Wichtiger jedoch als alle diese Mitteilungen sind die Berichte ber diezwei eigenen Konzerte, die Chopin im Frhjahr 1830 gab. Am 17. Mrz fanddas erste Konzert im Theater statt. Das Programm lautete:

  • 30

    Erster Teil.1. Ouvertre zur Oper ,,Leszek Biah'" von Eisner.2. Allegro, aus dem F-mf)ll- Konzert, komponiert und vorgetragen

    von Herrn F. Chopin.

    3. Divertissement fr Waldhorn, komponiert und vorgetragenvon Herrn Grner.

    4. Adagio und Rondo, aus dem F-moll-Konzert, komponiert undvorgetragen von Herrn Chopin.

    Zweiter Teil.1. Ouvertre zur Oper Cecylja Piasecynska" von Kurpinski.2. Variationen von Paer, gesungen von Mme. Meier.

    3. Potpourri ber Nationallieder von Chopin.

    Chopin schreibt darber am 27. Mrz 1830:Das erste Konzert zu dem schon drei Tage vorher weder Loge noch Parquet zu be-

    kommen war machte im Ganzen nicht den Eindruck, den ich erwartet hatte. Das ersteAllegro vom F-moU-

    Konzert (nicht fr alle

    verstndlich) wurdezwar mit Bravo be-

    lohnt, aber ich glaube,

    dies geschah mehr, weil

    das Publikum zeigenwollte, dass es ernste

    Musik versteht und zuschtzen weiss. Es

    gibt ja in allen LndernLeute, die gern die Ken-

    nermiene annehmen.

    Das Adagio und Rondohaben sehr viel Effektgemacht .... allein

    das Potpourri ber pol-

    nische Lieder (op. 13)

    hat seinen Zweck vollstndig verfehlt ; man applaudierte zwar, aber nur, um dem Spieler zuzeigen, dass man sich nicht gelangweilt habe."

    Mehrfach wurde an Chopins Spiel ausgesetzt, es wre nicht laut genuggewesen: Ich wusste ganz genau, wo diese Kraft steckt, und in dem zweitenKonzert habe ich nicht auf meinem, sondern auf einem Wiener Instrumentegespielt."

    Das zweite Konzert fand innerhalb einer Woche nach dem ersten statt.Ueber das Programm schreibt Chopin

    :

    ,,Das zweite Konzert ist mit einer Symphonie von Novakowski (einem Studiengenossen)par complaisance erffnet worden, worauf wieder das erste Allegro aus meinem Konzerte (F-moU)folgte. Darauf spielte der Theater -Konzertmeister Bielowski ein air varie von Rode, dann ich

    wieder mein Adagio und Rondo. Den zweiten Teil erffnete ich mit dem Rondo Krakowiak(op. i4) ; die Meier sang eine Arie aus der Oper ,,Helene und Malwina" von Soliva, und zumSchluss improvisierte ich ber das Volkslied: Wmiescie dziwne obyczaje" (In der Stadt sindbesondere Sitten), was den Leuten im ersten Rang sehr gefallen hat."

    Im allgemeinen aber scheint es nach Chopin's Bericht, dass er mit demPublikum nicht zufrieden war, trotz des grossen Beifalls. Man verstand dasBeste und Wesentlichste in Chopin's Spiel und seinen K(jmpositionen nicht.

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    1*^ K^c^'-.JiaiSchloss des Frsten Radziwill in Antonin bei Ostrowo, Posen.

  • 31

    Doch nach aussen hin war der Erfolg grossartig. Die Zeitungen brachten sehrgnstige Kritiken, im Kourier erschien sogar ein Sonett auf Chopin, Verehrersandten ihm ein grosses Bukett mit einem Gedicht, der MusikalienhndlerBrzezina verlangte Chopin's Portrt, nach den Themen seiner Kompositionenwurden Mazurken undVValzer arrangiert. Sehr bezeichnend fr Chopin ist dieArt, wie er das beraus gnstige finanzielle Ergebnis en bagaielle abtut: Mirist es ja nicht um die Einnahme zu tun, denn auch das Theater hat mir nichtviel eingebracht. \'on beiden Kt^nzerten hatte ich nach Abzug der Unkostennoch nicht einmal 5000 Gulden (ca. 2500 Mark)."

