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Hochschule der Künste Bern HKB 2006 Haute Ecole des Arts de Berne HEAB 2006 HKB/HEAB (Hg.) Berner Fachhochschule

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  • 5Hochschule der Knste Bern HKB 2006Haute Ecole des Arts de Berne HEAB 2006

    HKB/HEAB (Hg.)

    Berner Fachhochschule

  • 7Inhalt

    Vaclav Pozarek

    Lichten

    Thomas D. Meier

    Editorial | Viele Wege fhren nach Rom, nur der mittlere nicht

    Florian Dombois

    Kunst als Forschung | Ein Versuch, sich selbst eine Anleitung zu entwerfen

    Hans Rudolf Reust

    Intuitiv

    Marie Caffari

    De la nuit la page | Comment les textes surgissent-ils ?

    Bethan Huws

    Notes

    Peter Kraut

    Die Traditionsfalle | Gedanken zur Entwicklungsgeschichte des Jazz

    Roman Brotbeck

    Das Instrument eines rchenden Futuristen und zwei Kompositionen

    eines gottlosen Mystikers | Vereinzelte Geschichten gegen die musikalische Standardisierung

    Auszge aus den Partituren

    Deux pices en tiers de ton und Etude von Ivan Wyschnegradsky

    Anselm Stalder

    Die opake Hand

    Die Hochschule der Knste Bern HKB

    La Haute Ecole des Arts de Berne HEAB

    Anhang

    Biogra en | Autorinnen und Autoren, Knstlerinnen und Knstler

    Impressum

    9

    17

    21

    31

    37

    51

    57

    65

    87

    95

    107

    117

    127

    128

  • 65

    Das Instrument eines rchenden Futuristenund zwei Kompositionen eines gottlosen Mystikers Vereinzelte Geschichten gegen die musikalische Standardisierung

    Roman Brotbeck

    Er sei wegen eines Erdbebens am 28. Januar 1875 zu frh auf die Welt gekommen. Ob

    es stimmt, ist wie vieles des sich oft selbst stilisierenden Julin Carrillo fraglich.

    Kommentar | Florian Dombois

    Lieber Roman,Lieber Roman,

    es sieht nicht gut aus fr die Zuverlssigkeit des Autobiographischen bei Carillo ... oder es sieht nicht gut aus fr die Zuverlssigkeit des Autobiographischen bei Carillo ... oder

    fr die mexikanischen Kataloge ... Schade, ich hoffte, dir die genaue Strke auf der nach fr die mexikanischen Kataloge ... Schade, ich hoffte, dir die genaue Strke auf der nach

    oben offenen Richterskala nennen zu knnen. oben offenen Richterskala nennen zu knnen.

    Herzlich,Herzlich,

    FlorianFlorian

    Anfang der weitergeleiteten E-Mail :Anfang der weitergeleiteten E-Mail :

    Von : Gottfried Gruenthal Von : Gottfried Gruenthal

    Datum : 6. Oktober 2005 16:26 :24 GMT+02:00Datum : 6. Oktober 2005 16:26 :24 GMT+02:00

    An : Florian Dombois An : Florian Dombois

    Betreff : Re : Historisches Erdbeben[Scanned]Betreff : Re : Historisches Erdbeben[Scanned]

    Lieber Herr Dombois,Lieber Herr Dombois,

    habe jetzt einen historischen Erdbeben-Katalog Mexikos aufgetrieben (von Garcia & habe jetzt einen historischen Erdbeben-Katalog Mexikos aufgetrieben (von Garcia &

    Suarez 1996, 718 Seiten, umfasst den Zeitraum von 1455 bis 1912). Darin ndet sich fr Suarez 1996, 718 Seiten, umfasst den Zeitraum von 1455 bis 1912). Darin ndet sich fr

    den Januar 1875 ein einziger Eintrag, und zwar fr den 02.1. ein Beben in Oaxaca. Auch den Januar 1875 ein einziger Eintrag, und zwar fr den 02.1. ein Beben in Oaxaca. Auch

    nichts am 28.2. oder sonstwie Passendes.nichts am 28.2. oder sonstwie Passendes.

    Dass an dem betreffenden Tag (28.1.) ein Beben stattgefunden hat, kann aber keinesfalls Dass an dem betreffenden Tag (28.1.) ein Beben stattgefunden hat, kann aber keinesfalls

    ausgeschlossen werden, da der Katalog fr diesen Zeitraum noch sehr unvollstndig zu ausgeschlossen werden, da der Katalog fr diesen Zeitraum noch sehr unvollstndig zu

    sein scheint.sein scheint.

    Mit herzlichen Gren,Mit herzlichen Gren,

    Gottfried GrnthalGottfried Grnthal

    -- --

    Dr. G. GrnthalDr. G. Grnthal

    Head of Section 5.3 Engineering SeismologyHead of Section 5.3 Engineering Seismology

    GeoForschungsZentrum PotsdamGeoForschungsZentrum Potsdam

    Das Instrument . . . | Roman Brotbeck | Hochschule der Knste Bern HKB 2006

  • 66

    Fest steht aber, dass es in Ahualulco im Estado de San Luis Potos von Mxico war. Als

    letztes und 19. Kind einer Mestizenfamilie wurde er geboren. Wegen des Krieges von

    Maximiliano aus sterreich, den Napoleon III. als mexikanischen Kaiser eingesetzt hatte,

    um Mxico zu einer katholischen Grossmacht gegen die USA aufzubauen, war die Fami-

    lie verarmt. Seinen Vater verlor Carrillo mit drei Jahren. Mit zehn Jahren schlgt er sich als

    Verdingknabe in San Luis Potos durch und lernt, mit Butter zu handeln. Er verkauft die

    Butter teurer, als er sie kauft. Spter wird er dies mit Husern tun und sich dadurch eine

    nanzielle Unabhngigkeit bewahren und sogar ein reicher Mann werden.

    Julin Carrillo lernt autodidaktisch Geige spielen und bei der 400-Jahr-Feier

    von Kolumbus Entdeckung Amerikas wird man 1892 erstmals auf seine musikalische

    Begabung aufmerksam.

    Am 4. Mai 1893 wird in Sankt Petersburg Ivan Wyschnegradsky als Sohn des Bankiers

    und dilettierenden Komponisten Ivan Aleksandrovitsch Vyshnegradskij und der Schrift-

    stellerin Sofja Ivanovna Savitch geboren. Die Familie verkehrt in der obersten Aristokratie,

    der Grossvater ist Finanzminister des Zaren.

    1895 bezahlt der Gouverneur von San Luis Potos dem 20-jhrigen Carrillo ein Stipen-

    dium, welches ihm ermglicht, am Conservatorio Nacional de la Ciudad de Mxico Vio-

    line und Komposition zu studieren.

    Der Abschluss dieses vierjhrigen Erststudiums gelingt Carrillo mit solcher

    Bravour, dass der mexikanische Staatsprsident Por rio Daz ihm eine Amati-Violine

    schenkt und ein mehrjhriges Studium in Europa ermglicht.

    Auf Umwegen kommt Carrillo nach Leipzig, spielt wohl als erster In-

    dio unter Arthur Nikisch im Orchester des Gewandhauses und gewinnt 1904 den

    renommierten Violinwettbewerb von Gent. 1905 kehrt er nach Mxico zurck, und er

    beginnt eine glnzende Karriere als Instrumentalist und als Musikerzieher. Carrillo beab-

    sichtigt, die mexikanische Jugend mit Gesangsschulen musikalisch zu frdern, weil die

    Stimme kein Geld kostet und somit allen sozialen Schichten eine gleichwertige Musi-

    kausbildung zukommen kann. Ihm schwebte vieles von dem vor, was Zoltn Kodly

    Jahrzehnte spter in Ungarn realisieren wird.

    Eingebettet war diese Karriere vom Verdingknaben und Botenjungen zum he-

    rausragenden Musiker ins sogenannte Por riaco in die 34 Jahre Regierungszeit des

    Diktators Por rio Daz. Was Carrillo im Kleinen machte, nmlich die Anpassung an die

    europischen Musikstandards, hat Daz in einer gewissen Analogie im Grossen realisiert :

    Er hat Mxico zu einem aufstrebenden Staat gemacht, einen relativen Wohlstand er-

    mglicht und ein ernst zu nehmendes Kulturleben aufgebaut. Er hat Mxico als gewichti-

    gen Staat in die internationale Staatengemeinschaft integriert, indem er weitgehend die

    europischen Standards bernahm. Zugleich hat er aber auch einen dicken Filz von Macht

    und Protektion aufgebaut, der schliesslich in die mexikanische Revolution mndete.

    Das Instrument . . . | Roman Brotbeck | Hochschule der Knste Bern HKB 2006

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    Am 31. Mai 1911 chtet Por rio Daz aus seinem Land und besteigt den deutschen

    Dampfer Ipirange, der ihn nach Europa bringt. Carrillo be ndet sich zu dieser Zeit in Lon-

    don und verlangt am Congress of the International Musical Society die Standardisierung

    der Notation fr die Familie der Saxophone und diejenige der Saxhrner, die in Mxico in

    den bandas militares in jedem Dorf noch heute gespielt werden.

    Bei seiner Rckkunft in Mxico herrscht die Revolution. Carrillo ndet alles

    verndert vor und verliert die bis dahin erreichten gesellschaftlichen Stellungen.

    Im gleichen Jahr, also 1911, lassen sich Wyschnegradskys Eltern scheiden. Der Kon-

    takt zum Vater bricht nahezu ab. 1912 nimmt Ivan Wyschnegradsky als Privatstudent

    bei Nikolaj Aleksandrovitsch Solokov Harmonielehre-Unterricht, und er beginnt zu

    komponieren. 1915 kommt es zu einer lebensbestimmenden Begegnung. Wyschne-

    gradsky lernt vier Wochen vor dessen Tod Aleksandr Skrjabin kennen. Diese einzelne

    und kurze Begegnung bleibt fr sein ganzes Leben prgend. Skrjabin wird das einzige

    wirkliche Vorbild werden. 1916 und 1918 erlebt Wyschnegradsky zwei mehrtgige bis

    mehrwchige Illuminationen, die erste visueller, die zweite auditiver Art. Er beschreibt

    sie in seinem Tagebuch als Visionen einer unglaublichen Totalitt. Diese Visionen wie-

    derholen sich nicht mehr. Aber Wyschnegradsky will diese erfahrene Totalitt von nun

    an realisieren, und zwar visuell wie akustisch. Nach der zweiten Illumination tauchen im

    Tagebuch erstmals der Begriff des continuum sonore und in Zusammenhang damit die

    Mikrotne auf. Auch das continuum sonore wird Wyschnegradsky sein ganzes weite-

    res Leben beschftigen. Er stellt sich darunter einen vllig uniformisierten Superakkord

    vor, der alle Tne enthlt und der sich doch nicht zum weissen Rauschen vereinfacht.