    Dass der grosse Erfolg dem jungen Knstler nicht zu Kopfe gestiegen war,beweisen die folgenden Zeilen, in denen er sich gegen bertriebenes Lobverwahrt:

    Eine der Nummern (des amtlichen Blattes) enthlt obwohl gut gemeint solcheDummheiten, dass ich bis zu dem Moment ganz verzweifelt war, wo ich die Antwort in derGazeta Polska" gelesen hatte, die mir gerechterweise wieder abnimmt, was die andere mirin ihrer Uebertreibung angedichtethatte. Es wird nmlich in diesemArtikel behauptet, dass, wie dieDeutschen auf Mozart, so einstensdie Polen auf mich stolz sein werden;offenbarer Unsinn I Aber noch mehr;er sagt weiter: Dass, wenn ich

    einem Pedanten oder RossinistenCdieser dumme Ausdruck!) in dieHnde gefallen wre, ich das niehtte werden knnen, was ich so-zusagen jetzt bin. Obwohl ichnun zwar noch nichts bin, so hatder Kritiker doch insofern recht, dass ich noch weniger leisten wrde, als ich in der Tat leiste,wenn ich nicht bei Eisner studiert htte."

    \'on vielen Seiten wurde Chopin gedrngt, noch ein drittes Konzert zugeben. Er will dies aber erst vor seiner Abreise i-^s Ausland geben. Fast einganzes Jahr lang ist in seinen Briefen von der Abreise die Rede, ehe es dazukommt hauptschlich war Chopins charakteristische Unentschlossenheit andieser Verzgerung schuld, dann wohl auch seine Schwrmerei fr ConstantiaGladkowska. Er war so weit vorgeschritten, dass er sich als Klavierspieler undKomponist im Auslande einen Xamen machen konnte, und berdies war zurweiteren Fortbildung Warschau nicht der geeignete Ort. Zunchst war Wienin Aussicht genommen. Doch immer wieder schob er die Abreise hinaus. Am4. September 1830 schreibt er:

    Ich sage Dir, ich habe immer tollere Einflle. Ich sitze noch hier und kann michnicht entschliessen, den Tag meiner Abreise definitiv festzusetzen. .Mir ahnt immer, als ver-liesse ich Warschau, um nie wieder nach Hause zurckzukehren: ich trage die Ueberzeugungin mir, dass ich meiner Heimat fr immer Lebewohl sage. wie traurig muss es sein, woanders, und nicht da, wo man geboren ist, zu sterben! Wie wrde es mir schwer fallen,statt der mir so teuren Gesichter meiner Anverwandten einen gleichgiltigen Arzt und einenbezahlten Diener an meinem Sterbebett zu sehen I Glaube mir, lieber Titas, ich kme manchmalgern zu Dir, um dort Ruhe fr mein beklommenes Herz zu suchen; aber da das nicht mglichist, so eile ich oft, ohne zu wissen weshalb, auf die Strasse. Aber auch dort wird meineSehnsucht durch nichts gestillt oder abgelenkt, ich kehre wieder nach Hause zurck, . . . ummich von neuem namenlos zu sehnen" . . .

    Theater in Warschau.

  • - 3^ -

    Am 18. September heisst es:Ich \. eiss nicht, weshalb ich eigentlich noch immer hier bin: aber mir ist hier so

    wonnig zu Mut, und die Eltern sind damit ganz einverstanden .... Wenn Du etwa denVerdacht hegst, dass mich hier etwas Teures fesselt, so irrst Du Dich, wie viele. Ich ver-sichere Dir, dass ich gern jedwedes Opfer zu bringen bereit wre, wenn es sich nur um meineigenes Ich handelte, und ich: obwohl ich verliebt bin noch einige Jahre lnger dieseunglckseligen Gefhle in meinem Innern verborgen halten msste."