    Parallel zu diesen mystischen Erfahrungen, die Wyschnegradsky mit Hatha-Yoga zu

    erweitern und zu verstehen versucht, verschreibt er sich mit grosser Begeisterung der

    Russischen Revolution. Er erhofft sich vom Kommunismus die Gleichschaltung und Ent-

    individualisierung aller Menschen und sieht darin die Parallele zur Uniformisierung aller

    Elemente, die er whrend seiner Illuminationen erlebt hat. Er wird trotz Stalin, Gulag,

    Prager und anderer Putsche berzeugter Kommunist bleiben. Wyschnegradsky sucht in

    dieser Zeit den Kontakt zu den Petrograder FuturistInnen.

    1913 strzt und ermordet der rechtsextreme Victoriano Huerta den neuen mexikani-

    schen Prsidenten Francisco Madera mit Hilfe der Armee, die immer noch zu Por rio Daz

    hlt, und mit massiver Untersttzung der USA, welche eine Verstaatlichung der lfelder

    frchten, und ernennt sich selbst zum Prsidenten. Carrillo bernimmt in dieser Zeit die

    Direktion des Conservatorio Nacional in Mxico D. F., was wahrscheinlich sein grsster

    politischer Fehler war. Nach Huertas Sturz 1914 chtet Carrillo mit seiner grossen Familie

    nach New York. Er entwirft 1917 mglicherweise unter dem Eindruck einer Begegnung

    mit dem aus Russland stammenden Futuristen Leo Ornstein den Text El sonido 13.

    Das Instrument . . . | Roman Brotbeck | Hochschule der Knste Bern HKB 2006

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    Es ist einer der ganz wenigen futuristischen Texte aus Lateinamerika. Carrillo kndet

    dort nichts anderes als das Ende der europischen Musik an. Mit dem Sonido 13, dem

    13. Ton, dessen verrufene Wirkung als Unglckszahl natrlich mitgemeint ist, benennt

    Carrillo jeden Ton, der sich dem Halbtonsystem entzieht bzw. dieses System in kleinere

    Intervalle unterteilt. Es ist also nicht ein einzelner Ton, sondern es sind Tausende von

    Tnen, die nur eines gemeinsam haben : Sie verweigern den Standard des Halbtonsys-

    tems. Diese feinere Unterteilung wird alle frhere Musik vernichten : El sonido 13 ser

    el principio del n y el punto de partida de una nueva generacin musical que llegue a

    transformarlo todo, pues no quedar ni un solo de los instrumentos actuales, todos

    ellos sern insu cientes para producir la abrumadora cantidad de sonidos que van a

    emplearse. (Plticas Musicales, 2. Teil, Mxico 1923, S. 270). Der Sonido 13 wird der

    Anfang und das Ende sein und der Ausgangspunkt einer neuen musikalischen Genera-

    tion, die alles verndern wird, denn es wird nicht ein einziges der gegenwrtigen Instru-

    mente brig bleiben ; alle werden unfhig sein, die berwltigende Menge von Tnen zu

    erzeugen, die man verwenden wird.

    Die Emphase, mit der Carrillo mit dieser Revolution des Sonido 13 all das

    zerstren will, worin er selber gross und womit er bekannt geworden ist, knnte man

    als ethnokulturellen Vatermord bezeichnen. Er ruft in den Kategorien Europas zur

    Gegenkolonialisierung auf. Carrillo bernimmt sozusagen das Denken der europischen

    conquistadores und will nun musikalisch Europa von Mxico aus zurckerobern, indem

    er die europische Musik und ihre Standards zerstrt. Im Jahre 1925 wird er schreiben :

    Con la revolucin musical del sonido 13, Mxico pagar a la madre Europa su deuda

    de cultura ofrendndole una nueva msica. Mit der musikalischen Revolution des

    Sonido 13 wird Mexiko der Mutter Europa seine kulturelle Schuld zurckgeben, indem

    es ihr eine neue Musik schenkt. Carrillo verwendet im Zusammenhang mit den Ideen

    des Sonido 13 hu g das Wort conquista, und ber dessen historische Konnotationen

    kann in einem Land, in dessen Geschichte das ganze 16. Jahrhundert den Epochen-

    begriff La Conquista erhalten hat, kein Zweifel herrschen.

    Carrillos Revolution des Sonido 13 weist eine auffllige Spiegelung der Kolo-

    nialisierungsstruktur auf : Das Kolonialisierte unternimmt die Kolonialisierung des Kolonia-

    lisierenden. Carrillo bleibt whrend seiner ganzen zweiten Lebenshlfte von dieser Idee

    gepackt. In seiner Perspektive kann er in den Tendenzen zu einer nationalmexikanischen

    Musik, bei denen man die Musik der Indios und der Mestizen zu erforschen und mit ihren

    Melodien und Rhythmen zu komponieren begann, nur einen riesigen Rckschritt sehen.

    Einmal davon abgesehen, dass bei diesen ethnomusikalischen Erforschungen in Mexiko

    die prhispanischen Quellen fast immer von jenen Spuren der Zerstrung unkenntlich

    gemacht sind, welche die spanischen und italienischen Sldner hinterlassen hatten, gin-

    gen solche Bestrebungen in Carrillos Sicht in die vllig falsche Richtung.

    1923 wurde Carrillo erneut Direktor des Conservatorio nacional. In dieser

    Funk tion publizierte er den zweiten Teil seiner Plticas musicales, in denen auch der Auf-

    Das Instrument . . . | Roman Brotbeck | Hochschule der Knste Bern HKB 2006

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    satz El sonido 13 abgedruckt wurde. Dieser Aufsatz bewirkt nun einen enormen Sturm

    der Entrstung und fhrt letztlich zu Carrillos Rcktritt als Direktor des Conservatorio. Es

    entspinnt sich eine der bissigsten musikalischen Pressedebatten, die in Mxico je gefhrt

    wurden, eingebettet zwischen Berichten von Stierkmpfen und Tanzveranstaltungen.

    Dabei fokussiert sich die Diskussion sehr bald auf die Frage, wer der Er nder der

    Mikrotne sei. Carrillo beansprucht diese Er nderschaft fr sich in teilweise absurder

    Argumentation. Aber das Eingestndnis der Tatsache, dass die Mikrotne lngst Be-

    stand teil der europischen Musik waren und mikrotonale Instrumente schon in den 90er

    Jahren des 19.Jahrhunderts ein Thema waren, htte Carrillos Konstruktion der mexika-

    nischen Revolution und seine eigene Rolle als Rcher der europischen Kultur selber

    infrage gestellt. Immerhin wird er durch die Pressekampagne gezwungen, auch als Kom-

    ponist umzusetzen, was er bisher als Theoretiker behauptet hat. Und so entwirft er

    mikrotonale Instrumente und lsst sie bauen. Und er schreibt erste mikrotonale Kompo-

    sitionen. Die erste mikrotonale Komposition von Carrillo ist fr Stimme (ohne Text), Flte,

    Violine, Gitarre in Viertel-, Octavina (eine von Carrillo konstruierte Stehgitarre, hnlich wie

    ein Kontrabass gespielt) in Achtel- und eine Arpa-Citara (eine von Carrillo konstruierte

    Zither) in Sechzehnteltnen geschrieben. Schon in seiner allerersten Komposition hat

    Carrillo die verschiedenen mikrotonalen Systeme vermischt und Figuren des einen Sys-

    tems ins andere bertragen. Und der Titel dieses ersten mikrotonalen Werkes aus dem

    Jahre 1924 : Preludio a Coln Prludium fr Kolumbus !

    In Petrograd experimentiert Wyschnegradsky 1919 mit Sechstel- und Zwlfteltnen. Er

    entwirft Notationen auf elf Linien und macht Plne fr ein viermanualiges mikrotonales

    Instrument, welches Zwlfteltne htte realisieren knnen. Er sieht in der Sowjetunion

    keine Mglichkeit, seine Ideen eines mikrotonalen Instrumentes in die Realitt umzu-

    setzen, und reist deshalb mit seiner Mutter ber Helsinki, Stockholm und London nach

    Paris, wohin sein Vater bereits emigriert ist, und lebt dort von dessen Untersttzung. Er

    nimmt Kontakt zur Firma Pleyel auf, um ein Vierteltoninstrument zu konstruieren. Glei-

    chzeitig will er den Klavierautomaten weiterentwickeln. Wyschnegradsky schwebt vor,

    die InterpretInnen aus dem musikalischen Produktionsprozess herauszunehmen und

    die Reproduktion der Musik zu automatisieren. Der Komponist sollte sein Klangresultat

    selbst be stim men knnen und sein Werk nicht von der Ungenauigkeit und insbesondere

    von der Subjektivitt der InterpretInnen abhngig machen mssen ! Damit verbunden

    schwebt ihm eine mathematisch kontrollierte rhythmisch-modulatorische Komplexitt

    vor, insbesondere Beschleunigungen und Verlangsamungen, die spielende InterpretIn-

    nen kaum noch bewltigen knnten.

    Wyschnegradsky verlegt seinen Wohnsitz nach Berlin und sucht Kontakt zu

    den deutschen und tschechischen Pionieren der Mikrotonalitt, z.B. Richard Stein aus

    Berlin und Alois Hba aus Prag. Sie zerstreiten sich aber ber der Frage, wie das Viertel-

    tonklavier gebaut werden sollte. Spter hat dann Hba das Modell von Wyschnegradsky

    Das Instrument . . . | Roman Brotbeck | Hochschule der Knste Bern HKB 2006

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    bernommen und einen Flgel mit drei Manualen bauen lassen, bei dem das oberste

    und das unterste Manual gleich gestimmt sind, whrend das mittlere einen Viertelton

    hher klingt. Das erleichtert das kombinierte Spielen. Wyschnegradsky, der genau diesen

    Flgeltyp propagiert hatte, hat Hba diesen Ideenraub nie verziehen. Als Wyschnegradsky

    im Mai 1923 wahrscheinlich wegen seines offenen Bekenntnisses zum Kommunismus

    und entsprechender Kontakte in Leipzig ohne Angabe von Grnden verhaftet und sofort

    aus Deutschland ausgewiesen wird, lsst er sich de nitiv in Paris nieder. Nur die deutsche

    Schreibweise seines Namens hlt er bei. In Paris heiratet er Hlne Dubois, die Tochter

    des russischen Malers, Bhnenbildners und Theaterreformers Alexandre Benois. 1924

    wird der Sohn Dimitri geboren, ein Jahr spter die Ehe geschieden. Wyschnegradsky

    wird berzeugter Naturist, beginnt die erste Niederschrift seiner Loi de la Pansonorit,

    absolviert die Autoprfung und braucht das Erbe des 1926 verstorbenen Vaters rapide

    auf. Ab 1933 beginnt die Zeit des Hungerns und der Gelegenheitsjobs. In Kinos kopiert

    er fr die Raubdrucke franzsischer Musikhuser die Songs amerikanischer Filme, und

    er bettigt sich als Notenkopist, z.B. von Danse de morts des reicheren Schweizer

    Komponisten Arthur Honegger. Die prekre nanzielle Situation ndert sich kaum. Am

    Ende soll er fast Hungers gestorben sein.

    Carrillo geht mit seiner Revolution des Sonido 13 aufs Ganze. Er gibt eine Zeitung El

    Sonido 13 heraus, er mietet einen Pullman-Wagen und bereist auf dem mexikanischen

    Zugsnetz, das damals als das wichtigste Symbol fr Fortschritt gilt, ganz Mxico, um

    auch noch in die kleinste Stadt die Revolution des Sonido 13 zu bringen. Natrlich gibt

    es in seinem Geburtsort Ahualulco, das sich zufllig einen Steinwurf neben der Bahnlinie

    in den Norden be ndet, einen Extrahalt, und fast jede Strasse von Ahualulco ist bis heute

    mit Namen von mikrotonalen und anderen Komponisten benannt. Inzwischen hat Carrillo

    eine Zahlennotation entwickelt, bei der die Notenkpfe durch Zahlen ersetzt werden.

    Dabei nimmt er als Grundlage das Sechzehnteltonsystem mit 96 Tnen je Oktave. Und

    er nummeriert dann die Tne von 0 bis 95 durch. Diese Zahlennotation will er auch inter-

    national durchsetzen. Als ihm in Mxico der Erfolg versagt bleibt, reist er nach New York

    und begegnet dort Leopold Stokowski, der sich fr seine Revolution begeistert und ihm

    Kompositionsauftrge vermittelt. Stokowski wird ihm zum wichtigen Berater. Er emp ehlt

    Carrillo, fr das Orchester in Halbtnen, fr die solistischen Instrumente aber in feiner

    unterteilten Tonsystemen zu komponieren.

    Aus diesem Vorschlag heraus entwickelt Carrillo 1927 die Leyes de la me-

    tamorfosis musical (Gesetze der musikalischen Metamorphose). Die Stauchung bzw.

    Dehnung von Motiven erklrt er zum Grundprinzip des Komponierens und vergleicht sein

    Vorgehen mit der Vergrsserungs- und Verkleinerungstechnik in der Fotogra e. Dieses

    Kompositionsprinzip beschrnkt er allerdings nicht nur auf die eigenen Werke, sondern

    bertrgt es auch auf smtliche Halbtonkompositionen und damit auf die ganze Mu-

    sikgeschichte, ja, er preist sich als Retter dieser Werke an, weil mit seinen Leyes Werke

    Das Instrument . . . | Roman Brotbeck | Hochschule der Knste Bern HKB 2006

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    von Johann Sebastian Bach beispielweise ins Achtel- oder Vierteltonsystem gestaucht

    gespielt und damit in die neue Zeit des Sonido 13 hinbergerettet werden knnen.

    Stolz und hierin echter Futurist erwhnt er ausdrcklich, der Vorteil bei der musika-

    lischen Vergrsserung bestehe im Vergleich zur Fotogra e darin, dass bei der Fotogra e

    das Original sofort erkannt werde, whrend bei seinen Dehnungen und Stauchungen tat-

    schlich neue Kompositionen entstnden und niemand mehr eine ins Achteltonsystem

    gestauchte Beethoven-Sonate als solche erkennen knne. Er lobt sich dafr, dass er mit

    seinen Leyes aus den 100 Streichquartetten von Haydn fast 2000 zaubern knne, wenn

    man sie in all seinen Systemen spielen wrde. Ja, er wagt sich gar nicht auszumalen,

    welche Mglichkeiten die Literatur htte, wenn sich denn seine Gesetze in die Sprache

    bertragen liessen. Da knnte man Sophokles und andere vervielfachen.

    Kommentar | Marie Caffari

    La dmultiplication systmatique dune uvre originale na pas t entreprise, cette

    chelle, par des crivains. LOulipo pratique nanmoins une littrature transformationnelle.

    Il est notamment possible de transformer un texte original par un procd smantique

    (remplacer certains mots par dautres par exemple) et de crer ainsi un nouveau texte.

    Ces expriences, en partie ludiques, nont pas fondamentalement chang le matriau

    littraire, elles posent cependant la question du rapport loriginal, avec lequel dautres

    auteurs peuvent interagir, dune faon la fois irrvrencieuse et respectueuse.

    Die Vervielfachung, welche das Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit der Kunst

    ermglicht, wird von Carrillo berhht, indem er nicht nur die Originale kopiert, sondern

    aus den Originalen Tausende von neuen Originalen ableitet.

    Kommentar | Florian Dombois

    Gibt es Aufnahmen, in denen solche klassischen Kompositionen einer Einspielung auf

    Carrillos Instrumenten gegenbergestellt werden ? Wie wre es, wenn man einmal das-

    selbe Stck auf unterschiedlichen Systemen einspielte : auf einem regulren Flgel, dann

    einem mit Halbtonsystem, Drittel-, Viertelton etc. bis hin zum Sechszehnteltonklavier ?

    Wie wrde sich solch ein Morphing wohl anhren ?

    Kommentar zu Florian Dombois | Roman Brotbeck

    Jean-Etienne Marie hat ber dieses Morphing ganze Stcke geschrieben. Carrillo sel-

    ber hat in Konzerten einige Male auch berhmte Stcke der europischen Musik, insbe-

    sondere J. S. Bachs, entsprechend metamorphosiert.

    Mit den Gesetzen der Metamorphose beansprucht der rchende und zugleich neues Le-

    ben spendende Julin Carrillo in New York die Autorschaft der ganzen Musikgeschichte.

    No me extraar la oposicin que algunos msicos hagan a estas leyes, pero el dilema

    Das Instrument . . . | Roman Brotbeck | Hochschule der Knste Bern HKB 2006

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    es tremendo e inevitable : o se sujetan las composiciones a mis Leyes de metamorfosis,

    o mueren. (Leyes de metamorfosis musical, Mxico D. F. 1947, S. 63) Der Widerstand,

    den gewisse Musiker gegen diese Gesetze leisten werden, wird mich nicht verwundern,

    aber das Dilemma ist frchterlich und unausweichlich : Entweder unterwerfen sich die

    Kompositionen meinen Gesetzen oder sie werden absterben.

    Ende der zwanziger Jahre wieder nach Mxico zurckgekehrt formuliert

    Carrillo erstmals den Plan, Klaviere in allen mikrotonalen Tonsystemen bis zum 16tel-

    Ton-Klavier zu bauen. Er lsst die Instrumente 1940 in Mxico patentieren. Aus dem

    Bau wird aber nichts. Die Revolution des Sonido 13 bringt keinen Erfolg. Carrillo beginnt

    sich um die Karriere seines jngsten Kindes zu kmmern, der Tochter Dolores, die man

    immer Lolita nennen und die eine Seorita bleiben und ihr ganzes Leben dem Vater

    verschreiben wird. Er fhrt mit ihr als Solistin Beethovens Klavierkonzerte auf. Leopold

    Stokowski reisst Carrillo schliesslich aus seiner Isolation heraus, indem er ihm 1948 den

    Kompositionsauftrag fr Horizontes gibt. Carrillo ist nun 73 Jahre alt und bricht noch-

    mals mit voller Energie auf in den Kampf fr den Sonido 13. 1949 lsst er sich von

    Frederico Buschmann einen Drittelton gel als Experimentalinstrument bauen. 1950 be-

    reist er mit diesem Instrument nach fast vierzig Jahren erstmals wieder Europa und fhrt

    das Instrument in der Sorbonne in Paris vor.

    Ivan Wyschnegradsky arbeitet in Paris intensiv an der musikalischen Umsetzung des

    continuum sonore. Als berzeugter Kommunist will er zurck in die Sowjetunion und

    steht 1927 bereits mit gepackten Koffern auf der Gare de lEst. Aber er steigt schliesslich

    nicht in den Zug ein.

    Auf seiner Suche nach dem Allakkord entwickelt Wyschnegradsky eine in dieser Art im

    20. Jahrhundert einmalige konzeptionelle Durchdringung des musikalischen Materials. Er

    weiss, dass man den Allakkord nicht realisieren kann, weil die Addition aller Tonhhen ein

    sehr einfaches akustisches Phnomen ergibt, nmlich das weisse Rauschen, wie es zum

    Beispiel neben einem dichten Wasserfall gut zu erfahren ist.

    Fr Wyschnegradsky ist dieser Allakkord, er nennt es le continuum absolu,

    aber keinesfalls bloss ein Rauschen, sondern die grsstmgliche klangliche Komplexitt

    und auch : die grsstmgliche denkbare musikalische Information. Whrend Carrillo mit

    seinem Sonido 13 das Chaos der Tonhhen erzeugen und damit die Standards der

    Halbtonwelt hinter sich lassen will, ist fr Wyschnegradsky das continuum absolu, das

    alle Tne enthlt, die hchste denkbare Ordnung. Es stellt ein Konzept dar, welches sich

    nur relativ in sinnliche Realitt umsetzen lsst. Deshalb leitet Wyschnegradsky vom conti-

    nuum absolu das continuum relatif ab, welches sich in einer Brechung und in unterschied-

    lichen Graden vom Konzept des Alltonakkordes mal entfernt, mal sich ihm annhert.

    Um das continuum relatif zu einem komponierbaren, d. h. modulier- und ver-

    nderbaren musikalischen Material zu machen, fhrt Wyschnegradsky drei Parameter ein :

    Das Instrument . . . | Roman Brotbeck | Hochschule der Knste Bern HKB 2006

  • 73

    1. Le volume

    Damit ist der Umfang des Kontinuums gemeint. Bei einem halbtnigen Klavier ist das

    Anschlagen des obersten und des untersten Tones das grsstmgliche Volumen, eine

    kleine Sekunde ist das kleinstmgliche Volumen.