    Am 22. September schreibt er:Ich muss Dir zunchst erklren, wie es zusammenhngt, dass ich noch hier bin. Ich

    habe indessen den festen Willen und die heimliche Absicht, Sonnabend ber 8 Tage, ohne pardon,trotz aller Lamentos, des Weinens und Klagens, wirklich abzureisen."

    Und ferner am 5. Oktober: Acht Tage nach dem Konzert bin ich sicherlichnicht mehr in Warschau," mit Bezug auf sein letztes Konzert am 11. Oktober,doch dauerte es schliesslich noch bis zum November, ehe er wirklich abreiste.Die letzten Wochen brachten mannigfache Erregungen. Whrend des Sommerswar das E-moU-Konzert vollendet worden. Die \'orbereitungen zum letzten Konzertmachten viel Mhe, dazu kam die Furcht vor der Abreise, und die Aussicht,Constantia und Mariolka und vielleicht noch andere geliebte Wesen nun end-giltig verlassen zu mssen:

    Ich bin mitunter so verrckt, dass ich vor mir selbst erschrecke ... In der Kirche,

    von einem Blicke meines Ideals getroffen, in einem Moment angenehmer Erstarrung, bin ichsofort auf die Strasse gelaufen, und gebrauchte beinahe V4 Stunde, ehe ich wieder zum vollenBewusstsein kommen konnte."

    Mit besonderer Sorgfalt stellte er diesmal sein Programm zusammen:Um ein im wahren Sinne des Wortes ischnes Konzert zu veranstalten unddie unglcklichen Klarinetten- undFiigott-Solonummern zu vermeiden, werden dieDamen Gladkowska und Wolkow einige Gesangsvortrge bernehmen.*' Nachvieler Mhe, er musste bis zum Minister gehen, erlangte Chopin, dass denDamen gestattet wurde, mitzuwirken. Kurpmski, Soliv^a und die auserwhltestemusikalische Welt wird zugegen sein; indessen habe ich zur musikalischenUrteilsfhigkeit derselben Eisner natrlich ausgenommen nicht vielVertrauen.

    Am 11. Oktober fand endlich das Konzert statt. Darber berichtet er:Das gestrige Konzert ist vollstndig gelungen. . . ich habe mich nicht im geringsten

    gengstigt und spielte als ob ich zu Hause wre. Der Saal war berfllt. Die Symphonievon Grner erffnete den Reigen; dann spielte ich das erste AUegro aus dem E-moU-Konzert,welches ich leicht hingerollt auf dem Streicher'schen Flgel vortrug. Rauschender Applausertnte dafr. Soliva war sehr zufrieden; er dirigierte seine Arie mit Chor, von Frl. Wolkowsehr gut vorgetragen. In ihrem hellblauen Gewnde sah sie aus wie eine Fee. Auf dieseArie folgte mein Adagio und Rondo (aus dem Konzert) und hierauf die bliche Pause. Kennerund Musikfreunde kamen zu mir auf die Bhne, um mir ber mein Spiel die .schmeichel-haftesten Komplimente zu machen. Der zweite Teil begann mit der Teil-Ouvertre (vonRossini). Soliva dirigirte ausgezeichnet. ... Er dirigierte nachher die Cavatine aus 'Rossini'sjLa donna del lago", welche Frl. Gladkowska sang. Sie trug ein weisses Kleid und Rosen imHaar und war reizend schn. So wie diesen Abend hatte sie (die Arie in Agnese" ausge-nommen) noch nie gesungen. O! quante lagrime per te versai", das tutto detesto" bis zumunterem h kam so herrlich zu Gehr, dass Zielinski erklrte, dieses h allein sei 10(X) Dukatenwert. Nachdem ich die Damen von der Bhne heruntergefhrt, spielte ich meine Phantasieber polnische Lieder. Diesmal habe ich mich selbst verstanden, das Orchester verstandmich und das Parterre verstand uns. Am Schluss machte der letzte Mazur grossen Effektund ich wurde strmisch gerufen, sodass ich mich viermal bedanken musste. Ich tat dies,,glaube mir, gestern Abend mit gewisser Grazie, denn Brandt hatte mir's ordentlich beigebracht."