    2. Lunit spatiale

    Damit ist das kleinste regelmssige Intervall gemeint, welches den Baustein des ganzen

    Systems bildet. Beim normalen halbtnigen Klavier ist die unit spatiale der Halbton,

    beim Sechzehnteltonklavier von Carrillo ist es der Sechzehntelton.

    3. La densit

    Damit ist die Dichte eines Akkordes gemeint. Das Anschlagen des untersten und des

    obersten Klaviertones bedeutet die kleinstmgliche Dichte, ein Cluster, der mit einem

    ber die Tastatur gelegten Brett realisiert wird und bei dem alle Tasten angeschlagen

    werden, wre die grsstmgliche Dichte auf dem Klavier.

    Schon hier wird klar : Wyschnegradsky entwirft ein komplett neu de niertes Musiksystem

    und stellt fast smtliche Werte der bisherigen Musik auf den Kopf. Da wird nicht von Ska-

    len, Intervallen, Akkorden oder gar Motiven aus die Musik aufgebaut, sondern mittels einer

    regelmssigen Filterung und Zerschneidung dessen, was in der mathematischen Informa-

    tionstheorie das informelle Rauschen, d. h. die Totalitt aller Informationen, genannt wird.

    Wyschnegradsky komponiert mit diesen Parametern die extremsten und zugleich diffe-

    renziertesten Cluster-Kompositionen des 20. Jahrhunderts. Die Wertigkeit des Clusters

    verndert sich dabei gegenber andern Cluster-Komponisten grundstzlich. Gemeinhin

    wird der Cluster, also das gemeinsame Anschlagen z.B. aller Tne innerhalb einer Oktave,

    als eine Steigerung der Dissonanz verstanden. Fr Wyschnegradsky verhlt es sich um-

    gekehrt : Je breiter und dichter der Cluster und je kleiner die unit spatiale ist, desto

    grsser ist sein harmonischer Wert. Ein Einzelton, ein einzelnes Intervall oder ein Motiv,

    also das, wovon andere KomponistInnen ausgehen, hat in diesem System den Charakter

    einer Dissonanz und ist Ausdruck grsstmglicher Kontingenz.

    Wyschnegradsky hat als Erster sein Tonhhensystem nicht vom Einzelton

    und von daraus abgeleiteten Intervallen oder Akkorden aufgebaut, sondern vom Raum-

    konzept des gesamten hrbaren Bereiches, den er mit unterschiedlichen Formen des

    continuum relatif klanglich ausschreitet.

    Allerdings konnte Wyschnegradsky bei diesem System, das er La Loi de la

    Pansonorit nannte, eine lstige Periodizitt im musikalischen Raum noch nicht berwin-

    den, nmlich die Oktave. Dies hngt mit dem menschlichen Ohr zusammen, welches

    mehr als eine Oktave hren kann, whrend beispielsweise das Auge nur knapp eine Ok-

    tave sieht und deshalb Ultraviolett und Infrarot zu einem kontinuierlichen bergang er-

    gnzt und so den Farbkreis schliesst. Beim Gehr ist dies anders ; da identi ziert man ei-

    nen um eine Oktave verschobenen Ton als den gleichen. Und deshalb wird der hrbare

    Das Instrument . . . | Roman Brotbeck | Hochschule der Knste Bern HKB 2006

  • 74

    Raum von diesen Oktaven periodisiert. Wyschnegradsky empfand diese Periodizitt als

    Nachteil, weil sie dem Konzept des Alltonakkordes widerspricht. Deshalb begann er mit

    Farben zu experimentieren, wobei er das Problem da gerade nicht lsen konnte und im

    eigentlichen Sinne im Kreis drehte, weil die Farbwellen fr das menschliche Auge eben

    nur knapp eine Oktave aufweisen und deshalb flschlicherweise einen Kreis bilden ;

    das menschliche Ohr hrt jedoch nicht nur eine, sondern sieben bis acht Oktaven. Trotz

    der schwierigen Analogie zwischen Hren und Sehen hatte Wyschnegradsky aber auch

    bei den Farben grosse Plne : Er hoffte, die Kuppel des Pantheons in Paris nach seinen

    Farbserien ausmalen zu knnen, und mass mit seinem Sohn whrend der Befreiung von

    Paris durch die Amerikaner die Kuppel des Pantheons aus.

    1953 beendete er in mehreren franzsischen Schulheften endlich das Manus-

    kript von La Loi de la Pansonorit. Es wurde drei Jahrzehnte nach seinem Tode publiziert.

    Am 26. 8.1954 wird der Pianist Pierre Sublet in Neuchtel einen Tag vor mir geboren.

    Der franzsische Komponist Jean-Etienne Marie wird auf Carrillo aufmerksam und ldt

    ihn 1954 erneut nach Frankreich ein. In der Folge entsteht der Kontakt zur Klavierfa-

    brik Sauter in Spaichingen bei Donaueschingen. Diese Klavierfabrik verwirklicht Carrillos

    Idee von Klavieren in allen mikrotonalen Tonsystemen und baut 15 Klaviere in der Form

    von Tafelklavieren. Jedes Klavier weist eine andere Stimmung auf, vom Ganztonklavier

    bis zum Sechzehnteltonklavier. Carrillos Er ndung verbindet die enorme Verfeinerung

    des Tonsystems mit einer ebenso enormen Beschrnkung : Jedes Klavier hat nmlich

    gleich viele Tasten und damit auch gleich viele Tne. Der Tonumfang wird also kleiner, je

    feiner die mikrotonale Stimmung ist. Beim Sechzehnteltonklavier betrgt der totale Ton-

    umfang der 97 Tasten nur noch eine Oktave. Die Firma Sauter baute auch noch einen

    Drittelton gel. Diese Instrumente stellte Carrillo 1958 an der Weltausstellung in Brssel

    aus, und zwar nicht im mexikanischen Palais, weil dort Intrigen den Auftritt des als loco,

    als Verrckten, verschrienen Carrillo verhinderten, sondern im Palais der belgischen K-

    nigin. Spter zeigte er die Klaviere in Paris und zurck in Mxico erhoffte er sich, dass

    die Klaviere im Castello de Chapultepec in Mxico D. F. schliesslich einen de nitiven Ort

    nden wrden, also im kaiserlichen Schloss jenes Maximiliano aus sterreich, dessen

    Kriege Carrillos Vater hundert Jahre zuvor verarmen liessen. Daraus wurde nichts.

    An der Weltausstellung in Brssel kam es nach 35 Jahren zur Wiederbegegnung von

    Ivan Wyschnegradsky und Alois Hba und zur ersten Begegnung dieser Komponisten mit

    Julin Carrillo. Eine neue Bewegung der mikrotonalen Musik entsteht aus dieser Begeg-

    nung allerdings nicht mehr. Die lteren Herren sind dermassen auf die Bewahrung ihrer

    eigenen Stellung in der Musikgeschichte bedacht, dass sie sich kaum aufeinander einlas-

    sen. So komponiert Carrillo ein Vierteltonstck, welches er zwar Hba widmet, das man

    aber auf dem Hba-Flgel kaum, dafr auf Carrillos Viertelton-Klavier sehr leicht spielen

    Das Instrument . . . | Roman Brotbeck | Hochschule der Knste Bern HKB 2006

  • 75

    kann. Auch im Alter erteilt man sich noch gegenseitig Lektionen und spielt in Form von

    Widmungen und Geschenken die eigenen Er ndungen gegen jene der andern aus.

    Carrillo bekommt durch den franzsischen Komponisten Jean-Etienne Marie die Mg-

    lich keit, den Grossteil seiner Werke mit guten franzsischen Orchestern auf Schallplatte

    einzuspielen. Ein Teil seiner Werke wird bei Jobert in Paris verlegt. Mit ber 85 Jahren

    kann Carrillo seine ersten echten internationalen Erfolge feiern. Er wird in die franzsi-

    sche Ehrenlegion aufgenommen und bekommt das Grosse Bundesverdienstkreuz der

    Bundesrepublik Deutschland.

    1962 komponiert Carrillo die Vierteltonmesse fr Mnnerchor a cappella, wel-

    che der Kirchenreform von Johannes XXIII. gewidmet ist.

    Kommentar | Peter Kraut

    Carrillo ist ein revolutionrer Esoteriker : Das Utopische seiner Ideen wird immer nur im

    kleinen Kreis, im Bund der Eingeweihten, realisiert werden knnen, Geltungsanspruch

    und Versprechen sind aber universell. Das kontrastiert seltsam und gleichzeitig mit einem

    beraus modernen Aspekt seiner Mission. Sie ist das, was wir heute unter Kunst und

    Forschung proklamieren. Carrillo geht von physikalischen Tatsachen aus, vom Unhinter-

    gehbaren der Akustik. Aber er ordnet die Regeln neu, unter denen wir hren, und zwar

    nach knstlerischen Gesichtspunkten. Er stellt musikalische Konventionen in Frage, in-

    dem er sich naturwissenschaftlichen Problemen widmet. Dabei denkt er die Musik nicht

    nur von ihren technischen Mglichkeiten her weiter, sondern auch im Vergleich zu ande-

    ren Knsten wie Fotogra e oder Literatur. Und er erinnert frh daran, dass der grsste

    Teil der abendlndischen Musik auf einem Konsens beruht, der drastische Einschrn-

    kungen des potentiell mglichen Tonvorrats nach sich zieht.

    Am 9. September 1965 stirbt Julin Carrillo im Alter von ber 90 Jahren im Stadtteil San

    Angel von Mxico D. F. Seine Tochter Dolores htet das Haus, den Nachlass und die

    zahlreichen Klaviere.

    Wyschnegradsky gelingt es in den sechziger Jahren, sein Konzept der Pansonoritt

    noch einmal grundlegend zu verndern und zugleich das Oktavenproblem zu lsen.

    Diese Lsung besteht darin, dass er die Oktave nicht wie die meisten KomponistInnen

    in der Nachfolge der Dodekaphonie einfach vermied oder verbot, sondern indem er ihre

    Periodizitt neu de nierte. Er entwickelte ein neues Konzept mit knstlichen Oktaven,

    die zwar den akustischen Raum periodisierten, aber den Wiedererkennungseffekt des

    Oktavtons als Gleiches ausschalteten. Deshalb ersetzte er die natrliche Oktave mit

    leicht gestauchten oder leicht erweiterten Oktaven, sprich grossen Septimen und klei-

    nen Nonen. Er nannte diese Innovation das System der nichtoktavierenden Tonrume.

    Das Instrument . . . | Roman Brotbeck | Hochschule der Knste Bern HKB 2006

  • 76

    Ein Beispiel aus dem Halbtonsystem kann das Prinzip zeigen :

    Mit den neuen Oktaven erreicht Wyschnegradsky ein zyklisches System, bei dem sich

    die neuen Oktaven im Sinne einer Krmmung wieder treffen (im obigen Beispiel treffen

    die Tne nach 11 natrlichen Oktaven wieder auf dem Ton D zusammen). Allerdings kann

    dieses gekrmmte Zusammenkommen und dies muss Wyschnegradsky als materialis-

    tischen Mystiker enorm begeistert haben nicht im hrbaren Raum statt nden, denn es

    bruchte dazu ein Gehr, welches nicht sieben bis acht, sondern elf Oktaven hren knn-

    te. Auf diese Weise kann Wyschnegradsky den hrbaren und den unhrbaren Raum mit

    dem gleichen System verbinden. Als berzeugter Materialist hat er damit die Dualitt von

    Klang und Nichtklang durchstossen, indem er beides dem gleichen Gesetz unterwirft.

    In Zusammenhang mit dem System der nichtoktavierenden Tonrume fhrt

    Wyschnegradsky ein neues Ordnungsprinzip ein, welches er als guter Kommunist r-

    gime nennt und mit dem er innerhalb einer Komposition alle intervallischen Bewegungen

    standardisieren kann. Im obigen Beispiel wre das Ordnungsprinzip das rgime 11. Die

    Zahl Elf kommt auf fast allen Ebenen vor : Die neue Oktave besteht aus 11 Halbtnen,

    nach 11 natrlichen Oktaven schliesst sich der Zyklus, innerhalb einer neuen Oktave

    gibt es 11 Tonstufen, welche Wyschnegradsky position nennt, um sie nicht mit den

    Akkordstufen im tonalen System zu verwechseln. Und wenn diese neue Oktave hal-

    biert wird, gibt es zwei Quarten von 11 Vierteltnen und bei einer weiteren Teilung kleine

    Terzen von 11 Achteltnen etc.

    Das rgime 11 ist eines neben vielen andern rgimes, in denen Wyschne-

    gradsky je nach Wahl der neuen Oktave komponiert. ber die Pansonoritt hinaus hat

    Wyschnegradsky mit dem rgime nicht nur einen viel prziseren Filter zur Eindmmung

    des informellen Rauschens, sondern einen Ordnungscode bekommen, mit dem die Tota-

    litt der Tne gleichsam totalitr alle Bewegungen eines Werkes gestaltet.

    Zugleich hat er ein System geschaffen, in dem smtliche bisherigen Tonhhen-

    parameter ausser Kraft gesetzt sind. Sie sind nicht einmal negativ im Sinne einer vermie-

    denen Struktur vorhanden. Es gibt keine Skalen mehr, keine Tonarten, keine Intervall- oder

    Akkordlehre, keine Dissonanzen oder Konsonanzen, keine harmonikalen Theorien, son-

    dern nur mehr oder weniger exakte gleichfrmige Teilungen des musikalischen Raumes.

    Die Imagination eines uniformierten Klangraumes konnte er mit den nicht-

    oktavierenden Tonrumen endlich realisieren. Zugleich wird die frhere Fixierung auf die

    akustische Erscheinungsform des Clusters nochmals differenziert.

    Das Instrument . . . | Roman Brotbeck | Hochschule der Knste Bern HKB 2006

    Natrliche Oktaven mit 12 Halbtnen

    C C C c c c c c

    Neue Oktaven mit 11 Halbtnen

    [D ] Cis C H B a as g s f [ s e es d]

  • 77

    Dolores Carrillo schenkt nach dem Tode ihres Vaters Jean-Etienne Marie den Drittel-

    ton gel der Firma Sauter, im Weiteren eines von drei Sechzehnteltonklavieren und

    zwei frhe Arpa-Citaras. Jean-Etienne Marie entwickelt Carrillos metamorphosierende

    Kompositionstechnik weiter. Er wird fr viele franzsische Musikerinnen und Musiker ein

    wichtiger Lehrer, unter anderem auch fr die Pianistin Martine Joste, die Komponistin

    Pascale Criton und den Komponisten Fernand Vandenbogaerde.

    Ein Jahr nach Carrillos Tod schreibt Wyschnegradsky fr den einzigen spielba-

    ren Drittelton gel der Welt im Besitz von Jean-Etienne Marie Prlude et Etude op. 48.

    Im Frhjahr 1987 sagt der Arzt, die wohl einzige Mglichkeit, das Infektionsasthma mei-

    nes zweijhrigen Sohnes zu heilen und eine lebenslange Erkrankung zu vermeiden, wre

    ein lngerer Aufenthalt in einem vllig anderen, insbesondere hheren Klima. Anderntags

    fllt mir beim ffnen meiner Post beim Schweizer Radio in Zrich eine Schallplatte in die

    Hnde mit der Aufnahme von Carrillos Vierteltonmesse, die er fr Johannes XXIII. ge-

    schrieben hat. Die Musik erschlgt mich beinahe mit ihrer archaischen Gewalt. Ich suche

    nach Informationen ber Carrillo und nde fast nichts, aber das Wenige, was ich nde,

    beginnt mich zu interessieren. Und binnen weniger Wochen ist klar : Ich beantrage beim

    Schweizerischen Nationalfonds ein Forschungsprojekt im Bereich Musikwissenschaft

    zum Thema frhe Mikrotonalitt. Eine Freundin sprt in San Angel Carrillos die mittlerwei-

    le betagte Tochter Dolores auf. Ein Jahr spter nach der Bewilligung des Forschungs-

    projektes reise ich mit meiner Familie nach Mexic D. F. Die folgenden Wochen und

    Monate verbringe ich damit, in Carrillos Haus die riesigen Manuskriptberge, Hunderte

    von Artikeln und Tausende von Briefen durchzusehen und zu lesen. Dolores Carrillo

    ist eine noch immer sehr elegante und feine Dame. An meinen Arbeitstagen bekomme

    ich pnktlich um 13 Uhr im Garten eine Torta (ein mexikanisches Sandwich) und ein Bier

    der Marke Bohemia serviert genau in diesem Gartenstuhl, an diesem Tisch und um

    diese Zeit habe auch ihr Vater jeweils diesen Imbiss (vor der Siesta) zu sich genommen.

    Manchmal ldt sie zu einem richtigen Desayuno ein, zu einem Mittagsmahl mit der ganz

    hohen mexikanischen Kche, bei der die Speisen teilweise tagelang vorbereitet wer-

    den das Tischtuch aus gestrkter weisser Leine, Porzellangeschirr und Silberbesteck.

    Mit dem Tischglcklein wird das Gesinde zum Auf- und Abtragen gerufen. Ich nde mich

    ins 19. Jahrhundert zurckversetzt.

    Ein Jahr spter komme ich nach Europa zurck. Mein Sohn ist von seinem

    Asthma fr immer geheilt. Ich will Jean-Etienne Marie in Nizza treffen, aber am Telefon

    sagt man mir, dass er vor einigen Tagen vllig berraschend verstorben sei. Seine Ehe-

    frau wolle mich nicht empfangen, da sie selber schwer erkrankt und entstellt sei und sich

    keinem Menschen mehr zeige.

    In der Wohnung von Dimitri Vicheney, dem einzigen Sohn von Wyschnegrad-

    sky, dessen Familie immer noch perfekt russisch spricht, erforsche ich ebenfalls whrend

    eines Jahres Wyschnegradskys Partituren und stosse in einem Gesamtwerk, das fast

    Das Instrument . . . | Roman Brotbeck | Hochschule der Knste Bern HKB 2006

  • 78

    ganz im Vierteltonsystem realisiert wurde, auf die beiden Stcke im Dritteltonsystem. Sie

    erscheinen mir wie Findlinge. Aber wo und wie sie spielen ? Die Regelung des Nachlasses

    von Jean-Etienne Marie gestaltet sich schwierig. Als ich Dolores Carrillo in Mxico bitte,

    eventuell zu intervenieren, um die einzigen Carrillo-Instrumente in Europa zu retten, winkt

    sie ab. Die Besitzverhltnisse seien zu eindeutig und sie sei zu alt, um sich darum noch

    zu kmmern. 1997 stirbt Dolores Carrillo oder La Seorita Lolita, wie sie in San Angel alle

    nennen. Wie alt sie wirklich war, hat mir whrend der Zeit in Mxico niemand zu sagen

    gewusst und auch die Verwandten, die nun das Haus in San Angel bewohnen, wissen es

    nicht genau. Ich gehe davon aus, dass sie mindestens so alt wie ihr Vater geworden ist.

    1998 ruft mich die Pianistin Martine Joste aus Paris an und informiert mich darber, dass

    die Instrumente aus dem Nachlass von Jean-Etienne Marie auf einer Auktion in Paris

    verkauft wrden. Ob ich nicht helfen knnte, wenigstens die wichtigsten Instrumente zu

    retten. Mehr zufllig spreche ich darber mit Pierre Sublet, damals Leiter der Berufsab-

    teilung des Konservatoriums Biel. Er gibt sich als erfahrener Auktionist zu erkennen und

    erklrt sich bereit, in Paris zu versuchen, die Instrumente fr die Hochschule der Knste

    Bern herauszuhandeln. Unmittelbar vor der Auktion wird mit den blichen mndlichen

    Vorabsprachen entschieden, das Sechzehnteltonklavier dem Pariser Instrumentenmu-

    seum zu berlassen, dafr aber den Drittelton gel fr Bern zu gewinnen. Der Coup

    gelingt. Pierre Sublet ersteigert den Drittelton gel und die beiden Arpa-Citaras fr die

    Hochschule der Knste Bern. Der Flgel wird von Urs Bachmann aus Wetzikon sanft

    renoviert ; einen Resonanzbodenriss belsst man. Seit drei Jahren steht das Instrument

    nun in der Hochschule der Knste Bern.

    Vor allem Leute aus dem Bereich des Jazz sind von diesem Instrument vllig

    begeistert, weil sich im Dritteltonsystem gnzlich neue enharmonische Mglichkeiten fr

    die chromatische Jazz-Harmonik bieten, d. h. cis und des knnen vom Ohr als differente

    Tne zurechtgehrt werden.