  • - 33 -

    Endlich, am 2. November schlu^^ die Abschiedsstunde. Sehr schwermochte die Trennung gewesen sein. Mit K(;nstantia tauschte er Ringe aus.Am Tage vor der Abfahrt hatten die Freunde in der Wohnung eines seinerBekannten, Rheinschmidt's, sich zu einem Abschiedsmahle mit ihm eingefunden.Whrend dieses Mahls komponierte er die Hulanka" des Witwicki -'^), einsder polnischen Lieder. Ein silberner Pokal mit heimatlicher Erde gefllt, wurdeihm als Ehrengabe berreicht. ..Mgest Du, wo immer Du wandern und weilenmagst, nie Dein Vaterland vergessen, niemals aufhren es mit warmem, treuemHerzen zu lieben. Gedenke Polens, gedenke Deiner P'reunde, die Dich mitStolz ihren Landsmann nennen, die grosses von Dir erwarten, deren Wnscheund Gebete Dich begleiten*', waren die Worte des Sprechers, wie Karasowskisie mitteilt. Sei die Rede nun wirklich so gewesen oder anders, sie drckt, wiesie hier steht, vortrefflich den Geist aus, der damals die polnische Jugend beseelte,sie entsprach sicher den Gefhlen aller Anwesenden. Noch eine Ueberraschungwurde Chopin bereitet. Eine Stunde hinter Warschau, am Wirtshaus des DorfesWola hatte sich der alte Eisner mit einer Anzahl Schlern des Konservatoriumsaufgestellt. Als Chopin nach der Abreise von Warschau mit der Post nachWola kam, Hess Eisner von dem Schlerchor eine Abschiedskantate mitGuitarrenbegleitung singen, die er eigens fr die Gelegenheit geschrieben hatte .-^)

    Chopin's Ahnung sollte ihn nicht tuschen. Es war ihm nicht beschieden,das Vaterland jemals wiederzusehen.

    KOMPOSITIONEN DER ZWANZIGER JAHRE.

    Aus der ersten Schaffensperiode stammen eine betrchtliche Anzahl Stcke,die Chopin selbst nie verffentlicht hat. Einige davon, Walzer, Polonaisen u a.sind des Zusammenhanges wegen an anderer Stelle erwhnt. Eine Zusam.men-stellung der gesamten erhaltenen Jugendkompositionen ist im V^erzeichnis der Werkeam Ende des Bandes gegeben. Einige seien hier erwhnt und zwar solche, die be-kannt geworden sind. Op. 67

    74 sind zum grssten Teil Jugendwerke, die nach

    Chopins Tode von seinem Freunde Fontana herausgegeben worden sind.Op. 67, 68. 8 Mazurkas. Von diesen gehren einige in die Zeit bis 1830,

    nmlich op. 68, No. 2. komponiert 1827 und op. 68, No. 1 und 3 aus den Jahren1829 und 1830. Die drei Stcke haben nicht die harmonischen Feinheiten, diesich in fast allen spteren Mazurken finden, sind aber durchaus wertv^oU, inder Erfindung eigenartig und reich an schnen Melodien und pikanten, ryth-mischen Effekten. Op. 68, No. 2, heisst in Polen Slowiczek" (die kleineNachtigall), wohl wegen des Trillers im Motiv.-') Im Mittelteil besonders\\'ehen lndliche Lfte. Noch mehr ist der lndliche Charakter in denbeiden anderen Stcken ausgeprgt. Op. 68 No. 3, F-dur, ist .,wie ein Chorder Schnitter, die um die Wette ein Erntelied singen ; das Trio in der Mitte isteine tuschende Nachahmung des Dudelsackklanges" (Hoesick). In der C-durMazurka, op. 68 No. 1, herrscht tolle Lustigkeit. Burschen und Mdchen drehensich, man hrt das Stampfen der Fsse, dann wieder kommen Stellen vonzierlicher Anmut.