    Im Mai 2005 kommt Martine Joste nach Bern und spielt die beiden Stcke, die

    Ivan Wyschnegradsky im Dritteltonsystem geschrieben hat, fr eine CD ein. Endlich kann

    ich diese Kompositionen hren. Mir fllt auf, dass ich beim ersten Stck sofort Wysch-

    negradskys Stil identi ziere, whrend mich das zweite Stck irritiert. Ich hre Wyschne-

    gradskys Pansonoritt nicht, und zuweilen erinnert es mich an Musik von Carrillo. Beim

    Blick auf die Partitur realisiere ich, dass hier tatschlich eine Kommunikation ber Konti-

    nente und Zeiten hinweg stattgefunden hat. Im ersten Stck hat Wyschnegradsky seine

    pansonore Idee gegen die Tendenz von Carrillos Instrument realisiert. Im zweiten Stck

    hat Wyschnegradsky gleichsam das Instrument und seine metamorphosierende Idee,

    welche dahintersteht, akzeptiert und in Carrillos Spuren komponiert.

    Zur Erinnerung : Eine Oktave umfasst sechs Ganztne. Beim Drittelton ist je-

    der Ganzton in drei Dritteltne, beim Halbtonsystem in zwei Halbtne geteilt. Eine Oktave

    umfasst deshalb 12 Halbtne oder 18 Dritteltne.

    Das Instrument . . . | Roman Brotbeck | Hochschule der Knste Bern HKB 2006

  • 79

    Das erste Stck ist im rgime 17 realisiert. Wyschnegradsky whlte seine in den sech-

    ziger Jahren entwickelte Kompositionstechnik mit nichtoktavierenden Tonrumen. Im

    rgime 17 ist die neue Oktave gegenber der natrlichen Oktave um einen Drittelton

    verkrzt und sie umfasst 17 Dritteltne. Wenn man diese neuen Oktaven neunzehnmal

    addierte, wrde sich der Kreis in einem zyklischen Raum von 17 natrlichen Oktaven

    wieder schliessen. Die neue Oktave von 17 Dritteltnen kann Wyschnegradsky im Drit-

    teltonsystem nicht exakt teilen, weil die Zahl 17 sich nicht ganzzahlig halbieren lsst. Um

    trotzdem die neue Oktave mglichst regelmssig zu teilen, whlt Wyschnegradsky eine

    interne Halbierung der 17 Dritteltne in zweimal vier und einmal vier und fnf Drittel-

    tne : 4 + 4 und 4 + 5 = 17 Dritteltne.

    Damit schafft Wyschnegradsky auf dem Drittelton gel eine Klanglichkeit,

    welche das bisherige System geradezu aggressiv ausser Kraft setzt, denn wir hren aus-

    schliesslich Intervalle, die es auf dem Halbton gel nicht gibt.

    Dabei htte er durchaus auch andere Mglichkeiten gehabt. Im unten stehenden Sche-

    ma sind die beiden Systeme einander gegenbergestellt :

    Die Hlfte der Tne im Halbtonsystem und ein Drittel der Tne im Dritteltonsystem sind

    gemeinsam. Allerdings gibt es wichtige halbtnige Intervalle, die sich im Dritteltonsystem

    gar nicht realisieren lassen : Es kommen weder die reine Quarte noch die reine Quinte

    vor. Dies nimmt der Dritteltonwelt von allem Anfang eine gewisse Weichheit und einen

    klanglichen Glanz.

    Wyschnegradsky htte trotzdem die Mglichkeit gehabt, die Intervalle so zu

    whlen, dass eine Verbindung zum Halbtonsystem aufrechterhalten worden wre, z. B.

    mit folgenden Teilungen der neuen Oktave :

    3 + 3 + 3 und 3 + 3 + 2 = 17 oder 6 + 6 + 5 = 17

    Alle Intervalle, deren Anzahl Dritteltne sich durch die Zahl 3 teilen lassen, kommen

    ebenfalls im Halbtonsystem vor.

    Wyschnegradsky whlt aber die Teilung 4 + 4 und 4 + 5, und damit kommt

    in seiner Harmonik kein einziges Intervall vor, welches auch im Halbtonsystem mglich

    wre. Damit fokussiert er entschieden das harmonisch Neue des Dritteltonsystems.

    Wyschnegradsky hat die Dritteltonstcke in zwei Notationen notiert (vgl. No-

    tenbsp.1) : einerseits in der Art, wie die Musik erklingt, andererseits notierte er die Musik

    fr den Interpreten in Tabulatur, d. h. in einer Art Griffschrift, wo nicht die klingenden

    Tne, sondern die zu drckenden Tasten aufgeschrieben sind. So hat brigens auch

    Das Instrument . . . | Roman Brotbeck | Hochschule der Knste Bern HKB 2006

    Halbton C cis d es e f s g as a b h c

    Drittelton C cisi cish d esi esh e fi fh s gi gh as ai ah b hi hh c

  • 80

    Carrillo seine Werke fr die mikrotonalen Klaviere notiert. Da ich die Erfahrung gemacht

    habe, dass die Musik von Wyschnegradsky, in der die konkreten Tonhhen und Inter-

    valle als solche kaum eine Bedeutung haben, sondern bloss Reprsentanten des ber-

    greifenden Tonsystems darstellen, mit der Tabulatur-Notation fast leichter zu analysieren

    ist, mindestens fr Leser, welche mit der Lektre von mikrotonalen Versetzungszeichen

    wenig bung haben, werde ich im Folgenden jeweils mit der unteren Notation, also mit

    der Griffschrift arbeiten.

    Diese Griffschrift zeigt auch, dass sich Wyschnegradsky mit dem von ihm gewhlten

    rgime 17 grosse Probleme bei der Reprsentanz des Systems einhandelte, denn eine

    normalgrosse menschliche Hand kann die Oktave des rgime 17 auf dem Carrillo-Drit-

    telton gel nicht miteinander anschlagen, weil diese Hand immer eine Undezime (Oktave

    plus Quarte) greifen msste, was nur Pianisten mit Riesenhnden schaffen. Zwar ist die

    unit spatiale mit dem Drittelton feiner als beim Halbtonsystem. Dafr ist beim Carrillo-

    Klavier aber auch das volume also der Umfang entsprechend geringer und umfasst

    nur fnf statt wie blich sieben Oktaven.

    Die Distanz zum Ideal des continuum absolu wird also sehr gross sein. Da dies fr

    Wyschnegradsky aber in jedem Tonsystem der Fall ist und man mit Beschrnkungen le-

    ben muss, spielt er in diesem Falle mit extrem unterschiedlichen Reprsentationsgraden

    des continuum relatif. Zudem baut er die Bedeutung der position aus. Wie frher im

    Generalbass bezeichnet er ber dem Notensystem jede der Positionen. Mit der Position

    sind die 17 Stufen der 17 Dritteltne umfassenden Oktave gemeint. Jede Position kann

    entweder in regelmssiger oder unregelmssiger Form erscheinen. Bei der regelmssi-

    gen Erscheinung sind es immer Oktaven von 17 Dritteltnen, bei der unregelmssigen

    sind es mal 16, mal 18 Dritteltne. Jede Position hat also drei Reprsentationen, z. B.

    die Position 1:

    Wenn man jetzt noch bedenkt, dass Wyschnegradsky alle diese Oktaven in allen Kom-

    binationen von 4 - 4 - 4 - 5 (17 Dritteltne), 5 - 4 - 4 - 5 (18 Dritteltne) und 4 - 4 - 4 - 4

    (16 Dritteltne) teilen kann, so ergibt sich in diesem genotypisch so uniformisierten Sys-

    tem eine enorme phnotypische Vielfalt. Hinzu kommt, dass die menschlichen Hnde

    allein schon wegen ihrer Kleinheit und mechanischen Beschrnktheit das bergreifende

    System gleichsam nur wie Zwerge reprsentieren knnen.

    Das Instrument . . . | Roman Brotbeck | Hochschule der Knste Bern HKB 2006

    Position 1 regelmssig A 17 D 17 g 17 c 17 f

    Position 1 unregelmssig Variante 1 A 16 Des 18 g 16 h 18 f

    Position 1 unregelmssig Variante 2 A 18 Dis 16 g 18 cis 6 f

  • 81

    Um dies zu demonstrieren, sind im unten stehenden Schema alle Reprsentationen der

    Position 1 nebeneinander gestellt. Es handelt sich um folgende vier Stellen :

    Takt 1 (vgl. Notenbeispiel 1)

    Takt 3 (vgl. Notenbeispiel 1)

    Takt 9 (vgl. Notenbeispiel 2)

    Takt 24 (vgl. Notenbeispiel 3)

    Position 1 Konkretisierungen der Position 1 im Prlude

    regelmssige Teilung

    Notenbeispiel

    1 1 2 3

    Takt 1 Takt 3 Takt 9 Takt 24

    Das Instrument . . . | Roman Brotbeck | Hochschule der Knste Bern HKB 2006

    c"

    a"

    f"

    as'

    e'

    c'

    es

    H

    G

    B'

    Fis'

    D'

    g

    D

    AII

    17

    17

    17

    17

    4

    4

    5

    4

    4

    4

    4

    4

    4

    4

    4

    4

    5

    5

    4

    5

    4

    4

    5

    12

    13

    25

    13

    as'

    e'

    c'

    g

    Fis'

    G

    13

    17

    17

    4

    4

    5

    34

    as'

    e'

    c'

    g

    A"

    17

    4

    4

    8

    4

    4

    5

    25

    13

    g

    c"13

    412

    4

    c"h'

    as'

    e'

    c'

    17

  • 82

    Im Schema (S. 81) ist die ideale Teilung angezeigt und rechts daneben nden sich die vier

    Konkretisierungen in Wyschnegradskys Komposition. Mit dem tiefsten Ton, dem Griff-A

    (vgl. Notenbsp.1), wird der tiefste realisierbare Ton des Klaviers markiert und zugleich so

    etwas wie der Grundton der ersten Position xiert. Erst zwei Oktaven darber spielt

    dann die rechte Hand so viel sie eben kann, d.h. sie schafft es nicht, den Oktav-

    Ton c zu erreichen, und greift deshalb nur 13 Dritteltne, was klanglich aufgrund der

    Schwingungsverhltnisse einer verblffend gut klingenden grossen Sexte entspricht. Es

    wrde zu weit fhren, diese auf den akustischen Schwingungsverhltnissen beruhende

    Beurteilung der Dritteltonintervalle hier auszufhren. Jedenfalls taucht diese durch die

    Spanne der menschlichen Hand gegebene Beschrnkung auf 13 statt 17 Dritteltne

    immer wieder auf. Im vorliegenden Beispiel bereits beim zweiten Klang (vgl. Notenbsp.1),

    und diesmal in beiden Hnden. Beide schaffen es nicht, die zyklischen Tne A und c zu

    erreichen. Der dritte Klang (vgl. Notenbsp. 2) zeigt, wie bei Wyschnegradsky auch noch

    im unscheinbarsten Durchgang das Denken in Positionen aktiv ist. Auch hier bewertet

    er allerdings die Tne von seinem System her. Das c, welches der einzige zyklische Ton

    ist, wird marcato herausgespielt. Der vierte Klang (vgl. Notenbsp. 3) strebt nach einem

    grsseren Ausgleich der Intervallabstnde innerhalb des Klanges.

    Dies sind gleichsam anatomische Querschnitte, welche zeigen sollen, wie

    Wyschnegradsky mit seinen nichtoktavierenden Tonrumen ein der Tonalitt vergleich-

    bares System entwickelt hat. Systeme knnen sich als Systeme nur vermitteln, wenn die

    KomponistInnen ihnen nicht verfallen. In seinen spten Werken, wie eben diesem Drit-

    teltonstck, scheint dies sogar den sonst so linientreuen Wyschnegradsky beschftigt

    zu haben, denn wir nden in seinen Werken Abschnitte, in denen er aus dem System

    ausbricht, um dem Hrer das System besser zu vermitteln. Wohl in Analogie zu Voiles

    aus dem ersten Band der Prludes fr Klavier von Claude Debussy lst Wyschnegradsky

    nmlich im unteren System der Manuskriptseite 4 (vgl. Notenbsp. 4) sein zyklisches

    System auf. Structure cycliques modi es schreibt er darber. Er verwendet an dieser

    Stelle fast ausschliesslich Dritteltonintervalle, welche sich durch die Zahl 3 teilen las-

    sen, d. h. es sind jene erwhnten Intervalle, welche auch innerhalb des Halbtonsystems

    vorkommen, welches uns sehr viel vertrauter ist. Mitten in einer neuen Klangwelt fhrt

    uns Wyschnegradsky also in jenem Moment, wo wir uns an dieses Unbekannte gewhnt

    haben, etwas uns Bekanntes vor, um das Unbekannte seines Systems zu erhhen. In

    Voiles macht Debussy brigens formal an der genau gleichen Stelle nach ca. zwei

    Dritteln des Stckes das Analoge, indem er eine konsequente Ganztonstruktur fr kur-

    ze Zeit in eine ebenso konsequente Pentatonik berfhrt und damit die Ganztonstruktur

    und ihre damalige Neuheit als solche berhaupt erst hrbar macht.

    Was in Wyschnegradskys Prlude fr Dritteltonklavier mit diesem Ausbruch

    aus dem System erst angedeutet ist, nmlich der Einbezug unserer Hrkonventionen,

    um das System zu re ektieren, ist im zweiten Stck Etude das eigentliche Thema der

    Komposition. Im ersten Stck versuchte Wyschnegradsky seine nichtoktavierenden

    Das Instrument . . . | Roman Brotbeck | Hochschule der Knste Bern HKB 2006

  • 83

    Zyklen gegen die Kleinheit und Beschrnktheit der menschlichen Hnde durchzusetzen

    und diesen Zyklen mindestens ansatzweise gerecht zu werden. Im zweiten Stck lsst

    er gleichsam die Pianistenhnde und das, was diese jahraus, jahrein tglich trainieren,

    kom ponieren. So luft die linke Hand fast durchwegs in gegriffenen Oktaven, was klin-

    gend eine kleine Sexte darstellt. Auch die rechte Hand greift in den vollgrif gen Akkorden

    immer wieder den Umfang der Oktave. Wir hren also im Gestus und auch in den Inter-

    vallen fast immer Bekanntes, und insbesondere die Pianistin spielt das ihren Hnden

    Bekannte (vgl. Notenbsp. 5). In den Unterteilungen dieser gegriffenen Oktaven (klingen-

    den kleinen Sexten) lsst Wyschnegradsky nun sein altes Prinzip wirken, d. h. er whlt

    Intervalle, welche im Halbtonsystem nicht vorkommen, insbesondere die grosse

    Sekunde von 2 Dritteltnen.

    Das fhrt nun nicht zur Re exion seines eigenen Systems, sondern zu jener

    unserer Konventionen, mit denen Wyschnegradsky fast ironisch umspringt. Vieles klingt

    wirklich schief, weil die Konvention falsch, d. h. fr uns unerwartet, erfllt wird.

    Damit kehrt Wyschnegradsky zu Carrillo zurck. Denn genau diese Zerst-

    rung der Konvention wollte Carrillo erreichen. Er wollte in seinem metamorphosierenden

    Verfahren bekannte Strukturen in mikrotonalen Systemen verfremden. Dass er fr die

    mikrotonalen Instrumente gleich komponiert habe wie fr die halbtnigen, ist der hu gste

    Vorwurf an seine Kompositionen. Genau dies aber war Carrillos Ziel : Er als futuristischer

    Rcher wollte nicht eine neue Musik realisieren, sondern mit seiner Musik die bisherige

    zerstren und alle Konventionen brechen. Das gelingt nur, wenn man die Konventionen

    benennt, von ihnen ausgeht und sie dann von innen her zerstrt. Dies hat Wyschne-

    gradsky in dieser versteckten Hommage an Carrillo ein Jahr nach dessen Tod wohl ge-

    ahnt und ihm einen der eindrcklichsten Grabsteine gesetzt. Der Titel Etude bezeichnet

    diesen Gang im Stil eines anderen sehr treffend. Im Rhythmischen geht Wyschnegradsky

    allerdings weit ber Carrillo hinaus. Er lsst die repetitiven Bewegungen in unterschiedli-

    chen Proportionen gegeneinander laufen. Dies verlangt von der Pianistin eine absolute

    Unabhngigkeit der Hnde, und es scheint schier unglaublich, wie jemand gleichzeitig

    und im selben Stck Bewegungen in 7 zu 5, 7 zu 4 oder gar 10 zu 9 gegeneinander

    laufen lassen kann (vgl. Notenbsp. 6 mit einer ganzen Reihe komplexer Proportionen).

    Die beiden Dritteltonstcke, in denen die raummusikalischen Konzeptionen eines Rus-

    sen mit den futuristischen Trumen eines Indios zusammentreffen, lassen sich heute nur

    an der Hochschule der Knste Bern realisieren. Der andere Drittelton gel von Frederico

    Buschmann im mexikanischen Nachlass von Carrillo be ndet sich in einem unspielbaren

    Zustand und bedrfte der dringenden Restaurierung.

    All das ist ein geradezu schreiendes Beispiel von Inef zienz. Ein Komponist, der

    fr ein Instrument schreibt, das es nur einmal gibt, der sich eines Systems bedient, das sich

    niemals durchsetzen wird, und der in Kauf nimmt, dass nur ganz wenige Pianisten dieses

    Stck jemals einstudieren werden. Und eine Hochschule, die sich ein solches Monstrum

    Das Instrument . . . | Roman Brotbeck | Hochschule der Knste Bern HKB 2006

  • 84

    von Instrument, fr das nur vereinzelte Werke geschrieben wurden, berhaupt anschafft !

    Der Drittelton gel wird niemals ein Standardinstrument werden. Er ist ein Findling aus

    einer vergangenen Zeit. Aber gerade diese Findlinge sind es, worauf der Fachbereich

    Musik der Hochschule der Knste Bern seine Aufmerksamkeit richten will. Denn was

    wre die Welt, wenn es diese Findlinge nicht gbe, wenn diese Geschichten, die bis

    heute kaum jemand interessierten, nicht gelebt worden wren ?

    Kommentar | Florian Dombois

    Muss man das Wort Findling vielleicht noch einmal genau betrachten ? : Den Geologen

    interessiert am Findling weniger die vergangene Zeit des Transports als der ferne Ort

    der Herkunft. Findlinge verweisen als erratische Blcke auf eine Geologie jenseits der

    Region. Findlinge sind aber auch Kinder, die von unbekannten Eltern ausgesetzt wurden

    und nun auf fremde Kosten erzogen werden. Und das Grimmsche Wrterbuch der deut-

    schen Sprache kennt gar noch eine dritte Bedeutung : ndlinge nennt der bienenzch-

    ter die abhanden gekommnen, als herrenloses gut im walde eingefangnen schwrme.

    Kommentar | Hans Rudolf Reust

    Die Rede vom Findling erinnert auch an die Unterscheidung von Outsidern und Main-

    stream, die inzwischen durch die Marktrealitten berholt wurde. Es gibt kaum mehr

    die verkannten Knstlerinnen und Knstler. Vielmehr werden auch die bekanntes-

    ten nur noch in einer vergleichsweise begrenzten Szene weltweit wahrgenommen und

    weitergereicht zumindest im Feld der bildenden Knste. Das Bewusstsein, in einer

    ffentlichkeit von Subzentren zu arbeiten, prgt gerade auch die Anstze der Jngs-

    ten. Knnte es denn heute berhaupt noch ein so breit durchgreifendes Paradigma

    wie das Readymade geben ? Wie steht es in dieser Hinsicht um die Mikrotonalitt ?

    Von diesen Findlingen kann man heute lernen, nicht einfach nur zu tun, was alle tun, d. h.

    eissig kommunizieren, informieren, standardisieren und austauschen, sondern etwas

    Neues, etwas Unerhrtes im Leben und in der Kunst zu wagen, auch auf die Gefahr

    hin, einst bloss ein Findling zu sein.

    So kann der Drittelton gel mit seinen Geschichten, die sich ber die halbe

    Welt erstrecken, wie eine Allegorie fr eine widerstndische Differenzierung und Differenz

    schaffende Energie stehen, welche der Fachbereich Musik der Hochschule der Knste

    Bern seine Studierenden lehren will.

    Postskriptum | Roman Brotbeck

    Alle drei Bedeutungen in der Ergnzung zum Findling von Florian Dombois gefallen mir

    und besttigen mir seine Bedeutung fr die heutige Zeit. Was mir allen drei Bedeu-

    tungen, deren dritte Grimmsche mir dabei die liebste ist, als gemeinsam scheint, ist

    die Machtlosigkeit des Findlings. Er kann nur darauf verweisen, dass die Strmung mal

    Das Instrument . . . | Roman Brotbeck | Hochschule der Knste Bern HKB 2006

  • 85

    anders verlaufen sein musste, und wir sehen und verstehen sie hu g gar nicht mehr. In

    jedem Falle muss der Findling gefunden werden, sonst stirbt er oder man vergisst ihn.