    Ueber op. 69 und 70, 5 Walzer und op. 71, 3 Polonaisen, wird spter im Zu-sammenhang berichtet. Op.72 enthlt eine Nocturne in E-moll, ein verhltnismssigschwaches Stck, das von smtlichen Nocturnen am untersten Ende steht, ausser-

    3

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    dem einen Trauermarsch in C-moU (entstanden 1826 oder 1829), ein glattesStck ohne einen hervorragenden Zug, und 3 Ecossaises in D-, G- und Des-dur, kleine, muntere Tanzstckchen ohne Bedeutung.

    Viel hervorragender ist op. 73, das Rondo fr 2 Klaviere, obschon auchihm schliesslich unter den Chopin'schen Werken kein hoher Rang zukommt.Das ziemlich ausgedehnte, brillante, flssige Stck zeigt vielfach Verwandtschaftmit den Konzerten, besonders in den Passagen, ist aber an Kunstwert m.it ihnennicht entfernt zu vergleichen. Es ist um 1828 entstanden.

    Eine Anzahl kleinerer Stcke ohne opus-Zahl ist in der Gesamtausgabeund den Supplementbnden (bei Breitkopf & Hrtel) mitgeteilt. Den meistendieser Stcke sieht man es mehr oder weniger an, dass sie Arbeiten einesAnfngers sind. Es mge deswegen ihre Aufzhlung in der Liste der Werkegengen.

    Eine Fuge in A-moU, die als Werk Chopins ausgegeben wird, ist wahr-scheinlich unecht. Sie hat keinen knstlerischen Wert.^"^j

    Schon von Anfang an zeigte Chopin die ihn immer auszeichnende Selbst-kritik. Unter diesen Jugendwerken finden sich einige schon ziemlich wertvolleStcke. Die meisten wren von einem jungen Durchschnittsmusiker ohneAnstand verffentlicht worden und htten ihm wahrlich keine Schande gemacht.Chopin Hess davon nicht ein Stck drucken. Es waren 4 Polonaisen, ein Rondofr 2 Klaviere, mehrere Variationenwerke, ungefhr 10 Walzer, 12 Lieder, eineAnzahl Mazurkas und Ecossaisen u. a.

    Die Sonate op. 4 hatte Chopin verffentlichen wollen, allein der WienerVerleger Haslinger druckte sie nicht, und so wurde sie erst nach ChopinsTode verffentlicht. Sie htte Chopin auch schwerlich viel Lob eingetragen,denn sie gehrt zu den unverdaulichsten semer Werke. Chopin selbstsah spter diesen Jugendversuch nicht als seiner wrdig an. Massig,schwerfllig, ungewandt und wenig bedeutend in der Erfindung erscheinen diebeiden breit angelegten usseren Stze Doch fehlen auch hier nicht einigeStellen von grossem Schwung. Das Minuetto, in der Haydnschen Art mitpolnischen Brocken versetzt, ist unpersnlich, dagegen interessiert der langsameSatz durch den Rythmus: er steht durchweg im

    '^U Takt und weist wenigstensentfernt auf den spteren Chopin hin.

    Erstaunlich ist dagegen das noch frher geschriebene Rondo op. 1. Der15jhrige Komponist schreibt wie ein alter Praktikus fr das Instrument, schafftein Werk, das den besten Stcken von Hummel und Field ebenbrtig ist. Gibt eraus Eigenem noch nicht viel bedeutendes, so ist er doch immerhin fern davon,nur nachzuahmen. Als frischer und natrlicher Ausdruck des noch unent-wickelten jugendlichen Empfindens ist diese Musik die Arbeit eines echtenKnstlers. Das Rondo ist dem Rektor des Lyceums, Dr. Samuel Bogumil Linde,gewidmet, der hufiger Gast im Chopin'schen Hause war. Robert Schumannschreibt darber an seinen knftigen Schwiegervater Wieck

    :

    (11. Jan. 1832). Chopins erstes Werk (ich glaube sicherlich, dass es das zehnte ist)ist in meinen Hnden ; eine Dame mchte sagen, dass es recht hbsch, recht pikant sei, fastmoschelesisch. Doch glaub' ich, Sie werdens Clara'n einstudieren lassen, denn Geist ist dieFlle darinnen und wenig Schwierigkeiten. Dass aber zwischen diesem und opus 2 wenigstenszwei Jahre und zwanzig Wenige liegen, behaupt' ich bescheiden."