    Mein Beitrag und die beiden kurzen Stcke auf der CD sind gleichsam eine Ansammlung

    von Findlingen, welche zeigen wollen, wie viele Opfer die sogenannten Hauptstrmungen

    erzeugen und welche Entdeckungen in der (Musik-)Geschichte lauern, wenn man sich in

    entscheidenden Momenten auch mit seinem Leben auf sie einlsst und ihr verantwortet.

    Hans Rudolf Reusts Bemerkung, dass heute der Mainstream an Bedeutung

    eingebsst htte, kann ich von der Musik her schwer nachvollziehen. Die Festivals bal-

    gen sich ebenso um die gleichen paar wenigen prominenten Namen und Werke wie

    die TV-Stationen. Museen fr zeitgenssische Kunst gleichen sich teilweise verblffend.

    Und gerade in Kunstkritiken begegne ich redundant der Bemerkung, dies oder jenes sei

    jetzt angesagt. Sind das nicht alles Symptome fr die Prsenz einer ktiven Hauptstr-

    mung ? Ihr liegen durchaus auch wirtschaftliche Interessen zugrunde, denn die bekannte

    Marke lsst sich teurer verkaufen ; das Unbekannte hat wirtschaftlich allenfalls als Nische

    noch eine Chance.

    Dass die Kultur, und zumal die zeitgenssische, in der Gesamtheit der glo-

    balen Kommunikationsakte einen verschwindend kleinen und zu vernachlssigenden

    Marktanteil hat, trifft sicher zu. Da werden dann zugegeben auch sogenannte

    Hauptstrmungen relativ. Tatsache jedoch bleibt, dass es Sngerinnen gibt, die bis zu

    100 000 Franken pro Abend kassieren, und andere ebenfalls sehr gute mit 2000 Franken

    Abendgage sehr zufrieden sind. Und darber hinaus macht man mit solcher Argumenta-

    tion die Kunst bereits zum Nischenprodukt, als das sie von Wirtschaft und Medien heute

    bestenfalls noch verstanden wird.

    Der Findling ist zwar macht- und wehrlos, aber er ist extrem stark als Ver-

    weis als Verweis auf Anderes, auf Qualitt, auf knstlerische Verantwortung.

    Das Instrument . . . | Roman Brotbeck | Hochschule der Knste Bern HKB 2006

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    Auszge aus den Partituren : Deux pices en tiers de ton Etude Ivan Wyschnegradsky

  • 88Notenbeispiel 1 | Ivan Wyschnegradsky | Deux Pices en tiers de ton, op. 48, Prlude, Takte 16

  • 89 Notenbeispiel 2 | Ivan Wyschnegradsky | Deux Pices en tiers de ton, op. 48, Prlude, Takte 79

  • 90Notenbeispiel 3 | Ivan Wyschnegradsky | Deux Pices en tiers de ton, op. 48, Prlude, Takte 2224

  • 91 Notenbeispiel 4 | Ivan Wyschnegradsky | Deux Pices en tiers de ton, op. 48, Prlude, Takte 2528

  • 92Notenbeispiel 5 | Ivan Wyschnegradsky | Deux Pices en tiers de ton, op. 48, Etude, Takte 9 11

  • 93 Notenbeispiel 6 | Ivan Wyschnegradsky | Deux Pices en tiers de ton, op. 48, Etude, Takte 4450

  • 127

    Biogra enAutorinnen und Autoren, Knstlerinnen und Knstler

    Roman Brotbeck *1954 in Biel, Studium der Musikwissenschaft und Literaturkritik. Promotion ber Max Reger. Zahlreiche Publikationen und Referate zur Musik des 20. Jahrhunderts. Forschungsaufenthalte in Mexiko, Kanada, Frankreich, den USA und der UdSSR. Konzep-tion und Realisation verschiedener kultureller Grossprojekte im musikalischen und interdisziplinren Bereich. Leiter des Bereichs Musik an der Hochschule der Knste Bern HKB.

    Marie Caffari *1968 in Lausanne geboren, studierte an den Universitten von Sankt Petersburg, Kln und Lausanne franzsische, deutsche und russische Literatur. Sie promovierte 2003 an der Universitt London mit einer Arbeit zur franzsischen Gegenwartsliteratur in Interaktion mit Bildern von visuellen KnstlerInnen. Seit April 2005 fhrt sie als Co-Leiterin das Projekt Schweizerisches Literaturinstitut an der Hochschule der Knste Bern HKB. Marie Caffari est ne en 1968 Lausanne. Elle a tudi les littratures franaise, allemande et russe aux universits de Saint Peters-bourg, Cologne et Lausanne. En 2003, elle a obtenu un doctorat lUniversit de Londres avec une tude sur linteraction entre textes et images dans la littrature contemporaine franaise. Depuis avril 2005, elle codirige le projet Institut littraire suisse la Haute cole des arts de Berne HEAB.

    Florian Dombois *1966 in Berlin. Lebt in Kln und Bern. Studium der Geophysik und Philosophie. Promotion in Kulturwissenschaft bei Hartmut Bhme zur Frage Was ist ein Erdbeben ?. Seit 1994 Projekte sowie Einzel- und Gruppenausstellungen zur Verbindung von Kunst und Wissenschaft. Lehrauftrge an Universitten und Kunsthochschulen in Europa und Amerika. Seit 2003 Leiter des Transdiszi-plinren Instituts Y an der Hochschule der Knste Bern HKB.

    Werner Jeker * 1944, Gra ker und Co-Leiter des Studiengangs Visuelle Kommunikation an der Hochschule der Knste Bern HKB. Seit 1974Lehrttigkeiten an Fachhochschulen und Universitten im In- und Ausland. Projekte : 19801982 Art Director Lillustr. 1990 Corpo-rate Design fr Weimar Kulturstadt Europas. 2004 Redesign Ville de Genve. Expo.02: Architektur und Szenogra e fr den Pavillon Signalschmerz.

    Bethan Huws *1961 in Bangor (Wales), Knstlerin, lebt in Paris. Studien an der Middlesex Polytechnic und am Royal College of Art in London. Ihr Werk umfasst Aquarelle, Zeichnungen, Objekte, Notizen, ein Schauspiel und Filme. Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstel-lungen in Europa und in den USA. Gastdozentin im Studiengang Kunst an der Hochschule der Knste Bern HKB.

    Thomas D. Meier *1958 in Basel, lebt in Bern. Studium der Geschichte und der englischen und amerikanischen Literatur. Promotion bei Beatrix Mesmer ber die Geschichte der Nichtsesshaften in der Schweiz. Publikationen zur Sozial- und Kulturgeschichte, zur Geschichte der Fotogra e und zur Museologie. Direktor der Hochschule der Knste Bern HKB, Prsident der Dachkonfernez Kunsthochschulen Schweiz.

    Peter Kraut *1965, lebt in Bern, Sozialwissenschafter. Studium der Geschichte, Soziologie und Politologie. Seit 20 Jahren als Vermittler (Musik, Klangkunst und Verwandtes), Autor (NZZ, Radio DRS 2 u. a.) und Lehrbeauftragter ttig. Arbeitet im Stab der HKB und leitete die Biennalen Bern 03 und 05.

    Vaclav Pozarek *1940 in Csek Budejovice, CSSR, Knstler. Lebt und arbeitet in Bern. Studium der Filmregie und der Bildenden Kunst in Prag, Hamburg, Berlin und London. Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland. Bis 2005 Dozent im Studiengang Kunst der Hochschule der Knste Bern HKB. 2005 Preistrger des Meret Oppenheim Preises.

    Hans Rudolf Reust *1957, Lic. phil. I, Kunstkritiker, lebt in Bern. Co-Leiter des Studiengangs Kunst an der Hochschule der Knste Bern HKB. Mitglied der Eidgenssischen Kunstkommission. Korrespondent Artforum NY. Texte in Katalogen und internationalen Fachzeit-schriften, u.a. ber Luc Tuymans, Thomas Schtte, Thomas Struth, Bethan Huws, Raoul De Keyser, Alex Katz, Silvia Bchli.

    Anselm Stalder *1956, Knstler, lebt in Basel. Co-Leiter des Studiengangs Kunst an der Hochschule der Knste Bern HKB. Ausstel-lungen: 2000/2001: Keine Deregulierung fr die Er ndung des Nebels, Helmhaus Zrich. AS IF, Neue Gesellschaft fr bildende Kunst Berlin. 2003: Tre offen lassen, Kunsthalle Basel. Index 1, Galerie Friedrich Basel. Carnet de passage, Elisabeth Kaufmann, Zrich. 2005: Sucht & Ordnung, Galerie Friedrich, Basel.

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    ImpressumHerausgeberHochschule der Knste Bern HKB

    RedaktionsteamRoman BrotbeckMarie Caffari Florian DomboisWerner Jeker Hans Rudolf Reust Elisabeth Schwarzenbeck, Projektkoordination

    GestaltungLes Ateliers du Nord, LausanneElisabeth Schwarzenbeck

    LektoratDaniel Rothenbhler

    KorrektoratYvonne Schr

    Reprofotogra eChristoph Kern, Basel

    Lithogra eDenz Lith Art AG, Bern | Vaclav Pozarek Ksel GmbH, Altusried-Krugzell/D | Vaclav Pozarek | Bethan Huws Partiturauszge Ivan Wyschnegradsky | Anselm Stalder Pascale Brgger Normant, Basel | Anselm Stalder

    Druck und BindungKsel GmbH, Altusried-Krugzell/D

    Au age3000

    Copyright 2006 Hochschule der Knste Bern HKB, Fellerstrasse 15a, CH-3027 Bern bei den Text- und Bildautoren und -autorinnen, Knstlern und KnstlerinnenAlle Rechte vorbehalten, einschliesslich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe.

    BildernachweisWir haben uns bemht, smtliche Rechtinhaberinnen und Rechtinhaber aus ndig zu machen. Sollte es uns in Einzelfllen nicht gelungen sein, Rechtinhaberinnen und Recht-inhaber zu benachrichtigen, bitten wir diese, sich bei der Hochschule der Knste Bern HKB zu melden.

    ISBN -10 : 3-033-00696-5ISBN -13 : 978-3-033-00696-6Hochschule der Knste Bern HKB, Fellerstrasse 15a, CH-3027 Bern

    VertriebHochschule der Knste Bern HKB, Fellerstrasse 15a, CH-3027 Bernwww.hkb.bfh.ch/publikationen.html

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