    Das op. 2, Variationen ber die Melodie : La ci darem la mano", ausMozarts Don Giovanni mit Orchesterbegleitung, Wojciechowski gewidmet, hatte

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    im Jahre 1831 Schumanns Enthusiasmus im hchsten Grade geweckt. Mitdem Aufsatz .,Ein Werk II-', erffnete Schumann die Reihe der Davidsbndler-aufstze in der ,.Allgemeinen Mus. Zeitung.'- Er ist ein so merkwrdigesDokument, gleich bezeichnend fr Schumanns herrliche Art der positiven Kritik,wie fr den erstaunlichen Eindruck, den Chopins erste Werke machten, dass erhier wenigstens auszugsweise wiedergegeben sei

    :

    ,,Hut ab, ihr Herren, ein Genie,'* so lautet Schumann's W'illkommensgruss ,Hier war

    mir's, als blickten mich lauter fremde Augen, Blumenaugen, Basiliskenaugen, Pfauenaugen, Mdchen-

    augen wundersam an : an manchen Stellen ward es lichter ich glaubte Mozarts La ci daremla mano" durch hundert .Accorde geschlungen zu sehen, Lcporello schien mich ordentlich

    wie anzublinzeln und Don Juan flog im weissen Mantel vor mir vorber. Nun spiel's",meinte Florestan. Eusebius gewhrte; in eine Fensternische gedrckt hrten wir zu. Eusebius

    spielte wie begeistert undfhrte unzhlige Gestal-

    ten des lebendigsten Le-

    bens vorber: es ist, als

    wenn die Begeisterung

    des Augenblicks die Fin-

    ger ber das gewhn-liche Mass ihres Knnenshinaushebt. Freilich be-

    stand Florestans ganzer

    Beifall, ein seliges

    Lcheln abgerechnet, in

    nichts als den Worten,

    dass die Variationen etwa

    von Beethoven oderFranz

    Schubert sein knnten,

    wren sie nmlich Kla-vier-Virtuosen gewesen wie er aber nach demTitelblatte fuhr, weiter

    nichts las, als :

    Krakauer Vorstadt in Warschau (1828).

    La ci darem la mano, varie pour le Pianoforte avec acc. d'Orchestiepar Frederic Chopin, Ueuvre 2"

    und wir beide verwundert ausriefen: Ein W. 2", und wie die Gesichter ziemlich glhtenvom ungemeinen Erstaunen, und ausser etlichen Ausrufen wenig zu unterscheiden war, als!Ja, das ist einmal wieder was Vernnftiges Chopin ich habe den Namen nie gehrt

    wer mag es sein jedenfalls ein Genie lacht dort nicht Zerline oder gar Leporello" so entstand freilich eine Scene, die ich nicht beschreiben mag. Erhitzt von Wein, Chopin

    und Hin- und Herreden gingen wir fort zum Meister Raro, der viel lachte und wenig Neugierzeigte nach dem W. 2, denn ich kenn' euch schon und euren neumodischen Enthusiasmus nun bringt mir nur den Chopin einmal her". Wir versprachen's zum andern Tag. Eusebiusnahm bald ruhig gute Nacht: ich blieb eine Weile bei Meister Raro; Florestan, der seit einigerZeit keine Wohnung hat, flog durch die mondhelle Gasse meinem Hause zu. Um Mitternachtfand ich ihn in meiner Stube auf dem Sofa liegend und die Augen geschlossen. Chopin'sVariationen," begann er wie im Traume, gehen mir noch im Kopfe um: gewiss," fuhr er fort,

    ist das Ganze dramatisch und hinreichend Chopinisch; die Einleitung, so abgeschlossen siein sich ist kannst du dich auf Leporellos Terzensprnge besinnen- scheint mir am

    wenigsten zum Ganzen zu passen; aber das Thema warum hat er es aber aus B ge-schrieben? die Variationen, der Schlusssatz und das Adagio, das ist freilich etwas daguckt der Genius aus jedem Takte. Natrlich, lieber Julius, sind Don Juan, Zerline, Leporello,und Masetto die reaenden Charaktere, Zerlinens .Antwort im Thema ist verliebt genug be-

    3*

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    zeichnet, die erste Varation wre vielleicht etwas vornehm und kokett zu nennen derspanische Grande schkert darin sehr liebenswrdig mit der Bauernjungfer. Das gibt sichjedoch von selbst in der zweiten, die schon viel vertrauter, komischer, znkischer ist, ordent-lich als wenn zwei Liebende sich haschen und mehr als gewhnlich lachen. Wie ndert sichaber alles in der dritten! Lauter Mondschein und Feenzauber ist darin; Masetto steht zwarvon ferne und flucht ziemlich vernehmlich, wodurch sich aber Don Juan wenig stren lsst.

    Nun aber die vierte, was hltst du davon? Eusebius spielte sie ganz rein springt sienicht keck und frech und geht an den Mann, obgleich das Adagio (es scheint mir natrlich,dass Chopin den ersten Teil wiederholen lsst) aus B-moll spielt, was nicht besser passen kann,da es den Don Juan wie moralisch an sein Beginnen mahnt schlimm ist's freilich und schn,dass Leporello hinter den Gebschen lauscht, lacht und spottet, und dass Oboen und Klarinettenzauberisch locken und herausquellen, und dass das aufgeblhte B-dur den ersten Kuss der Lieberecht bezeichnet. Das ist nun aber alles nichts gegen den letzten Satz hast du noch Wein,

    Julius? das ist das ganze Finale im Mozart lauter springende Champagnerstpsel, klirrendeFlaschen. Leporellos Stimme dazwischen, dann die fassenden, haschenden Geister, der ent-rinnende Don Juan und dann der Schluss, der schn beruhigt und wirklich abschliesst." Erhabe, so beschloss Florestan, nur in der Schweiz eine hnliche Empfindung gehabt, wie beidiesem Schluss. Wenn nmlich an schnen Tagen die Abendsonne bis an die hchsten Berg-spitzen hher und hher hinaufklimme und endlich der letzte Strahl verschwinde, so trete einMoment ein, als she man die weissen Alpenriesen die Augen zudrcken. Man fhlt nur, dassman eine himmlische Erscheinung gehabt. Nun erwache aber auch du zu neuen Trumen,Julius, und schlafe! Herzens-Florestan," erwiderte ich diese Privatgefhle sind vielleicht

    zu loben, obgleich sie etwas subjektiv sind; aber so wenig Absicht Chopin seinem Geniusabzulauschen braucht, so beug' ich doch auch mein Haupt solchem Genius, solchem Streben,

    solcher Meisterschaft." Hierauf entschliefen wir.

    In dem nmlichen Heft zugleich mit Schumanns Artikel erschien noch eineziemlich absprechende Kritik eines alten Musikers". Gegen SchumannsHymnus halte man die vernichtende Kritik des Berliners Rellstab in der Iris;Wieks lobende, aber etwas nchterne Besprechung erschien im Jahre 1832 inder Caecilia.2-) Sieht man das Stck weder mit Schumanns, noch mit RellstabsAugen an, so erscheint es als eine beraus originelle und fantasievolle Impro-visation ber das Mozartsche Thema. Die Flle der geistreichsten Verzierungenund Arabesken, berraschend neuer und glnzender Passagen allein zeigt einenKenner sans comparaison der Klaviatur an. Man darf nicht an BeethovenscheVariationenkunst bei diesem Stck denken, eher an Mozarts mehr ornan:ientaleArt des Variierens. Was man immer auch einwenden drfte: das Werk bleibteine erstaunliche Talentprobe des 18jhrigen Komponisten.

    Die Grande Fantaisie sur des airs polonais" op. 13 und der Krakowiak",Grand Rondo de Concert op. 14, beide mit Orchesterbegleitung, sind sehrnahe verwandt. Das national-polnische Element kom